Mit Beschluss vom 20.05.2020 (2 BvR 2628/18) betont das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die verfassungsrechtliche Wichtigkeit der Wiedergutmachungsansprüche, explizit die des Art. 116 II GG. Das Urteil hebt die Entscheidungen des Bundesverwaltungsamtes und des Verwaltungsgerichts Köln auf. Diese hatten der Klägerin eine Einbürgerung auf Grundlage des Art. 116 II GG versagt.
Die Klägerin wurde 1967 in den Vereinigten Staaten geboren und beantragte 2013 die Einbürgerung nach Art. 116 II GG. Ihren Antrag begründete sie damit, dass ihrem Vater am 7. Juni 1938 die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Nationalsozialisten aufgrund des Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft vom 14. Juli 1933 entzogen worden war. Ihr Vater, der als in Deutschland verfolgter Jude vor den Nationalsozialisten fliehen konnte, erkannte die Antragstellende rechtlich als sein Kind an. Eine Ehe bestand mit der Mutter, US-amerikanische Staatsangehörige, nicht.
Versagt wurde der Antragstellerin der Anspruch in den vorangegangenen Instanzen aufgrund einer hypothetischen Betrachtung: Dabei wird nicht das heute geltende Staatsangehörigkeitsrecht betrachtet, sondern das geltende Recht zum maßgeblichen Zeitpunkt, also der Geburt der Klägerin. Als Grundlage wurde der damals geltende § 4 I Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 (RuStAG) herangezogen. Nach § 4 I RuStAG hat nur das eheliche Kind eines deutschen Vaters einen Anspruch auf die Staatsangehörigkeit. Dieses Gesetz ist damit nicht nur ein Verstoß gegen die Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindern gem. Art. 6 V GG, sondern auch unvereinbar mit Art. 3 II GG. Wendet man also § 4 I RuStAG an, werden nicht nur der Wertewandel und die dadurch bis heute resultierenden Gesetzesänderungen ignoriert, sondern auch das nationalsozialistische Unrecht „einfach“ hinweggedacht. Zudem sahen die vorangegangenen Instanzen keinen Anlass dazu eine individuelle Betrachtung des Schicksals vorzunehmen.
Diese Vorgehensweise, begründet durch angeblich „formale Logik“, ist vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Unrechts eine Perversion. Das BVerfG stellt einerseits klar, dass eine enge Auslegung des Begriffs des Abkömmlings in Art. 116 II GG gegen Art. 6 V GG spricht. Andererseits wird deutlich, dass ein nicht wiedergutzumachendes Unrecht, durch Wiedergutmachungsansprüche wie den Art. 116 II GG, zumindest alle Möglichkeiten nutzen muss, um das nationalsozialistische Unrecht nicht zu perpetuieren.