Fälle zu lösen macht einen entscheidenden Teil des Jurastudiums aus. Leider sind die Fallgestaltungen oft nicht realistisch und sogar extrem stereotyp. Ein Blick aus queertheoretischer Perspektive zeigt, wie so das Denken von zukünftigen Rechtsanwender*innen geprägt wird und was daran bedenklich ist.
I. Sexistische Diskriminierung in Ausbildungsfällen
Im Studium der Rechtswissenschaften treffen Studierende schon direkt zu Beginn auf K und V. Erstaunlich oft werden sie sich immer wieder über die verschiedensten Vertragsinhalte einig, vergessen Fristsetzungen und ziehen vor Gericht. V ist sehr oft Volker und manchmal auch Valentin, K ist sehr oft Karl und selten auch Karla. Sie treffen auf A(chim) und B(ernd), auf G(ustav), der ständig irgendwelche sechsstelligen Forderungen einzutreiben hat und nicht zu vergessen auf Rechtsanwältin R(icarda), die klugen Rechtsrat zu alledem geben muss.
Bereits die Wahl der einschlägigen Namen zeigt, dass die Welt der juristischen Ausbildungsfälle eine recht kleine und fiktive ist. Mit als Erstes fällt auf, dass weibliche Namen in dieser Welt relativ selten vorkommen, obwohl natürlich Frauen gleichermaßen wie Männer Brötchen kaufen und Adressat*innen von Verwaltungsakten sind. Schon 1977 wurde eine erste Untersuchung zu juristischen Ausbildungsfällen und den darin enthaltenen Frauenbildern durchgeführt.[1] Sie konstatierte folgendes ernüchterndes Ergebnis: Nur gut 20 % der handelnden Personen waren weiblich und 65 % dieser Frauen wurden durch ihre Beziehung zu Männern definiert.[2] Seit einigen Jahren sind die diskriminierenden Fallgestaltungen im juristischen Studium noch einmal vehementer in der Kritik: Das Thema ist Gegenstand von Vorträgen und entsprechende Studien erfahren institutionelle und finanzielle Unterstützung durch die rechtswissenschaftlichen Fakultäten. So stellte eine Hamburger Studie von 2016 bei der Untersuchung von Examens-Klausurenkursen fest, dass 80 % der Fallpersonen männlich, nur 18 % weiblich und 2 % geschlechtlich nicht zugeordnet waren.[3] Diese Einseitigkeit setzt sich in der inhaltlichen Ausgestaltung der Personen fort: Zwar wurden Frauen grundsätzlich als handlungsfähige Subjekte dargestellt (z. B. als Klägerinnen gegen ein Bauvorhaben). Allerdings wurde knapp die Hälfte von ihnen über Beziehungen zu Männern definiert, z. B. als Ehefrau, Geliebte oder Tochter. Nur 3 von 47 Personen, die als Geschäftsführer*innen tätig waren, waren Frauen.[4] Zwischen 1977 und 2016 haben sich juristische Ausbildungsfälle in dieser Hinsicht also quasi nicht verändert. Ein kurzer Blick in das Freiburger Probeexamen im Frühjahr 2020 zeigt, dass sich seit 2016 hier weiterhin nichts Grundlegendes getan hat: Ganze 3 von 18 vorkommenden Personen waren Frauen.
II. Andere Diskriminierungsformen in Ausbildungsfällen
Andere Diskriminierungen und Unsichtbarmachungen in Sachverhalten kommen etwas subtiler daher. Der Umstand, dass Frauen sehr oft durch ihre Beziehungen zu Männern definiert werden (Ehefrau, Geliebte, usw.), offenbart auch die heteronormativen Strukturen, in denen die juristischen Fälle gedacht werden. Nicht heterosexuelle Paare, insbesondere wenn sie Kinder haben, kommen quasi nur in Antidiskriminierungsfällen vor. Die vorab erwähnte Hamburger Studie stellte auch fest, dass geschlechtliche Realitäten außerhalb eines binären Verständnisses von „Mann“ und „Frau“ in den untersuchten Fällen überhaupt keine Rolle spielten.[5] Die traditionell-deutschen Namen in Sachverhalten lassen in aller Regel auf einen bürgerlich-deutschen Hintergrund der Protagonist*innen schließen. Außerdem werden Sachverhalte für das erste Staatsexamen in der Regel mit wenigen sozialen Daten über die Personen ausgestattet, die (scheinbar) nicht relevant für die Falllösung sind.[6] Dies hat den Effekt, dass die Lücken, die ein Sachverhalt damit zwangsläufig aufweist, eher mit unreflektierten stereotypen Erwartungen ausgefüllt werden: Eine Person mit unbekannter Hautfarbe ist für allzu viele Studierende wohl eine weiße Person. Eine Sensibilisierung für die unterschiedlichen sozialen Situationen, in denen sich die handelnden Personen befinden können, erfolgt nicht. Sonstige „dekorative Informationen“, die nicht für die Falllösung relevant sind, werden eher eingebaut, um die Studierenden beim Lösen der Fälle, die ja fiktiv sind, zu motivieren.[7] Diese bilden dann aber gerade nicht die Situationen ab, in denen die Rechtsanwendung aufgrund des sozialen Kontextes problematisch wird.
III. Ein Blick in die Queer Theory
Wie wirken sich diskriminierende Fallgestaltungen aus? Weil wir gesehen haben, dass durch die geschlechtliche Kennzeichnung der handelnden Personen nicht nur soziales Geschlecht (gender), sondern durch die portraitierten Beziehungen auch die sexuellen Orientierungen in juristischen Fällen deutlich werden, bietet es sich an, zur Beantwortung dieser Frage auch einen Blick in die Queer Theory zu werfen. Sie ist eine kritischen Theorie, die ihren Gegenstand (also hier das Recht) nicht nur begreifen, sondern auch kritisieren und verändern will: In der Queer Theory geht es darum, die gesellschaftliche Norm der Heterosexualität („Heteronormativität“) und der Zweigeschlechtlichkeit zu analysieren und dadurch auch zu destabilisieren.[8] Dabei fragt sie auch gerade nach den Wechselwirkungen zwischen Normen und Lebensrealitäten – Überlegungen, die auch für die Beziehung zwischen Recht und Sachverhalt erhellend sind.
Die Queer Theory hebt hervor, dass biologisches Geschlecht (sex), soziales Geschlecht und sexuelles/romantisches Begehren nicht immer „natürlich“ zusammenfallen, wobei „natürlich“ bedeuten würde, dass Menschen (üblicherweise) heterosexuell sind und ihr soziales Geschlecht ihrem biologischen Geschlecht folgt. Die Queer Theory zeigt, dass Heterosexualität keineswegs der natürliche „Standard“ ist, sondern eine historische Konstruktion, die kulturellem Wandel unterliegt.[9] Dass dies sowohl für gender als auch für sex der Fall ist, arbeitete Judith Butler in ihrem Werk „Gender Trouble“ heraus: Die Geschlechter „Mann“ und „Frau“ denken wir maßgeblich darüber, dass sie sich wechselseitig sexuell begehren. Erst die Norm der Heterosexualität ergibt, dass es in der Vorstellungswelt der meisten Menschen nur zwei streng voneinander unterschiedene Geschlechtern gibt (und das trotz der Existenz von Interpersonen[10]): Damit der Begriff „Heterosexualität“ Sinn ergibt, braucht es zwei Geschlechter, die sich unterscheiden.[11] Dies gilt für den sozialen Inhalt, den Geschlecht hat (gender), aber auch das Konzept von biologischem Geschlecht (sex) ist für Butler von diesem sozialen Gehalt durchsetzt.[12]
Butler betont nun, dass das binäre heterosexuelle Geschlecht maßgeblich dadurch in die Welt komme und bestehen bleibe, dass Menschen sich entsprechend verhalten: Sie „performen“ ihr Geschlecht und ihre Sexualität entlang der Geschlechternormen.[13] Wenn ein Mann eine Krawatte trägt, wird dies gerade als männlich wahrgenommen, weil wir es bei anderen Männern als Ausdruck von Männlichkeit gelernt haben. Die vielen performativen Darstellungen von Geschlecht wiederum stabilisieren die Norm der Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit, sie werden Teil davon, wie wir Körper sehen und verstehen.[14] Die Norm (Heterosexualität) konstruiert also ihre Realität, auf die sie angewendet wird.
IV. Die Bedeutung für das Recht
Dass Normen und Werte nicht nur die Welt bewerten, sondern auch mitkonstruieren (aus heteronormativer Perspektive sind alle Menschen erst einmal klar Männer oder Frauen und heterosexuell), gilt auch für Rechtsnormen. Ein bestimmtes Familienrecht ermöglicht bestimmte Familienformen wie die Hetero-Kleinfamilie und andere eben nicht (wie z. B. Elternschaft von mehr als zwei Personen). Heteronormative Familienformen stehen also eher unter dem Schutz und der Akzeptanz des Rechts und werden damit wahrscheinlicher gemacht. Rechtliche Normen setzen außerdem bestimmte Normalitäten voraus, so z. B. das Personenstandsrecht feste Geschlechter: Genderfluide Identitäten, also Menschen mit wechselnden Geschlechtsidentität, können auch im Rahmen einer Personenstandsänderung nicht sichtbar gemacht werden, vielmehr setzt § 8 TSG (Transsexuellengesetz) gerade für eine Anpassung des Geschlechtseintrags an das empfundene Geschlecht voraus, dass das Geschlechtsempfinden „dauerhaft“ ist. Gleichzeitig werden rechtliche Normen auch von Lebensrealitäten geprägt, wenn sich Minderheiten Gehör verschaffen, Rechtsänderungen herbeiführen und ihre Lebensrealität so normalisieren: Hier ist an die „Ehe für alle“ zu denken und an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2017, in dem die Richter*innen feststellten, dass auch das deutsche Recht die Existenz von Menschen anerkennen muss, deren Körper und/oder Identitäten nicht in die Kategorien „Mann“ und „Frau“ hineinpassen. Dieses Urteil hat in der gesellschaftlichen Debatte wohl erstmals zur Sichtbarkeit von Interpersonen und nichtbinären Menschen geführt. Dabei muss man sich natürlich vor Augen führen, dass ein geändertes Recht nicht alle sozialen Normen, von denen Recht eben nur einen Teil darstellt, umkehrt. Vor dem Hintergrund des Gewaltmonopols des Staates ist die Änderung von Rechtsnormen allerdings besonders machtvoll.
V. Ausbildungsfälle und Sachverhaltsermittlung
Juristische Ausbildungsfälle sind nun im Studium der Ort, an dem Jurastudierende üben Rechtsnormen anzuwenden. An Ausbildungsfällen wird zum ersten Mal ein Blick darauf geworfen, wie man dabei einen Sachverhalt benutzt, um Argumente zu gewinnen, wie das Recht den Blick auf den Sachverhalt ändert, wie es sich als Rechtsanwender*in anfühlt, zufrieden oder auch nicht zufrieden mit einer rechtlichen Bewertung zu sein.
Sachverhalte sind meistens darauf angelegt, alle angegebenen Informationen in der Falllösung zu verarbeiten. So werden die Studierenden auch für die Zukunft darauf trainiert zu erkennen, dass bestimmte Informationen typischerweise relevant für die Lösung sind, andere – die nicht genannten aber nicht. Wir haben festgestellt, dass die benutzten Sachverhalte oft hochgradig stereotyp sind. Auch hier strukturieren die Normen die Wirklichkeit, aber an dieser Stelle nicht die echte Wirklichkeit, sondern die Sachverhalte, die beispielhaft für die Wirklichkeit stehen. Gerade dem Zivilrecht liegen die allgemeinen bürgerlich-liberalen Wertungen vom Ende des 19. Jahrhunderts zugrunde, kein Wunder also, dass die Autor*innen von zivilrechtlichen Fällen sich besonders häufig Männer als handelnde Personen vorstellen.[15] Aber auch das Bedürfnis, Gesetze anhand allgemeingültiger Fallgestaltungen zu veranschaulichen (schließlich darf es keinen Unterschied machen, auf wen das Gesetz angewendet wird – Gleichheit vor dem Gesetz!), kann zu stereotypen Fallgestaltungen führen.[16] Denn als das Allgemeine, nicht Auffällige gilt gemeinhin das Männliche, das Heterosexuelle, das Weiße.
Da die Fälle aber nur diese bestimmten, eben nicht allgemeinen Lebensrealitäten abbilden, führt dies dazu, dass es wahrscheinlicher ist, dass bestimmte Lebensrealitäten und Lebensbereiche auch in der juristischen Praxis für weniger relevant für die juristische Bewertung gehalten werden.[17] Nach einigen Jahren Jurastudium wird es für viele zu einem Reflex, im Rahmen einer zivilrechtlichen Prüfung nach dem Insolvenzrisiko zu fragen. Andere Perspektiven und Erfahrungen von Minderheiten, muss dagegen in der Praxis aufwändig Gehör verschafft werden.
VI. Ausbildungsfälle und Normverständnis
Ein weiterer Effekt von stereotypen Ausbildungfällen hat mit dem Aufbau der juristischen Ausbildung in Deutschland zu tun. Die juristische Ausbildung in Deutschland ist zweigeteilt: In Vorbereitung auf das erste Staatsexamen wird vor allem theoretisches Wissen erlernt, das Referendariat lehrt die Anwendung in der Praxis. Gerade hierzulande ist die juristische Ausbildung dabei davon geprägt, dies sozialen Umstände, in denen Recht wirkt, auszublenden. Die Übungsfälle für das erste Examen wurden spezifisch zu dem Zweck entworfen, beispielhaft die Anwendung von Gesetzen zu üben. Wenn diese Fälle aber nun nicht verschiedene Lebensrealitäten nicht ansatzweise gleich repräsentieren, hat das auch Auswirkungen auf das Normverständnis. Dieses ist immer auch davon geprägt, wie die rechtsanwendende Person die Welt sieht, und heteronormative Sachverhaltsdarstellungen tragen dazu bei, heteronormative Vorstellungen in der Welt zu stabilisieren. Aber es gibt auch konkretere Beziehungen zwischen Normauslegung und Sachverhalt: Einerseits dient ein Fall dazu, die oft komplizierten Gesetze anschaulich zu machen; erst in der Anwendung versteht man oft, was jetzt genau die Rechtsfolge welchen Tatbestands sein soll. Andererseits dient die Anwendung auf (für idealtypisch erklärte) Fälle auch der Normkonkretisierung: Gerade bei unbestimmten Normen ist es eine gängige juristische Methode, einen bekannten Vergleichsfall heranzuziehen, um die Anwendung der unbestimmten Norm im Vergleichsfall zu erleichtern, z. B. bei der Frage, ob ein Vertrag sittenwidrig gem. § 138 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) ist.[18] Aber die meisten Studierenden werden die Erfahrung machen, dass auch außerhalb von sogenannten Generalklauseln eine Erinnerung an den letzten Lehrbuchfall bei der Auslegung hilft. Dies zeigt, dass Ausbildungsfälle in der juristischen Ausbildung das Denken von angehenden Jurist*innen maßgeblich prägen.
VII. Diskriminierende Erwartungen im Recht
Die Auswirkungen, die stereotyp geprägte Denkweisen auf die Praxis haben, sind vielfältig, sie wirken sowohl bei der Sachverhaltsermittlung als auch bei der Norminterpretation mit. Ein mittlerweile recht bekanntes Phänomen sind die Schwierigkeiten, auf die Opfer von sexualisierter Gewalt stoßen, wenn sie die Tat, die ihnen gegenüber verübt wurde, zur Anzeige und vor Gericht bringen wollen. So stellt die Vorstellung eines „typischen Tatbildes“ bei einer Vergewaltigung oft ein faktisches Strafverfolgungshindernis dar: Sexuelle Übergriffe ohne besondere zusätzliche Gewalteinwirkung und innerhalb von Nahbeziehungen werden oft nicht als solche erkannt und Schilderungen der betroffenen Person werden weniger ernst genommen.[19] Aber auch gegenüber LGBTQA*-Personen wirken sich heteronormative Strukturen im Recht und in den Vorstellungen der rechtsanwendenden Personen sehr nachteilig aus. Besonders drastisch wird dies am Abstammungsrecht deutlich: Das Abstammungsrecht, oder jedenfalls der*die rechtsanwendende Richter*in, scheint vollkommen damit überfordert zu sein, dass Transpersonen Leben führen wie andere Menschen auch und Kinder gebären und zeugen. Sie gelten trotz rechtlich anerkannter Personenstandsänderung weiter als „Mutter“ oder „Vater“ ihrer Kinder, abhängig davon, ob sie das Kind geboren oder Samen beigesteuert haben.[20] Ihre Lebensentwürfe sind keine „vorgesehenen Anwendungsfälle“ des Rechts.
Welche Bedeutung stereotype Annahmen bei der Sachverhaltsermittlung haben, zeigen die hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung zum Teil an die „Glaubwürdigkeit“ von LGBTQIA*[21]-Personen stellt. Der EuGH (Gerichtshof der Europäischen Union) erkennt inzwischen an, dass homosexuelle Asylsuchende eine „bestimmte soziale Gruppe“, die verfolgt wird, bilden können, was Voraussetzung für die Anerkennung eines Fluchtgrundes ist.[22] Bei der Beurteilung dieses Fluchtgrundes kommt es damit zwangsläufig darauf an, wie glaubwürdig sie in Hinblick auf ihre sexuelle Orientierung wahrgenommen werden. Dies ist ein Einfallstor für stereotype Annahmen: Von homosexuellen Männern wird tendenziell erwartet, dass sie sich „feminin“ verhalten.[23] Menschen, denen ihre „Identität“ nicht anzusehen ist, aber auch Menschen, deren sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität im Laufe ihres Lebens fluide ist, laufen damit Gefahr, nicht als Flüchtlinge anerkannt zu werden.[24] Innerhalb von heteronormativen Erwartungshaltungen sind ihre Identitäten rechtfertigungsbedürftig und müssen stereotypen Annahmen entsprechen. Laut EuGH darf eine Bewertung der Glaubwürdigkeit einer asylsuchenden LGBTQIA*-Person nicht „allein“ auf stereotype Annahmen gestützt werden[25] – eine stereotype Sachverhaltskonzeption wird so aber gerade nicht verhindert.
VIII. Ausbildungsfälle verändern!
Die Vorbereitung auf das erste Staatsexamen lebt davon, Fälle zu lösen. Dabei werden Lebensrealitäten außerhalb stereotyper Erwartungen aber leider kaum abgebildet und Antidiskriminierungsrecht spielt im Studium keine große Rolle. Dies wiederum prägt die Auslegung von Recht – und Recht ermöglicht, oder verunmöglicht Lebensentwürfe. Dass Jurastudierende im Rahmen ihres Studiums vor allem anhand stereotyp gestalteter Fallbeispiele lernen, verstärkt den repressiven Aspekt des Rechts, der Frauen, queeren Menschen und anderen Minderheiten das Leben schwer macht.
Bedeutet das jetzt, lieber schnell das Jurastudium zu schmeißen, bevor man die Welt der juristischen Ausbildungsfälle mit der Realität verwechselt? Wenn man noch dazu selbst zu einer in der Ausbildung nicht repräsentierten Gruppe gehört, macht es schließlich auch keinen Spaß, dass die eigene Identität bestenfalls in Antidiskriminierungsfällen eine Rolle spielt. Damit würde aber das Feld denjenigen überlassen werden, denen die Welt der Ausbildungsfälle nicht bitter aufstößt – keine verlockende Alternative. Besser erscheint es, sich einfach bei den Menschen zu beschweren, die die Fälle tatsächlich gestalten. Darauf ist vom Hörsaal aus leichter Einfluss zu nehmen als auf diskriminierende Gesetze und wird der politischen Bedeutung, die die Ausbildungsfälle der Jurist*innen von morgen haben, gerecht.
Kaie Lemken bereitet sich in Freiburg auf das erste Staatsexamen vor und setzt sich deshalb viel mit fragwürdigen Ausbildungsfällen auseinander.
Weiterführende Literatur
- Pabst/Slupik, Das Frauenbild im zivilrechtlichen Schulfall, in: KJ 1977, S. 242–256
- Judith Butler, Gender trouble, New York/London 1999
- Annamarie Jagose, Queer Theory. Eine Einführung, Berlin 2001
[1] Franziska Pabst/Vera Slupik, Kritische Justiz 1977, 242–256.
[2] Ebd., 251 f.
[3] https://www.uni-hamburg.de/gleichstellung/download/studie-rollenstereotypen-geschlechterforschung-1.pdf (Stand: 25.04.2020), 22.
[4] Ebd., 23 f.
[5] Ebd., 21.
[6] Pabst/Slupik (Fn. 1), 243.
[7] Vg. ebd., 244.
[8] Annamarie Jagose 2001, 11.
[9] Ebd. ,30.
[10] Während sich „inter“ auf das biologische Geschlecht bezieht, dass weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich ist, bezieht sich „nicht-binär“ auf das individuelle Geschlechtsempfinden.
[11] Judith Butler, 1999, S. 23.
[12] Ebd., 11.
[13] Ebd., 33.
[14] Ebd., 171 f.
[15] Studie Gleichstellung (Fn. 3), 22.
[16] Pabst/Slupik (Fn. 1), 244.
[17] Ebd., 247.
[18] Thomas Möllers, Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung, ZfPW 2019, 94–120 (106).
[19] Ulrike Lembke „Vergebliche Gesetzgebung“, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 34 (2014), 253-283 (266).
[20] z. B. BGH BeckRS 2017, 125776.
[21] Steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Intersexuell, Asexuell/Allies, der * zeigt an, dass die Katertorien nicht abschließend sind.
[22] Art. 10 lit. d 2004/83/EG.
[23] Wiebke Judith, Die „bestimmte soziale Gruppe“ „queer“ gelesen – Eine kritische Analyse der unionsrechtlichen Definition, ZAR 2014, 404–409 (407).
[24] Ebd.
[25] EuGH NVwZ 2015, 132, mit Anmerkungen von Nora Markard.