Nachdem Mitte 2020 das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festgestellt hatte, dass allgemeine Stellungnahmen auch gegen Parteien wie die AfD nichts auf Websites von Innenministerien verloren haben, gibt es mit dem Urteil des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs (StGH 6/19) vom 24.11.2020 frischen Wind in Fragen der politischen Äußerungsbefugnis von Amtsträger*innen.
Anlass war ein NPD-Aufmarsch in Hannover. Dieser reagierte auf eine ARD-Sendung über ein 1944 von der Waffen-SS begangenes Massaker, die ein Interview mit einem inzwischen hochbetagten beteiligten Mitglied der Waffen-SS beinhaltete. Nach der Ausstrahlung wurde der Mann in seinem in der Sendung gezeigten Haus ausgeraubt. Die NPD startete daraufhin eine Demonstration paramilitärischen Erscheinungsbildes, auf der „Rache“ gefordert und der das Interview führende Journalist „in die Schranken verwiesen“ werden sollte. Als der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil dies auf seinem amtlichen Twitteraccount als „rechte Hetze“ verurteilte und zur Gegendemonstration aufrief, strengte die NPD ein Organstreitverfahren wegen Verletzung des staatlichen Neutralitätsgebots an – und verlor.
Das staatliche Neutralitätsgebot gegenüber politischen Parteien ergibt sich aus Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Demokratieprinzip. Dass auch die NPD (das BVerfG bestätigte ihre Verfassungsfeindlichkeit!) diesen Schutz genießt, mutet zwar grotesk an. Von ihm wäre sie aber nur ausgenommen, wenn sie verboten wäre – weil sie aber laut BVerfG keine ernsthafte Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung darstellt, konnte sie 2017 nur von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden. Eine politische Maßnahme der Regierung gegen die NPD braucht also eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Diese Möglichkeit besteht im Rahmen der sogenannten Informations- und Öffentlichkeitsarbeit, wozu nach dem StGH – und das ist neu – der Schutz demokratischer Institutionen und Grundwerte gehört. Als die NPD gezielt und in einer Art, die nachhaltig abschreckend wirken konnte, die freie Presse angriff, durfte der Ministerpräsident „mit gebotener Sachlichkeit“ diese rechte Hetze als solche verurteilen.
Das Urteil kann für Amtsträger*innen, die einen klaren Standpunkt gegenüber rechtsextremistischen Parteien zeigen wollen, instruktiv wirken. Zwar bleiben allgemein gegen Parteien gerichtete Stellungnahmen untersagt, aber rechtsextreme Parteien werden mit einiger Sicherheit auch in Zukunft konkrete Angriffe auf „unverzichtbare Grundpfeiler sowohl der Persönlichkeitsentfaltung als auch der demokratischen Ordnung“ unternehmen.