Heft 3 / 2001: Datenspuren Überwachung in der digitalen Welt |
Sammelsurium | |
Leserzuschrift Mit Recht gegen Rechts Anmerkungen zur Debatte in Forum Recht 04/00 Im Forum Recht 04/00 wurden unter dem Stichwort "Debatte: Mit Recht gegen Rechts" zwei Beiträge zur Frage eines staatlichen Verbotes der NPD und faschistischer Organisationen überhaupt veröffentlicht. Marek Schauer versuchte in seinem Beitrag (im folgenden: Pro-Beitrag) zu begründen, daß man alle rechtsextremistischen Parteien und Organisationen verbieten sollte, während sich Jochen Goerdeler gegen ein Verbot der NPD und überhaupt gegen die Aktivierung des Parteiverbots nach Art. 21 Abs. 2 GG gegen rechtsextremistische Parteien aussprach (im folgenden: Contra-Beitrag). Eine vertiefte Auseinandersetzung über diese Frage ist m. E. unvermeidlich, weil sie Kernfragen des politischen Prozesses und seines verfassungsrechtlichen Rahmens berührt: Einfach gesagt, wer darf mitmachen, und was darf man sagen. Auch wenn nunmehr, nachdem die Bundesorgane ihre Verbotsanträge beim Bundesverfassungsgericht eingereicht haben, das Gericht am Zuge ist, sollte die Debatte weitergeführt werden. Ich möchte im folgenden jedoch nicht umfassend für oder gegen eine der beiden möglichen Ansichten, d. h. Verbot ja/nein, argumentieren. Dazu bin ich mir immer noch zu unschlüssig, und auch der Contra-Beitrag hat mich nicht überzeugen können. Ich möchte mich vielmehr darauf beschränken darzulegen, wie die Diskussion aus meiner Sicht jedenfalls nicht geführt werden kann: nämlich so wie in dem Pro-Beitrag. In dubio pro libertate Dort werden ein "gesellschaftspolitischer" und ein "juristischer Aspekt" unterschieden. "Gesellschaftspolitisch" wird aber lediglich dargelegt, daß der Rechtsextremismus mittlerweile sehr verbreitet ist, und daß ein Verbot für eine Verkleinerung sorgen würde. Das ist gewissermaßen politische Logik, aber Gründe für ein Verbot ergeben sich daraus noch nicht. "Die Nazis nutzen also liberale Grundrechte, um antiliberal-autoritäres Gedankengut salonfähig zu machen", meint der Autor weiter in diesem Zusammenhang, und das soll wohl eine Begründung sein. Aber was für ein Grundrechtsverständnis verbirgt sich hinter einer solchen Äußerung? Funktion der politischen Grundrechte wie Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit) oder Art. 8 Abs. 1 GG (Versammlungsfreiheit), um die es hier ja geht, ist es doch gerade, daß man zunächst mal jeden Gedanken in die Öffentlichkeit tragen darf. Und dazu zählen sicher auch "antiliberal-autoritäre", man schaue mal in die Zeitung. Und falls hier mit "liberal" der bürgerliche Liberalismus als eventueller Grundkonsens unser Gesellschaft angesprochen sein sollte, so verträgt sich dies ganz sicher nicht mit der den Beitrag einleitenden Kapitalismuskritik, wo er sich gegen die bestehende Eigentumsordnung wendet. Antifaschist ist auch, wer den Antifaschismus nicht aus der Verfassung zieht Das, was dann als "juristischer Aspekt" für ein Verbot faschistischer
Organisationen vorgetragen wird, ist, vorsichtig formuliert, nicht besonders
gelungen. Man macht es sich zu leicht, wenn man seine politische Meinung
schlicht in der Verfassung verankert, ohne dabei gewisse Standards wissenschaftlicher
Auseinandersetzung - die zwangsläufig im Spiel sind, wenn man etwas "juristisch"
nennt - einzuhalten. Wertediktatur? Weiter wird das "Wertesystem der Grundrechte" für die verfassungsrechtliche
Begründung des Antifaschismus in Anspruch genommen. Das läßt sich hören,
mag man denken. Aber gerade in Bezug auf Faschismus ist es eine delikate
Angelegenheit, diese Argumentationsfigur zu verwenden: Der Gedanke, die
Grundrechte als Wertordnung oder Wertesystem zu interpretieren, wurde
vom Bundesverfassungsrecht wohl erstmals 1958 in der Lüth-Entscheidung
herangezogen (BVerfGE 7, 198 ff.). Seine Wurzeln liegen jedoch weiter
zurück, er wird auf den Staatsrechtslehrer Rudolf Smend zurückgeführt
1. In dem Werk "Verfassung und Verfassungsrecht" (1928)
entwickelt Smend, kurz gefaßt, eine Lehre vom "Staat als Integration",
nach der der Staat in einem beständigen Integrationsvorgang besteht. Die
Grundrechte haben in diesem Prozeß eine wichtige Funktion, indem sie als
Werte der staatlichen Ordnung zur Integration beitragen
2. Problematisch - und das ist die Pointe für die Heranziehung
im Rahmen der Diskussion des NPD-Verbotes - ist dabei die große Nähe der
Ausführungen Smends zu faschistischen Gedankengängen. So sei die "immer
neue Herstellung der Lebenstotalität des Staates" Ziel der Integration
(S. 78). Sein Integrationsbegriff sei im Sinne des Faschismus zu verstehen,
überhaupt sei die faschistische Literatur mehr heranzuziehen (S. 23).
Weiter ist von einer "spezifische(n) faschistische(n) Legitimität" die
Rede (S. 49), oder von den "starken Seiten des Faschismus" (S. 62), auch
wenn man natürlich zum Faschismus unterschiedlicher Auffassung sein könne
(S. 62). Wert und Demokratie Um eines klarzustellen: Ich gehe nicht davon aus, daß eine politische
Diskussion ohne den Bezug auf Werte geführt werden kann. Eine andere Frage
ist aber, ob man die Werte gleich in der Verfassung verorten muß. Daß
nun im Kontext des BAKJ auf eine derartige Argumentation Bezug genommen
wird, verwundert auch noch aus einem anderen Grund. Andreas Funke, Köln. Anmerkungen: 1 Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Grundrechtstheorie
und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, 1529, 1533. Der Grundrechte-Report 2001 ist erschienen! Von staatlichen Organen begangene Grundgesetzverstöße gab es auch dieses Jahr in Hülle und Fülle. Das macht der "alternative Verfassungsschutzbericht", der vom Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen, von der Gustav-Heinemann-Initiative, von der Humanistischen Union und vom Komitee für Grundrechte und Demokratie herausgegeben wird, wieder einmal deutlich. Unter anderem handelt es sich dabei um den am Rande der EXPO Hannover verhängten Polizeigewahrsam in Käfigen, um die tödlichen Routinen im Abschiebungsalltag, um die rassistischen Elemente der Schleierfahndung und um die Verfassungswidrigkeit der Interventionsarmee Bundeswehr. Wie bei der letzten Ausgabe stammen eine Reihe von Autorinnen und Autoren aus dem Umfeld des BAKJ, darunter Katharina Ahrendts, Jochen Goerdeler, Jens Neubert, Michael Plöse, Bela Rogalla und Kirsten Wiese. "Movement is our right!" Der 17., 18. und 19. Mai 2001 waren bundesweite Aktionstage gegen die Residenzpflicht. An der Abschlußdemonstration in Berlin nahmen über 3.000 Menschen teil, darunter zahlreiche Flüchtlinge aus dem gesamten Bundesgebiet. Sie protestierten damit gegen ein Gesetz, das AsylbewerberInnen den Aufenthalt außerhalb des ihnen zugewiesenen Landkreises ohne vorherige Genehmigung der Ausländerbehörde verbietet. Weitere Informationen findet Ihr unter www.humanrights.de Tag des Flüchtlings 2001 Am 28. September ist der Tag des Flüchtlings. Dieses Jahr steht er unter dem Motto "Rassismus hat viele Gesichter". Koordiniert durch Pro Asyl wird es bundesweit zahlreiche dezentrale Protestaktionen gegen die soziale Ausgrenzung von Flüchtlingen geben. Weitere Informationen findet Ihr unter www.proasyl.de |