Machtkritik genießt den besonderen Schutz der Meinungsfreiheit. Dies betont das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem bemerkenswerten Beschluss vom Oktober 2020 zu einer angeblichen Beleidigung eines Familienrichters (1 BvR 2014/19).
Ein Vater hatte sich ungerecht behandelt gefühlt, als er vor Gericht gegen seine getrenntlebende Ehefrau unterlag. Es ging um eine Auslandsreise des gemeinsamen Kindes. Der zuständige Familienrichter gab der Mutter Recht und teilte dem Vater mit, er könne gegen diese Entscheidung Beschwerde einlegen. Als das Oberlandesgericht sich aber einen Monat später meldete, war das Kind schon wieder zuhause und die Sache gegenstandslos.
Der Vater witterte Böses und warf nun dem Familienrichter vor, die Beschwerde bewusst zu spät dem Oberlandesgericht vorgelegt zu haben. Seine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Landgerichtspräsidenten war aber nicht nur formlos, fristlos und fruchtlos, sondern brachte ihm sogar ein Strafverfahren wegen Beleidigung ein. Denn er hatte sich verstiegen, dem Richter ein „dämliches Grinsen“ zu unterstellen. Er schrieb: „Nach meinem Rechtsempfinden steht es einem Richter ohnehin nicht zu, bei seiner Urteilsverkündung dem Geschädigten mit einem dämlichen Grinsen Ratschläge wie „er könne ja Beschwerde gegen sein Urteil einlegen“ zu erteilen, erst recht, wenn er anscheinend davon ausgeht, dass die Beschwerde sowieso nachträglich behandelt wird.“ Niemand lässt sich gerne alles gefallen. Der Staatsdiener stellte Strafantrag und nach drei Instanzen, inklusive Berufung und Revision, stand eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Buche.
Erst das BVerfG hob die Verurteilung auf und verwies die Sache an das Landgericht Landshut zurück. Die Äußerung sei Teil einer anlassbezogenen Auseinandersetzung und damit keine Schmähkritik gewesen. In der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter sei überdies besonders zu berücksichtigen, dass es sich um Machtkritik gehandelt habe. Der Familienvater sei der Entscheidungsgewalt des Familiengerichts unterworfen gewesen. Es müsse ihm möglich sein, die Verantwortlichen in anklagender und personalisierter Weise für ihre Amtsführung zu rügen, ohne befürchten zu müssen, hierfür gerichtlichen Sanktionen ausgesetzt zu sein.
Dem ist wenig hinzuzufügen. Wer sich dem Staat in seiner ganzen Macht ausgeliefert sieht, kann sich schon einmal klein fühlen. Unhöflichkeiten kommen vor – es stünde dem Staat und seinen Dienern gut an, nicht für jede Despektierlichkeit gleich die ultima ratio zu bemühen.