Heft 1 / 2001:
Fragwürdige Dienstleistung
Bundeswehr im Umbruch
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Wehrpflicht: Ungerecht und nutzlos
Über Notwendigkeit und Auswirkungen einer Abschaffung der Wehrpflicht
 

Die aktuelle Diskussion um die Verkleinerung und Neustrukturierung der Bundeswehr erreichte im Juni 2000 ihren vorläufigen Höhepunkt. Die vom Bundesminister der Verteidigung eingesetzte Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" unter der Leitung des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker legte nach einjähriger intensiver Arbeit am 23. Mai 2000 ihren Bericht vor. Ein Ergebnis wurde in der öffentlichen Diskussion besonders aufgegriffen, vom Bundesminister der Verteidigung aber sofort vom Tisch gewischt und in den Giftschrank verbannt, nämlich der Vorschlag einer "Auswahlwehrpflicht". Die Bundesrepublik Deutschland kennt seit 1957, als die bis heute geltende Wehrpflicht eingeführt wurde, nur die"allgemeine" Wehrpflicht, die alle Männer gleichmäßig belasten soll. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Neuordnung des Kriegsdienstverweigerungsrechts von 1977 in Leitsätzen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Grundgesetz die Wehrpflicht zwar als Möglichkeit vorsieht, aber genauso eine Freiwilligenarmee zulässt, wenn die Wehrpflicht nicht mehr "allgemein" organisiert werden kann. Solange aber an der Wehrpflicht festgehalten wird, steht sie unter folgender Prämisse:
"Die allgemeine Wehrpflicht ist Ausdruck des allgemeinen Gleichheitsgedankens. Ihre Durchführung steht unter der Herrschaft des Artikels 3 Absatz 1 Grundgesetz." 1
Wenn Wehrpflicht, dann müssen alle - mit Ausnahme der Kriegsdienstverweigerer - einberufen werden. Wenn das nicht möglich ist, dann muss die Landesverteidigung über eine Freiwilligenarmee organisiert werden. Die Vorgabe der Verfassungshüter ist seit 1978 mehr als deutlich.
Nun hatte die Weizsäcker-Kommission mehrere an den Jahrgangsgrößen orientierte, so genannte "aufkommensorientierte" Wehrpflichtmodelle durchgeplant und durchgerechnet, aber alle entweder als zu teuer oder als militärisch unsinnig verworfen. Wegen der durchschnittlichen Geburtsjahrgangsgröße mit 430.000 Männern in den nächsten 10 Jahren musste davon ausgegangen werden, dass pro Jahr deutlich mehr als 150.000 davon für den Grundwehrdienst zur Verfügung stehen. 2

Grundsätzliche Umorientierung: Auswahlwehrpflicht

Um dennoch an der Wehrpflicht festhalten zu können - und um offensichtlich dem Bundesminister der Verteidigung entgegen zu kommen, der sich in den Monaten vor der Berichtsveröffentlichung massiv für die Beibehaltung der Wehrpflicht ausgesprochen hatte -, wurde das Modell einer Auswahlwehrpflicht mit 30.000 Dienstposten für Grundwehrdienstleistende entwickelt. Um diesem Modell folgen zu können, sei aber nach Überzeugung der Kommission eine "grundsätzliche Umorientierung unumgänglich":
"Nicht mehr die Stärke der Geburtsjahrgänge, sondern der Bedarf der Streitkräfte muss künftig darüber entscheiden, wie viele zum Wehrdienst verfügbare und bereite junge Männer tatsächlich einberufen werden." 3
Auf das Gebot der Wehrgerechtigkeit geht die Kommission ein, indem sie ausdrücklich an der Erfüllung dieses Gebotes festhält. Allerdings nimmt sie eine Neudefinition vor: "Das Gebot der Wehrgerechtigkeit bleibt bestehen. Es sollte jedoch nicht länger als das Durchschleusen möglichst vieler Wehrpflichtiger verstanden, sondern auch durch Vergütung und Vergünstigung für Dienende angestrebt werden. Eine Sonderbelastung für Nichteinberufene lehnt die Kommission ab. Sie befürwortet statt dessen, die Attraktivität des Grundwehrdienstes zu erhöhen, Wehrdienstleistenden bessere Einstiegsmöglichkeiten in Studium und Beruf zu eröffnen und den Wehrsold so zu bemessen, dass er dem Sold für FWDL (Grundwehrdienstleistende, die freiwillig 12 bis 23 Monate Wehrdienst leisten, erhalten netto ca. 1.800 DM im Monat; d. Autor) entspricht." 4
Das Modell der Auswahlwehrpflicht konnte nur mit Mehrheit beschlossen werden, da sich ein Drittel der Kommissionsmitglieder mit einem Minderheitenvotum für die direkte Einführung einer Freiwilligenarmee aussprach 5 und der Verfassungsrechtler und Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Prof. Dr. Knut Ipsen, gleichzeitig in einem Minderheitenvotum 6 die Auswahlwehrpflicht wegen des offensichtlichen Verstosses gegen das "Verfassungsgebot der staatsbürgerlichen Pflichtengleichheit" und "das Gleichheitsgrundrecht" als verfassungswidrig verwarf.
Auch Verteidigungsminister Scharping verwarf das Modell der Auswahlwehrpflicht sofort und hielt den AutorInnen entgegen, dass sie damit gegen das Gebot der Wehrgerechtigkeit verstoßen würden. Er selbst legte Anfang Juni 2000, schon eine Woche nach der Veröffentlichung des Kommissionsberichts, seinen eigenen Vorschlag zur Streitkräftereform vor, das so genannte Eckpfeiler-Papier, das Mitte Oktober 2000 in einer "Grobausplanung" spezifiziert wurde. Danach umfasst die zukünftige Bundeswehr noch 282.000 Soldatinnen und Soldaten. Im September 2000 waren noch 314.813 SoldatInnen in der Bundeswehr. 80.000 Dienstposten sind für Grundwehrdienstleistende vorgesehen, 53.000 davon mit einer Dienstzeit von neun Monaten. Auf 27.000 Dienstposten kann die Dienstdauer freiwillig auf bis zu 23 Monate verlängert werden. Zukünftig müssen also jährlich etwa 72.000 Wehrpflichtige für neun Monate und 18.000 Wehrpflichtige mit den freiwillig gewählten längeren Dienstzeiten einberufen werden.
Nach diesen Zahlen plant Verteidigungsminister Scharping, mittelfristig nur noch 90.000 von jährlich 184.000 7 tauglichen und verfügbaren Wehrpflichtigen einzuberufen. Um diese Planungen weiter unter der Überschrift "allgemeine Wehrpflicht" verkaufen zu können, wurde in dem Eckpfeiler-Papier der Anteil der verfügbaren Wehrpflichtigen kleingerechnet. So wurde zum Beispiel, obwohl es bisher keinen Geburtsjahrgang mit mehr als 120.000 anerkannten Kriegsdienstverweigerern gibt, deren Zahl einfach mit 172.000 hochgesetzt und 17.000 Jugendliche pro Jahrgang wurden zu Tippelbrüdern oder Drogenabhängigen gemacht, die man angeblich nicht zur Musterung holen könne. Das Gerede von "allgemeiner Wehrpflicht" kann der Verteidigungsminister nur noch aufrechterhalten, wenn er der Öffentlichkeit und dem Parlament mit der militärischen Taktik "Tarnen und Täuschen" begegnet.

Benachteiligung der Zivildienstpflichtigen

Ganz anders laufen die Planungen bei Jugendministerin Bergmann (SPD), die für den Zivildienst verantwortlich ist. Sie will alle Kriegsdienstverweigerer umgehend in den Zivildienst bringen und hält damit strikt an der Linie ihrer CDU-Vorgänger-MinisterInnen fest. Zu diesem Zweck sind 190.000 Dienstplätze für Zivildienstleistende eingerichtet worden, von denen bisher maximal 138.000 besetzt werden konnten - weil es ganz einfach nicht mehr Kriegsdienstverweigerer gab. Während der Verteidigungsminister für das Jahr 2001 angekündigt hat, die Zahl der einzuberufenen Grundwehrdienstleistenden um gut 10.000 von 139.000 auf weniger als 129.000 zu senken, 8 verkündet das Jugendministerium, die Zahl der einzuberufenden Dienstpflichtigen um 7.000 von ursprünglich geplanten 134.000 auf 141.000 9 zu erhöhen. Da von den tauglich Gemusterten eines Geburtsjahrgangs weniger als 40% verweigern und mehr als 60% wehrdienstwillig sind, wird die Ungleichbehandlung beider Dienstleistendengruppen besonders deutlich: 40% der Verfügbaren stellen 141.000 Dienstleistende, die anderen 60% aber nur 129.000. Ob das die neue sozialdemokratische Definition von "Gleichbehandlung von Wehr- und Zivildienst" ist, die im Wahlkampf versprochen wurde und heute von Bündnis 90/Die Grünen mitgetragen wird?
Diese offensichtliche Benachteiligung der Kriegsdienstverweigerer wird nicht nur von der - durch den Kalten Krieg geprägten - Absicht der Vorgängerregierungen getragen, Kriegsdienstverweigerer möglichst von der Verweigerung ab- und für die Bundeswehr verfügbar zu halten, sondern auch von der entgegenstrebenden Absicht, dem Sozialbereich möglichst viele, scheinbar billige Arbeitskräfte zu erhalten. Während auf der einen Seite die Zahl der Kriegsdienstverweigerer also möglichst klein gehalten werden soll, sollen auf der anderen Seite diejenigen, die sich nicht "abschrecken" lassen, auf jeden Fall als Arbeitskräfte den sozialen Dienstleistern zugeführt werden. Beide Motive sind längst überholt und stehen einer gesellschaftlichen Weiterentwicklung im Wege.
Der Verteidigungsminister wäre doch geradezu froh, wenn er verfügbare Wehrpflichtige loswerden könnte, um die Zahl der überzähligen Wehrpflichtigen, die er nicht einberufen kann, möglichst klein zu halten. Je kleiner diese Zahl ist, umso leichter kann er von "allgemeiner" Wehrpflicht reden. Aber auch für den Sozialbereich gilt, dass eine große Zahl von Dienstpflichtigen eher schädlich als nützlich ist. Noch wird im Jugendministerium strikt darauf geachtet, dass alle Alternativen zum Einsatz von Zivildienstleistenden nicht in die öffentliche Diskussion einfließen. Am deutlichsten wurde dies in der Beeinflussung der Arbeit der von der Jugendministerin eingesetzten Arbeitsgruppe "Zukunft des Zivildienstes". Zum Einen ließ der Auftrag, den die Ministerin der Arbeitsgruppe erteilte, kein Nachdenken über einen Umwandlung von Zivildienstplätzen in reguläre Arbeitsplätze zu, zum Anderen durfte der Bericht 10 nur als Mehrheitsbericht ohne abweichende Meinungen veröffentlicht werden. Welchen Wert die in dem Bericht gemachten Vorschläge haben, wird daran deutlich, dass alle wichtigen Arbeitsgruppenmitglieder sich mit eigenen, gänzlich anderen und vielfach dem Arbeitsgruppenergebnis widersprechenden Äußerungen zu Wort meldeten.

Ohne Zivildienst 90.000 neue Dauerarbeitsplätze

Dabei ist seit langem klar und unbestritten, dass eine Konversion des Zivildienstes möglich und für eine gesellschaftliche Weiterentwicklung sogar wünschenswert ist. Untersuchungen von SozialwissenschaftlerInnen und VolkswirtschaftlerInnen haben ergeben, dass der Zivildienst sogar kostenneutral in reguläre Arbeitsplätze des ersten Arbeitsmarktes umgewandelt werden kann. 11 Ein Zivildienstleistender kann zwar betriebswirtschaftlich billig eingesetzt werden, volkswirtschaftlich ist er aber sogar teuerer als eine reguläre, tariflich bezahlte Arbeitskraft. Für jeden Zivildienstleistenden wendet der Bund pro Jahr 20.000 DM auf, die Zivildienststelle noch einmal 14.000 DM. Wegen des jährlichen Wechsels (zukünftig sogar alle zehn Monate) und der damit verbundenen immer wiederkehrenden Einarbeitung gibt es erheblich Verluste in der Arbeitseffektivität. Deshalb können im Schnitt zwei Dauerarbeitskräfte drei Zivildienstleistende ersetzen. Drei Zivildienstleistende kosten pro Jahr 102.000 DM, für jeden der beiden - diese drei Zivis ersetzenden - Dauerarbeitkräfte stehen also 51.000 DM zur Verfügung. Da die Arbeitsplätze von Zivildienstleistenden so strukturiert sind, dass die dort anfallenden Arbeiten innerhalb dreier Monate gelernt werden können, sind diese Plätze besonders für junge Menschen mit geringer oder gar keiner Ausbildung geeignet, für die so genannten Problemgruppen des Arbeitsmarktes. Jede/r der bisher Arbeitslosen erhält im Schnitt 11.000 DM Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder ähnliche Leistungen und würde - wenn sie/er arbeiten würde, - 7.500 DM Steuern zahlen. Für jeden der Arbeitsplätze, der bei einer Konversion des Zivildienstes nötig wäre, würden also 69.500 DM zur Verfügung stehen, ohne dass Steuer- oder BeitragszahlerInnen oder die EmpfängerInnen sozialer Dienstleistungen auch nur einen Pfennig mehr bezahlen müssten als heute. Dass das geht, zeigt die augenblickliche Umwandlung der Zivildienstplätze des Unfallrettungsdienstes in reguläre Arbeitsplätze für RettungssanitäterInnen.

Gleiche Chance für alle

Wenn zur Bundeswehr nur noch jeder zweite verfügbare Wehrpflichtige herangezogen wird, zum Zivildienst aber alle Kriegsdienstverweigerer, ist das nicht nur eine Verletzung der Wehrgerechtigkeit insgesamt, sondern auch eine Benachteiligung der Kriegsdienstverweigerer. Als diese von der Regierung geplante Situation deutlich wurde, haben die Interessenverbände der Kriegsdienstverweigerer nach einer geeigneten Abwehr dieses Unrechts gesucht. Die Lösung ist denkbar einfach. Wer den Kriegsdienstverweigerungsantrag erst nach der Zustellung des Einberufungsbescheides zur Bundeswehr stellt, hat zunächst eine Chance von 50 zu 50 (nur 90.000 von 184.000 Verfügbaren werden einberufen), gar nicht geholt zu werden. Wird er aber doch einberufen, weiß er, dass der Zivildienst wirklich zum Ersatz für den ansonsten tatsächlich zu leistenden Grundwehrdienst wird. Diese Aktion 12, die sich dadurch auszeichnet, dass man zunächst erst einmal gar nichts tun muss, wenn man sich an ihr beteiligen will, zieht, wenn sie erfolgreich durchgeführt wird, weniger KDV-Anträge nach sich und hat zwei Folgen: Zum Einen werden erheblich weniger Arbeitsplätze im Sozialbereich durch den Zivildienst blockiert. Von den 138.000 Zivildienstplätze, die Ende 1998 besetzt waren, werden zukünftig nur noch etwa 60.000 besetzt sein. Aus 78.000 Zivildienstplätze könnten nach dem bekannten Schlüssel - drei Zivildienstleistende werden durch zwei Hauptamtliche ersetzt - 52.000 neue Arbeitsplätze werden. Gleichzeitig sinkt der Anteil der Einberufenen an den tauglich Gemusterten eines Jahrgangs noch weiter. Während im Jahr 2000 etwa 135.000 Wehrpflichtige zum Grundwehrdienst und 125.000 als Kriegsdienstverweigerer anerkannte Wehrpflichtige zum Zivildienst einberufen wurden, werden nach den Reformplänen nur noch 90.000 Wehrpflichtige zur Bundeswehr und bei Erfolg der Aktion zur späten KDV-Antragstellung jährlich 70.000 Dienstpflichtige zum Zivildienst einberufen. Das sind 160.000 von 360.000 tauglich gemusterten Wehrpflichtigen. 200.000 tauglich gemusterte und verfügbare Wehrpflichtige eines Geburtsjahrgangs können zukünftig nicht mehr in den Dienst gebracht werden. "Allgemein" kann die Wehrpflicht dann wahrlich nicht mehr genannt werden. Schon aus diesem Grund ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Täuschung der Öffentlichkeit durch den Bundesminister der Verteidigung auffliegt und die Wehrpflicht kippt. Am 27.10.2000 wurde das Grundgesetz geändert. Um nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes 13 den freiwilligen Dienst von Frauen in allen Bereichen der Bundeswehr zu ermöglichen, wurde in Artikel 12a Absatz 4 Grundgesetz die bisherige Formulierung "Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten." ersetzt durch den Satz "Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden.". Mit dieser Formulierung soll - so die einmütigen Redebeiträge in der Parlamentsdebatte - auf der einen Seite der Dienst in allen Bereichen der Bundeswehr ermöglicht, auf der anderen Seite aber verhindert werden, dass Frauen in die allgemeine Wehrpflicht einbezogen werden können. Mit dieser neuen Formulierung im Grundgesetz ist zwar eindeutig formuliert, was das Parlament sich im Augenblick vorstellt, ob aber die Umsetzung der politische Absicht zu Ende gedacht ist, steht sehr in Frage. Es geht nämlich um die Frage: Darf geregelt werden, dass Frauen dürfen, während Männer, und nur sie, müssen.

Frauen dürfen, müssen aber nicht?

Bereits 1995 hat sich das Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage des geschlechtsspezifischen Dürfens und Müssens eindeutig geäußert: "Die festgestellte Ungleichbehandlung ist auch nicht durch das Gleichberechtigungsgebot des Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz gerechtfertigt." 14 Worum ging es in diesem Streitverfahren, lange vor der Erkenntnis, dass auch Frauen in der Bundeswehr Waffendienst leisten können? Die Länder Bayern und Baden-Württemberg hatten eine Feuerwehrdienstpflicht für Männer. Männer waren danach verpflichtet, in den Feuerwehren mitzuwirken oder ersatzweise eine Feuerwehrabgabe zu zahlen. Frauen waren von der Feuerwehrdienstpflicht ausgenommen, weil sie - nach den Vorstellungen der Männer, die diese Dienstpflicht einführten - für die Arbeit von Feuerwehrmännern nicht geeignet seien. Diese Vorstellung ist inzwischen längst überholt, und Frauen sind - wie überall in den Feuerwehren - auch in den Feuerwehren Bayerns und Baden-Württembergs gern gesehene Mitwirkende. Frauen durften also, aber nur Männer mussten. Zu diesem Sachverhalt hat das Bundesverfassungsgericht, das übrigens erst durch eine eindeutige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 15 zur Änderung seiner Rechtsauffassung gebracht werden musste, im Leitsatz zum Beschluss festgelegt:
"Die Beschränkung einer Feuerwehrdienstpflicht und einer hieran anknüpfenden Abgabepflicht auf Männer verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz." In den Urteilsgründen wird dazu ausgeführt: "Die festgestellte Ungleichbehandlung ist auch nicht durch das Gleichberechtigungsgebot des Artikels 3 Absatz 2 Grundgesetz gerechtfertigt. Die zur Prüfung stehenden Vorschriften des baden-württembergischen und bayerischen Landesrechts bieten keinen Anhaltspunkt dafür, dass mit der Beschränkung der Feuerwehrdienst- und abgabepflicht auf Männer faktische, typischerweise Frauen treffende Nachteile (in anderen Lebensbereichen) ausgeglichen werden sollten. Die Feuerwehrdienstpflicht ist nicht deshalb auf Männer beschränkt worden, um frauenspezifische Nachteile zu kompensieren, sondern weil Frauen nach überkommener Vorstellung als weniger geeignet galten. Die Beschränkung der Feuerwehrdienstpflicht auf Männer ist auch mit den Zielen des inzwischen ergänzten Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz, die Gleichberechtigung der Geschlechter in der gesellschaftlichen Wirklichkeit durchzusetzen und überkommene Rollenverteilungen zu überwinden (vgl. BVerfGE 85, 191 <207>), nicht förderlich, sondern verfestigt im Gegenteil die überkommene Rollenverteilung. Den auch heute noch typischerweise Frauen treffenden Mehrfachbelastungen durch Haushalt, Kinderbetreuung und Beruf kann bei einer vom Gesetzgeber angeordneten grundsätzlichen Inanspruchnahme für den Feuerwehrdienst sachgerechter und spezifischer durch Freistellungsregelungen Rechnung getragen werden, die (geschlechtsunabhängig) an solche Mehrfachbelastungen anknüpfen."
"Wehrpflicht nur für Männer" dürfte nach dieser Entscheidung kaum noch möglich sein. Die Beschränkung der Wehrpflicht auf Männer bei deren Einführung 1956 beruhte unstreitig auf der überkommenen Vorstellung, Frauen seien für den Waffendienst nicht geeignet. Diese Ansicht ist spätestens seit der Verfassungsänderung vom 27.10.2000 obsolet. Durch die Beschränkung der Wehrpflicht auf Männer sollten 1956 wahrlich keine frauenspezifischen gesellschaftlichen Nachteile ausgeglichen werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber vielmehr aufgegeben, Mehrfachbelastungen durch - geschlechtsunabhängige - Freistellungsregelungen auszugleichen. Solche Mehrfachbelastungen für Familien ausschließenden Regelungen gibt es übrigens schon heute, so z.B. die Nichteinberufung von Vätern oder die Freistellung dritter und weiterer Geschwister, wenn zwei schon Dienst geleistet haben 16. Es ist also abzusehen, dass die Diskussion um die Wehrpflicht für Frauen, die politisch zur Zeit von keiner im Bundestag vertretenen Parteien gewollt ist, im Blick auf Artikel 3 Grundgesetz bald voll entfacht wird.
Wenn- so der Bundesminister der Verteidigung - die Wehrpflicht nicht abgeschafft wird, kann sie nur auf Frauen ausgedehnt werden. Damit ständen aber für die Besetzung der Dienstposten für Grundwehrdienstleistende zukünftig nicht nur 180.000 Männer, sondern auch noch einmal 180.000 Frauen zur Verfügung. Wenn von 360.000 aber nur 90.000 Dienstpflichtige einberufen werden können, ist die Wehrgerechtigkeit nicht einmal mehr schön zu rechnen. Deshalb bleibt nur die Alternative: Die Wehrpflicht für Männer wird abgeschafft.

Peter Tobiassen ist Sozialarbeiter und arbeitet als Geschäftsführer in der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e.V.

Anmerkungen:

1 Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13.4.1978, 2 BvF 1/77, 2/77, 4/77 und 5/77, Leitsatz 2.
2 Siehe www.dfg-vk.de/zentralstelle-kdv/reform05.htm.
3 Weizsäcker-Kommission, 65.
4 Weizsäcker-Kommission, 66.
5 Weizsäcker-Kommission, 147.
6 Weizsäcker-Kommission, 150.
7 S. Fn. 2.
8 S. Grobausplanung.
9 Brief des Bundeskanzleramtes vom 16.10.2000 an die Zentralstelle KDV.
10 Bericht "Empfehlungen für die Zukunft des Zivildienstes".
11 Blandow 4/3 1994, 63 ff. u.v.a.
12 Im Internet unter www.wehrpflicht-nein-danke.de.
13 EuGH, Urteil vom 11.1.2000, C-285/98 (Kreil).
14 Bundesverfassungsgericht, 1 BvL 18/93, 5, 6 u. 7/94, 1 BvR 403 u. 569/94, Beschluss vom 24.1.1995.
15 EGMR, 12/1993/407/486, Urteil vom 18.7.1994.
16 § 11 Absatz 2 Satz 1 Ziffer 3 Wehrpflichtgesetz.

Literatur:

Arbeitsgruppe "Zukunft des Zivildienstes" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Empfehlungen für die Zukunft des Zivildienstes, www.dfg-vk.de/zentralstelle-kdv/reform00.htm.
Beck, Hanno, Zur Ökonomie von Pflichtdiensten, in: 4/3 Fachzeitschrift zu KDV, Wehr- und Zivildienst (4/3) 1994, 94.
Blandow, Jürgen, Wenn es keinen Zivildienst mehr gäbe ... - Zu den Erträgen, Kosten und dem Wiederbeschaffungswert wegfallender Zivildienstleistenden, in: 4/3 1994, 63.
Bötticher, Dietmar von, Die Ersetzung Zivildienstleistender durch tariflich bezahlte Arbeitskräfte - eine Modellrechnung, in: 4/3 1994, 56.
Der Bundesminister der Verteidigung, Die Bundeswehr - sicher ins 21. Jahrhundert; Eckpfeiler für eine Erneuerung von Grund auf, www.bundeswehr.de. (Eckpfeiler-Papier)
Der Bundesminister der Verteidigung: Neuausrichtung der Bundeswehr - Grobausplanung, Ergebnisse und Entscheidungen, www.bundeswehr.de. (Grobausplanung)
Finis-Siegler, Beate, Konversion des Zivildienstes - eine sozialpolitische Betrachtung, in: 4/3 1996, 138.
Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr", Bericht an die Bundesregierung, www.bundeswehr.de. (Weizsäcker-Kommission)
Kuhlmann, Jürgen, Wehrpflicht- und Freiwilligenarmee im Vergleich - Anmerkungen - vor allem Ökonomischer Art - zur Armeeform, zu Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst in Deutschland, in: Zentralstelle KDV in Bremen (Hrsg.), Auslaufmodell Wehrpflichtarmee - Dokumentation einer Fachtagung im November 1996, 15 ff.
Zimmermann, Klaus, Zivildienst schadet dem Arbeitsmarkt, in: Süddeutsche Zeitung vom 13.8.1999.

Viele der angegebenen Beiträge im Internet unter www.dfg-vk.de/zentralstelle-kdv/presse22.htm.