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"Die Wehrpflicht ist tot - es hat nur noch nicht jeder gemerkt." Diese
Feststellung wird immer seltener in Frage gestellt. Kernpunkt ist nur,
welche Modelle der Wehrpflicht entgegengestellt werden. In der aktuellen
Diskussion taucht immer wieder die Forderung nach einer "Allgemeinen Dienstpflicht"
auf. Im folgenden soll ergründet werden, warum die "Allgemeine Dienstpflicht"
nicht als ernstzunehmende Alternative erscheint.
Die erste Frage, die bei der Forderung nach einer "Allgemeinen Dienstpflicht"
aufgeworfen wird, ist die des Verhältnisses von BürgerIn und Staat zueinander.
Der herrschenden Meinung nach bedingt dieses Verhältnis sowohl Rechte
als auch Pflichten. Ob die Leistungspflicht dem Staat gegenüber aber so
weit gehen kann, daß junge Menschen auf ein Jahr zwangsverpflichtet werden,
sollte für fraglich erachtet werden. Militär- und Ersatzdienste sind Zwangsdienste,
für die sich die Menschen nicht freiwillig entscheiden. Selbst wenn die
praktischen Vorteile einer "Allgemeinen Dienstpflicht" die möglichen Nachteile
weit überragen würden, müßte zusätzlich gefragt werden, ob dies den Eingriff
in die Freiheit des Individuums rechtfertigen kann oder nicht. Die Autorinnen
und Autoren des Grundgesetzes waren sich dieser Tatsache offenbar sehr
bewußt, denn sie haben die Bundesrepublik nicht nur mit großer Eindeutigkeit
auf die Würde des Menschen, auf seine Freiheit und Selbstbestimmung angelegt,
sondern in Art. 12 Abs. 2 Grundgesetz (GG) das Recht des Staates, seinen
BürgerInnen Dienste aufzuerlegen, als eindeutige Ausnahme deklariert.
Die Forderung nach einer "Allgemeinen Dienstpflicht" geistert bereits
seit der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1955/56 durch die politische
Landschaft. Egal ob es Handwerksinnungen, Altenheimketten, Theologen,
die CDU, mittelständische Unternehmen oder Seniorenverbände waren, die
eine allgemeine Dienstpflicht forderten - immer scheiterten sie am Veto
der Gewerkschaften unter dem Verweis auf die jüngste Geschichte: Schwarz
liegen die Schatten von Himmlers Reichsarbeitsdienst über der Idee einer
"Allgemeinen Dienstpflicht". Seit einiger Zeit aber wird der Ruf quer
durch das Parteienspektrum laut. Spätestens wenn das Bundesverfassungsgericht
die Wehrpflicht kassieren sollte, dürfte es nicht mehr auszuschließen
sein, daß sich auch im Bundestag eine breite Mehrheit für die Einführung
einer "Allgemeinen Dienstpflicht" findet.
Verfassungsmäßigkeit der "Dienstpflicht"
Verfassungsrechtlich betrachtet erscheint die Forderung nach einer "Allgemeinen
Dienstpflicht" aus verschiedenen Gründen schwierig. So schließt schon
die grundgesetzlich verankerte Freiheit der Berufswahl in Art. 12 Abs.
1 GG die Einführung einer "Allgemeinen Dienstpflicht" aus. Der zweite
Absatz des Art. 12 GG formuliert explizit das Verbot von Zwangsdiensten.
Er soll die im Nationalsozialismus angewandten Formen des Arbeitszwanges
und der Zwangsarbeit mit ihrer Herabwürdigung der menschlichen Persönlichkeit
ausschließen.1 So ist die Zwangsarbeit
als besonders schwerer Unterfall des Arbeitszwanges einzustufen, bei dem
die gesamte Arbeitskraft des/ der Betroffenen über eine erhebliche Zeit
zur Verfügung gestellt werden muß.2
Und genau dieses ist bei einer "Allgemeinen Dienstpflicht" wohl auch der
Fall.
Öffentliche Dienstleistungen gemäß Art. 12 Abs. 2 GG müssen auf einer
formell-gesetzlichen Ermächtigung beruhen.3
Materiell sind diese nur zulässig, wenn sie herkömmlich, allgemein und
gleich sind. Nach allgemein herrschender Ansicht werden davon aber nur
die gemeindlichen Hand- und Spanndienste, die Pflicht zur Deichhilfe und
die Feuerwehrdienstpflicht erfaßt.4
Ein weiterer eklatanter Eingriff läge in das Grundrecht auf freie Entfaltung
der Persönlichkeit vor, das für ein Jahr faktisch außer Kraft gesetzt
würde. So schafft die "Allgemeine Dienstpflicht" rechtlose StaatsbürgerInnen,
denen weder das Streikrecht noch das Petitionsrecht noch das Recht auf
körperliche Unversehrtheit zusteht.5
Internationale Verpflichtungen
Aber auch international begibt man sich mit der Forderung nach einer
"Allgemeinen Dienstpflicht" aufs Glatteis. Nicht nur das Grundgesetz,
sondern auch die Konventionen der International Labour Organisation und
die Charta der Vereinten Nationen untersagen Zwangsdienste. So heißt es
in Art. 4 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenwürde vom 4. November
1950: "Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeiten zu
verrichten." 6 Nach Absatz 3 sind
davon ausgenommen Arbeiten, die durch ein Gericht auferlegt werden, Militärdienst
und - im Falle der Verweigerung aus Gewissensgründen - der Ersatzdienst,
Dienstleistungen in Notfällen und Katastrophen, sowie die schon oben skizzierten
normalen Bürgerpflichten (darunter Deichschutz, Feuerwehrpflicht, Bürgersteigreinigung).
Solche Pflichten sind nach der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes
mit der "für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht" gemeint.
Im gleichen Sinne gelten folgende Vereinbarungen: Übereinkommen über die
Abschaffung von Zwangsarbeit 7,
Übereinkommen über Zwangs- und Pflichtarbeit 8
und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte
9. Die Bundesrepublik würde sich von der internationalen
Völkergemeinschaft isolieren, wenn sie um der Einführung einer "Allgemeinen
Dienstpflicht" willen gegen diese Vereinbarungen verstoßen würde.
Dienstpflicht gegen den Pflegenotstand
An die Einführung einer "Allgemeinen Dienstpflicht" werden insbesondere
in sozialpolitischer Hinsicht vielfältige Erwartungen geknüpft. So erhoffen
sich die BefürworterInnen primär eine Behebung des Pflegenotstandes dadurch,
daß der Bedarf an Pflegepersonal durch Zwangsverpflichtung gedeckt würde.
Aber bereits jetzt läßt sich sagen, daß der Zivildienst im sozialen Bereich
immensen Schaden angerichtet hat. Die notwendigen Modernisierungen, die
erforderlichen organisatorischen Umstellungen, die fachlichen Qualifizierungen
sind oft zurückgestellt worden, weil man hoch subventionierte Hilfskräfte
in Form von Zivildienstleistenden zur Verfügung hatte.
Allerdings muß auch dafür Sorge getragen werden, daß eine Abschaffung
oder Aussetzung der Wehrpflicht keine gravierenden Folgen für die sozialen
Dienste mit sich bringt. Um drastische Kürzungen im Sozialbereich und
eine riesige Kostenlawine für die sozialen Sicherungssysteme zu vermeiden,
gilt es Lösungen zu finden, die Abseits von Wehrpflicht und der Einführung
einer "Allgemeinen Dienstpflicht" liegen. Fest steht, daß die Einführung
einer "Allgemeinen Dienstpflicht" die Situation im Pflegebereich weiter
verschlechtern würde. Die Arbeitsplätze für qualifizierte Kräfte im Sozialwesen
würden weiter sinken. Letztlich würde sich der Pflegenotstand noch vergrößern,
da die Einführung einer "Allgemeinen Dienstpflicht" das Sozialprestige
von professionellen Kräften weiter abwerten würde. Man würde sich entschließen,
das Angebot an Pflegeleistungen weiterhin künstlich zu verbilligen, was
sich durch ein Pflichtjahr aber nur vordergründig erreichen ließe: der
Pflegesektor ist durch einen Fachkräftemangel, nicht aber durch einen
Mangel an Hilfskräften gekennzeichnet.10
Wenn man die Pflichtdienstleistenden nur als angelernte Hilfskräfte ansieht,
so könnten sie den Mangel nicht beseitigen, sondern nur die Folgen lindern.
Die Qualität der Pflegeleistungen würde sinken, da die Motivation und
die Ausbildung der Zwangsverpflichteten unter der von ausgebildeten Pflegekräften
liegt.
Durch die Förderung von freiwilligem und ehrenamtlichem Engagement und
eine staatliche Kompensation für die kleineren Beschäftigungsstellen ist
der Ausstieg aus der Wehrpflicht ohne die Einführung einer "Allgemeinen
Dienstpflicht" möglich. Im übrigen gilt: Der Zivildienst ist ausschließlich
ein Wehrersatzdienst und keine eigenständige Dienstpflicht. Und schon
heute verstößt die gängige Praxis von Einsatzfeldern Zivildienstleistender
gegen das Gebot der Arbeitsmarktneutralität des Zivildienstes.
Erzwungene Solidarität?
Von den BefürworterInnen einer "Allgemeinen Dienstpflicht" wird angeführt,
die Ableistung eines solchen Dienstes würde den Jugendlichen wieder verstärkt
die Möglichkeit bieten, soziale Kompetenz zu erlernen. Dahinter verbirgt
sich die Vorstellung, die "Allgemeine Dienstpflicht" sei der Ausdruck
der persönlichen Mitverantwortung der BürgerInnen für den Schutz des Gemeinwesens.
Diese Vorstellung läuft aber ins Leere, da gerade Zwangsdienste nicht
Ausdruck der persönlichen Mitverantwortung sind.
Eine ausgeprägtere soziale Verantwortlichkeit und Kompetenz lassen sich
ausschließlich durch Freiwilligkeit erreichen. Eher ist zu befürchten,
daß sich nach der Ableistung der "Allgemeinen Dienstpflicht" die Mentalität
ausbreitet, man habe seinen Teil der Solidarität schon geleistet. Verbindend
ist dabei die Feststellung, daß 16 Jahre konservativ-liberale Politik
zu einer Entsolidarisierung unserer Gesellschaft geführt haben. Doch auch
hier gilt, daß die entscheidenden Hebel für eine Kursänderung dort zu
finden sind, wo die Weichen falsch gestellt wurden: auf dem Feld der Wirtschafts-
und Sozialpolitik. Es ist zu befürchten, daß der Zwang Trotzreaktionen
in Form von Motivationslosigkeit und Arbeitsverweigerung zur Folge hat.
Die Folgen für die zu Betreuenden wären verheerend. Übrigens ein Phänomen,
daß bereits aus den heutigen Zwangsdiensten Wehr- und Zivildienst bekannt
ist.
Nach Auskunft des Bundesjugendministeriums kamen im Jahre 1998 bereits
drei BewerberInnen auf eine freie Stelle im Bereich des Freiwilligen Sozialen
Jahres. Ähnlich sind auch die Erfahrungswerte des Diakonischen Werkes
Württemberg, wo die Nachfrage ebenfalls das Angebot übersteigt. Das zeigt,
daß heute schon bei jungen Menschen die Bereitschaft da ist, Dienst für
die Gesellschaft auf freiwilliger Basis zu leisten. Ergänzend muß diese
Freiwilligkeit durch bessere Entlohnung, ausreichende soziale Absicherung
und Anrechnung von Wartezeiten im Studium gefördert werden. Auch denkbar
wäre, daß der Freiwilligendienst mit einer Berufsausbildung abgeschlossen
werden kann bzw. die Zeit und Tätigkeit als Berufspraktikum anerkannt
wird.
Grundsätzlich ist festzuhalten, daß in einem Staat, der auf der freien
Übereinkunft der Menschen beruht, Solidarität durch Zwang kaum herzustellen
ist. Zwar hat gerade die Linke mit der Errichtung von sozialstaatlichen
Institutionen Pflichtmechanismen zur Festigung von Solidarität durchgesetzt,
doch ist der von ihnen ausgehende Zwang auf die Freiheitsrechte des einzelnen
bei weitem nicht so stark wie bei einem Zwangsdienst. Solidarität wie
auch jedes andere moralische Handeln kann mit Zwangsmitteln des Staates
nicht oktroyiert werden. Demokratie braucht eine Solidaritätskultur der
Freiwilligkeit, nicht eine Kultur des Zwanges.
Honza Griese studiert Jura und Politik in Tübingen.
Anmerkungen:
1 Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen
(BverfGE) 22, 380 (383); 74, 102 (116).
2 Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn.
58.
3 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art.
12 Rn. 490.
4 BVerfGE 22, 380 (383).
5 Vgl. Art. 17a GG.
6 Bundesgesetzblatt (BGBl) 1954,
II, 14.
7 BGBl 1959, II, 442.
8 BGBl 1966, II, 641.
9 BGBl 1973, II, 1534.
10 Löhle Der Zivildienst 4/1994,
1.
Literatur:
Groß, Jürgen / Lutz, Dieter S. (Hrsg.), Wehrpflicht ausgedient,
1998.
Löhle, R., Die Wohlfahrtsverbände machen keine Geschäfte, Interview
mit dem Bundesbeauftragten für den Zivildienst, in: Der Zivildienst 4/1994,
S. 1.
Sehmsdorf, Matthias, Wehrpflicht versus Freiwilligenarmee: ausgewählte
ökonomische Aspekte des Wehrsystems, 1998.
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