Der Paß ist der edelste Teil der Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ohne Paß niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird. (aus: Berthold Brecht, Flüchtlingsgespräche)
Recht haben und Recht bekommen ist bekanntlich zweierlei. Um diese Dichotomie zu überwinden, gibt es hierzulande Menschen, die anderen zu diesem verhelfen sollen: Jurist*innen. Zunächst aber muss man das Recht haben. So ist etwa in Art. 1 Grundgesetz (GG) oder auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen feierlich von der Unveräußerlichkeit der Menschenrechte die Rede. Diese sollen demnach angeblich jeder und jedem von Geburt an verliehen sein. Nichtsdestotrotz wird es in der Realität wenig erfolgsversprechend sein, vor Gericht mit solchen Argumenten zu erscheinen. Denn faktisch hängt die Frage vom Recht haben davon ab, ob die Rechtsgemeinschaft die Betroffenen als Inhaber*innen von Rechten anerkennt. Hannah Arendt bezeichnet vor diesem Hintergrund das unabdingbare Recht auf Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft als „Recht auf Rechte“, denn „die Rechtlosigkeit entspringt allein der Tatsache, dass der von ihr Betroffene zu keiner irgendwie gearteten Gemeinschaft gehört.“1
Als verbreitetste Organisationsform einer solchen Gemeinschaft fungieren Staaten. Um daran teilhaben zu dürfen, ist eine Staatsangehörigkeit erforderlich. Gleichwohl leben hierzulande nicht nur Staatsangehörige. Solange der Staat solche Nicht-Staatsangehörigen nicht anerkennt und eine Rückreise in das Heimatland unmöglich ist, führt nicht selten der Weg in die Illegalität, verbunden mit dem ständigen Verbergen vor staatlichem Zugriff und der völligen Rechtlosigkeit. Demgegenüber sind andere Ausländer*innen – zumindest zeitweise – akzeptiert und auch nicht völlig rechtlos. So erklärt sich die Existenz eines Rechtsgebietes: des Aufenthaltsrechts.
Nicht selten wurde dieses in Werken zum Polizeirecht erörtert, dem Rechtsgebiet also, das sich der Gefahrenabwehr widmet. So ist das Aufenthaltsgesetz auch der Nachfolger der Ausländerpolizeiverordnung. Die Zuordnung zum Gefahrenabwehrrecht schlägt ihre Wurzeln in der Annahme, dass sogenannte Ausländer*innen und deren bloße Anwesenheit als Gefahr begriffen werden. Ähnliche Tendenzen sind nicht verschwunden, sondern leben gerade neu auf, wenn man an die Diskussionen über schnellere Abschiebungen von Straftäter*innen denkt. Ansonsten widmet sich das Rechtsgebiet Fragen der Arbeitserlaubnis, Regelungen über die Sozialhilfe für Ausländer*innen oder eben dem Problem, wie man eine Staatsangehörigkeit bekommt. Eine entscheidende Bedeutung kommt der Frage zu, ob man überhaupt im Land bleiben darf. Teilweise ergibt sich dies aus dem ökonomischen Bedürfnis des Landes selbst, dies trifft auf die sogenannten Gastarbeiter*innen vor allem in den sechziger Jahren zu und heutzutage auf Hochqualifizierte und Pflegekräfte.
Zum anderen kann sich ein Bleiberecht aus dem Schutzbedürfnis des*der Einreisenden ergeben, wenn und soweit das Gastland derartige Schutzrechte gewährt. Auf Letzteres, auf das Asylrecht also, soll nun etwas genauer eingegangen werden.
Zufluchtsstätte Deutschland
Der Begriff „Asyl“ findet seinen Ursprung im griechischen Wort „asylon“ und bedeutet Zufluchtsstätte. Mit einem Recht auf Asyl bietet man Menschen, die in ihrem Herkunftsland verfolgt werden, Schutz. Nach der Zeit des Nationalsozialismus hatte man in Deutschland dabei einen ganz besonders hohen Anspruch. Zwischen 1933 und 1945 hatten Prominente wie die bereits zitierten Hannah Arendt und Bertholt Brecht sowie viele andere Bekannte und Unbekannte Schutz im Ausland gesucht. Diesen Schutz wollte man in Zukunft auch keinem ähnlich Verfolgten verwehren, sondern als gutes Beispiel vorangehen. Dies hat seine Spuren im Grundgesetz hinterlassen. Während andere Staaten sich auf einfach-gesetzlichen Schutz und die Unterzeichnung völkerrechtlicher Abkommen beschränkten, ist in der deutschen Verfassung ein Grundrecht auf Asyl verankert. Seit 1949 statuiert Art. 16 Abs. 2 GG (heute Art.16a GG) die ‚Botschaft der vier Worte‘: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“
Dieses Grundrecht auf Asyl beherrscht seit den achtziger Jahren die Wahlkämpfe und bestimmt die Diskussionen über die Einwanderungspolitik. Die Debatte wird oft dramatisiert und in einer angst-schürenden Art und Weise geführt. Nach längeren Auseinandersetzungen, in der eine Gefahr heraufbeschworen wurde, die von der „Asylantenflut“ ausging, und das Bild des „gefährlichen Migranten“ gezeichnet wurde, sah man sich unter Zugzwang. 1993 kam der sogenannte Asylkompromiss zwischen den Regierungsparteien CDU, CSU und FDP und der oppositionellen SPD zustande. Zu der Verfassungsänderung war eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich.
Der frühere Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 GG, der allein und ohne Einschränkungen das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte statuiert hatte, wurde in den neuen Art. 16a GG transformiert und mit einem bandwurmförmigen Anhängsel versehen, der den Schutzbereich des Grundrechts von Vornherein fundamental einschränkt. Kernstück der Neuerung ist die Drittstaatenklausel. Danach können Personen nicht das Asylrecht geltend machen, wenn sie sich auf dem Weg nach Deutschland bereits in einem sogenannten sicheren Drittstaat befunden hat. Da darunter alle EU-Staaten fallen, gilt die Regelung für alle Geflüchteten, die auf dem Landweg einreisen. Deutschland als reiche Industrienation, umgeben von politisch stabilen Staaten, bedient sich eines beliebten Konzepts, weil man weit genug von den Problemzonen der Welt entfernt ist.
Fortschreitende Aushöhlung des Asylrechts
Daneben wurde die Klausel der sicheren Herkunftsstaaten eingeführt. Diese geht pauschal davon aus, dass bestimmte Staaten ein derart stabiles politisches System haben, dass eine politische Verfolgung dort ausgeschlossen ist. Die Staaten werden durch den Gesetzgeber festgelegt. Er hat sich dabei ganz generell an den politischen Verhältnissen zu orientieren. Die These kann zwar durch die Betroffenen widerlegt werden, was aber im tatsächlichen Asylverfahren nahezu unmöglich erscheint.
Auch im Übrigen gestaltet sich der Nachweis der Verfolgung im Regelfall als schwierig. Von den Betroffenen wird erwartet, dass sie die Umstände ihrer Flucht mit großer Präzision schildern. Dabei reichen kleinste Widersprüche aus, um den Vortrag der Betroffenen als unglaubwürdig abzutun. In Anbetracht der Tatsache, dass die Betroffenen nicht selten traumatisiert sind, gerade eine Flucht unter extremen Bedingungen hinter sich gebracht haben und nicht selten aufgrund einschlägiger Erfahrungen Angst vor Behörden haben, ist dies keine leichte Aufgabe.
Dabei ist ein rechtsstaatlicher Grundsatz immer wieder ein Dorn im Auge vieler Politiker*innen und Bürokrat*innen. Ähnlich wie die Verurteilung von potentiell Straffälligen, bedarf auch die Entscheidung, ob jemand in den Genuss des Asylrechts kommt, eines angemessenen Verfahrens und der Möglichkeit, die getroffene Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen. Dieser Grundsatz wird immer wieder mit dem Vorwand Asylverfahren beschleunigen zu wollen angegriffen. Dass Asylverfahren viel zu lange dauern, Asylsuchende in eine jahrelange Situation des Wartens zwingt und damit zermürbt, ist unumstritten. Doch wird das Ziel der Verkürzung des Verfahrens oft ineffektiv und mit reiner Symbolpolitik verfolgt. Aus den öffentlichen Debatten der letzten Monate und Jahre lässt sich ablesen, dass ein Unterteilung in „gute“ und „schlechte Flüchtlinge“ erzielt werden soll. Die „schlechten Flüchtlinge“ sind Menschen aus den sogenannten sicheren Herkunftsländern. Das sind nach den letzten Asylrechtsverschärfungen neben dem Senegal, Ghana, Algerien, Marokko und Tunesien die Westbalkanstaaten Bosnien-Herzegowina, Serbien, Kosovo, Albanien, Mazedonien und Montenegro. Menschen aus diesen Ländern werden von den Landeserstaufnahmestellen nicht mehr an die Kommunen verteilt. Sie sollen direkt in den Aufnahmeeinrichtungen angehört werden und bleiben bis zu ihrer Abschiebung dort. Dies verhindert, dass die Menschen mit der bereits in Deutschland lebenden Bevölkerung in Berührung kommen und Kontakte knüpfen. Ihre Abschiebung kann so still und heimlich erfolgen, ohne dass es zu unschönen Presseberichten kommt, die über protestierende Asylkreise berichtet.
Für diese beschleunigten Verfahren gilt ferner eine Prüfungs-, Rechtsmittel- und gerichtliche Entscheidungsfrist von jeweils nur sieben Tagen. Eine anwaltliche Vertretung beziehungsweise ein Kontakt mit Beratungsstellen wird durch die kurzen Fristen erschwert bis unmöglich gemacht. Außerdem sind Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten noch stärker als Asylsuchende generell rassistischen Sondergesetzen ausgesetzt. Sie unterliegen dauerhaft einem Arbeitsverbot und der Residenzpflicht, also dem Verbot einen bestimmten Bezirk zu verlassen, und erhalten Sozialleistungen in der Form von Essenspaketen oder Gutscheinen.
Europäisierung des Asylrechts
Das Asylrecht ist unterdessen nicht mehr nur eine Sache der Nationalstaaten. Seitdem das Asyl- und Flüchtlingsrecht durch den Vertrag von Amsterdam von 1999 in die Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft gefallen ist, sind bereits eine Vielzahl von Regelungen erlassen worden, um die Harmonisierung des Asyl- und Flüchtlingsrechts zwischen den europäischen Staaten voranzutreiben. Dies betrifft sowohl die Frage, wer als politischer Flüchtling anerkannt werden soll, als auch die zunehmende Angleichung und Zusammenarbeit beim Asylverfahren. So werden etwa in der Datenbank EURODAC die Fingerabdrücke aller Asylsuchenden in Europa gespeichert. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass die Flüchtenden in mehr als einem Land nach Schutz suchen. Durch die sogenannte Dublin-III-Verordnung wurde festgelegt, dass jener EU-Staat, der einen Geflüchteten auf europäisches Territorium hat gelangen lassen, auch für dessen Asylantrag zuständig ist. Das bedeutet, dass die gesamte Verantwortung auf die Staaten abgeladen wurde, die an den EU-Außengrenzen liegen. Die Folge dieser Regelung ist, dass einerseits die EU-Randstaaten motiviert werden, Flüchtende an ihren Grenzen abzuwehren und andererseits Flüchtende, die in nördlichere Länder weiterfliehen, wo die Lage nicht so desaströs für sie ist, zwischen europäischen Staaten hin und hergeschoben werden. Ein Ankommen und zur Ruhekommen wird den Flüchtenden so verwehrt.
Grenzschutz statt Seenotrettung
Erklärtes Ziel der europäischen Grenzschutzpolitik ist es, die Flucht von Menschen nach Europa von Vornherein zu unterbinden. Eine zentrale Rolle spielt dabei die 2004 gegründete Grenzschutzagentur Frontex. Diese Behörde mit Sitz in Warschau ist für die Koordinierung von Grenzschutzoperationen an den EU-Außengrenzen zuständig. Die EU schottet ihre Grenzen ab, versperrt Flüchtenden sichere Fluchtwege und zwingt sie so auf lebensgefährliche Fluchtrouten. Statt Geflüchtete, die in Seenot geraten sind, zu retten, nimmt die EU ihren Tod billigend in Kauf und setzt auf die militärische Bekämpfung von Schlepper*innen. Resultat sind zehntausende Tote, die vor den Toren Europas ums Leben kamen. Allein zwischen 2015 und 2018 ertranken im Mittelmeer 12.748 Menschen – und das sind nur die offiziell registrierten Todesfälle.2
Die EU geht bei dem Versuch, Flüchtende schon auf ihrem Weg von Europa fernzuhalten, auch fragwürdige Kooperationen mit Herkunfts- und Transitstaaten in Nordafrika, in Osteuropa oder der Türkei ein. Bei diesen Staaten handelt es sich teilweise um autoritäre Staaten oder Diktaturen, die weder die Menschenrechte der Flüchtenden noch die der eigenen Staatsbürger*innen anerkennen. Damit wird bei dem Versuch „Fluchtursachen zu verhindern“, wie es teilweise von Politiker*innen verkauft wird, genau das Gegenteil erreicht: Zustände, die Menschen in die Flucht treiben, werden befördert.
Mit den Einschränkungen des verfassungsrechtlichen Asylrechts, der Ausweitung der „sicheren“ Herkunftsstaaten und der Sicherung der europäischen Außengrenzen wird das Ziel verfolgt, so wenige Schutzsuchende wie möglich in die Festung Europa hereinzulassen, sofern sie nicht hochqualifiziert sind. Eine sinkende Zahl an Asylbewerber*innen wird, gleich wie verheerend die weltpolitische Situation real aussieht, als Erfolg gefeiert.
In den Medien ist das Bild des „gefährlichen Migranten“ vorherrschend. Nicht die Biographien und Hintergründe der Flüchtenden bestimmen die Diskussion, sondern die angebliche Gefahr, die von ihnen ausgeht – die Debatte fügt sich nahtlos in den europäischen Kontext ein: Wenn verzweifelte Menschen nach monatelangen Wanderungen versuchen, über die Zäune nach Europa zu gelangen, muss man verständlicherweise die Zäune höher bauen. Staatlich verordnete Isolation und diffuse Ängste werden nicht abgebaut, sondern geschürt, um auf Kosten der Geflüchteten innenpolitisches Kapital gewinnen zu können.
Der verfassungsrechtliche Anspruch auf Asyl und die Verbürgungen von Genfer Flüchtlingskonvention und Menschenrechtspakten gerät vor dem Hintergrund der juristischen Wirklichkeit und der gesellschaftlichen Diskussion zu einer Farce.
1Hanna Arendt, Es gibt nur ein einziges Menschenrecht, in: Dolf Steinberger (Hrsg.), Die Wandlung IV, 1949.
2PRO ASYL, https://www.proasyl.de/news/was-unternommen-werden-muss-um-das-sterben-im-mittelmeer-zu-stoppen/ Stand: 17.März 2020