Was sollen, können und dürfen Linke als Anwält_innen tun? Was sind die Grenzen linker Rechtspraxis? Darüber entbrannte 2013 Streit, als eine Freiburger Anwältin mit links-liberaler Verortung einen Neo-Nazi verteidigte, der einen Antifa-Aktivisten verletzt hatte.1 Die Debatte über die Mandatswahl stellt zwar einen alten Hut dar, dies aber, weil sie immer wieder Anlass gibt, sich über Grundelemente linker Rechtspraxis und deren Gegenwartsbedeutung zu verständigen. Der Artikel möchte Basics linker Professionalität herausarbeiten: ein Wissen um den gesellschaftspolitischen Kontext von Rechtsstreitigkeiten, Handlungsmacht für Mandant_innen und Bündnisfähigkeit mit linken Bewegungen.
Argumente zur Mandatswahl: Emanzipation, Rechtsstaat und Verwechslungen
Der Freiburger Fall sorgte für Debatten zwischen Jurist_innen, Bewegungsaktivist_innen und Parteipolitiker_innen. Dieser seltene Austausch zeigt etwas Positives: einen übergreifenden Diskussionsrahmen für linke Rechtspraxis. Ohne einen solchen kann Rechtspraxis nicht sinnvoll gesellschaftspolitisch wirken. Die konkrete Frage trifft den Kern linker Anwaltstätigkeit, nämlich die Wahl des Mandats. Keine andere Frage – z.B. nach der Arbeitsweise – nimmt ähnlich relevanten Raum ein, als die: Wen vertrete ich? Sie wird anhand von Machtverhältnissen beantwortet.2 Dieser Fokus erscheint simpel, ergibt in Zeiten schwacher politischer Bewegungen aber Sinn. Denn Recht ist eine Machttechnik und kommt der Mandant_in zugute. Der Ausschluss von Nazi-Mandaten stellte dabei bisher eine Art Minimalkonsens dar: Wer hat es mit Sicherheit nicht verdient, die engagierte, qualitativ hochwertige und finanziell fair bemessene Tätigkeit linker Anwält_innen zu nutzen? Gewalttätige Nazis. Hinter der Wahl steckt die Logik, dass die Unterstützung unterprivilegierter und/oder politisch aktiver Mandant_innen langfristig Veränderungen in der Gesellschaft bewirkt. Solche innovativen Ziele sind für linke Rechtspraxis schon begrifflich notwendig, denn progressive Rechtspraxis muss über den gesellschaftlichen status quo hinausgehen.
Von der Linie, keine Nazis zu verteidigen, wurde nun abgewichen, mit dem Argument, im Rechtsstaat habe jede_r das Recht auf Verteidigung. Letzteres ist natürlich richtig, und linke Anwält_innen waren in den 1970ern diejenigen, die dieses Recht in den RAF-, 2.Juni- usw. -Verfahren durchsetzten. Trotzdem geht das Argument fehl, denn dieses Recht ist mittlerweile gefestigt, auch bei Anklagen gegen Nazis. Diese Verfahren bieten oft interessante fachliche Herausforderungen und interessieren Teile der versierten, der rechten Szene unverdächtigen Anwaltschaft. Daher ist auch die Sorge, nur Nazi-Anwält_innen würden Nazis verteidigen,3 üblicherweise unbegründet – so auch in Freiburg.
Hier zeigt sich eine erste Verwechslung: Das Recht der Angeklagten auf Verteidigung wird mit einem Recht auf eine bestimmte Verteidigerin gleichgesetzt. Ein solches Recht gibt es nicht. Aus dem an den Staat gerichteten Recht auf Verteidigung folgt nichts für die Mandatswahl. Mit dem historischen Erfolg gerade linker Anwaltstätigkeit, eine starke Verteidigung etabliert zu haben, kann angesichts veränderter Bedingungen keine Mandatsübernahme mehr begründet werden. Die Ambivalenz vergangener Erfolge wurde für die Rechtswissenschaft beschrieben: „Die Konturlosigkeit kritischer Rechtswissenschaft heute kann als Resultat ihrer Erfolge interpretiert werden – und zugleich als Produkt der Unschärfe und Begrenztheit ihrer konsentierten programmatischen Ziele.“4 Für kritische Rechtspraxis gilt dies ebenso: Sie darf sich nicht auf gesetzlich verankerte Inhalte beschränken, sondern muss weiter blicken und Veränderungen ermöglichen. Dafür müssen neben den Verhältnissen Individuum-Staat bzw. Individuum-Kapital weitere gesellschaftliche Machtverhältnisse reflektiert werden.
Ohne eine solche inhaltliche Orientierung bleibt nur die beliebige Frage der Kompetenz, mit der auch die Freiburger Anwältin5 apolitisch argumentiert hat: „Auch in einem Nazi kann ich den Menschen sehen und nicht nur ein Monster.“6 „Ich bin zu diesem Spagat [zwischen privater Meinung und Mandatsbearbeitung] fähig.“7 Hier taucht eine zweite grundlegende Verwechslung auf: Aus einem Können wird auf ein Sollengeschlossen – als ob es notwendig sei, alles zu tun, was mensch kann. Damit würde sich Politik erübrigen. Im Gegenteil erfordert Politik Entscheidungen, basierend auf der Frage nach den Resultaten von Handlungen. Die Ablehnung von Nazi-Mandaten ergibt sich also weder aus einem individuellen Gewissen noch aus traditionsorientierter Identität. Ebensowenig folgt sie aus dem Brutalitätsgrad des angeklagten Verhaltens. Eine so unterkomplexe Begründung unterstellt die Freiburger Anwältin, wenn sie ihr Verhalten erklärt: „Ich habe mich auch schon für Straftäter eingesetzt, die schrecklichere Verbrechen begangen haben […], und auch da habe ich immer noch den Menschen gesehen.“8 Ob mensch subjektiv Empathie mit der Mandant_in empfindet, ist nicht ausschlaggebend, denn das macht einen Fall noch nicht zu einem sinnvollen Mandat. Linke, emanzipatorische Politik hat viel mit Humanismus bzw. Nächstenliebe gemeinsam, lässt sich aber nicht darauf reduzieren. Eine linke Mandatsentscheidung benötigt vielmehr eine gesellschaftspolitische Analyse, wo die Arbeitskraft in die richtige Richtung ginge. Und ein Nazi-Mandat ist auch dann kontraprodutkiv, wenn es nur die Sachbeschädigung in Gestalt eines Nazi-Aufklebers betrifft, denn auch damit würde das gesellschaftliche Machtverhältnis des Rassismus unterstützt.
Ansprüche an linke Rechtspraxis I: Kontextbewusstsein
Das Recht auf Verteidigung kann für linke Rechtspraxis auch deshalb nicht entscheidend sein, weil es mehr gibt als Strafverteidigung – z.B. Mietrecht, Antidiskriminierungsrecht, Familienrecht, Nebenklage als strafprozessuale Vertretung von Tatbetroffenen. Entscheidend ist die Frage, wen linke Anwält_innen vertreten können, um damit positive gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Politische anwaltliche Professionalität besteht darin, dies mit Blick auf den gesamten gesellschaftlichen Kontext zu beantworten. Bei Verfahren wegen Nazigewalt gehört dazu, dass die Tat Auswirkungen auf den Tatverletzten hat, auf die Nazi-Szene, auf die Antifa, auf alltäglich rassistisch bedrohte Menschen – auch dann, wenn die Verteidigung „nicht so gemeint“ ist.
Dass das Prozessrecht die Zahl der einzubeziehenden Betroffenen begrenzt, ist logisch. Ebenso logisch ist es, dass eine linke Analyse nicht bei dieser Bewertung stehenbleiben darf. Sie muss das unterkomplexe Bild von Strafverfolgung als Kampf eines anklagenden Goliath gegen einen beschuldigten David ergänzen um eine Analyse der unmittelbar Tatbetroffenen – die selbst vom Gesetz schon gesehen werden – und der gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die sich in einer Tat ausdrücken. Im Ausländerrecht, im Mietrecht usw. ist eine progressive Stoßrichtung oft automatisch gegeben, in der Strafverteidigung jedoch nicht immer. Z.B. kann bei rassistischer oder sexistischer Gewalt das jeweilige Machtverhältnis gerade durch die Feststellung des geschehenen Unrechts bekämpft werden, sodass die Nebenklage sinnvoll ist. Linke Jurist_innen haben diese Komplexität in der Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt allmählich erkannt: Viele linke Strafrechtler_innen verteidigen nicht in diesen Fällen. Bei Nazi-Gewalt gegen einen Antifa-Aktivisten ist es ebenfalls deutlich, dass neben dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch und dem Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren noch weitere Positionen involviert sind: das Interesse des Tatverletzten und seines gleichermaßen bedrohten politischen Umfelds an der Feststellung des geschehenen Unrechts. Weiterhin auch die Position von Betroffenen rassistischer Gewalt, denn die Existenz einer Nazi-Szene erzeugt Bedrohungen, die sich auch gegen sie richten. Bei einem Prozess wegen Nazi-Gewalt sich nicht diesen Betroffenen zuzuwenden, sondern den als Nazis bekannten Beschuldigten, ignoriert die gesellschaftliche Bedeutung von Rassismus.
Ansprüche II: Mandant_innen = Akteur_innen
Bei Anwaltstätigkeit als politischer Praxis geht es auch um eine begrenzte inhaltliche Identifikation mit den Mandant_innen. Sie stehen für ein politisches Anliegen, manchmal auch für eine politische Bewegung. In jedem Fall müssen sie als gesellschaftliche Akteur_innen verstanden und ihre gesellschaftlichen Einbindungen ernstgenommen werden. Ohne die Bereitschaft dazu kann keine emanzipatorische Kommunikation stattfinden. Links-anwaltliche Professionalität geht insofern über neutrale Professionalität hinaus und verlangt eine Klientelspezialisierung. Schon das Nachvollziehen von politischen und/oder unterprivilegierten Interessen erfordert Zeit und Aufmerksamkeit, noch mehr die adäquate Übersetzung in die Rechtssprache. Das verlangt eine Prioritätensetzung. Linke Aktivist_innen und gesellschaftlich marginalisierte Mandant_innen benötigen eine Rechtsvertretung, die auf ihre Inhalte spezialisiert ist und die praktische Situation kennt. Gerade wegen der Etabliertheit rechtsstaatlicher Positionen können Bewegungsmandant_innen und gesellschaftlich marginalisierte Mandant_innen mehr erwarten als eine apolitisch-professionelle Vertretung, die in allen Mandant_innen nur „den Menschen“ und damit das Individuum sieht.
Eine Entscheidung von Fall zu Fall stellt deshalb keine Lösung dar. Emanzipatorisch müssen Mandant_innen als solidaritätswerte gesellschaftliche Akteur_innen vertreten werden, als Menschen in kollektiven Handlungszusammenhängen. Eine anwaltliche Einstellung á la: „Gestern habe ich einen Nazi verteidigt. Heute vertrete ich auch gerne wieder die linke Antifa-Aktivistin. Dass die sich nicht mögen, ist egal.“ würde gerade das Gegenteil tun, indem sie politische Kollektive ignoriert und sich auf den individuellen Konflikt beschränkt. Faktisch funktioniert es auch nicht: Wer Nazis vertritt, weiß, dass er_sie nicht mehr von den Betroffenen von Nazi-Gewalt mandatiert werden wird und für diese Personenkreise also nicht mehr zur Verfügung steht.
Ansprüche III: Bündnisfähigkeit
Die Mandatsübernahme beeinflusst auch die anwaltliche Möglichkeit, mit linken Gruppen Bündnisse einzugehen. Nazi-Gewalt richtet sich gegen mehrere gesellschaftspolitische Bewegungen – Antifa, migrantische und queere Bewegungen. Diese haben kein Interesse daran, mit Anwält_innen zusammenzuarbeiten, die auch für ihre Gegner_innen arbeiten. Die Akzeptanz eines Nazi-Mandats stellt also eine faktische Absage an Bündnisse mit diesen zentralen Akteur_innen linker Politik dar und damit auch eine Absage an zentrale linke Inhalte – unabhängig von der anwaltlichen Intention und über die Strafverteidigung hinaus. Sich hier anwaltlich zu isolieren, ist eine gewagte Entscheidung. Wenn alle Anwält_innen mit linkem Selbstverständnis ohne Rücksicht auf Bündnisse arbeiten würden, gäbe es keine tragfähige Vernetzung zwischen linken Bewegungen und Anwält_innen, und viel gesellschaftliche Handlungsmacht ginge verloren. Dass es auch anders geht, zeigen einzelne Anwält_innen, die Strafverteidigung bei sexualisierter Gewalt pragmatisch ausschließen, weil sie auf die Kooperation mit den linksradikalen Gruppen nicht verzichten wollen, die die Ablehnung solcher Mandate zur Bedingung machen.9
Notwendige Reflexion: Ideensuche, ohne das Rad neu erfinden zu wollen
Zur Realisierung dieser Ansprüche braucht linke Rechtspraxis – wie jede politische Praxis – kollektive Bezugspunkte und Diskussionen. Seit der Verabschiedung vom „Hauptwiderspruch“ der Klasse und seit dem Erkennen vielfältiger Machtverhältnisse, wie Sexismus, Rassismus usw., ist die Welt vergleichsweise komplex geworden. Als Basis progressiver Rechtspraxis genügt es nicht, es sich auf dem links-juristischen Ersatz-Hauptwiderspruch „Immer gegen den Staat.“ gemütlich zu machen. Denn linke Jurist_innen benötigen inhaltlichen Input. Der Rechtsstaat stellt einen Erfolg dar, kann aber nicht die einzige Orientierung bilden, denn er enthält keine über den status quo hinausweisenden Inhalte. Faktisch hat sich die anwaltliche Distanz zu Basisewegungen, die mit der juristischen Ausbildung ohnehin angelegt ist, im Vergleich zur Situation in den 1970ern und 1980ern vergrößert, parallel zu einer Annäherung an staatliche Institutionen.10Angesichts der veränderten Bedeutung linker Bewegungen ist das normal und nicht per se verkehrt. Weil sie aber das Innovationspotenzial linker Rechtspraxis schmälern, müssen derartige Entwicklungen reflektiert werden. Wenn ein Bruch mit bisherigen links-anwaltlichen Strategien dagegen individuell und apolitisch betrieben wird, ist dies eine Hinwendung zum status quo und eine entschiedene Entpolitisierung. Für emanzipatorische Inhalte bleibt dann nicht viel übrig.
Stabile Bezüge zwischen linken Jurist_innen und Bewegungen sind also notwendig. Deren Themen dürfen sich nicht auf eigentlich Selbstverständliches wie die Ablehnung von Nazi-Mandaten beschränken; und es darf auch nicht um ein subkulturell-identitäres Reinheitsgefühl gehen. Vielmehr muss immer wieder nach gemeinsamen Analysen, Umsetzungsideen und Kooperationsmöglichkeiten gesucht werden. Als Minimalstandard muss die Mandatswahl als Kernfrage linker Rechtspraxis kollektiv reflektiert werden. Für die gemeinsame Positionierung ist auch ein Austausch zwischen den Generationen erforderlich, um Innovation mit Erfahrung zu verbinden und nicht immer das Rad neu erfinden zu müssen. Die Bedeutung von Bewegungen für emanzipatorische Handlungsfähigkeit ergibt sich gerade aus einer historischen Betrachtung: Sie liefern Ideen und inhaltliche Orientierungspunkte, wohin Entwicklungen gehen können. Damit wirkt Anwaltstätigkeit nicht nur rechtsstaatlich, sondern progressiv und überschreitet den status quo. Linke, emanzipatorische Rechtspraxis lebt vom Austausch mit Bewegungen. Und Bewegungen benötigen aufmerksame linke Jurist_innen.
1 Sachverhaltsschilderung u.a. in: Die linke Anwältin und der Neonazi, Legal Tribune Online vom 25.6.2012,http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/neonazi-mit-linker-anwaeltin-als-strafverteidigerin. Stand aller Links: 18.7.2012.
2 Müller, Professionelle Direkte Aktion. Linke Anwaltstätigkeit ohne kollektive Mandantschaft, in: KJ 4/1011, 448ff.
4 Bast, Jürgen/Brüchert, Oliver/Friedrich, Bettina/Herrmann, Danielle/Rödl, Florian, Kritische Rechtswissenschaft und Kritische Justiz, KJ 1999, 316
5 Dass es sich um eine Anwältin und nicht um einen Anwalt handelt, ist vielleicht nicht ganz irrelevant: Strafverteidigung ist auch in der Linken immer noch überwiegend dominant-männlich besetzt, sodass Traditionen eher von Verteidigerinnen aufgebrochen werden können.
10 Müller, Politics of the Waiting Room and Professional Direct Action: Cause Lawyering in Private Practice in Berlin, 2006, S. 63ff, http://www.iisj.net/iisj/de/politics-of-the-waiting-room-and-professional-direct-action-cause-lawyering-in-private-practice-in-berlin.asp?cod=4010&nombre=4010&nodo=1927&orden=True&sesion=1348 (28.10.2013)