„Von den sieben Jahren, die ich auf deutschen Universitäten zubrachte, vergeudete ich drei schöne blühende Lebensjahre durch das Studium der römischen Kasuistik, der Jurisprudenz, dieser illiberalsten Wissenschaft. Welch ein fürchterliches Buch ist das Korpus Juris, die Bibel des Egoismus!“[1]
Seit Heine dies erbittert ausrief, sind immer wieder gerade die geistreichen Juristinnen und Juristen an diesem Studium kläglich gescheitert, haben es gehasst und verflucht und waren manchmal gezwungen Lohn und Brot damit zu verdienen. „Juristerei ist Kopfarbeit“ frohlockt der Verlag Bloomberg auf einem Poster, beliebtes Schmuckstück vieler Studierzimmer, geziert mit einer Reihe bedeutender Köpfe. Warum nur, fragt man sich bei diesem Anblick, ist mir Tschaikowsky als Komponist ein Begriff – und nicht als Rechtswissenschaftler? Warum wurden Kandinsky und Matisse Maler? Wären sie als Anwälte nicht glücklicher gewesen? Franz Kafka, Gustave Flaubert, sicher war das Jurastudium eine wichtige Grundlage für ihr dichterisches Schaffen. Kafka: „Ich studierte also Jus. Das bedeutete, daß ich mich in den paar Monaten vor den Prüfungen unter reichlicher Mitnahme der Nerven geistig förmlich von Holzmehl nährte, das mir überdies schon von Tausenden Mäulern vorgekaut war“[2]. Flaubert: „Wie dem auch sei, ich scheiße auf die Rechtswissenschaften. Das ist mein ‚Delenda Carthago’ “[3]. Nun, es ist so: Die Juristerei ist langweilig, stumpfsinnig und trüb. Sie gleicht dem Zusammensetzen eines Tausendteilepuzzles, man braucht viel Zeit und wenig Geist.
Wozu also Jura studieren? Weil sich damit Geld verdienen lässt. Wer mit zwei Prädikatsexamina abschließt und vielleicht noch einen LL.M. drauf sattelt, kann in den entsprechenden Großkanzleien Einstiegsgehältern von mehr als 100.000 Euro entgegen sehen. In den Einzelkanzleien verdienen Anwält_innen immerhin noch durchschnittlich 45.000 Euro, jedenfalls in den alten Bundesländern. Als Beamt_innen im öffentlichen Dienst kann man zu Beginn etwa mit einer A13-Besoldung rechnen, das heißt mit ca. 37.000 Euro, dafür winken die Laufbahn und eine ordentliche Pension.[4] Kurz: Jura ist eine Berufsausbildung und nicht die aussichtsloseste. Aber, wie gesagt, sehr sehr langweilig.
Vermutlich ist das auch nicht die Antwort, die ihr erwartet habt. In der Tat, die Statistiken des Arbeitsamtes könnt ihr selber nachlesen. Nur leider: Einen anderen Grund gibt es nicht.
Nachdenken über Recht
Der Titel dieses Studienganges, Rechtswissenschaft, verleitet manchmal interessierte junge Menschen, Jura zu studieren, weil sie über Recht nachdenken wollen. Falko Behrens schildert in seinem Artikel „Welcome to the machine“[5] ausführlich, dass das Jurastudium solche Ansprüche nicht erfüllt. Natürlich kann man sich im örtlichen Lesekreis oder auf AStA-Veranstaltungen neben dem Studium weiterbilden. In der Tat verdient es das Rechtssystem aus gesellschaftspolitischer Perspektive einer gründlichen Kritik unterzogen zu werden. Dann kann man sich über so interessante wie abgehobene Fragen streiten: Sieht Marx das Recht in der Sphäre des „Überbaus“? Geht es mit Gramsci und Poulantzas um „Hegemonie“? Kann man die „Rechtsform“ wie die „Warenform“ analysieren, was Paschukanis versucht hat? Oder lassen sich diese Ansätze mit dem Hinweis auf Althusser, Laclau und die ohnehin „überdeterminierten“ Verhältnisse abschmettern?[6] Wer sich darüber streiten möchte, braucht allerdings nicht mit den Feinheiten des BGB vertraut sein und wähle zuallererst ein Studium, das ihm_ihr genug Zeit lässt, nach Herzenslust Marx und Engels sämtliche Werke zu wälzen. Die Rechtswissenschaft stellt überhaupt sehr wenige Fragen, die nicht solcher Art sind wie: „Was heißt Lebensgefährdung im Sinne des § 224 I Nr. 5 StGB?“, woraufhin man dann die beliebteste von zwei oder drei möglichen Antworten herleiert. Gut, werdet ihr sagen, da muss man durch. Und wir brauchen doch die „politischen Menschen“, die nicht „lediglich dem Zeitgeist“ folgen.[7] Vielleicht werdet ja gerade ihr eines Tages den ganz neuen, ganz kritischen Grundrechtekommentar auf den Markt werfen. Ja, der Kommentar, dieses glühende Beispiel juristischer Wissenschaftlichkeit. Foucault erklärt ihn in der „Ordnung des Diskurses“ so: „Er muß, (einem Paradox gehorchend, das er immer verschiebt, aber dem er niemals entrinnt) zum ersten Mal das sagen, was doch schon gesagt worden ist, und muß unablässig das wiederholen, was eigentlich niemals gesagt worden ist. Das unendliche Gewimmel der Kommentare ist vom Traum einer maskierten Wiederholung durchdrungen: an seinem Horizont steht vielleicht nur das, was an seinem Ausgangspunkt stand – das bloße Rezitieren.“[8] Wer eine progressive, politisch relevante Auseinandersetzung mit den bestehenden (Rechts-)Verhältnissen sucht, wird in den Regalen der juristischen Seminare jedenfalls nicht fündig.
Die Armen und die Schwachen
Viele dieser politischen Student_innen geben solche intellektuellen Ansprüche an das Jurastudium aber schon nach der ersten BGB-AT-Vorlesung auf. Sie quälen sich mit dem hehren Anspruch einer_s Philantrophin_en durch die Niederungen der universitären Ausbildung, um als Anwältin oder Anwalt für die Menschheit zu streiten. Ihr Fach betrachten sie nicht als Wissenschaft, sondern als Handwerk – und das wollen sie beherrschen, um es in politischen Kämpfen einzusetzen. Damit stellen sich zwei Fragen: Ist das Recht ein politisches Werkzeug? Und wenn ja, ist das ein Grund Jura zu studieren? Über die erste kann man sich ausführlich streiten, die zweite betrifft dagegen eine persönliche Entscheidung.
Die Frankfurter Politik- und Rechtswissenschaftlerin Sonja Buckel, sieht die „in der Rechtsform erreichten und materialisierten Rechte“ als „ ‚Waffen’ in gesellschaftlichen Konflikten (..), die auch den schwächeren Positionen zur Verfügung stehen“[9]. „Waffen“ also für emanzipatorische Kämpfe im hier und jetzt. Schwache Waffen, lässt sich einwenden. Weshalb die Gerichte über Fragen entscheiden lassen, die gesellschaftlich diskutiert und verfochten werden müssen? Weshalb den durch alle Fleischwölfe der Juristerei gedrehten Männern und Frauen in Roben die Macht zusprechen, das Ergebnis emanzipatorischer Politik zu rechtfertigen – oder zu verwerfen? Wer politische Zwecke mit juristischen Methoden durchsetzen will, muss auf juristischer Ebene agieren und argumentieren. Und begibt sich in die Gefahr so zu legitimieren, was sie oder er bekämpfen wollte. Wenn es erst mal um die Frage geht, wer Recht bekommt, wird schnell die politische Dimension unsichtbar, in der sich entscheidet, wer Recht hat.
Dennoch lässt sich nicht ganz abstreiten, dass Recht und Rechte in der bestehenden Gesellschaftsordnung eine enorme Rolle spielen. Jede und jeder ist dem Recht unterworfen, wird früher oder später mit Recht konfrontiert – und hat dabei das Gesetz mal für und mal gegen sich. Es gibt also durchaus konkrete und berechtigte Interessen, die vor Gericht verteidigt werden müssen. Dann sind Anwält_innen nötig, die diese Verteidigung übernehmen. Aber warum sollten das besonders politisch interessierte Menschen tun? Es genügt dafür eine einigermaßen freundliche, in ihrem Gebiet bewanderte Anwältin zu finden. Sie kann die Mieterhöhung verhindern, den Unterhalt durchsetzen, den Hausfriedensbruch verteidigen oder den Bußgeldbescheid anfechten. Man muss sie nur dafür bezahlen – übrigens unabhängig von ihrer jeweiligen Weltanschauung. Rechtsbeistand zu leisten ist eine Lohnarbeit wie jede andere. Hier stellt sich die zweite Frage, nämlich ob man einen Großteil seines Lebens damit zubringen möchte, anderen Menschen böse Briefe zu schreiben. Das sollte man besser nach persönlichem Interesse und nicht nach politischem Nutzen entscheiden. Ich habe es schon gesagt: Man kann mit Jura Geld verdienen, aber man sollte nicht glauben, auf diese Art Politik zu betreiben.
Macht was ihr wollt!
Für viele von euch ist es aber noch lange hin, bis die Frage der Berufswahl konkret wird. Vielleicht kann man bis dahin in Ruhe studieren. Vielleicht lernt man was Nettes, analytisch denken, den Gutachtenstil oder was ein Schatzfund ist. Möglicherweise muss man sogar Jura studiert haben, um zu wissen, dass man es nicht muss. Ich hoffe nicht. Seid schlauer. Brecht euer Studium ab. Lernt was Besseres. Baut Roboter und schafft Arbeit ab. Erfindet solarbetriebene Flugzeuge. Werdet Logistiker_innen oder Restaurateur_innen. Lest mehr Comics! Aber keine Gesetze. Wenn ihr es ganz einfach haben wollt, wählt einen Lehrgang zum/zur Pyrotechniker/in[10], nehmt an fünfundzwanzig Feuerwerken teil – und schon habt ihr einen fertigen Beruf! Man kann an dieser Stelle einwenden, dass ein anderes Studium wohl nur wenig politischer, ein anderer Beruf nicht subversiver ist als der juristische. Das stimmt. Aber alles andere macht mehr Spaß. Studiert was ihr wollt! Nur nicht Jura. Und nicht BWL.
[1] Heinrich Heine, Memoiren, in: Hans Schanze (Hrsg.), Heinrich Heine Werke, 1968, 534.
[2] Franz Kafka, Brief an den Vater v. 1919, in: ders., Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß, 1966, 151.
[3] Gustave Flaubert, Briefe, 1977, 33 f., „Delenda Carthago“ von Ceterum censeo Carthaginem delendam esse, deutsch: Im Übrigen meine ich, dass Karthago zerstört werden muss. Der römische Politiker Cato soll so sämtliche seiner Senatsreden abgeschlossen haben. Meint im übertragenen Sinne die ständige Wiederholung eines Anliegens (Vgl. Alfred Sellner, Latein im Alltag, 25).
[4] http://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/bund/tr/2016?id=beamte-bund-2016&matrix=1 (Stand: 07.08.2016).
[5] Forum Recht „Wozu Jura studieren?“, 2016/17, 4-6.
[6] Für einen Überblick vgl. Sonja Buckel, Neo-Materialistische Rechtstheorie, in Sonja Buckel / Ralph Christensen / Andreas Fischer-Lescano, Neue Theorien des Rechts, 2006, 117 ff.
[7] ForumRecht, Sonderausgabe „Wozu Jura studieren?“ 2016/17, Editorial in diesem Heft.
[8] Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, 9. Aufl., 2003, 19 f.
[9] Sonja Buckel, Subjektivierung und Kohäsion, 2007, 314.
[10] http://berufenet.arbeitsagentur.de/berufe/start?dest=profession&prof-id=14512 (Stand: 07.08.2016).