Kein Berufsstand ist nach der Kapitulation des Deutschen Reiches und der darauf folgenden „Entnazifizierung“ durch die alliierten Militärbehörden so gut weggekommen wie die Rechtswissenschaft.
Das Rechtswesen arbeitete nach einer kurzen und schmerzlosen Entnazifizierungsunterbrechung wie gewohnt weiter. Allein in Bayern waren nach einem Bericht des amerikanischen Landeskommissars von Bayern an den Hochkommissar McCloy 1949 von 924 Richtern und Staatsanwälten genau 752, also 81%, ehemalige Nazis.
Aber auch an den juristischen Fakultäten änderte sich wenig. Bis 1935 wurden 60 % der Lehrstühle neu besetzt. Mehr als die Hälfte der Professorenschaft hatte also im Dritten Reich ihre Karriere begonnen. Erwartungsgemäß wehrte sich diese vehement gegen jeden Eingriff der Alliierten. So konnten diejenigen, die in den dreißiger und vierziger Jahren die herrschende Meinung prägten, dies noch ungestört in den Fünfzigern tun. Dafür gibt es einige Beispiele, die auch heute noch gut bekannt sein dürften:
Otto Palandt
Ist der Namensgeber des grauen BGB-Kommentars mit den unsäglich vielen Abkürzungen, der allen StudienanfängerInnen früher oder später in die Hände fällt. Otto Palandt steuerte außer seinem Namen nur das Vorwort und die Einleitung zum Kommentar bei. Der begeisterte Nationalsozialist erhielt 1934 den einflussreichen Posten des Präsidenten des Reichsjustizprüfungsamtes. Der Beck-Verlag, der 1933 die Kurzkommentar-Reihe aus den Händen des jüdischen Verlages Liebmann kaufte, hatte sich Palandt als Namensgeber ausgesucht, weil er sich dadurch eine bessere Vermarktung versprach. Palandts Ziel war es, das nationalsozialistische Gedankengut hinreichend in die bestehende Rechtsordnung einfließen zu lassen. Das hat er durch Kommentierungen verschiedener Gesetzestexte getan. Wichtig war ihm die „ernsthafte Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und seinen weltanschaulichen Grundlagen, mit dem Gedanken der Verbindung von Blut und Boden, von Rasse und Volkstum“ im rechtswissenschaftlichen Studium. Die „völkischen Grundlagen des neuen Staates, seine Geschichte und Weltanschauung“ wurden dem Prüfungsstoff des ersten juristischen Staatsexamens einverleibt. Nennenswert ist auch Palandts Haltung gegenüber Frauen in juristischen Berufen: Unter seiner Präsidentschaft erging das Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung. Danach sollten Frauen als Anwältinnen nicht mehr zugelassen werden, weil das einen „Einbruch in den altgeheiligten Grundsatz der Männlichkeit des Staates“ darstelle. Das Vorhaben des Beck-Verlags, den Kommentar durch Palandt als Herausgeber besser zu vermarkten, scheint bis heute gelungen zu sein.
Theodor Maunz
Der „Maunz-Dürig“, vielen bekannt als das Standardwerk der Grundgesetz-Kommentierung, lässt sich auf den Staats- und Verwaltungsrechtler Theodor Maunz zurückführen. Ab 1932 war er Privatdozent der Juristischen Fakultät an der Universität München für Deutsches Reich-, Landesstaats- und Verwaltungsrecht. 1934 wurde er zum außerordentlichen Professor an die Universität Freiburg berufen. Dort lehrte er bis 1945 und beschäftigte sich vorwiegend mit der rechtlichen Stellung der Polizei im „Dritten Reich“ bzw. versuchte das Regime beispielsweise durch folgenden Text zu legitimieren: „Es ist die Gründung des polizeilichen Wirkens auf den Willen der im Rahmen der völkischen Ordnung handelnden Reichsführung. (…) Was mit anderen Worten der Führer (…) in Form von Rechtsgeboten der Polizei an Aufträgen zuweist, bildet die Rechtsgrundlage der Polizei. Die Zuweisung kann im förmlichen Gesetzgebungsverfahren erfolgen. (…) Sie kann aber auch ergehen im Wege der Einzelweisung oder auch der Einzelbilligung. Dieses System hat (…) den alten Gesetzmäßigkeitsgrundsatz ersetzt, seitdem an die Stelle des alten Gesetzes der Wille des Führers getreten ist.“
Solche Äußerungen hinderten ihn jedoch nicht, 1948 für Südbaden am Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee teilzunehmen. Von 1952 bis zu seiner Emeritierung hatte Maunz wieder eine Professur für Öffentliches Recht an der Münchener Universität inne. Ab 1957 war das CSU-Mitglied bayerischer Kultusminister. Nachdem aber einige Texte aus seiner Zeit vor 1945 bekannt wurden, musste er 1964 seinen Rücktritt erklären. Nach seinem Tod im Jahre 1993 stellte sich heraus, dass Maunz der rechtsradikalen DVU juristischen und parteitaktischen Rat erteilt und in der rechtsextremistischen „Nationalzeitung“ unter einem Pseudonym Artikel veröffentlicht hatte.
Karl Larenz
Seit 1933 lehrte Larenz an der Universität Kiel am Lehrstuhl von Gerhart Husserl. Zunächst vertrat er ihn, nach dessen Verjagung 1935 nahm er seine Position als Lehrstuhlinhaber ein. Larenz zählte zu einer Gruppe jüngerer Professoren, die sich die Kieler Schule nannten. Sie verstanden sich als Vordenker der nationalsozialistischen Rechtserneuerung. In seinen Werken war Larenz bestrebt, die Rechtsordnung ganz im nationalistischen Sinne auszulegen. Er schlug etwa vor, die grundlegende Vorschrift des § 1 Bürgerlichen Gesetzbuchs, wonach jeder Mensch rechtsfähig ist, wie folgt zu ändern: „Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist.“ Nach Kriegsende wurde ihm aufgrund seines Wirkens im Nationalsozialismus zunächst ein Lehrverbot auferlegt, dieses wurde jedoch 1949 aufgehoben, so dass er wieder an der Universität Kiel lehren konnte. 1960 wurde Larenz an die Universität München berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung blieb. Insbesondere mit seinen Lehrbüchern zur Methodenlehre, zum Schuldrecht und zum allgemeinen Teil des bürgerlichen Gesetzbuchs – allesamt bis heute wissenschaftliche Standardwerke – hat er die Rechtswissenschaft in der BRD stark beeinflusst.
Edmund Mezger
Mezger, Professor für Strafrecht in München, war einer der bedeutendsten Strafrechtler des „Dritten Reichs“. Während der Strafrechtslehrertagung im Jahre 1935 definierte er rechtswidriges Handeln als „Handeln gegen die deutsche nationalsozialistische Weltanschauung“. 1944 forderte er „rassehygienische Maßnahmen zur Ausrottung krimineller Stämme“ und die „Ausmerzung volks- und rasseschädlicher Teile der Bevölkerung“. 1948 erhielt Mezger seinen drei Jahre zuvor verlorenen Lehrstuhl wieder zurück und war von 1954-59 sogar Mitglied der Großen Strafrechtsreformkommission des Bundesjustizministers. Seine Lehrbücher zum Allgemeinen und Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs waren in den fünfziger und sechziger Jahren Standardwerke der Juristenausbildung.
Diese Beispiele können die personelle und inhaltliche Kontinuität zwischen NS und BRD sehr gut veranschaulichen. Die Behauptung, die deutsche Justiz habe nur die Gesetze befolgt, und dazu sei sie von den demokratischen Rechtslehren der Weimarer Republik erzogen worden, kann nicht stimmen. Vielmehr zeigen diese Beispiele die kaugummiartige Flexibilität des Rechtsmaterials und die vorauseilende Bereitwilligkeit deutscher Juristen in Wissenschaft und Praxis, die größtenteils unverändert gebliebenen Gesetzestexte im Sinne der neuen nationalsozialistischen Politik auszulegen. Nicht die Gesetzgebung, sondern die theoretische und praktische Rechtsanwendung hat zu dem geführt, was wir heute unter NS-Justiz verstehen.