Schon im viel beachteten Rechtsstreit zwischen Jutta Ditfurth und Jürgen Elsässer hat sich eine erschreckende Unkenntnis über die Funktionsweisen des Antisemitismus an deutschen Gerichten gezeigt.[1] Das Amtsgericht Dillingen hat nunmehr erneut bewiesen, dass manche Jurist*innen auch offenen Antisemitismus für ein Kavaliersdelikt zu halten scheinen (Urteil v. 4. Februar 2020 – 302 Cs 101 Js 117532/19). Ein Hauptfeldwebel der Bundeswehr hatte am 20. September 2018 über WhatsApp ein Video an einen Bekannten verschickt, auf dem ein Junge mit Schläfenlocken zu sehen ist, der Keyboard spielt. Unterlegt war das Video mit den Tönen einer Registrierkasse. Das Amtsgericht hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sich der angeklagte Unteroffizier nach § 130 Abs. 2 StGB (Volksverhetzung) strafbar gemacht hat.
Dabei versteigt sich das Gericht zu einer abenteuerlichen Argumentation: Im Video sei kein „Angriff auf die Menschenwürde“ erkennbar, weil Geiz nicht allgemein als negative Eigenschaft verstanden werde. Das zeige sich – so allen Ernstes die Argumentation des Gerichts – an der bekannten Saturn-Werbekampagne unter dem Motto „Geiz ist geil“. Zudem würden auch andere gesellschaftliche Gruppen, wie etwa Menschen aus Schottland oder Schwaben, damit assoziiert, geizig zu sein und niemand komme deshalb auf die Idee, dass hierdurch deren Menschenwürde beeinträchtigt würde. Die Ausführungen gipfeln in dem Vergleich mit anderen mehr oder weniger harmlosen Klischees, bei denen es sich auch nicht um Volksverhetzung handle und nennt als Beispiele unter anderem Blondinenwitze oder das Vorurteil, ältere Männer seien impotent.
Es scheint das Gericht nicht zu stören, dass es offensichtlich einen Unterschied macht, ob ein Schotte oder eine Schwäbin als geizig bezeichnet werden oder jüdische Menschen, die auf der Grundlage von antisemitischen Zuschreibungen seit Jahrhunderten verfolgt werden. Die Ausgrenzung und Abwertung jüdischer Menschen ist zentral damit verknüpft, sie mit der Finanzsphäre gleichzusetzen und als gierig zu diffamieren. Wer diese Ressentiments bedient, setzt sich in diese Tradition und diffamiert Jüdinnen und Juden. Wie auch immer man den konkreten strafrechtlichen Vorwurf einschätzt – die Argumentation des Amtsgerichts zeigt, dass Antisemitismus an manchen deutschen Gerichten ein noch immer unverstandenes Phänomen ist.
[1] Vgl. hierzu Jonas Fedders, Antisemitismus heute, Forum Recht 1/2017, 9-11 und Julia Röhrbein, Elsässer – (k)ein „glühender Antisemit“?!, Forum Recht 2/2015, 71.