Heft 1 / 2001: Fragwürdige Dienstleistung Bundeswehr im Umbruch |
Friederike Wapler | |
Wer Einheitsjurist werden will, krümmt sich beizeiten | |
Der steinige Weg zum Zweiten Juristischen Staatsexamen |
Mit der Vereidigung fängt alles an. Sprechen Sie mir nach: "Ich schwöre,
dass ich, getreu den Grundsätzen des demokratischen und sozialen Rechtsstaats,
meine Kraft dem Volke und dem Lande widmen, das Grundgesetz für die Bundesrepublik
Deutschland und die Niedersächsische Verfassung wahren und verteidigen,
in Gehorsam gegen die Gesetze meine Amtspflicht gewissenhaft erfüllen
und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde." Von Station zu Station dem Zweiten Staatsexamen entgegen Als solcher landet er zuerst in der sogenannten "Zivilstation". Man muss
sich das Referendariat vorstellen wie einen Eisenbahnzug, der mit wechselnden
Geschwindigkeiten von Station zu Station fährt. Anzahl und Dauer der Stationen
unterscheiden sich in den Bundesländern kaum: Ungefähr die ersten anderthalb
Jahre fährt der Zug die "Pflichtstationen" ab, soll heißen: Aus- und Umsteigen
nicht erlaubt. Alle Referendar/innen müssen eine bestimmte Zeit ans Zivilgericht,
zur Staatsanwaltschaft und in die Verwaltung. Jeder Referendar muss bei
einem Anwalt oder einer Anwältin arbeiten. Danach hat der Zug einen kurzen
Aufenthalt beim Prüfungsamt, denn nach den Pflichtstationen werden die
Klausuren für das zweite Staatsexamen geschrieben. Ist diese Hürde genommen,
kommt die "Wahlstation". Jetzt fährt jeder noch ein paar Monate in eine
selbstgewählte Richtung: Herr A macht Station in der benachbarten Anwaltskanzlei,
weil er sich dort nach dem Referendariat eine Anstellung erhofft. Frau
W fliegt zur deutschen Botschaft in Schanghai und stellt einreisewilligen
Chines/innen Visa aus. Herr G begibt sich in die Rechtsabteilung eines
internationalen Multikonzerns und zieht dafür sogar freiwillig ein Jackett
an. Die Wahlstation bietet diese und noch viele andere spannende Möglichkeiten.
Aber eigentlich ist sie nur ein kleiner individueller Umweg, denn die
Endstation ist für alle gleich: Mündliche Prüfung und Entlassung. Immerhin nicht Kaffee kochen. Das klingt alles sehr schön, passt jedoch in Wirklichkeit nicht besonders
gut zusammen. Denn in der Arbeitsgemeinschaft werden den Referendar/innen
viele knifflige, examensrelevante Probleme präsentiert, die sie in der
praktischen Ausbildung nur selten wiederfinden. In der Zivilstation lernen
sie in der AG beispielsweise den diffizilen Umgang mit dem "Versäumnis-Teilurteil
und Schlussurteil" und komplizierte Kostenrechnungen in Fällen, in denen
von zahlreichen Parteien nur einige den Rechtsstreit gewinnen, und das
auch nur zum Teil. Vor Gericht geht es dann eher um den Verkehrsunfall,
bei dem fünf Zeugen fünf unterschiedliche Versionen des Unfallhergangs
schildern und der Richter entscheiden muss, wie es denn nun wirklich gewesen
sein mag. Darüber wird in der AG nicht gesprochen, wie sie überhaupt nicht
der Ort ist, um die Erfahrungen aus der Praxis zu besprechen, zu beleuchten
oder nachzuarbeiten. Referendar/innen in Robe... Nur bei den Staatsanwaltschaften müssen die Referendar/innen damit rechnen,
wirklich in den laufenden Betrieb eingespannt zu werden: Hier werden sie
fast überall regelmäßig, oft sogar wöchentlich, zu sogenannten "Sitzungsvertretungen"
herangezogen. Das bedeutet, dass die Referendar/innen die Akten für einen
bestimmten Sitzungstag am Amtsgericht bekommen und in diesen Verhandlungen
so tun, als wären sie Staatsanwält/innen - sie verlesen die Anklageschrift,
hören zu, wie der Richter die Beteiligten vernimmt, halten ein Plädoyer
und stellen einen Strafantrag. ...und was aus ihnen wird Interessant ist an dieser Praxis aber nicht nur, ob Angeklagte verschaukelt
werden oder nicht. Fast noch interessanter ist, was diese Pflichtübung
aus den Referendar/innen macht. Die meisten von ihnen gehen recht unkritisch
an die Sache heran und versuchen, sie "gut" zu machen. "Gut" bedeutet
in diesem Falle: so, dass Richter und Ausbilderin zufrieden sind. Ihre
einzigen Vorbilder für diese Arbeit sind: Richter und Ausbilderin. Um
also die Sache möglichst "gut" zu machen, ahmen die Referendar/innen in
erster Linie die anderen Beteiligten in diesem Spiel nach. Spätestens
hier wird klar, wie sich der typisch juristische Stil von Generation zu
Generation weitergibt: Die jungen Jurist/innen werden in ein Autoritätsverhältnis
gesteckt, und ihnen wird im Rahmen dieses Verhältnisses eine Aufgabe zugeteilt,
die nicht ohne Wichtigkeit und Verantwortung ist. Die einzigen, die darüber
befinden, wie die Referendar/innen ihre Arbeit bewältigen, sind die Vorgesetzten
selbst, die schon seit Jahren in diesem Beruf arbeiten. Was liegt da näher,
als sich bestmöglich an die Vorgabe zu halten? Nur so lässt es sich erklären,
dass auch schon die Grünschnäbel in Robe so auftreten und reden, als kennten
sie die einzig vertretbare Lösung, wie Jurist/innen es nun einmal tun
und von ihresgleichen erwarten. Und wenn es in dem betreffenden Gerichtsbezirk
üblich ist, Totalverweigerer ohne Bewährung einzusperren, dann beantragen
die Referendar/innen eben die entsprechende Freiheitsstrafe. Examensvorbereitung und kein Ende Überhaupt, das Examen. Die Klausuren werden, wie schon erwähnt, nicht
am Ende der Ausbildungszeit geschrieben, sondern so früh, dass sie schon
nach einigen Monaten gefährlich nahe rücken. Das wäre halb so schlimm,
wenn irgendwo auf der Strecke auch ein angemessener Aufenthalt eingeplant
wäre, den die Referendar/innen zur Prüfungsvorbereitung nutzen könnten.
Dem ist aber nicht so. Statt dessen gibt es die illegale, aber sehr verbreitete
Einrichtung der "Tauchstation": Viele freundliche Anwält/innen schreiben
für die Anwaltsstation wohlwollende Zeugnisse und lassen die Referendar/innen
ansonsten in Ruhe die Tücken der ZPO studieren. Dabei steht für die meisten
Referendar/innen fest, dass sie den Anwaltsberuf ergreifen werden - weil
sie es schon immer wollten oder weil sie nicht mit so guten Noten rechnen,
dass sie auf eine Stelle im Staatsdienst hoffen könnten. Doch gerade die
Arbeit in einer Anwaltskanzlei kommt für die meisten während des Referendariats
zu kurz. Die Unmündigkeit der Jung-Jurist/innen Hinzu kommt, dass die Referendar/innen aus jeder Station mit zwei Zeugnissen
entlassen werden: eines von der praktischen Ausbilderin und eines vom
AG-Leiter (eine rühmliche Ausnahme bildet hier Bremen, wo die Mitarbeit
in der Arbeitsgemeinschaft nicht benotet wird). Diese Zeugnisse beruhen
nicht auf anonymisierten Beurteilungen, wie es aus gutem Grund in den
Staatsexamina der Fall ist. Im Gegenteil wird eine Beurteilung der "persönlichen
Eigenschaften (Bereitschaft zur Mitarbeit, Arbeitszuverlässigkeit und
Sorgfalt, Ausgeglichenheit, Kontaktfähigkeit, Durchsetzungsfähigkeit und
Belastbarkeit)" ausdrücklich gefordert. Die Justiz prüft also gründlich,
ob die Jung-Jurist/innen auch zu ihr passen. "Herr G versteht, Sachverhalte
kritisch zu hinterfragen" steht da dann womöglich hübsch verklausuliert
oder: "Herr A brachte unerklärlicherweise recht wechselhafte Leistungen"
oder: "Frau W scheint sehr intelligent zu sein". Dass diese Formulierungen
(wie im übrigen jede geglücktere auch) mehr darüber aussagen, ob sich
Ausbilderin und Referendar verstanden haben, und dass nicht alle Ausbilder/innen
die Menschenkenntnis mit Löffeln gefressen haben, versteht sich eigentlich
von selbst, wird aber nicht hinterfragt. Versöhnliches Schlusswort mit eindeutigem Appell Man verstehe mich nicht falsch. Der Apparat feilt unablässig, doch ist er nicht entfernt so repressiv, wie es in so manchem Fachschaftsgruppenraum kolportiert werden mag. Der größte Druck entsteht durch die Sorge um Zeugnisse und Examensnoten, doch hängen letztere gerade nicht davon ab, wie sich die Referendar/innen in den Monaten zuvor benommen haben. Es ist erstaunlich, dass sich dennoch so viele der jungen Jurist/innen in vorauseilendem Gehorsam üben und sich willig zu "berufsfähigen Einheitsjuristen" formen lassen, wie das Leitbild der Ausbildung so treffend heißt. Aber wichtig zu wissen ist auch dies: Es haben Leute ihr zweites Staatsexamen bestanden, die mit buntgefärbten Haaren im Gerichtssaal aufgetreten sind, und es wird niemand aus dem Dienst entfernt, der im Falle des Totalverweigerers oder der Haschischraucherin einen Freispruch fordert. Auch das Versäumnis-Teilurteil und Schlussurteil ist nicht wirklich wichtig. Denn irgendwann ist das Referendariat auch wieder vorbei. Wer sich dann nicht wiedererkennt, ist selber schuld. Friederike Wapler ist dem Referendariat kurz vor der Endstation in den Erziehungsurlaub entflohen. Sie lebt in Berlin. Ihre Abrechnung mit dem ersten Staatsexamen erschien in der Zeitschrift "Faust", Ausgabe 2/98.
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