Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat am 29. Januar 2020 das Streikrecht von Beamt*innen der EU-Organe anerkannt (T‑402/18). Mehrere Dolmetscher*innen des Europäischen Parlaments kündigten im Sommer 2018 Streikmaßnahmen an. Sie wollten sich gegen eine Änderung ihrer Arbeitsbedingungen wehren. Der Generaldirektor für Personal des Europäischen Parlaments gab eine Dienstverpflichtung für die angekündigten Streiktage heraus. Einige Beamt*innen gingen im einstweiligen Rechtsschutz gegen die Maßnahme vor, jedoch ohne Erfolg.
Erst im Hauptsachverfahren bekamen sie Recht. Das EuG urteilte, dass Art. 28 Abs. 1 Europäische Grundrechte-Charta (GRCh) auch für Beamt*innen das Streikrecht gewährleiste. Die Dienstverpflichtung sei ohne Gesetzesgrundlage ergangen und damit grundrechtswidrig. Dem Begehren der Kläger*innen, auch zukünftige Dienstverpflichtungen des Parlaments zu untersagen, gab das Gericht nicht statt.
Das fragile Arbeitskampfrecht hat damit eine weitere Stütze auf europäischer Ebene erhalten. Auch für die deutsche Rechtslage könnte die Entscheidung von Bedeutung sein. Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 12. Juni 2018 das Streikverbot für Beamt*innen aufrechterhielt, zogen elf Kläger*innen mit Rechtsschutz der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Entscheidung steht noch aus. Der Gerichtshof muss bei der Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention die Vorgaben der GRCh beachten, so dass die hier besprochene Entscheidung auch bei der Bewertung der deutschen Rechtsprechung von Ausschlag sei dürfte.
Darüber hinaus sprach das EuG den Kläger*innen Schadensersatz für die Verletzung des Streikrechts in Höhe von jeweils 500 Euro zu. Dieser zunächst arbeitskampffreundlich anmutende Aspekt des Urteils wird durch zwei Umstände relativiert. Erstens dürfte das Europäische Parlament die geringe Summe des Schadensersatzes aus der Portokasse bezahlen können, womit der abschreckende Effekt für zukünftige Streikeinschränkungen entfällt. Zweitens hat das Gericht die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer arbeitskampffeindlichen Maßnahme verstetigt. Gewerkschaftliche Organisierung und Interessendurchsetzung sind davon abhängig, dass ihnen im Vorfeld eines Arbeitskampfes keine Steine in den Weg gelegt werden, die erst nachträglich aus dem Weg geräumt werden können. Die Beschäftigten hatten weder im einstweiligen Rechtsschutz noch mit einem vorgelagerten Unterlassungsbegehren Erfolg. Im Ergebnis hat es das Gericht versäumt, die effektive Gewährleistung des Arbeitskampfrechts zu garantieren.