Heft 3 / 2002:
Auf eigenes Risiko
Folgen der Privatisierung
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Tanja Nitschke Zum ersten Artikel des Schwerpunkts Zum ersten Artikel des Forums Zur Rubrik Ausbildung Zur Rubrik Recht kurz Zum Sammelsurium Zur Rubrik Politische Justiz Zur BAKJ-Seite
Geistiges Eigentum ist Diebstahl
Freie Software vs. Software-Patente
 

Während sich freie Software, allen voran das Betriebssystem Linux, in den letzten Jahren wachsender Popularität erfreut, lässt sich international die Tendenz beobachten, immer mehr geistige Errungenschaften zu patentieren und sie damit der exklusiven wirtschaftlichen Verwertung durch Einzelne zu unterwerfen. Freie Software lässt sich als Gegenkonzept zur Exklusivität geistigen Eigentums und damit zu fortschreitender Privatisierung von Wissen im Bereich der Softwareentwicklung begreifen. Anders als beim Vorreiter USA standen bislang der Patentierung von Software im Gebiet der Europäischen Union das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) sowie nationale Patentgesetze entgegen. Durch einen bereits im Vorfeld heiß diskutierten Richtlinienentwurf über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen, den die europäische Kommission im Februar 2002 vorlegte, könnte sich dies jedoch bald ändern. Das Konzept freie Software ist dadurch existentiell bedroht.
Entgegen häufiger Missverständnisse handelt es sich bei freier Software nicht einfach um solche, die kostenlos erhältlich ist. Gemeint ist damit Software, an der der Allgemeinheit - in der Regel, wenn auch nicht notwendig unentgeltlich - ein Vervielfältigungs-, Verbreitungs-, Nutzungs- und Bearbeitungsrecht eingeräumt wird. Dies geschieht jedoch nicht ohne weiteres; vielmehr sind sich die EntwicklerInnen ihrer Stellung als InhaberInnen entsprechender Urheberrechte sehr wohl bewusst. Die Nutzung wird deshalb regelmäßig unter bestimmten Auflagen mittels einer Lizenz eingeräumt. Die bekannteste freie Softwarelizenz ist die "General Public License" (GPL) des GNU-Projektes, neben der es eine Reihe weiterer freier Lizenzen gibt.
Freie Software setzt nach der GNU GPL begrifflich voraus, dass allen BenutzerInnen die Freiheit eingeräumt wird, die Software für jeden Zweck zu benutzen, das Programm zu verstehen und für eigene Zwecke anzupassen, Kopien anzufertigen und weiter zu verbreiten und schließlich das Programm zu verbessern und die Verbesserungen weiter zu verbreiten. Notwendige Voraussetzung hierfür ist der freie Zugang zum Quellcode. 1 Grundidee ist also, dass Entwicklungen und Verbesserungen der gesamten EntwicklerInnen- und NutzerInnengemeinschaft als Gemeingut zur Verfügung stehen sollen. So existiert mittlerweile ein allgemein im Internet zugänglicher Pool an Programmen, der beständig vergrößert und fortentwickelt wird; darunter finden sich neben Varianten des Betriebssystems Linux Office-Anwendungen, Browser, Datenbanken, Grafikprogramme und zahllose weitere Programme.
Der häufig synonym benutzte Begriff Open Source Software bedeutet dagegen lediglich, dass der Quelltext der Programme der Allgemeinheit offengelegt wird. Mit der bloßen Offenlegung des Quelltextes muss jedoch keine Einräumung irgendwelcher Nutzungsrechte verbunden sein; freie Software stellt daher einen Sonderfall quelloffener Software dar.
Im Gegensatz dazu wird bei proprietärer oder Closed Source Software der Quellcode geheim entwickelt und nur der lauffähige Programmcode urheberrechtlich gegen Entgelt lizenziert; der Quellcode bleibt jedoch geheim, so dass Modifikationen oder Verbesserungen durch AnwenderInnen kaum möglich sind. Die meisten etablierten Software-Unternehmen, etwa Microsoft, arbeiten nach diesem Modell. 2

Rechtslage in Deutschland

Rechtlicher Schutz für Software-Entwicklungen wird derzeit in Deutschland durch das Urheberrecht gewährleistet. 3 Geschützt ist damit das geistige Werk des/der EntwicklerIn - also das Programm in seiner linguistischen Gestaltung -, nicht aber die zugrunde liegende entwicklerische Erfindung, die wiederum Schutzgut des Patentrechts ist.
Der urheberrechtliche Schutz für Software-Entwicklungen verträgt sich - auch wenn dies auf den ersten Blick nicht so aussehen mag - durchaus mit dem Konzept freier Software. Die GPL, genauer: das ihr immanente so genannte copyleft, setzt Urheberrecht zu einem Zweck ein, der seinem eigentlichen Zweck entgegen gesetzt ist: Statt geistige Werke exklusiv zugunsten Einzelner zu schützen, gewährleistet copyleft, dass freie Software auch bei Veränderungen oder Redistributionen frei für die Allgemeinheit verfügbar und nutzbar bleibt. Dies geschieht, indem unter der GPL die Nutzung nur unter der Bedingung lizenziert wird, dass weitere Kopien, Modifikationen oder Fortentwicklungen des jeweiligen Programms ebenfalls wieder unter GPL gestellt werden. So wird gleichzeitig sichergestellt, dass neue programmiertechnische Errungenschaften der gesamten Gemeinschaft zugänglich sind. 4
Im Gegensatz dazu steht das Patentrecht der Idee freier Software kontradiktorisch entgegen, da es nicht nur das konkrete Programm schützt, sondern die gesamte dahinterstehende Problemlösungsstrategie unter ein Nutzungs- und Verwertungsmonopol des/der PatentrechtsinhaberIn stellt. Während sich also Urheberrecht im Sinne freier Software nutzen lässt, schließt Patentrecht nicht nur die Nutzung und Verwertung der patentierten Programme durch die Gemeinschaft aus, sondern verhindert zudem die Entwicklung alternativer Lösungen und damit die Schaffung von Konkurrenz- und Anschlussprodukten zu patentierter Software.

Was ist patentierbar?

Zwar ist nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 Patentgesetz (PatG) sowie Art. 52 II c EPÜ Software generell nicht patentierbar, so dass bei oberflächlicher Betrachtung keine Gefahr für freie Software erkennbar ist. Dies ist jedoch nur auf den ersten Blick tatsächlich der Fall: Der Ausschluss der Patentierbarkeit von Software nach § 1 Abs. II Nr. 3 PatG gilt nach § 1 Abs. 3 PatG nur insoweit, als "für die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten als solche Schutz begehrt wird" - nur Software als solche ist also vom Patentschutz ausgeschlossen. Daher drängt sich die Frage auf, was "Software als solche" überhaupt ist.
Weder aus der Gesetzesbegründung noch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) lässt sich eine Definition dieses reichlich unscharfen Begriffs entnehmen. Vielmehr wurde die Frage regelmäßig offen gelassen und nötigenfalls die Patentierung von Computerprogrammen unter Hinweis auf die fehlende Patentierungsvoraussetzung der Technizität abgelehnt. 5 Auch in der patentrechtlichen Literatur sind die Schwierigkeiten offensichtlich, den Begriff mit Inhalt zu füllen; überwiegend wird daher davon ausgegangen, dass "Software als solche" de facto gleichbedeutend ist mit dem Technizitätserfordernis. 6
Hinter diesem Erfordernis verbirgt sich die Grundannahme, dass nur technischen Erfindungen der Patentschutz offen stehen soll. Diesen - wiederum sehr unscharfen und damit für zahlreiche Hintertürchen offenen - Begriff hat der BGH im Jahr 1969 grundlegend definiert als eine ''[...] gewerblich verwertbare neue fortschrittliche und erfinderische Lehre zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolges". 7
Da sich dieser Definition wiederum nur schwerlich eine Eingrenzung des Begriffs entnehmen lässt, ist die patentrechtliche Rechtsprechung und Literatur seither von mehr oder weniger fruchtbaren Präzisierungsversuchen durchzogen.
Insgesamt kann danach zumindest nicht behauptet werden, dass Computerprogramme generell untechnisch, d.h. nicht patentfähig seien. 8 Festzugehalten ist jedenfalls, dass nach derzeitiger Rechtslage durchaus ein Patentschutz für Software möglich ist, sofern es gelingt, einen auch nur minimalen Technikbezug des Programms wenigstens argumentativ herzustellen.

Alles ist patentierbar!

Entgegen der allgemeinen ökonomischen Entwicklung der 90er Jahre hin zu einem globalen Freihandel lässt sich zeitgleich der protektionistische Trend beobachten, immer mehr Erfindungen zu patentieren und damit exklusiv wirtschaftlich verwertbar zu machen. Waren Patentrechte ursprünglich als Investitionsschutz für ErfinderInnen gedacht, so fand seit Anfang der 90er Jahre eine Funktionsverschiebung statt: Patentrechte werden zunehmend zur Durchsetzung von Marktmachtansprüchen einzelner Unternehmen instrumentalisiert, die so schwächere Konkurrenten aus dem Markt zu drängen suchen. Mit dem Aufkommen der Internetwirtschaft etwa zur gleichen Zeit wurde Software zum Wirtschaftsfaktor, auf den sich folglich solche Marktkämpfe bezogen.
Vorreiter dieser Entwicklung sind die USA, wo seit 1980 durch den Obersten Gerichtshof festgelegt ist, dass "alles unter der Sonne vom Menschen Erschaffene" patentierbar ist, solange es "novel, useful and non-obvious" ist, also eine irgendwie neuartige, nützliche Erfindung, die nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht naheliegend ist. Nicht patentierbar sind lediglich Naturgesetze, physikalische Phänomene und abstrakte Ideen, dafür aber seit 1994 Computerprogramme und seit 1998 Geschäftsmethoden. Aufgrund der denkbar geringen Patentierungsvoraussetzungen sind nicht nur Patente für biotechnologische "Erfindungen" wie Krebsmäuse unproblematisch möglich, sondern selbst für so weltbewegende Erfindungen wie Erdnussbutter-Marmelade-Brötchen. 9
Parallel zu internationalen, insbesondere US-amerikanischen, Patentierungstrends wurden die nach deutschem bzw. europäischem Recht bestehenden Patentierungsverbote seit Beginn der 90er Jahre durch die Patentierungspraxis des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) sowie des Europäischen Patentamtes (EPO) immer weiter ausgehöhlt. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt wurden zunehmend Patente für Software-Entwicklungen vergeben; faktisch war (ist) es meist eine Frage geschickter Formulierung des Patentantrages, ob die Patentierungsvoraussetzungen vom jeweiligen Patentamt für gegeben erachtet werden. Mittlerweile wurden mehr als 30.000 europäische Patente für Software erteilt.

Software-Patent-Richtlinie kommt

Wohl um diesen recht peinlichen Befund nachträglich zu legalisieren, vordergründig jedoch mit dem Ziel, bereits gegenwärtig mehr oder weniger vorhandene Rechtssicherheit zu schaffen, legte die Europäische Kommission am 20. Februar 2002 den Entwurf einer Richtlinie über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen vor. Der zentrale und (deshalb) gleichzeitig umstrittenste Satz des Richtlinienentwurfs lautet "[...] alle Programme, die auf einem Computer ablaufen, sind per Definitionem als technisch anzusehen (da es sich bei dem Computer um eine Maschine handelt)". Damit wird der Begriff der Technizität derart umfassend definiert, dass faktisch eine Patentierung jeglicher Software möglich ist.
Ob der Richtlinienentwurf tatsächlich so verabschiedet wird, ist derzeit noch nicht absehbar, da er noch der Zustimmung des Europäischen Rates sowie des Europäischen Parlaments bedarf. Angesichts zahlreicher Proteste u.a. aus der freien EntwicklerInnen-Szene ist durchaus vorstellbar, dass das Parlament den Entwurf ablehnen könnte.

Gefahren durch Software-Patente

Die durch den Richtlinienentwurf anvisierte umfassende Patentierbarkeit von Software ist aus verschiedenen Gründen und gefährdet v.a. EntwicklerInnen freier Software. Im Unterschied zum Urheberrechtsschutz von Programmen, der durch Nachprogrammieren leicht umgehbar ist, monopolisiert der patentrechtliche Schutz die hinter einem Programm stehende Erfindung, so dass jegliche Verwirklichung der selben Funktionalität, gleich in welcher Ausdrucksform, eine Patentverletzung darstellt. Um dies zu vermeiden sind umfangreiche und teure Patentrecherchen notwendig, die sich die typischerweise alleine arbeitenden EntwicklerInnen freier Software ebenso wenig leisten können wie kleinere und mittelständische Softwarefirmen.
Hinzu kommt, dass die in aller Regel unentgeltliche Lizenzierung freier Software die EntwicklerInnengemeinschaft nicht mit vergleichbaren finanziellen Mitteln ausstatten kann, wie sie Anbieter proprietärer Software aufgrund der entgeltlichen Lizenzierung zur Verfügung haben. Diesen ist so die Verfolgung einer aktiven Patentrechtspolitik, insbesondere die Anmeldung eigener Patentrechte sowie die Verteidigung derselben in Verletzungs-, Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren, möglich, mittels derer kleinere, finanziell schwachbrüstigere Konkurrenten vom Markt verdrängt oder durch entsprechende Drohungen zu Zugeständnissen genötigt werden können. Besonders gefährlich ist dies für freie Software, die typischerweise von zahllosen nur sehr lose organisierten einzelnen ProgrammiererInnen entwickelt wird.
Zusätzlich macht es das Konzept der freien Software aufgrund des notwendig offenen Quelltextes und der freien Verfügbarkeit der Programme im Internet Unternehmen mit aggressiver Patentpolitik besonders einfach: Da Patentrechtsverletzungen ohne größeren Aufwand im Quellcode recherchierbar sind, bedeutet dies für freie EntwicklerInnen letztlich, dass praktisch jede Zeile programmierten Codes eine Patentverletzungsklage nach sich ziehen könnte.
Softwarepatente privilegieren so faktisch Unternehmen, die es sich aufgrund ihrer Marktmacht leisten können, diese zu verteidigen, und zementieren so bereits bestehende Monopole. In Konsequenz wird so nicht nur das gesamte Konzept freier Software in seiner Existenz gefährdet, sondern vor allem die auf gegenseitigem Austausch basierende Fortentwicklung durch die EntwicklerInnengemeinschaft unmöglich gemacht. Selbst eher patentfreundlich eingestellte Wirtschaftskreise räumen ein, dass dies zumindest langfristig eine ernste Gefahr für Wettbewerb und Innovation in der IT-Branche darstellt.

Ausblick

Die umfassende Patentierbarkeit von Software, wie sie im Richtlinienentwurf vorgesehen ist, wird sich trotz zahlreicher Kritikpunkte kaum aufhalten lassen. Einerseits wurde durch die Patentierungspraxis von DPMA und EPO bereits Tatsachen geschaffen, die schwer umkehrbar sind. Schutzmechanismen zugunsten freier Software, wie etwa die von Seiten verschiedener EntwicklerInnenverbände geforderte Regelung, dass Patentrechte nicht durch freie Software verletzbar sind, sind kaum durchsetzbar, obwohl mittlerweile auf nationaler wie europäischer Ebene die Interessen freier EntwicklerInnen durchaus zur Kenntnis genommen werden. Ihnen steht jedoch, wie in der Präambel des Richtlinienentwurfs lapidar festgestellt wird, ein wirtschaftliches Übergewicht an Softwareunternehmen gegenüber, die nach Patenten verlangen. Hinzu kommt, dass sowohl Deutschland als auch die EU nur über einen begrenzten Handlungsrahmen verfügen: Sie sind durch das TRIPS-Abkommen der World Intellectual Property Organization (WIPO) gebunden, welches internationale Standards für die Ausgestaltung des Patentschutzes definiert und in Art. 27 Abs. 1 Modifikationen des Patentschutzes für einzelne Gebiete der Technik untersagt - somit sind Sonderregelungen für Computerprogramme nicht möglich. Eine entsprechende Regelung müsste daher auf der Ebene der WIPO durchgesetzt werden, was nicht sonderlich realistisch erscheint.

Tanja Nitschke ist Rechtsreferendarin und lebt in Nürnberg.

Anmerkungen:

1 Vgl. www.gnu.org/philosophy/free-sw.de.html; ähnlich www.opensource.org.
2 Vgl. Horns, JurPC Web-Dok. 223/2000, Abs. 41 f.
3 Vgl. §§ 69 a ff UrhG.
4 Vgl. www.gnu.org/copyleft/copyleft.html.
5 So jüngst BGH in: Zeitschrift für Gewerberecht und Urheberrecht (GRUR) 2000, S. 498.
6 Vgl. ausführlich Max-Planck-Institut / Fraunhofer Institut, S. 132.
7 BGH GRUR 1969, 672, 673.
8 Vgl. Max-Planck-Institut / Fraunhofer Institut, S. 132 ff.
9 Vgl. Möller in: tageszeitung vom 8.11.2001, S. 17.

Literatur:

Axel H. Horns, Der Patentschutz für softwarebezogene Erfindungen im Verhältnis zur "Open Source"-Software, JurPC Web-Dokument 223/2000 (www.jurpc.de).
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht / Fraunhofer Institut Systemtechnik und Innovationsforschung, Endbericht zur Patentierbarkeit von Softwareinnovationen: www.bmwi.de/textonly/Homepage/download/technologie/Softwarepatentstudie.pdf.

Richtlinienentwurf:

www.europa.eu.int/comm/internal_market/de/intprop/intprop/index.htm.