Heft 3 / 2001:
Datenspuren
Überwachung in der digitalen Welt
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Innovatives Randgruppen-Marketing
 

"Entertainmentfaschismus" - dieser verdammte, weite Faschismusbegriff, schoß es mir durch den Kopf. Das würde man mir als erstes um die Ohren hauen. Der Auftrag war ein Himmelfahrtskommando! Ich spürte, wie der Schweiß meinen Rücken herunterlief, während mein Chef die Mission erläuterte: Road Show im linken Lager - von einer Splittergruppe zur anderen, für unsere Internet-Auftritt-Konzepte werben. Klar seien die noch illiquide Nullen, hätten keine erkennbare Marketingstrategie, aber das könne werden, da stecke ein Riesenpotential! Dass unsere Branche bis zum Hals in der Scheiße steckte, war uns allen bewußt. Aber erst in diesem Moment begriff ich das ganze Ausmaß der Krise: mein Vorstand fuhr eine Linksaußen-Zielgruppen-Strategie: intelligente Websites für "Kritische Juragruppen" oder "Jungdemokraten" zusammenschrauben.
Am nächsten Tag saß ich im Zug in eines dieser verschlafenen Uninester: Meine Einwände gegen die Strategie waren nicht erhört worden. "Du hast doch dieses Professorenzeugs alles gelesen in unserer WG - Du bist genau der Richtige für den Job". Frank, mein Boß, meinte die vier Semester Philo, die ich vor meinem Wechsel in ein Internet-Start-Up abgerissen hatte. Mein erster Termin führte mich zu einer Gruppe von BürgerrechtlerInnen, denen es finanziell ganz gut zu gehen schien. Jedenfalls konnten sie mit einem Festangestellten aufwarten, der nahezu rund um die Uhr eingehende Anfragen verstörter QuerulantInnen zu beantworten schien. Die meisten trugen Karohemden im Stil der frühen 80er und wirkten auch sonst irgendwie scheu und abwesend. Alles roch ganz entsetzlich nach altem Papier. Hier mußte mal Leben in die Bude! Ich entwarf eine spektakuläre Vision ihres Internetauftritts: seitenlange Linkkataloge zu den anderen zahlreichen und ebenfalls vom Verschwinden bedrohten Randgruppen, Free E-Cards zum Verschicken auf der Homepage, auf denen solidarische Grüße ins globale Dorf versandt werden könnten. Smart Icons zum Herunterladen, für jeden der ersten 20 Artikel des Grundgesetzes einen - zu jedem Anlaß was passendes.
Ich spürte am unruhigen Hin- und Herruckeln einiger Bewegter, dass ich Sie fast soweit hatte. Die Frage der runden Nickelbrille am Tischende nach der Finanzierung des Ganzen parierte ich brillant mit dem Hinweis auf unsere innovative Bannerwerbung: Klar müsse da auch mal "Coca-Cola", Allianz-Finanz oder so was Uncooles geschaltet werden, aber man sei ja in der Bürgerrechtsszene auch nicht mehr von vorgestern und mit der Anzahl der Hits kämen dann auch weitere Werbeangebote. Dass auch Heckler&Koch, die Deutsche Bank oder die Lufthansa zu unserem Banner-Portfolio gehörten, das mußte ich ja nicht breit treten - die würden wir in diesem speziellen Fall halt zwischen acht und zehn Uhr morgens schalten - wenn die meisten Zivilbewegten noch fest schliefen. Letzte Zweifel an der Effektivität des Auftritts konnte ich mit dem Vorschlag ausräumen, Back-end ein fettes Profiling an die Site zu hängen - Civil Liberties Customer Relationship Marketing sozusagen; die gezielte Auswertung der Logfiles würde es erlauben, die Gäste der Site ein wenig kennenzulernen. So könnten Flugis, Spuckis und Einladungen zu Podiumsdiskussionen endlich Hunderte potentieller Gutmenschen erreichen!

Eine Internet-Roadshow im linken Lager

Als ich mit dem unterzeichneten Letter of Intent für unser Projekt das in strengen Grautönen gehaltene Gebäude verließ, konnte ich mir ein Glucksen nicht verkneifen. Völlig umsonst hatte ich mir also zur Vorbereitung auf das Meeting nochmals mein zerknittertes Exemplar der "Dialektik.." hervorgeholt. Gab es nun einen dringlicheren Beweis für die längst bekannte und feuilletonistisch zermarterte These vom Ableben dieser "Schule"? Na ja - was soll ich sagen. Ein bißchen enttäuscht war ich schon, als auch mein nächster Date mit einem Bündel K-Gruppen zum glatten Durchmarsch wurde. Das Entwicklungstadium der Technik sprich Internet als notwendiges historisches Durchgangsstadium auf dem Weg zur wa(h)ren Gesellschaft! Meine Vision eines linken E-Shops mit rotsternigen T-Shirts, "X mal Quer"- Käppis, Marx-Buttons, MP-3 Filesharing für Ton, Steine, Scherben-Songs und großformatigen Transparenten mit gereckten Fäusten etc. wurde noch zurückhaltend aufgenommen.
Besser kam da schon, als ich Ihnen zusichern konnte, die Serverkapazität werde für eine 98-prozentige Verfügbarkeit aller ihrer, in der Länge an die guten alten RAF-Bekennerschreiben heranreichenden Manifeste locker ausreichen. Als ich aber das konsequente, Echelon-sichere Verschlüsselungskonzept sowohl für den Server als auch für den Free E-Mail-Service erläuterte, schienen die ansonsten von des Gedankens Blässe ein wenig angegraut wirkenden und von der Melancholie nichterreichter Utopien umspielten Gesichter doch ein wenig zu strahlen. Und vor meinem inneren Auge zerbröselte Kreuzberg bei bestem Maiwetter für einen Moment in Schutt und Asche und ich spürte Rudimente von schlechtem Gewissen, als ich durch den lichtlosen Hinterhausflur ins Tageslicht des Hofes trat: das desolate theoretische Fundament dieser oft als "Zivilgesellschaft" bemühten Truppe lag offen zutage: weder mit der Frankfurter Keule der "verdinglichten Vernunft", noch den von mir besonders gefürchteten Kloppern wie der Heideggerschen Rede der "Seinsvergessenheit der Technik als Gestell" war meine Internet-Show gestoppt worden. Für die neue Ökonomie aber sah ich nun wieder eine rosige Zukunft: die einzigen Revolutionen würden auch in nächster Zukunft die wenigstens einen materiellen Mehrwert generierenden Technikrevolutionen sein! Ich mußte sanft lächeln, als ich, tief durchatmend und wieder auf dem belebten Bürgersteig stehend, an unsere nächsten Verkaufs-Kampagnen dachte: Location Based Services für StraßenkämpferInnen auf der Flucht etwa (wo befindet sich der nächste unverschlossene Hauseingang und wo stehen meine Kampf-JenossInnen), voll Matrix-mäßig - alles über UMTS, live, breitbandig und in Farbe!

Nils Leopold ist Nutznießer der New Economy und zugleich bürgerrechtlich in Berlin engagiert.