Prüfungsgebühren für RechtsreferendarInnen rechtswidrig
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin hat in seiner Entscheidung vom 16. April 2002 die Erhebung von Prüfungsgebühren für RechtsreferendarInnen im Beamtenverhältnis für rechtswidrig erklärt.
Ein Referendar hatte zunächst vor dem Verwaltungsgericht gegen die Erhebung der 1.000 DM (inzwischen 511 €) Prüfungsgebühren für die Abnahme der zweiten juristischen Staatsprüfung Klage erhoben. Diese wurde als unbegründet abgewiesen, worauf sich der Kläger nun mit Erfolg an das OVG wandte. Das Land Berlin hat allerdings Revision beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt.
In seiner Begründung erklärte das OVG, dass die landesrechtliche Erhebung von Prüfungsgebühren mit dem bundesrechtlichen Grundsatz der Unentgeltlichkeit der Ausbildung unvereinbar sei, wenn es sich um BeamtInnen auf Widerruf handele. Da RechtsreferendarInnen in Berlin diesen Status einnähmen, hätten sie während des Vorbereitungsdienstes einen Anspruch auf unentgeltliche Ausbildung. Dies schließe die Kostenfreiheit der Prüfung ein. Mit der Prüfungsgebühr führten die ReferendarInnen aber einen Teil ihrer Besoldung wieder dem Landeshaushalt zu – obwohl die Anwärterbezüge auch für die Prüfungszeit gewährt würden und in diesem Zeitraum dem Bestreiten des Lebensunterhalts dienen sollten.
Das heißt: Solange Berlin die Form des Beamtenverhältnisses auf Widerruf beibehält, können keine Prüfungsgebühren verlangt werden. Es bleibt demnach nur zu hoffen, dass Berlin nicht aufgrund seiner desolaten wirtschaftlichen Lage dem Weg anderer Bundesländer folgt und Landesausgaben auf Kosten von RechtsreferendarInnen einspart, indem es ReferendarInnen nur noch als Angestellte einstellt. Die für die aktuelle Entscheidung maßgeblichen Gründe würden dann nicht mehr greifen, womit Prüfungsgebühren wahrscheinlich rechtmäßig wären.
Astrid Kalkbrenner, Berlin.
Urteil im Internet:
http://www.berlin.de/SenJust/Gerichte/OVG/4b14_99.html.
Deutscher Minderheitenselbstschutz
Unter Hitlers letzten Opfern waren wohl zunächst einmal einige seiner besten Freunde. 1935 konnte die „Sudetendeutsche Partei“ unter Führung des Nationalsozialisten Konrad Henlein 60 Prozent der sudetendeutschen WählerInnen hinter sich vereinen, in den 1938 stattfindenden letzten freien Kommunalwahlen waren es zwischen 80 und 90 Prozent. Zwischenzeitlich hatte Henlein in enger Abstimmung mit den Naziführern in Berlin eine Kampagne für die „gequälte, von Völkermord und Vertreibung bedrohte deutsche Minderheit“ initiiert, an deren Ende die CSR unter Präsident Edvard Benes das Münchener Abkommen unterzeichnen und das sogenannte Sudetenland an Deutschland abtreten musste. Aus dem nunmehr als NS-Mustergau geführten Sudetenland flohen über 25.000 Jüdinnen und Juden, ihr Eigentum wurde umgehend „arisiert“. Die verbleibenden 400.000 Menschen tschechischer Herkunft wurden in der Folge politisch und kulturell entrechtet und zur Zwangsarbeit verpflichtet. In dem späteren Eroberungs- und Vernichtungskrieg der Deutschen wurde auch die restliche CSR ausgelöscht. Über 250.000 ihrer jüdischen Staatsangehörigen wurden Opfer der Shoa.
Heute leben die Sudetendeutschen in Österreich und vor allem in Bayern, wo sie liebevoll als vierter Stamm bezeichnet werden und jedes Jahr mit breiter politischer Anteilnahme ein volkstümliches Fest feiern können. Unterstützt von ihren juristischen VetreterInnen reden sie weiterhin von Völkermord, und meinen immer noch sich und den an ihnen begangenen Tatbestand des Artikel II (c) der Völkermordkonvention von 1948, also der vorsätzlichen Auferlegung von Lebensbedingungen für eine Gruppe, die geeignet sind, deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen. So soll die damalige Ausweisung und Enteignung der Sudetendeutschen durch die sogenannten Benes-Dekrete der tschechoslowakischen Regierung gegen jenes zwingende Völkerrecht verstoßen haben. Die Bundesrepublik Deutschland sei daher verpflichtet, die Resultate als nichtig anzusehen und auf die Wiederherstellung der ursprünglichen Verhältnisse zu drängen. Wahrscheinlich vermag diese geschichtslose und juristisch obskure Überzeugung der Sudetendeutschen so manche politische Stellungnahme erklären, die in letzter Zeit dafür eintrat, der Tschechischen Republik den Beitritt zur Europäischen Union zu verwähren. An den Dekreten selbst dürfte es nicht liegen. Denn sie entwickeln nach Ansicht mehrer Rechtsgutachten heute keine rechtsgestaltende Wirkung mehr und dürfen ohnehin nicht den für die heimatverbundenen Sudetendeutschen interessanten Freiheitsrechten des Europäischen Gemeinschaftsvertrages wie die auf Niederlassung, Dienstleistung oder Mobilität entgegenstehen.
Stephen Rehmke
Unerbittlichter Behördenfeldzug gegen KurdInnen aus dem Libanon
Asylmissbrauch und Sozialhilfebetrug wird ihnen vorgeworfen und damit das Betreiben ihrer Abschiebung begründet. Doch wer sind „sie“? Das ist die alles entscheidende Frage.
Nach Ansicht der Behörden handelt es sich bei den mehreren tausend von Abschiebung bedrohten Menschen um TürkInnen und nicht, wie von den Betroffenen geltend gemacht, um staatenlose libanesische KurdInnen, die auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg im Libanon in den 80er Jahren in Deutschland rechtmäßig Zuflucht fanden. Die Behörden stützen sich auf sichergestellte türkische Pässe und türkische Personenstandsregister. Doch auch die Innenbehörden der Länder wissen um die komplizierten Fluchtgeschichten der Betroffenen.
Sie gehören einer arabischstämmigen Minderheit an, deren Vorfahren in der Türkei gelebt haben und seit den 20er Jahren in den Libanon ausgewandert sind. Dort waren sie nicht registriert, hatten keine Bürgerrechte und daher auch keine Pässe. Auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg benutzten viele die Türkei als Transitland und beschafften sich dort türkische Dokumente, um überhaupt nach Deutschland zu kommen. Die als Beweis angeführten türkischen Melderegister werden über Jahrzehnte ohne Zutun und ohne Kenntnis der Betroffenen fortgeschrieben, selbst wenn die Personen schon vor 1930 aus der Türkei ausgewandert sind.
Mittlerweile leben viele der kurdisch-libanesischen Familien seit mehr als 15 Jahren in Deutschland und sind dort in Schule, Arbeit und Freundeskreis integriert. Doch seit zwei Jahren leben sie in einem traumatischen Ausnahmezustand. Aufenthaltstitel und Arbeitserlaubnisse wurden ihnen entzogen, Duldungen werden oft nur jeweils um zwei Wochen verlängert. Ihnen droht die Abschiebung in ein fremdes Land, in dem sie vor dem Nichts stünden. Der Großteil der Menschen, die abgeschoben werden sollen, sind Kinder und Jugendliche, die meisten von ihnen in Deutschland geboren und aufgewachsen.
Nach der bisherigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte müssen sich selbst minderjährige Kinder die „Passvergehen“ ihrer Eltern zurechnen lassen. Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat nun in einem Fall entschieden, dass Kinder von mit türkischen Papieren eingereisten KurdInnen aus dem Libanon unter bestimmten Voraussetzungen nicht unbedingt mit einer Ausweisung büßen müssen. Bisher hatten sich die Behörden auch in eindeutigen Härtefällen stets darauf berufen, dass ihnen aufgrund der eindeutigen Rechtslage die Hände gebunden seien.
Es ist nicht auszuschließen, dass es Fälle gibt, in denen eine kurdisch-libanesische Herkunft nur vorgetäuscht wurde. Jedoch darf dies nicht pauschal über das Schicksal bisher rechtmäßig in Deutschland lebender Menschen entscheiden. Es gilt, die komplexe Fluchtgeschichte zu berücksichtigen und die Ermessensspielräume grundsätzlich zu Gunsten der Betroffenen auszulegen.
Karin Günther, Göttingen.
Späte Ehre – NS-Urteile gegen Wehrmachtsdeserteure und Homosexuelle aufgehoben
Besser spät als nie: Im Mai hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, mit dem Urteile aufgehoben werden , die in der NS-Zeit gegen Wehrmachtsangehörige wegen Desertion, Fahnenflucht und „Wehrkraftzersetzung“ sowie gegen Homosexuelle aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung ergangen sind. Damit schloss der Bundestag mehr als ein halbes Jahrhundert nach Ende des zweiten Weltkrieges eine Lücke im Gesetz zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen. Gleichzeitig gab er eine Ehrenerklärung für die Betroffenen ab. Das besondere hieran ist, dass sämtliche Urteile pauschal aufgehoben wurden. Damit wird das bisher geltende Prinzip der Einzelfallprüfung aufgegeben, bei der die Beweislast, dass eine Person zu Unrecht verurteilt worden ist, bei ihr selbst lag, was von den Opfern immer wieder als Verhöhnung und Missachtung des erlittenen Unrechts beklagt worden war.
Das Gesetz wurde mit den Stimmen von SPD, Bündnis90/Grüne und PDS verabschiedet. FDP und CDU stimmten dagegen. Dies wurde unter anderem damit begründet, dass Desertion auch in demokratischen Staaten verboten ist. Zusätzlich gaben die beiden Parteien noch weitere Stellungnahmen ab: Während ein Sprecher der FDP sich lediglich von „Aktionismus und Symbolik“ irritiert sah, kämpfte die Union ein weiteres mal gegen Nestbeschmutzung. Sie widersetzte sich einer „Verklärung der Fahnenflucht“ und beklagte, dass die Pauschalisierung verschiedene Gefahren in sich berge. Erstens könnten auch mögliche Kriminelle rehabilitiert werden. Zweitens werde neues Unrecht geschaffen, da sich nun Soldaten, die bis zum Ende des Krieges bei der Wehrmacht geblieben seien, pauschal an den Pranger gestellt fühlen müssten. Was ausgerechnet bei einer ganz normalen Armee, in der, wie wir alle wissen, jeder nur seine Pflicht getan hat, mehr als empörend ist.
Grundsätzlich ist der Beschluss zu begrüßen, doch bleiben Fragen offen. Einerseits hat sich der Bundestag nicht zur bis 1969 anhaltenden Strafverfolgung von Homosexuellen geäußert, die im Strafmaß weniger drakonisch gewesen sein mag, im Kern jedoch dieselbe „Straftat“ betraf. Zusätzlich betonen Überlebende beider Opfergruppen, dass für sie zwar ein Traum in Erfüllung gegangen sei – gleichzeitig beklagen sie jedoch zu Recht, dass dies so lange gedauert hat, dass fast alle ihre Leidensgenossen vorbestraft gestorben sind.
Tillmann Löhr, Göttingen
EGMR-Entscheidung zur Sterbehilfe
Am 29. 4. 2002 äußerte sich der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) mit dem Urteil im Fall Diane Pretty gegen England erstmals zum Thema Sterbehilfe. Die 43jährige Frau ist infolge einer Erkrankung des Nervensystems vom Kopf an abwärts gelähmt und hat mit einem Tod durch Ersticken und Lungenentzündung zu rechnen, den sie als würdelos empfindet. Ein in England nicht strafbewehrter Selbstmord ist ihr jedoch nicht möglich, sie bedürfte der Hilfe ihres Mannes, dem dann wegen Mithilfe beim Selbstmord bis zu 14 Jahre Freiheitsstrafe drohten. Nach Ablehnung ihres vorsorglichen Antrags an die nationale Anklagebehörde, im Falle eines Tätigwerdens ihres Mannes von der Strafverfolgung abzusehen, reichte sie Beschwerde beim EGMR ein. Unter anderem machte sie geltend, dass sich aus Art. 2 (Recht auf Leben) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) die Freiheit des Individuums ableiten lasse, über das Weiterleben oder Sterben zu entscheiden. Infolgedessen bestehe eine Verpflichtung des Staates, die Ausübung dieses Rechtes zum Sterben im nationalen Recht zu ermöglichen. Der EGMR wies die Beschwerde in allen Punkten zurück. Er wandte ein, dass aus Art. 2 EMRK „kein Grundrecht auf den Tod, weder von privater Hand noch mit der Hilfe einer öffentlichen Behörde abgeleitet werden könne“. Dies gelte auch für einen Anspruch auf „Selbstbestimmung“ bezüglich des Todeszeitpunktes. Daher könne niemand vom Staat fordern, seinen Tod zu erlauben oder zu erleichtern. Der EGMR hält zudem ein generelles Verbot der Sterbehilfe dann nicht für unverhältnismäßig, wenn flexible Behandlung in Einzelfällen möglich ist. Er wies diesbezüglich darauf hin, dass die britische Justiz dem Ehemann zwar für den Fall, dass er gegen das Sterbehilfe-Verbot verstoße, keine Straffreiheit zusichere, sie aber nicht gehindert sei, in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob eine Strafverfolgung „im öffentlichen Interesse“ liege.
Ohne ihr Bedeutung abzusprechen, ist diese Entscheidung allerdings kein Grundsatzurteil zur Sterbehilfe im Allgemeinen. Der EGMR hat sich hier mit der Frage einer Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung von Straffreiheit im Falle von Teilnahme am Selbstmord befasst. Davon unterscheidet sich die Problematik der Berechtigung des Staates, liberalere Regelungen zur aktiven Sterbehilfe im Sinne einer Tötung auf Verlangen zu treffen, hinsichtlich derer sich der EMGR nicht festgelegt hat. Dazu wird er Stellung beziehen müssen – hoffentlich frei von abstrakten Weltanschauungskämpfen – falls gegen das zuletzt in Belgien verabschiedete Euthanasie-Gesetz Klage eingereicht wird, das die aktive Sterbehilfe nicht nur in medizinisch ausweglosen Situationen, sondern unter strengen Auflagen in bestimmten Fällen auch weit vor dem natürlichen Todeszeitpunkt zulässt.
Irini Kiriakaki, LL.M., Freiburg
(Vorerst) kein Untreue-Verfahren gegen Manfred Kanther
Ein kleiner Trost bleibt: Zumindest politisch hatten die Schwarzgeldschiebereien von Kanther & Co. Konsequenzen. Der ehemalige Bundesinnenminister Manfred Kanther musste sein Bundestagsmandat niederlegen.
Mit den möglichen strafrechtlichen Konsequenzen seines Handelns befasste sich das Landgericht Wiesbaden in seinem Beschluss vom 25. März 2002. Die RichterInnen lehnten die Eröffnung der Hauptverhandlung wegen Untreue zu Lasten der CDU ab. Sie sahen keinen hinreichenden Tatverdacht, zudem sei bereits Verjährung eingetreten.
1983 hatten Kanther, der frühere CDU-Schatzmeister Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein und der Finanzberater Horst Weyrauch fast 21 Millionen Mark aus dem Vermögen der CDU in die Schweiz und nach Liechtenstein geschafft. Diese Summe war dadurch dem Zugriff der Parteispitze entzogen – dies war der Anknüpfungspunkt für den Untreuevorwurf. Das Gericht argumentiert hingegen, da die Parteiführung schon vor 1983 von dem auf Geheimkonten lagerndem Geld nichts wusste, habe sich durch den Transfer die Zugriffsmöglichkeit nicht wesentlich verschlechtert. Die Gelder wurden gewinnbringend angelegt und, teils als Vermächtnisse jüdischer Bürger getarnt, wieder nach Deutschland gebracht.
Alles nicht strafbar? Nun, Hinweise auf strafbares Verhalten sieht das Gericht dann doch, denn eine Frage konnte bisher nicht geklärt werden: Woher stammen die 21 Millionen Mark? Während vielfach vermutet wird, es handle sich um das Restvermögen der „Staatsbürgerlichen Vereinigung“, hält es das Gericht zumindest für möglich, dass der „ungewöhnlich hohe Vermögenszuwachs“ aus illegalen Quellen stammt. Dieser Frage konnte es aber nicht nachgehen, da sie von der Anklage nicht umfasst war.
Und so ist auch der ganze Beschluss vom Bemühen durchzogen, jenen hinreichenden Tatverdacht nicht aufkommen zu lassen, der Voraussetzung für die Eröffnung der Hauptverhandlung ist: Wo noch Dunkel herrscht im Dickicht des Schwarzgeldes, wird kurzerhand – in dubio pro reo- die für die Beschuldigten günstigste Variante des tatsächlichen Geschehens angenommen, und ebenso bei der rechtlichen Würdigung.
Es bleibt festzuhalten, dass Kanther, wenn schon nicht auf der Anklagebank, so doch vor dem Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags Platz nehmen wird. Bisher hatte er eine Vernehmung unter Hinweis auf das laufende Verfahren zu vermeiden gewusst. Sollte das von der Staatsanwaltschaft angerufene OLG Frankfurt den Beschluss des Landgerichts bestätigen, entfiele dieser Grund für eine Aussageverweigerung.
Maximilian Warntjen, Freiburg
Quelle: www.jurawelt.com/gerichtsurteile/strafrecht/LG/4555>