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"Entertainmentfaschismus" - dieser verdammte, weite Faschismusbegriff,
schoß es mir durch den Kopf. Das würde man mir als erstes um die Ohren
hauen. Der Auftrag war ein Himmelfahrtskommando! Ich spürte, wie der Schweiß
meinen Rücken herunterlief, während mein Chef die Mission erläuterte:
Road Show im linken Lager - von einer Splittergruppe zur anderen, für
unsere Internet-Auftritt-Konzepte werben. Klar seien die noch illiquide
Nullen, hätten keine erkennbare Marketingstrategie, aber das könne werden,
da stecke ein Riesenpotential! Dass unsere Branche bis zum Hals in der
Scheiße steckte, war uns allen bewußt. Aber erst in diesem Moment begriff
ich das ganze Ausmaß der Krise: mein Vorstand fuhr eine Linksaußen-Zielgruppen-Strategie:
intelligente Websites für "Kritische Juragruppen" oder "Jungdemokraten"
zusammenschrauben.
Am nächsten Tag saß ich im Zug in eines dieser verschlafenen Uninester:
Meine Einwände gegen die Strategie waren nicht erhört worden. "Du hast
doch dieses Professorenzeugs alles gelesen in unserer WG - Du bist genau
der Richtige für den Job". Frank, mein Boß, meinte die vier Semester Philo,
die ich vor meinem Wechsel in ein Internet-Start-Up abgerissen hatte.
Mein erster Termin führte mich zu einer Gruppe von BürgerrechtlerInnen,
denen es finanziell ganz gut zu gehen schien. Jedenfalls konnten sie mit
einem Festangestellten aufwarten, der nahezu rund um die Uhr eingehende
Anfragen verstörter QuerulantInnen zu beantworten schien. Die meisten
trugen Karohemden im Stil der frühen 80er und wirkten auch sonst irgendwie
scheu und abwesend. Alles roch ganz entsetzlich nach altem Papier. Hier
mußte mal Leben in die Bude! Ich entwarf eine spektakuläre Vision ihres
Internetauftritts: seitenlange Linkkataloge zu den anderen zahlreichen
und ebenfalls vom Verschwinden bedrohten Randgruppen, Free E-Cards zum
Verschicken auf der Homepage, auf denen solidarische Grüße ins globale
Dorf versandt werden könnten. Smart Icons zum Herunterladen, für jeden
der ersten 20 Artikel des Grundgesetzes einen - zu jedem Anlaß was passendes.
Ich spürte am unruhigen Hin- und Herruckeln einiger Bewegter, dass ich
Sie fast soweit hatte. Die Frage der runden Nickelbrille am Tischende
nach der Finanzierung des Ganzen parierte ich brillant mit dem Hinweis
auf unsere innovative Bannerwerbung: Klar müsse da auch mal "Coca-Cola",
Allianz-Finanz oder so was Uncooles geschaltet werden, aber man sei ja
in der Bürgerrechtsszene auch nicht mehr von vorgestern und mit der Anzahl
der Hits kämen dann auch weitere Werbeangebote. Dass auch Heckler&Koch,
die Deutsche Bank oder die Lufthansa zu unserem Banner-Portfolio gehörten,
das mußte ich ja nicht breit treten - die würden wir in diesem speziellen
Fall halt zwischen acht und zehn Uhr morgens schalten - wenn die meisten
Zivilbewegten noch fest schliefen. Letzte Zweifel an der Effektivität
des Auftritts konnte ich mit dem Vorschlag ausräumen, Back-end ein fettes
Profiling an die Site zu hängen - Civil Liberties Customer Relationship
Marketing sozusagen; die gezielte Auswertung der Logfiles würde es erlauben,
die Gäste der Site ein wenig kennenzulernen. So könnten Flugis, Spuckis
und Einladungen zu Podiumsdiskussionen endlich Hunderte potentieller Gutmenschen
erreichen!
Eine Internet-Roadshow im linken Lager
Als ich mit dem unterzeichneten Letter of Intent für unser Projekt das
in strengen Grautönen gehaltene Gebäude verließ, konnte ich mir ein Glucksen
nicht verkneifen. Völlig umsonst hatte ich mir also zur Vorbereitung auf
das Meeting nochmals mein zerknittertes Exemplar der "Dialektik.." hervorgeholt.
Gab es nun einen dringlicheren Beweis für die längst bekannte und feuilletonistisch
zermarterte These vom Ableben dieser "Schule"? Na ja - was soll ich sagen.
Ein bißchen enttäuscht war ich schon, als auch mein nächster Date mit
einem Bündel K-Gruppen zum glatten Durchmarsch wurde. Das Entwicklungstadium
der Technik sprich Internet als notwendiges historisches Durchgangsstadium
auf dem Weg zur wa(h)ren Gesellschaft! Meine Vision eines linken E-Shops
mit rotsternigen T-Shirts, "X mal Quer"- Käppis, Marx-Buttons, MP-3 Filesharing
für Ton, Steine, Scherben-Songs und großformatigen Transparenten mit gereckten
Fäusten etc. wurde noch zurückhaltend aufgenommen.
Besser kam da schon, als ich Ihnen zusichern konnte, die Serverkapazität
werde für eine 98-prozentige Verfügbarkeit aller ihrer, in der Länge an
die guten alten RAF-Bekennerschreiben heranreichenden Manifeste locker
ausreichen. Als ich aber das konsequente, Echelon-sichere Verschlüsselungskonzept
sowohl für den Server als auch für den Free E-Mail-Service erläuterte,
schienen die ansonsten von des Gedankens Blässe ein wenig angegraut wirkenden
und von der Melancholie nichterreichter Utopien umspielten Gesichter doch
ein wenig zu strahlen. Und vor meinem inneren Auge zerbröselte Kreuzberg
bei bestem Maiwetter für einen Moment in Schutt und Asche und ich spürte
Rudimente von schlechtem Gewissen, als ich durch den lichtlosen Hinterhausflur
ins Tageslicht des Hofes trat: das desolate theoretische Fundament dieser
oft als "Zivilgesellschaft" bemühten Truppe lag offen zutage: weder mit
der Frankfurter Keule der "verdinglichten Vernunft", noch den von mir
besonders gefürchteten Kloppern wie der Heideggerschen Rede der "Seinsvergessenheit
der Technik als Gestell" war meine Internet-Show gestoppt worden. Für
die neue Ökonomie aber sah ich nun wieder eine rosige Zukunft: die einzigen
Revolutionen würden auch in nächster Zukunft die wenigstens einen materiellen
Mehrwert generierenden Technikrevolutionen sein! Ich mußte sanft lächeln,
als ich, tief durchatmend und wieder auf dem belebten Bürgersteig stehend,
an unsere nächsten Verkaufs-Kampagnen dachte: Location Based Services
für StraßenkämpferInnen auf der Flucht etwa (wo befindet sich der nächste
unverschlossene Hauseingang und wo stehen meine Kampf-JenossInnen), voll
Matrix-mäßig - alles über UMTS, live, breitbandig und in Farbe!
Nils Leopold ist Nutznießer der New Economy und zugleich
bürgerrechtlich in Berlin engagiert.
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