Ein Afghane flüchtete 2016 nach Europa. Um von der Türkei nach Griechenland zu gelangen, lies er sich notwendigerweise auf Schleuser ein, die ihm einen Platz auf einem seeuntauglichen Kahn unter der Bedingung versprachen, dass der Geflüchtete während der Überfahrt als „Ansprechpartner“ für sechs weitere Geflüchtete zur Verfügung steht. Der Afghane half den beiden Frauen und ihren vier Kinder beim Taschentragen und beim an Bord gehen. Auf tragische Weise kam das Boot wegen technischen Versagens vor Griechenland zum Kentern. Er selbst konnte gerettet werden. Für 35 weitere Geflüchtete, darunter auch die besagten Kinder und Frauen, kam jede Hilfe zu spät.
Für die deutsche Justiz ist dies ein Fall der „Beihilfe zum Einschleusen von Ausländern mit Todesfolge“. Schließlich habe der Geflüchtete die Schleuser entlastet, indem er zusagte, die Frauen und Kinder zu begleiten. Er habe sich somit in das Lager der Schleuser gestellt, befand nun auch der BGH (Az. 3 StR 561/18) und ließ die Verurteilung zu eineinhalb Jahren auf Bewährung durch das LG Osnabrück unangetastet.
Ein Mensch, der sich in der prekären Situation der Flucht um vulnerable Personen kümmert, beweist also in erster Linie seine kriminelle Energie? Für einen „Fall im Grenzbereich“, hielt das der vorsitzende Richter. Gleichwohl vermochte das aufgefahrene Fingerspitzengefühl der RichterInnen das absurd anmutende Ergebnis nicht zu verhindern. Zurück bleibt der Eindruck uferloser Empathielosigkeit. Wohl kaum wird dem vorgeblichen Ziel der Schleuserbekämpfung durch eine Pönalisierung der Solidarität von Geflüchteten gedient sein. Der Fall ergibt ein weiteres trauriges Beispiel für den Umgang mit dem schillernden Begriff der Schleuserbekämpfung, an dem sich so leicht politische Justiz üben lässt. Noch im vergangenen Sommer polarisierte sich die europäische Öffentlichkeit an der zunehmenden Kriminalisierung von SeenotretterInnen, denen ebenso der Vorwurf der Beihilfe sogenannter illegaler Migration gemacht wurde. Die EU-Mitgliedstaaten, allen voran Italien und Malta, schienen dabei den Wandel vom Modus der bewussten Tatenlosigkeit über zur aktiven Verteidigung der tödlichsten Grenze des Erdballs anzustreben. Was schon damals verquer und perfide genug war, wird nun auf die Geflüchteten selbst ausgeweitet. Eine ungefähre Vorstellung der schwindelerregenden Höhe der Abstraktion (oder doch nur der Absurdität?) bekommt man angesichts der Anmerkung des vorsitzenden Richters, der Angeklagte Geflüchtete sei „Täter und Opfer zugleich“.