Heft 1 / 2001: Fragwürdige Dienstleistung Bundeswehr im Umbruch |
Peter Tobiassen | |
Wehrpflicht: Ungerecht und nutzlos | |
Über Notwendigkeit und Auswirkungen einer Abschaffung der Wehrpflicht |
Die aktuelle Diskussion um die Verkleinerung und Neustrukturierung der
Bundeswehr erreichte im Juni 2000 ihren vorläufigen Höhepunkt. Die vom
Bundesminister der Verteidigung eingesetzte Kommission "Gemeinsame Sicherheit
und Zukunft der Bundeswehr" unter der Leitung des früheren Bundespräsidenten
Richard von Weizsäcker legte nach einjähriger intensiver Arbeit am 23.
Mai 2000 ihren Bericht vor. Ein Ergebnis wurde in der öffentlichen Diskussion
besonders aufgegriffen, vom Bundesminister der Verteidigung aber sofort
vom Tisch gewischt und in den Giftschrank verbannt, nämlich der Vorschlag
einer "Auswahlwehrpflicht". Die Bundesrepublik Deutschland kennt seit
1957, als die bis heute geltende Wehrpflicht eingeführt wurde, nur die"allgemeine"
Wehrpflicht, die alle Männer gleichmäßig belasten soll. Das Bundesverfassungsgericht
hat in seiner Entscheidung zur Neuordnung des Kriegsdienstverweigerungsrechts
von 1977 in Leitsätzen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Grundgesetz
die Wehrpflicht zwar als Möglichkeit vorsieht, aber genauso eine Freiwilligenarmee
zulässt, wenn die Wehrpflicht nicht mehr "allgemein" organisiert werden
kann. Solange aber an der Wehrpflicht festgehalten wird, steht sie unter
folgender Prämisse: Grundsätzliche Umorientierung: Auswahlwehrpflicht Um dennoch an der Wehrpflicht festhalten zu können - und um offensichtlich
dem Bundesminister der Verteidigung entgegen zu kommen, der sich in den
Monaten vor der Berichtsveröffentlichung massiv für die Beibehaltung der
Wehrpflicht ausgesprochen hatte -, wurde das Modell einer Auswahlwehrpflicht
mit 30.000 Dienstposten für Grundwehrdienstleistende entwickelt. Um diesem
Modell folgen zu können, sei aber nach Überzeugung der Kommission eine
"grundsätzliche Umorientierung unumgänglich": Benachteiligung der Zivildienstpflichtigen Ganz anders laufen die Planungen bei Jugendministerin Bergmann (SPD),
die für den Zivildienst verantwortlich ist. Sie will alle Kriegsdienstverweigerer
umgehend in den Zivildienst bringen und hält damit strikt an der Linie
ihrer CDU-Vorgänger-MinisterInnen fest. Zu diesem Zweck sind 190.000 Dienstplätze
für Zivildienstleistende eingerichtet worden, von denen bisher maximal
138.000 besetzt werden konnten - weil es ganz einfach nicht mehr Kriegsdienstverweigerer
gab. Während der Verteidigungsminister für das Jahr 2001 angekündigt hat,
die Zahl der einzuberufenen Grundwehrdienstleistenden um gut 10.000 von
139.000 auf weniger als 129.000 zu senken, 8
verkündet das Jugendministerium, die Zahl der einzuberufenden Dienstpflichtigen
um 7.000 von ursprünglich geplanten 134.000 auf 141.000 9
zu erhöhen. Da von den tauglich Gemusterten eines Geburtsjahrgangs weniger
als 40% verweigern und mehr als 60% wehrdienstwillig sind, wird die Ungleichbehandlung
beider Dienstleistendengruppen besonders deutlich: 40% der Verfügbaren
stellen 141.000 Dienstleistende, die anderen 60% aber nur 129.000. Ob
das die neue sozialdemokratische Definition von "Gleichbehandlung von
Wehr- und Zivildienst" ist, die im Wahlkampf versprochen wurde und heute
von Bündnis 90/Die Grünen mitgetragen wird? Ohne Zivildienst 90.000 neue Dauerarbeitsplätze Dabei ist seit langem klar und unbestritten, dass eine Konversion des Zivildienstes möglich und für eine gesellschaftliche Weiterentwicklung sogar wünschenswert ist. Untersuchungen von SozialwissenschaftlerInnen und VolkswirtschaftlerInnen haben ergeben, dass der Zivildienst sogar kostenneutral in reguläre Arbeitsplätze des ersten Arbeitsmarktes umgewandelt werden kann. 11 Ein Zivildienstleistender kann zwar betriebswirtschaftlich billig eingesetzt werden, volkswirtschaftlich ist er aber sogar teuerer als eine reguläre, tariflich bezahlte Arbeitskraft. Für jeden Zivildienstleistenden wendet der Bund pro Jahr 20.000 DM auf, die Zivildienststelle noch einmal 14.000 DM. Wegen des jährlichen Wechsels (zukünftig sogar alle zehn Monate) und der damit verbundenen immer wiederkehrenden Einarbeitung gibt es erheblich Verluste in der Arbeitseffektivität. Deshalb können im Schnitt zwei Dauerarbeitskräfte drei Zivildienstleistende ersetzen. Drei Zivildienstleistende kosten pro Jahr 102.000 DM, für jeden der beiden - diese drei Zivis ersetzenden - Dauerarbeitkräfte stehen also 51.000 DM zur Verfügung. Da die Arbeitsplätze von Zivildienstleistenden so strukturiert sind, dass die dort anfallenden Arbeiten innerhalb dreier Monate gelernt werden können, sind diese Plätze besonders für junge Menschen mit geringer oder gar keiner Ausbildung geeignet, für die so genannten Problemgruppen des Arbeitsmarktes. Jede/r der bisher Arbeitslosen erhält im Schnitt 11.000 DM Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder ähnliche Leistungen und würde - wenn sie/er arbeiten würde, - 7.500 DM Steuern zahlen. Für jeden der Arbeitsplätze, der bei einer Konversion des Zivildienstes nötig wäre, würden also 69.500 DM zur Verfügung stehen, ohne dass Steuer- oder BeitragszahlerInnen oder die EmpfängerInnen sozialer Dienstleistungen auch nur einen Pfennig mehr bezahlen müssten als heute. Dass das geht, zeigt die augenblickliche Umwandlung der Zivildienstplätze des Unfallrettungsdienstes in reguläre Arbeitsplätze für RettungssanitäterInnen. Gleiche Chance für alle Wenn zur Bundeswehr nur noch jeder zweite verfügbare Wehrpflichtige herangezogen wird, zum Zivildienst aber alle Kriegsdienstverweigerer, ist das nicht nur eine Verletzung der Wehrgerechtigkeit insgesamt, sondern auch eine Benachteiligung der Kriegsdienstverweigerer. Als diese von der Regierung geplante Situation deutlich wurde, haben die Interessenverbände der Kriegsdienstverweigerer nach einer geeigneten Abwehr dieses Unrechts gesucht. Die Lösung ist denkbar einfach. Wer den Kriegsdienstverweigerungsantrag erst nach der Zustellung des Einberufungsbescheides zur Bundeswehr stellt, hat zunächst eine Chance von 50 zu 50 (nur 90.000 von 184.000 Verfügbaren werden einberufen), gar nicht geholt zu werden. Wird er aber doch einberufen, weiß er, dass der Zivildienst wirklich zum Ersatz für den ansonsten tatsächlich zu leistenden Grundwehrdienst wird. Diese Aktion 12, die sich dadurch auszeichnet, dass man zunächst erst einmal gar nichts tun muss, wenn man sich an ihr beteiligen will, zieht, wenn sie erfolgreich durchgeführt wird, weniger KDV-Anträge nach sich und hat zwei Folgen: Zum Einen werden erheblich weniger Arbeitsplätze im Sozialbereich durch den Zivildienst blockiert. Von den 138.000 Zivildienstplätze, die Ende 1998 besetzt waren, werden zukünftig nur noch etwa 60.000 besetzt sein. Aus 78.000 Zivildienstplätze könnten nach dem bekannten Schlüssel - drei Zivildienstleistende werden durch zwei Hauptamtliche ersetzt - 52.000 neue Arbeitsplätze werden. Gleichzeitig sinkt der Anteil der Einberufenen an den tauglich Gemusterten eines Jahrgangs noch weiter. Während im Jahr 2000 etwa 135.000 Wehrpflichtige zum Grundwehrdienst und 125.000 als Kriegsdienstverweigerer anerkannte Wehrpflichtige zum Zivildienst einberufen wurden, werden nach den Reformplänen nur noch 90.000 Wehrpflichtige zur Bundeswehr und bei Erfolg der Aktion zur späten KDV-Antragstellung jährlich 70.000 Dienstpflichtige zum Zivildienst einberufen. Das sind 160.000 von 360.000 tauglich gemusterten Wehrpflichtigen. 200.000 tauglich gemusterte und verfügbare Wehrpflichtige eines Geburtsjahrgangs können zukünftig nicht mehr in den Dienst gebracht werden. "Allgemein" kann die Wehrpflicht dann wahrlich nicht mehr genannt werden. Schon aus diesem Grund ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Täuschung der Öffentlichkeit durch den Bundesminister der Verteidigung auffliegt und die Wehrpflicht kippt. Am 27.10.2000 wurde das Grundgesetz geändert. Um nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes 13 den freiwilligen Dienst von Frauen in allen Bereichen der Bundeswehr zu ermöglichen, wurde in Artikel 12a Absatz 4 Grundgesetz die bisherige Formulierung "Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten." ersetzt durch den Satz "Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden.". Mit dieser Formulierung soll - so die einmütigen Redebeiträge in der Parlamentsdebatte - auf der einen Seite der Dienst in allen Bereichen der Bundeswehr ermöglicht, auf der anderen Seite aber verhindert werden, dass Frauen in die allgemeine Wehrpflicht einbezogen werden können. Mit dieser neuen Formulierung im Grundgesetz ist zwar eindeutig formuliert, was das Parlament sich im Augenblick vorstellt, ob aber die Umsetzung der politische Absicht zu Ende gedacht ist, steht sehr in Frage. Es geht nämlich um die Frage: Darf geregelt werden, dass Frauen dürfen, während Männer, und nur sie, müssen. Frauen dürfen, müssen aber nicht? Bereits 1995 hat sich das Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage des
geschlechtsspezifischen Dürfens und Müssens eindeutig geäußert: "Die festgestellte
Ungleichbehandlung ist auch nicht durch das Gleichberechtigungsgebot des
Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz gerechtfertigt."
14 Worum ging es in diesem Streitverfahren,
lange vor der Erkenntnis, dass auch Frauen in der Bundeswehr Waffendienst
leisten können? Die Länder Bayern und Baden-Württemberg hatten eine Feuerwehrdienstpflicht
für Männer. Männer waren danach verpflichtet, in den Feuerwehren mitzuwirken
oder ersatzweise eine Feuerwehrabgabe zu zahlen. Frauen waren von der
Feuerwehrdienstpflicht ausgenommen, weil sie - nach den Vorstellungen
der Männer, die diese Dienstpflicht einführten - für die Arbeit von Feuerwehrmännern
nicht geeignet seien. Diese Vorstellung ist inzwischen längst überholt,
und Frauen sind - wie überall in den Feuerwehren - auch in den Feuerwehren
Bayerns und Baden-Württembergs gern gesehene Mitwirkende. Frauen durften
also, aber nur Männer mussten. Zu diesem Sachverhalt hat das Bundesverfassungsgericht,
das übrigens erst durch eine eindeutige Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte 15
zur Änderung seiner Rechtsauffassung gebracht werden musste, im Leitsatz
zum Beschluss festgelegt: Peter Tobiassen ist Sozialarbeiter und arbeitet als Geschäftsführer in der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e.V. Anmerkungen: 1 Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 13.4.1978, 2 BvF 1/77, 2/77, 4/77 und 5/77, Leitsatz 2. Literatur: Arbeitsgruppe "Zukunft des Zivildienstes" des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Empfehlungen für die Zukunft
des Zivildienstes, www.dfg-vk.de/zentralstelle-kdv/reform00.htm. Viele der angegebenen Beiträge im Internet unter www.dfg-vk.de/zentralstelle-kdv/presse22.htm. |