Heft 1 / 2001: Fragwürdige Dienstleistung Bundeswehr im Umbruch |
Heiko Moshagen | |
Frieden schaffen mit immer besseren Waffen | |
Wer einen Vorschlag zur zukünftigen Gestalt der Bundeswehr vorbringt
und damit noch ernstgenommen werden will, muß von ihrer neuen Rolle als
Interventionsarmee ausgehen. Da sie zur Verteidigung nicht mehr benötigt
wird, sehen alle Konzepte die Auflösung der bisherigen Hauptverteidigungskräfte
vor, die für den Angriffskrieg vorgesehen Truppen sollen die einzigen
Einsatzkräfte werden. Die bisher euphemistisch als Krisenreaktionskräfte
bezeichneten Einheiten sollen von jetzt 60.000 auf zwischen 140.000 1
und 150.000 2
Soldaten verstärkt werden. Dazu kommen gut 100.000 Soldaten als logistische
Basis für die Auslandseinsätze. Diese Planung ergibt sich aus der Forderung,
die Bundeswehr müsse neben dem sie momentan auslastenden Einsatz im ehemaligen
Jugoslawien zu einer weiteren Intervention derselben Größenordnung fähig
sein. Ende des Tauwetters "Die Bundeswehr ... hat ausschließlich der Landesverteidigung zu dienen. Ihr Auftrag ist Kriegsverhütung durch Verteidigungsfähigkeit bei struktureller Angriffsunfähigkeit." Berliner Programm der SPD Als sich die SPD 1990 zu dieser fast schon pazifistischen Definition
der Rolle der Bundeswehr hinreißen lies, war diese Position durchaus mehrheitsfähig.
Zwar fanden die Generäle der BRD schon früher, Angriff sei die beste Verteidigung
und steckten daher das meiste Geld in Offensivwaffen wie den Kampfpanzer
Leopard II und den Jagdbomber Tornado. Die entsprechende Militärstrategie
nannten sie "Vorneverteidigung", wobei auch nicht klar war, ob die BRD
denn zunächst angegriffen werden mußte, um sich vorne verteidigen zu können,
oder aber auch die behauptete Gefahr eines Angriffes ausreichen sollte,
um präventiv loszuschlagen. Dieses Streben nach Angriffsfähigkeit mußte
aber immerhin im Rahmen des Auftrages der Bundeswehr zur Verteidigung
der BRD und der NATO gerechtfertigt werden. Mit der bedingungslosen Kapitulation
des Ostblocks im Kalten Krieg war der Bundeswehr dieser Daseinszweck abhanden
gekommen, gleiches gilt auch für die NATO. Realitätsferne Friedenswinsler
hätten auf den Gedanken kommen können, beide Institutionen als überflüssig
abzuschaffen. Solange die Sowjetunion noch nicht völlig zerfallen war,
gab es auch Ansätze zu einer radikalen europaweiten Abrüstung. Als regionale
Friedensordnung für Europa sollte die nun in OSZE umgetaufte KSZE dienen. Neue deutsche Normalität Im zweiten Golfkrieg zeigten die USA, welche neuen Möglichkeiten der relativ risikoarmen Kriegsführung sich für die Staaten der NATO mangels ernstzunehmender Gegner nun auftaten. Auch die deutschen Militaristen wären gerne dem "neuen Gewicht Deutschlands in der Welt" gerecht geworden. Noch trat die NATO mit Billigung der UNO auf, noch durfte die BRD lediglich einen guten Teil der Rechnung mit tragen - die eigene Bevölkerung war noch nicht so weit. Die nach Ende diese Krieges vom Generalinspektor Naumann 1992 in den bis heute gültigen Verteidigungspolitischen Richtlinien der BRD formulierte Aufgabe der "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" der Bundeswehr wurden von nicht unwesentlichen Teilen der Öffentlichkeit nicht als hinreichender Grund gesehen, nun gleich überall mit zu morden. Der zuständige Minister Rühe verlegte sich auf eine Salamitaktik, um die aus seiner Sicht hysterische Öffentlichkeit wieder an Krieg und Militär zu gewöhnen. Die "Engel von Phnom-Penh" in Kambodscha, kleinere Auslandsaufenthalte im Irak und in Kuwait sowie der Abenteuerspielplatz Somalia machten unter dem Dach der UNO den Aufenthalt deutscher Soldaten außerhalb der NATO zur Normalität. Im Inneren sollten die inflationären öffentlichen Gelöbnisse für patriotischen Rückhalt für die Truppe sorgen. Die Rolle der Justiz Den rechtlichen Freibrief für all das und für alles kommende stellte
das BVerfG im Adria-, Somalia- und AWACS-Verfahren aus. Die einschlägige
verfassungsrechtliche Grundlage für militärische Einsätze der Bundeswehr
jenseits der Verteidigung sah es in Art. 24 Abs. 2 GG, was gewagt, aber
noch vertretbar ist. Gleichzeitig behauptete es jedoch, auch die NATO
und die WEU seien Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit gemäß Art.
24 Abs. 2 GG und nicht nur die UNO und die OSZE. In gewisser Weise sind
sie das auch - dass die NATO einen Krieg zwischen ihren Mitgliedern unwahrscheinlich
macht, ist das wohl gewichtigste Argument für ihre Weiterexistenz. Aber
es ging ja um Einsätze "out of area" des NATO-Vertrages und damit gerade
nicht um die Wahrung des Friedens innerhalb der NATO. UNO und OSZE mutieren
seitdem zur Unterscheidung teils zu Systemen "kooperativer Sicherheit",
was dann wohl bedeuten soll, dass vor uns nur sicher ist, wer mit uns
kooperiert. Neue Supermacht EU Die Rechtsprechung des BVerfG beschränkt die deutsche Militärpolitik
also nur noch insoweit, als Deutschland nicht alleine Krieg führen darf.
Das kann und will es aber auch gar nicht. Der deutsche Versuch, alleine
zur Supermacht zu werden, ist im letzten Jahrhundert zweimal gescheitert,
die neue Supermacht soll daher die EU werden. Wenn es nach dem Willen
der BRD geht, eine möglichst deutsche EU. Der neue alte Feind: das internationale Lumpenproletariat Für die übrige Welt bedeutet die Entwicklung der EU zum Militärbündnis nichts Gutes. Während die alte bipolare Weltordnung den Staaten des Trikonts immerhin ermöglichte, sich zwischen den beiden Supermächten und ihren Vasallen lavierend etwas Bewegungsfreiheit zu erhalten, wird eine neue Supermacht EU die erdrückende Übermacht der Industriestaaten eher noch erhöhen. Die Interessen der USA und der EU gegenüber den armen Ländern sind im wesentlichen gleichgerichtet. Wie es in den entsprechenden strategischen Papieren ziemlich deutlich formuliert wird, geht es um den Zugang zu den Märkten, um die Sicherung der Rohstoffquellen und einen ruhigen Hinterhof. Zu Konflikten wird es auch in Zukunft nur kommen, wenn man sich nicht über den geeigneten Friedhofsgärtner einig werden kann. Die idealtypische Ausprägung einer von diesen Maximen bestimmten Großmachtpolitik zeigt sich im "präventiven Sicherheitsmanagment", das die USA seit langem in Südamerika betreiben. Die zukünftige Sicherheitspolitik der EU in ihrem Hinterhof wird nicht anders aussehen. Demokratie und Menschenrechte sind dabei äußerst flexible Begriffe, die ihren Wert eher an der Propagandafront beweisen. Mit deutscher Hilfe werden die Europäer die USA auch auf diesem Feld überflügeln können. "War is peace, freedom is slavery, ignorance is strength." Was machbar ist, ist noch lange nicht legitim, und zur Produktion von
Legitimität braucht man die Form von Sprachgewalt, die sich unser neues
Regierungspersonal und sein Umfeld auf dem langen Marsch zur bürgerlichen
Respektabilität angeeignet haben. Mit der gleichen religiösen Inbrunst,
mit dem früher der Kapitalismus und seine negativen Begleiterscheinungen
moralisch verdammt wurden, bekommt jetzt der jeweilige Gegner des neuen
deutschen Imperialismus eins auf die Mütze. Dabei geht es ohne Faschismus-,
Hitler-, KZ-, Massenmord- und Auschwitzvergleichen nicht ab. Wir sind
nicht nur wieder wer, nein, wir sind sogar die Guten und können endlich
die Geschichte unserer Eltern und Großeltern symbolisch angreifen, ohne
Gefahr zu laufen, enterbt zu werden. Auch die antiimperialistische Liebe
zu den "nationalen Befreiungsbewegungen" kann in diesem Zusammenhang widerverwertet
werden und zeigt ihre Kompatibilität mit den Volkstumsvorstellungen der
Rechten und der vom Auswärtigen Amt seit seiner Gründung verfolgten "Spalte
und Herrsche" Doktrin. Neben diesen deutschen Besonderheiten kamen im
Kosovokrieg die üblichen Kriegslügen hinzu, die Greuelpropaganda (z.B.
Racak) und die Standardbehauptung, angefangen hätte ja der Angegriffene
(Hufeisenplan). Das Volk steht stramm Die militärpolitische Mobilmachung hat auch ihre innenpolitischen Auswirkungen.
Im Kosovokrieg zeigte sich, wie bereitwillig sich die Presse im Bewußtsein
ihrer nationalen Verantwortung mit der Regierung gleichschaltet. Kritik
am Oberkommando ist im Krieg nun mal nicht erlaubt, den "Unsere Soldaten
brauchen Rückhalt im Parlament und in der Öffentlichkeit. Dieser Rückhalt
könnte durch Debatten geschmälert werden" (Scharping).
6 Später betrauerten die Medien wieder sich selbst
- die Wahrheit sei nun mal das erste Opfer eines jeden Krieges. Sie könnte
es sein, wenn sie nicht von eben dieser Medienmeute schon lange vorher
der kollektiven Kriegsvorbereitung geopfert worden wäre. Heiko Moshagen, Berlin. Anmerkungen: 1 Weizsäcker-Kommission, Bericht,
S. 54. Literatur: Generalinspekteur der Bundeswehr: Eckwerte für die konzeptionelle
und planerische Weiterentwicklung der Streitkräfte (Eckwertepapier), 2000.
|