Justitia ist blind. Blind für die Person, die vor das Recht tritt. Sie urteilt unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Glaube, sozialer Herkunft oder Befähigungen einer rechtsuchenden Person. Damit urteilt Justitia aber, ohne die tatsächlich unterschiedliche Positioniertheit der rechtsuchenden Person zu würdigen. Die Rechtswissenschaften, für die die blinde Justitia sinnbildlich steht, verpassen auf diese Weise die Lebensrealitäten, auf die sie das Recht anwenden.
Einer feministischen Justitia hingegen entgehen sie nicht. Feministische Rechtswissenschaften betrachten, welche Auswirkungen das Recht insbesondere auf Geschlecht und Geschlechterverhältnisse hat, um geschlechterstereotype oder diskriminierende Annahmen im Recht aufzudecken, zu kritisieren und zu verhindern. Hierzu verbinden sie Erkenntnisse und Mittel aus der Rechtssoziologie und den sogenannten Critical Legal Studies. Sie sind ein Netzwerk feministischer Ideen, Methoden, Theorien und Praktiken.[1] Es geht ihnen um Gleichheit, um gleichen Zugang zu Freiheiten, Autonomie und Würde, um Anerkennung und Repräsentation – für Frauen, LGBTIQA*[2], für alle.
DAS PRIVATE IST POLITISCH
Die rechtliche Umsetzung dieser Ziele war und ist keineswegs selbstverständlich. Erst 1994 wurde männliche Homosexualität endgültig entkriminalisiert; es sollte noch bis 2017 dauern, ehe die Verurteilten auch durch Aufhebung der Urteile rehabilitiert wurden.[3] Vergewaltigung in der Ehe war bis 1997 nicht strafbar. Erst 2017 wurde die Ehe auch für homosexuelle Paare geöffnet – obwohl gemäß Art. 3 Grundgesetz (GG) alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Woher kommen die blinden Flecken im Recht?
Ein Grund ist die geläufige Annahme der Trennung in öffentliche und private Sphäre. Doch Öffentlichkeit und Privatheit sind nicht naturgegeben, sondern gesellschaftliche Konstruktionen, deren Grenzen ständig neu verhandelt werden müssen. Bevor etwa die innereheliche Vergewaltigung strafbar wurde hieß es, man wolle keinen Staat im Schlafzimmer.[4] Allerdings war der Staat in anderen Schlafzimmern durchaus gewollt: Homosexuelle Männer wurden 123 Jahre lang strafrechtlich verfolgt.[5]
Heterosexuelle Gewalt soll Privatsache sein, aber homosexuelle Zärtlichkeit öffentliches Interesse? Daran lässt sich ablesen, dass die Trennung in öffentlich und privat immer eine politische Entscheidung ist. Sie markiert die vorgebliche Grenze rechtlicher Regulierbarkeit. Zwischen Öffentlichkeit und Privatheit wird buchstäblich eine verschlossene Tür gesetzt, für die das Recht keinen Schlüssel hat.
Gleichzeitig wird die Trennung in öffentlich und privat durch Recht selbst zementiert. So subventionieren etwa das bayerische Betreuungsgeld – auch „Herdprämie“ genannt – und das steuerrechtliche Ehegattensplitting ein Familienmodell, bei dem eine Person keiner Erwerbsarbeit nachgeht, sondern in der privaten Sphäre Sorge- und Heimarbeit übernimmt– meistens ist dies eine Frau. Das Recht kann so auch als Platzanweiser der Sphären wirken.
DIE „SOGENANNTE EMANCIPATION DER FRAU“
Die Trennlinie zwischen öffentlich und privat reicht zurück bis in die Antike und war seit der Moderne auch mit einer vergeschlechtlichten Arbeitsteilung verbunden: Die Frau übernahm in der bürgerlichen Familie die Familien- und Hausarbeit im Privaten, während der Mann in der öffentlichen Sphäre der Erwerbsarbeit nachging. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde dieses Familienmodell vom bürgerlichen Ideal zum gesellschaftlichen Leitbild – und auch zum Leitbild für das Recht.[6]
So schrieb das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) von 1900 fest, dass die Ehefrau hinter den Herd gehöre: Sie war verpflichtet, das gemeinschaftliche Hauswesen zu leiten.[7] Der Ehemann konnte seiner Ehefrau verbieten, einer Arbeit außer Haus nachzugehen.[8] Nach den Gesetzgebungsmaterialen lag dem BGB nichts „ferner als der Gedanke der sog. Emancipation der Frauen“.[9]
Einen ersten Meilenstein auf dem Weg zur Gleichberechtigung errang die sogenannte erste Welle des Feminismus als Frauen in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 endlich „grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ erhielten wie Männer und damit insbesondere das aktive und passive Wahlrecht.[10]
1949 kam mit Inkrafttreten des Grundgesetzes dann der Paukenschlag: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ So steht es in Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG. Erkämpft hatte diesen kurzen – und denkbar folgenreichen – Satz die Juristin und SPD-Abgeordnete Elisabeth Selbert. Sie war eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“ unter 65 Mitgliedern des Parlamentarischen Rats. Ihr Formulierungsvorschlag zielte auf Geschlechtergleichheit vor dem Gesetz. Die Reaktionen darauf reichten von Ablehnung bis Hohn. Allen war bewusst, dass das gesamte Ehe- und Familienrecht mit einem Federstrich verfassungswidrig würde. Drei Abstimmungen über Selberts Vorschlag scheiterten. Doch es mobilisierten sich Frauen aller Klassen für verfassungsrechtlich garantierte Gleichberechtigung und schickten körbeweise Protestschreiben an den Parlamentarischen Rat. Mit Erfolg: Bei der vierten Abstimmung fanden schließlich die Stimmen zehntausender Frauen Gehör – und die fünf klaren Worte Eingang in unsere Verfassung.[11]
GLEICHE RECHTE REICHEN NICHT
Damit war zwar ein Anspruch formuliert, doch die eigentliche Arbeit stand erst bevor. Große Teile des Privatrechts und die dahinterstehenden gesellschaftlichen Konzepte mussten neu gedacht werden. Allerdings urteilte der Bundesgerichtshof noch 1966 zur Rolle der Frau im Privaten: „Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, daß sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen läßt. Wenn es ihr […] versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen.“[12] Die fünf unterzeichnenden Richter des 6. Senats waren allesamt Männer.
Um diese Form privater männlicher Herrschaft öffentlich sichtbar zu machen, wollten Feministinnen in den 1970er Jahren gerade solche Themen auf die öffentliche politische Bühne bringen, die zuvor als „Privatangelegenheit“ höchstens hinter vorgehaltener Hand unter Frauen diskutiert wurden. „Das Private ist politisch“ wurde zum Postulat dieser sogenannten zweiten Welle des Feminismus.[13] Insbesondere durch mutige öffentlichkeitswirksame Aktionen wurden einst als privat deklarierte Tabuthemen politisch und rechtlich verhandelbar. Ein Meilenstein war 1971 die Titelschlagzeile des Stern „Wir haben abgetrieben!“. Die Kritik am restriktiven westdeutschen Abtreibungsrecht bekam nicht nur ein Gesicht, sondern hunderte: 374 Frauen erklärten öffentlich, eine Schwangerschaft abgebrochen und damit gegen geltendes Recht verstoßen zu haben. In diesem politischen Klima wurden in Westdeutschland 1974 Abtreibungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei gestellt.[14] Dies war nur ein Etappensieg. Heute sind Schwangerschaftsabbrüche wieder grundsätzlich strafbar (§ 218 StGB), wenn auch mit Ausnahmen. Diese Ausnahmen entmündigen Frauen weiterhin, indem sie eine Beratung vorschreiben und zu Wartezeiten verpflichten. „Mein Körper gehört mir“ ist noch immer keine Realität.
Parallel zu der Politisierung des Privaten wandelte sich der öffentliche Raum. Der Arbeitsmarkt wurde zugänglicher für Frauen. Allerdings arbeiteten sie vor allem in schlechter bezahlten Berufen und bekamen weniger Lohn bei gleicher Arbeit. Daneben waren sie mehrheitlich weiterhin im Privaten für Sorgearbeit zuständig. Der öffentliche Raum blieb auf Männer zugeschnitten – bis heute: Frauen sind sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Dienst stark unterrepräsentiert, werden im Arbeitsleben behindert und sind oft von Altersarmut betroffen.[15]
Deswegen gilt es, das Öffentliche feministisch zu durchleuchten. Formale Gleichberechtigung genügt nicht. In der Gemeinsamen Verfassungskommission, die im Zuge der Wiedervereinigung einberufen wurde, erstritt insbesondere Lore Maria Peschel-Gutzeit eine Anerkennung dieser Missstände.[16] 1994 wurde Art. 3 Abs. 2 GG durch einen neuen Satz 2 ergänzt: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Damit ist der Staat aktiv in der Pflicht, auch faktische Gleichberechtigung herzustellen. In diesem Prozess ist es Aufgabe feministischer Rechtswissenschaften, die bestehenden Machtverhältnisse in der Gesellschaft zu demaskieren und zu verändern.
PATRIARCHALE KOMPLIZENSCHAFT DES RECHTS
Wenn Recht gesetzt, ausgeführt oder gesprochen wird, geschieht dies stets auf Grundlage bestimmter Annahmen über die Welt und die Rechtsadressat:innen.
Ein Beispiel dafür ist das Abstammungsrecht. Der simple Satz „Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat“ (§ 1591 BGB) hat auf den Großteil der Gesellschaft gar keine Auswirkungen, weil ihr Familienkonzept der Norm entspricht. Seinen Exklusionseffekt spüren erst diejenigen, die sich in einer nicht-heterosexuellen Beziehung ein eigenes Kind wünschen. Ein Transmann, der ein Kind gebärt, darf nicht rechtlich Vater sein.[17] Ebenso diskriminiert wird die Ehefrau der Geburtsmutter, die – anders als der Ehemann – nicht automatisch mit der Geburt auch Elternteil wird (§ 1592 BGB). Das Abstammungsrecht erwartet[18], dass Eltern heterosexuell und cis-geschlechtlich sind.
Recht verstärkt dadurch gesellschaftlich angelegte Privilegierungen und setzt sie als normativ. Werden diese Annahmen nicht hinterfragt, wirkt Recht als System von Glaubenssätzen, das soziale, politische und ökonomische Ungleichheiten natürlich erscheinen lässt.[19]
Ein anderes Beispiel sind Verbote für Richter:innen, religiöse Symbole offen zu tragen.[20] Solche Verbote diskriminieren religiöse Personen unmittelbar und vermeintlich gleich. Christ:innen können ihr Kreuz jedoch einfach unter der Kleidung tragen. Muslimas hingegen, für die das Kopftuch ein religiöses Gebot darstellt, können ihr Kopftuch nicht verstecken. In Deutschland schließen solche Verbote deswegen effektiv überwiegend muslimische Frauen vom Richter:innenamt aus, die zudem häufig migrantisch gelesen werden. Wird hier die staatliche Neutralität geschützt oder soziale Normalitätsvorstellungen?[21]
PROBLEMATIK DER KATEGORIEN
Das Antidiskriminierungsrecht ist ein wichtiges Werkzeug zum Ausgleich faktischer Ungleichheiten. Es verbietet Ungleichbehandlungen aufgrund benannter Kategorien,[22] ermöglicht gleiche Freiheiten[23] und fordert positive Maßnahmen, um Asymmetrien auszugleichen.[24] Es arbeitet in der Regel mit Kategorien, die historisch marginalisierte[25]Personengruppen benennen und es ermöglichen, komplexe soziale Verhältnisse rechtlich zu adressieren. Kategorien werfen aber auch Probleme auf („feministisches Dilemma“).[26]
Zum einen bergen sie stets das Risiko, affirmativ zu wirken.[27] Betroffene sind gezwungen, sich der Kategorie unterzuordnen, um ihre Diskriminierungserfahrung sichtbar zu machen. Zum anderen geht mit der Existenz von Kategorien immer auch eine Aufteilung einher: Das „Normale“ bedarf keiner Kategorie und wird nicht benannt, das abweichende „Andere“ schon („othering“).[28] Recht wird so selbst zu einem sozialen Faktor, der die Verhältnisse definiert und perpetuiert, die es abschaffen will.
Kategorien können zudem dazu führen, dass bestimmte Diskriminierungserfahrungen gar nicht erst sichtbar sind. Die angesprochene Personengruppe wird als homogene Gruppe verstanden, die beispielsweise nur weiblich oder nur Schwarz oder nur gläubig sein könne. Auf diese Homogenisierung wies Sojourner Truth als Schwarze, in Sklaverei geborene U.S.-Amerikanerin bereits 1851 hin, als sie fragte „Ain’t I a Woman?“.
In Deutschland trifft diese Homogenisierung beispielsweise muslimische Frauen. Gegen die Diskriminierungserfahrungen muslimischer Frauen wird häufig vorgebracht, dass „die Frauen“ genauso wie „die Gläubigen“ ja Richter:innen werden dürften. Es ist aber kein Zufall, dass muslimische Frauen das Richter:innenamt nicht mit Kopftuch bekleiden dürfen. Dahinter stehen spezifische Stereotype, die erst durch die Verschränkung sexistischer wie antimuslimischer Exklusionsmuster erklärbar werden: Eine kopftuchtragende Frau könne nicht objektiv entscheiden.[29]
Solche verschränkten Diskriminierungen werden als intersektional (von engl. „intersection“ = Verkehrskreuzung) bezeichnet.[30] Dabei ergeben mehrere Diskriminierungsmerkmale eine subjektive Diskriminierungsposition wie in einem mehrdimensionalen Koordinatensystem. Intersektionalität ermöglicht es, eine Diskriminierungserfahrung als Ganzes zu sehen.
Letztlich geht es jedoch darum, strukturelle Benachteiligungen zu überwinden und Kategorien im Recht dadurch obsolet werden zu lassen.[31]
RECHT EMANZIPATORISCH
Recht bezieht sich jedoch nicht nur auf bereits bestehende Kategorien, sondern kann auch Kategorien (ab)schaffen. Illustrativ ist hier die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur sogenannten Dritten Option von 2017.[32] Solange der Staat einen Geschlechtseintrag fordert, muss es für Menschen, die sich dauerhaft weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen lassen (wollen), auch eine positive Option geben anstelle eines bloßen Nichteintrags. Damit postulierte der Erste Senat des BVerfG die Notwendigkeit einer neuen rechtlichen Kategorie, um damit Körper und Identitäten rechtlich anzuerkennen. Im Urteil klingt darüber hinaus an, dass es der Gesetzgebung freistehe, die Kategorie Geschlecht insgesamt aus dem Personenstand zu streichen.[33]
Welche Geschlechtsidentität findet rechtliche Anerkennung? Wer ist eine Familie? Definitionen entscheiden über tatbestandlich verknüpfte Rechte und Pflichten. Kämpfe ums Recht entfalten so freiheitliche und emanzipatorische Wirkung.[34]
Das emanzipatorische Potential des Rechts nutzen auch die verschiedenen Initiativen für strategische Prozessführung. Darin schließen sich Jurist:innen und betroffene Personen zusammen, um anhand von ausgewählten Einzelfällen eine veränderte Auslegung des Rechts zu erkämpfen. Zu nennen sind hier beispielsweise die erfolgreiche Initiative für die Dritte Option[35]oder die teilweise erfolgreiche, noch immer aktuelle Kampagne um die Entkriminalisierung von Informationen über Schwangerschaftsabbrüche nach § 219a StGB.[36]
Feministischen Rechtswissenschaften geht es nicht nur um materielle Rechtsänderungen, sondern gerade auch um den Zugang zum Recht. Dazu müssen Informationen über das Recht barrierearm verfügbar sein; Zugang zu rechtlichem Beistand muss gewährleistet werden und zeitliche wie finanzielle Ressourcen dürfen den Zugang zum Recht nicht bestimmen. Justitia muss also nicht nur offene Augen haben, sondern auch die Hand ausstrecken.
RECHT GEHÖRT UNS
Der neugefasste Vergewaltigungstatbestand (§ 177 StGB) ist ein Beispiel für feministische Kämpfe ums Recht. Vorher genügte es dem Strafrecht nicht, dass eine Frau den Sex nicht wollte. Ihr Wille fand strafrechtlich nur dann Anerkennung, wenn der sexuelle Missbrauch unter Anwendung oder Androhung von Gewalt oder in einer wehrlosen Lage stattfand. Feminist:innen kämpften lange gegen diesen Paragraphen an. Seit 2016 gilt das Prinzip „Nein heißt Nein!“. Anstelle des Nachweises von Gewalt genügt es, dass die Person den Sex erkennbar nicht wollte. Das ist ein feministisch erkämpfter Paradigmenwechsel. Er erfüllt jedoch noch immer nicht die völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention, die explizite Zustimmung zum Sex fordert – also ein „Ja“.[37]
Grundsätzlich ist der Beweis eines (erkennbar entgegenstehenden) Willens nicht leicht zu führen. Eine Person kann zuerst einverstanden sein, den Sex wie er dann tatsächlich stattfindet aber ablehnen. Solch schwierige Abgrenzungen fallen auf die vergewaltigte, möglicherweise traumatisierte Person zurück, die alles detailreich wiedergeben muss, um im Strafprozess glaubwürdig zu sein.
Hier braucht es sensible Richter:innen und Staatsanwält:innen. Eine Sensibilisierung kommt aber nicht von allein und nicht über das Recht. Eine Sensibilisierung für und Ernstnahme all der sexuellen Übergriffe auf Frauen kann nur durch eine gesellschaftliche Transformation gelingen. Dafür nehmen Feminist:innen weiterhin den öffentlichen Raum ein und erweitern ihn digital, zum Beispiel durch Hashtag-Aktivismen wie #metoo, #saytheirnames, #onebillionrising.
Das Recht allein kann ein soziales Problem – wie strukturellen Sexismus – nicht lösen. Aber die neue rechtliche Regelung anerkennt das soziale Problem, fördert einen Diskurs und verändert auf welcher Ebene der Konflikt ausgetragen wird. Dabei wollen feministische Rechtswissenschaften reflektieren, wo das Recht an Grenzen stößt und aufdecken, welcher Schutzmechanismen und rechtlicher Reformen es bedarf. Und es geht darum, zu erkennen, welche Strukturen nicht durch das Recht allein, sondern in politischen Foren bekämpft werden müssen.
Eva Maria Bredler, Victoria Guijarro und Pia Lotta Storf arbeiten und promovieren am Lehrstuhl für Internationales Öffentliches Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz in Münster.
Weiterführende Hinweise
- Susanne Baer / Ute Sacksofsky (Hrsg.), Autonomie im Recht – Geschlechtertheoretisch vermessen, 1. Aufl. 2018.
- Catharine A. MacKinnon, Sex Equality, 3. Aufl. 2016.
- Deutscher Juristinnenbund e.V. (https://www.djb.de/); Feministischer Juristinnentag (https://www.feministischer-juristinnentag.de/)
[1] Diane Otto, Feminist Approaches to International Law, in: Anne Orford/Florian Hoffmann (Hrsg.), The Oxford Handbook of the Theory of International Law, 2016, S. 488 (490): „a network of circulating ideas about theory, method and practice“(Übersetzung durch Autor:innen).
[2] Diese Abkürzung steht für Lesbian, Gay, Bi-, Trans-, Intersexual, Queer, Asexual. Das Sternchen steht für weitere Identitäten.
[3] Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen vom 17. Juli 2017, BGBl. I S. 2443.
[4] Vgl. BT-Drs. VI/3121, S. 39.
[5] Martin Burgi/Daniel Wolff, Rehabilitierung der nach § 175 StGB verurteilten homosexuellen Männer, 2016.
[6] Friederike Wapler, Frauen in der Geschichte des Rechts, Rn. 14 ff., in: Lena Foljanty/Ulrike Lembke (Hrsg.), Feministische Rechtswissenschaft, 2012, S. 33-51.
[7] § 1356 BGB (i.d. Fassung vom 1. Januar 1900).
[8] § 1358 BGB (i.d. Fassung vom 1. Januar 1900).
[9] Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. IV: Familienrecht, 1888, S. 737.
[10] Art. 109 Abs. 2 Weimarer Reichsverfassung.
[11] Gisela Notz, Der Kampf um die Gleichberechtigung in beiden deutschen Staaten (1945 – 1949) und die Auswirkungen auf Parteien, Bundeszentrale für politische Bildung, 12. November 2018.
[12] BGH, Urteil vom 2. November 1966 – IV ZR 239/65, FamRZ 67, 210.
[13] Carol Hanisch, The Personal is Political, in: Notes from the Second Year: Women’s Liberation, 1970.
[14] Friederike Wapler (Fn. 2), Rn. 30 ff.
[15] Christoph Butterwegge, Armut, 2019, S. 63 f.
[16] BT-Drs. 12/6000, S. 49.
[17] BGH, Beschluss vom 6. September 2017 – XII ZB 660/14.
[18] Laura Adamietz, Geschlecht als Erwartung, 2011.
[19] Hilary Charlesworth et al, Feminist Approaches to International Law, American Journal of International Law 1991, S. 613.
[20] Vgl. § 45 Hessisches Beamtengesetz; Art. 11 Abs. 2 Bayrisches Richter- und Staatsanwaltsgesetz.
[21] Anna Katharina Mangold, Justitias Dresscode: Wie das BVerfG Neutralität mit „Normalität“ verwechselt, Verfassungsblog, 6. Juli 2017.
[22] Art. 3 Abs. 3 GG; Art. 21 Grundrechtecharta der Europäischen Union (GrCh).
[23] Art. 4 GG; Art. 10 GrCh.
[24] Art. 3 Abs. 2 GG; Art. 23 GrCh.
[25] Susanne Baer/Nora Markard, Art. 3 Abs. 3 GG Rn. 387 f., in: Hermann von Mangoldt et al. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2018
[26] Anja Schmidt, § 3 Grundannahmen des Rechts in der feministischen Kritik, Rn. 22 f., in: Lena Foljanty/Ulrike Lembke (Hrsg.), Feministische Rechtswissenschaft, 2012, S. 74-85.
[27] Baer/ Markard (Fn. 25), Rn. 440 f.
[28] Edward Said, Orientalism, 2003/1978; Gayatri Spivak, The Rani of Sirmur: An Essay in Reading the Archives, in: History and Theory, 1985, S. 247–272.
[29] Anna Katharina Mangold, Justitias Dresscode, zweiter Akt: Minderheiten im demokratischen Staat, Verfassungsblog, 27. Februar 2020.
[30] Kimberlé Crenshaw, Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, The University of Chicago Legal Forum, 1989, S. 139-167.
[31] Ulrike Lembke/Doris Liebscher, Postkategoriales Antidiskriminierungsrecht? – Oder: Wie kommen Konzepte der Intersektionalität in die Rechtsdogmatik?, in: Simone Philipp et al (Hrsg.), Intersektionelle Benachteiligung und Diskriminierung, 2014, S. 261.
[32] BVerfGE 147, 1 – Geschlechtsidentität.
[33] BVerfGE 147, 1 (25) – Geschlechtsidentität.
[34] Elisabeth Holzleithner, Emanzipation durch Recht?, Kritische Justiz 2008, S. 250-256.
[35] http://dritte-option.de/ (Stand 19. Mai 2020).
[36] https://freiheitsrechte.org/219a/ (Stand 19. Mai 2020).
[37] Art. 36 Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, Council of Europe Treaty Series, No. 210.