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Rezension des Buches von Raphael Gross "Carl Schmitt und
die Juden" 1
Carl Schmitt ist berühmt, faszinierend und die Beschäftigung mit ihm
und seinem Werk ist seit Jahren "en vogue". Anders sind die unzähligen
Publikationen nicht zu erklären. Gemeinhin wird er als einer der einflussreichsten
Juristen und politischen Denker des 20. Jahrhunderts bezeichnet, zugleich
ist er aber auch einer der umstrittensten. Nunmehr hat Raphael Gross eine
weitere Studie vorgelegt, die ein neues Schlaglicht auf Schmitts Werk
wirft.
Schmitt, Jahrgang 1888, von kleinbürgerlicher katholischer Herkunft, studierte
ab 1907 in München, Berlin und Straßburg Rechtswissenschaften. Der Promotion
im Jahr 1910 folgte sechs Jahre später die Habilitation. Nach dem Krieg
erhielt er seine erste Professur an der Handelshochschule München, wo
er mit der Schrift über die "Diktatur" schnell Aufsehen erregte. Dieses
Buch und alle weiteren bestachen in erster Linie durch ihre scheinbare
Klarheit, die hervorgerufen wurde durch prägnante Formulierungen sowie
schneidig-schillernde rechtliche Begrifflichkeiten. Schmitt polarisierte,
provozierte und machte als Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik
sehr schnell Karriere. Diese wurde nicht unmaßgeblich von Juden gefördert,
zu denen er während dieser Zeitspanne vielgestaltigen berufliche und private
Beziehungen unterhielt. Das sollte sich nach der nationalsozialistischen
Machtergreifung ändern. Schmitt denunzierte seine jüdischen Amtskollegen
und seine zahlreichen antisemitischen Pamphlete können und konnten jederzeit
in der zeitgenössischen Literatur nachgelesen werden. Treffend beschreibt
der Schriftsteller Ernst Niekisch sein Verhalten: "Kaum hatte Hitler es
geschafft, war auch Schmitt soweit: so rechtzeitig schlüpfte er durch
die Tore des Dritten Reiches, daß er nicht übersehen werden konnte (...).
In einer erstaunlichen Weise war Schmitt der politischen Realität immer
gerade um eine Nasenlänge voraus." 2
Dennoch währte Schmitts nationalsozialistische Karriere lediglich drei
Jahre. 1936 verfing er sich in einer Intrige der SS und wurde aus dem
Bannkreis der Macht verbannt. Die Nationalsozialisten trauten dem wendigen
und eloquenten Professor nicht. Sein Katholizismus, der enge Kontakt zu
jüdischen Rechtsgelehrten in der Weimarer Republik sowie die plötzlichen
massiven antisemitischen Ausfälle gegenüber seinen ehemaligen Kollegen
ließen Zweifel aufkommen. Zwar fiel Schmitt in Ungnade, jedoch mit dem
ihm eigenen Spürsinn wandte er sich völkerrechtlichen Themen zu. So konnte
er beflissentlich mit seiner "Großraumtheorie" die Rechtsfertigungslehre
für Hitlers Eroberungskrieg liefern. Nach dem Sieg der Alliierten wurde
er interniert. Natürlich nur kurzfristig, denn Schmitt wäre nicht Schmitt
gewesen, hätte er sich auch diesmal nicht erfolgreich aus der Affäre zu
ziehen gewusst. Freilich war der Preis hoch. Er verlor seinen Berliner
Lehrstuhl und sollte in der Bundesrepublik nie wieder einen erhalten.
Trotzdem ist sein Einfluss nicht zu unterschätzen. Schmitt, der 93 -jährig
im Jahre 1985 starb, und seine Schüler unterhielten zahlreiche politische
Kontakte, was im übrigen sein Nachlass von 19.000 Briefen (!) eindrucksvoll
unterstreicht.
Vor diesem Hintergrund entbehrt Gross´ Arbeit nicht einer gewissen Brisanz.
So lässt bereits der Titel "Carl Schmitt und die Juden" aufmerken, und
man fragt sich, warum sich erst Gross dieses heiklen Themas angenommen
hat. Sicherlich nicht zu Unrecht konstatiert er in diesem Zusammenhang,
dass innerhalb des akademischen Rahmens eine fast heilige Scheu bestand,
sich mit den konkreten antisemitischen Äußerungen und Handlungen deutscher
Professoren zu beschäftigen. 3 Sofern
Schmitts Verhalten nach dem 2. Weltkrieg überhaupt kritisch hinterfragt
wurde, kam man zu dem Ergebnis, dass Schmitt ein berechnender Opportunist
gewesen sei, der in erster Linie an seine akademische Karriere dachte.
4 Raphael Gross Studie geht darüber hinaus. Er fragt
nach den "tieferen" Beweggründen. Dabei holt er weit aus und beleuchtet
akribisch die Genese von Schmitts Positionen. Demnach habe sich "das Jüdische"
bei Schmitt aus unterschiedlichen Feindbildern zusammengesetzt, die sich
zum großen Teil bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts in Deutschland und
Frankreich herausgebildet hatten. Schmitt habe den Antisemitismus katholisch-französischer
Prägung der Action Francaise mit demjenigen des deutschen Protestanten
Bruno Bauer verbunden. Während die katholisch geprägte Action Francaise
in den Wirren der Dreyfus-Affäre im Jahre 1899 entstand und Protestanten,
Juden und Freimaurer für den Niedergang Frankreichs verantwortlich machte,
sprach Bauer bereits 1863 von "dem Juden" als "dem weißen Neger".
5 Gross´ Meinung zufolge seien jedoch die assimilierten Juden zu Schmitts
eigentlichem Feindbild avanciert, da sie für ihn eine untrennbare Verbindung
zur Moderne darstellten. Als "vorwärtsstürmende Beschleuniger" manifestierte
sich ihr "Universalismus" nicht zuletzt in der Weimarer Republik. In diesem
Kontext sei für Schmitt die Heimatlosigkeit des jüdischen Volkes zum entscheidenden
Faktor geworden. Im Gegensatz zu den Franzosen und Engländern, die Fremde
seien und sich auch als solche zu erkennen geben, handele es sich bei
den Juden um die "vertrauten eigenen anderen" 6.
Aufgrund dieser "Andersartigkeit" könne ihre Solidarität und Unterstützung
gegenüber dem deutschen Volke folglich nur vordergründig sein. Dieses
mache sie zu den Feinden des Staates, denn versteckt hinter der vertrauten
Maskerade des assimilierten Judentums, vertraten sie letztlich ihr jüdisches
Gesetz. Eben jenes zeichne sich für Schmitt durch spezifisch unpolitische
Begrifflichkeiten aus, deren stärkste Ausprägung im Rechtspositivismus
hervorgetreten sei.
Gross zeigt, dass Schmitts Positionen dem Denken von Bauer entsprachen.
Der "déjà-vu-Effekt" ist unleugbar, wenn Bauer das jüdische Gesetz als
abstrakt und weltfremd charakterisiert und die Abstraktheit des jüdischen
Gesetzes mit den sozialen Verhältnissen des Diaspora-Judentums in Verbindung
bringt, wonach das Spezielle des bodenlosen Volkes in seiner Abstraktheit
liege. 7 Gross untermauert seine These
sehr geschickt am Beispiel des jüdischen Staatsrechtlers und Rechtsphilosophen
Hans Kelsen. Das bietet sich an, denn Kelsen war Schmitts Antipode im
Weimarer Staatsrechtslehrerstreit, der hauptsächlich die Überwindung des
Rechtspositivismus zum Gegenstand hatte. In der Tat stellt Kelsens "Reine
Rechtslehre" den Kontrapunkt zu Schmitts "Politischer Theologie" dar.
Während Schmitt der politischen Wirklichkeit bei der Verfassungsauslegung
einen hohen Stellenwert beimaß und letztlich auf diese hinschrieb, wertete
Kelsen es als unzulässige Grenzüberschreitung sich über die sogenannte
Verfassungswirklichkeit überhaupt Gedanken zu machen. Beide Lehren standen
sich demnach, legt man den Sprachgebrauch Carl Schmitts zugrunde, wie
der deutsche Nomos und das jüdisches Gesetz unvereinbar gegenüber. Raphael
Gross gelingt damit der beachtliche Nachweis, dass sich hinter Schmitts
antipositivistischen Positionen ein antisemitischer Kern verbarg.
Gleichwohl wäre es übereilt gerade in Bezug auf Hans Kelsen die Opportunismusthese
ad acta zu legen. Kelsen hatte sich maßgeblich für Schmitts Berufung an
die Juristische Fakultät der Universität Köln eingesetzt. Als Schmitt
gebeten wurde eine Resolution zugunsten seines -von den Nationalsozialisten
- amtsenthobenen Kollegen zu unterschreiben, weigerte er sich. Dabei dürften
aber nicht nur antisemitische Gründe eine Rolle gespielt haben. Dass Schmitt
nach 1933 Hans Kelsen als den "Juden Kelsen" diffamierte, mag im Sinne
von Gross´ Antisemitismusthese gedeutet werden, andererseits schien Schmitt
durchaus zwischen Antisemitismus und Opportunismus zu schwanken. Deutlich
wird dieses insbesondere an seiner Beziehung zum Göttinger Staatsrechtslehrer
und späteren Bundesverfassungsrichter Gerhard Leibholz.
Der Weimarer Staatsrechtslehrerstreit wurde bei weitem nicht nur von Hans
Kelsen und Carl Schmitt geführt. Mindestens drei assimilierte - und mit
Carl Schmitt gut bekannte - Juden beeinflussten die Debatte nicht unerheblich.
Dieses waren Erich Kaufmann, Hermann Heller und nicht zuletzt Gerhard
Leibholz. Gerade seine Staatsrechtslehre eignet sich zur Überprüfung von
Gross´ Antisemitismusthese.
Leibholz´, getauftes und christlich erzogenes Kind jüdischer Eltern dürfte
Schmitts Idealbild eines assimilierten Juden entsprochen haben. Dieses
hielt ihn jedoch nicht davon ab, Leibholz gegen Ende der 20´er Jahre zu
protegieren. Die gegenseitige Wertschätzung, auf die im übrigen auch Raphael
Gross hinweist, 8 trat deutlich in wechselseitigen
Lobeshymnen zutage. Schmitt verwies auf die ausgezeichneten Abhandlungen
von Gerhard Leibholz. 9 Dieser bedankte
sich artig, indem er Schmitts "Verfassungslehre" als hervorragende Darstellung
bezeichnete. 10 Die beiderseitige
Hochachtung war offensichtlich persönlicher wie fachlicher Natur.
11 In der Tat überschnitten sich Schmitts und Leibholz´
staatstheoretische Konzeptionen. Beide waren sich einig in ihrer antipositivistischen
und antiliberalen Grundhaltung. Zwar erreichte Leibholz´ Kritik am Parlamentarismus
nicht die Schärfe von Schmitt, dennoch legten beide Autoren ihrem Repräsentations-
und Parteienmodell das idealisierte und romantische Bild des Parlamentarismus
des 19. Jahrhunderts zugrunde. 12
In der Beziehung Leibholz/Schmitt standen sich "deutscher Nomos und jüdisches
Gesetz" demzufolge nicht diametral gegenüber. Offenbar war sogar das Gegenteil
der Fall.
Das bedeutet: Entweder ist Gross´ These falsch, oder aber Schmitts Antisemitismus
war subtiler als es vordergründig erscheint. Letzteres dürfte der Fall
gewesen sein. Die Kombination von spezifisch katholischen und protestantischen
Antisemitismustheorien ermöglichte es ihm nämlich immer die assimilierten
Juden als Feinde des deutschen Volkes zu verleumden. Im Falle von Hans
Kelsen konnte er auf die Abstraktheit des jüdischen Gesetzes zurückgreifen,
während bei Gerhard Leibholz´ der "jüdische Universalismus" zum Zuge kommen
konnte. Denn obwohl sich Leibholz´ und Schmitts Staatsrechtslehre, und
hier vor allem die Repräsentationstheorie überschnitten, bestand doch
ein signifikanter Unterschied: Für Carl Schmitt war der deutsche Nomos
von rassisch homogener und damit arischer Natur. Derartige Positionen
waren Leibholz´ verständlicherweise fremd. Seine Staatstheorie war von
heterogener Provenienz und somit im Sinne Carl Schmitts letztlich universalistisch
- und damit jüdisch.
Gross untermauert seine These eindrucksvoll am Beispiel von Hans Kelsen,
der assimilierter Jude und Positivist war. Auch bei Gerhard Leibholz gelingt
der Nachweis, obgleich hier der Fall völlig anders liegt. Leibholz´ staatsrechtliche
Theorien lassen sich nur mit Hilfe der "universalistischen Generalklausel"
als jüdisch -im Sinne von Schmitt - charakterisieren. Wie nicht anders
zu erwarten, fungierte damit auch für Schmitt "das Jüdische" als Metapher
für Ressentiments aller Art. Die Beliebigkeit in seinem Denken erreichte
hier sogar seinen Höhepunkt, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die staatsrechtlichen
Theorien des Positivisten Hans Kelsen und des Antipositivisten Gerhard
Leibholz sich auf den gemeinsamen Nenner eines "assimilierten Juden" reduzieren
lassen und sich aus dieser Tatsache die Feindschaft zum deutschen Volk
herleiten ließ.
Raphael Gross hat einen bisher vernachlässigten Aspekt in Schmitts Werk
gesehen und ihn interpretiert. Gleichwohl bleiben Carl Schmitt und sein
Werk rätselhaft, und eben dieses macht einen nicht zu unterschätzenden
Anziehungsfaktor aus. Sein Werk muß immer vor dem jeweiligen zeitgeschichtlichen
Hintergrund betrachtet werden - und ist daher allein schon aufgrund der
Zeitspanne vielschichtig. Hingegen erlaubt die Beziehung zu Gerhard Leibholz
die Feststellung, dass die Opportunismus- und Antisemitismusthese gleichberechtigt
nebeneinander bestehen können. Schmitt dürfte über Leibholz´ jüdische
Herkunft informiert gewesen sein. Gestört hat es ihn wenig, denn sicherlich
war der aus großbürgerlichem Hause stammende Leibholz für den ehrgeizigen
Schmitt mehr als nur ein begehrter Gesprächspartner. Warum sollte für
einen Carl Schmitt nicht gelten, was für so viele andere galt? Opportunismus
und Antisemitismus haben sich bekanntlich noch nie ausgeschlossen.
Susanne Benöhr ist promovierte Rechtshistorikerin und lebt
in Bremen.
Anmerkungen:
1 Raphael Gross: Carl Schmitt und
die Juden, Frankfurt/Main 2000.
2 Niekisch, Ernst: Das Reich der niederen
Dämonen (Neudruck, 1980), S. 199.
3 Gross, Raphael: Carl Schmitt und die
Juden, S. 14.
4 So z.B. Bernd Rüthers: Entartetes
Recht: Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, München 1988 und
Ingo Müller: Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit der Justiz,
München 1987.
5 Bauer, Bruno: Das Judentum in der
Fremde. Separatdruck aus dem Wagnerschen Staats- und Gesellschafts Lexikon,
Berlin 1963, S. 620 f, zitiert nach Gross, Raphael: Carl Schmitt und die
Juden, S. 203.
6 Gross, Raphael: Carl Schmitt und die
Juden, S. 134. Bauer, Bruno: Die Judenfrage, S. 28 zitiert nach Gross,
Raphael: Carl Schmitt und die Juden, S. 209.
7 Gross, Raphael: Carl Schmitt und die
Juden, S. 11.
8 Schmitt, Carl: Verfassungslehre, München
und Leipzig 1928, S. 208.
9 Leibholz, Gerhard: Das Wesen der Repräsentation
unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentativsystems, Berlin und
Leipzig 1929, S. 8.
10 Leibholz distanzierte sich 1973
in einem Leserbrief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung öffentlich
von Schmitt, vgl. Gross, Raphael: Carl Schmitt und die Juden, S. 11 Fußnote
14.
11 Wohlgemuth, Heinrich: Das Wesen
des Politischen in der heutigen neoromantischen Staatsrechtslehre, Dissertation,
Juristische Fakultät Erlangen 1932, Emmendingen 1933, S. 22.
Literatur:
Benöhr, Susanne: Das faschistische Verfassungsrecht Italiens
aus der Sicht von Gerhard Leibholz. Zu den Ursprüngen der Parteienstaatslehre,
Baden-Baden 1999.
Krockow, Christian Graf von: Die Entscheidung. Eine Untersuchung
über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Stuttgart 1958.
Müller, Ingo: Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit
unserer Justiz, München 1987.
Rennert, Klaus: Die "geisteswissenschaftliche Richtung" in der
Staatslehre der Weimarer Republik. Untersuchung zu Erich Kaufmann, Günther
Holstein und Rudolf Smend, Berlin 1987.
Rüthers, Bernd: Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen
im Dritten Reich, München 1988.
Sombart, Nicolaus: Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt
- ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos,
München 1991.
Wiegandt, Manfred H.: Norm und Wirklichkeit. Gerhard Leibholz (1901-1982)
- Leben, Werk und Richteramt, Baden-Baden 1995.
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