In Zeiten einer Pandemie ist das Arbeiten im Home-Office aus Gründen des Gesundheitsschutzes zweifellos sinnvoll. Es fragt sich aber, welche dadurch forcierten Veränderungen dauerhaft bleiben werden – und damit, welche Probleme sich für Arbeitnehmer*innen und ihre Interessenvertretungen ergeben können.
Ich vertrete die These, dass sich das Home-Office in eine Entwicklung in der Arbeitswelt einfügt, die den Übergang vom Gesellschaftsmodell des Fordismus zum Neoliberalismus kennzeichnet. Die Problematik ist also nicht neu, wird aber durch die aktuelle Krise deutlich virulenter. Dies möchte ich im ersten Teil historisch darlegen. Aus Sicht der Arbeitnehmer*innen ist die angesprochene Entwicklung typischerweise ambivalent, denn sie bewegt sich zwischen Möglichkeiten größerer Autonomie auf der einen sowie Gefahren der Individualisierung und Entgrenzung der Arbeit auf der anderen Seite. Die potenziellen Vorteile möchte ich nicht bestreiten, aber im zweiten Teil beispielhaft auf einige mit der Arbeit im Home-Office verbundene Risiken eingehen. Zum Abschluss möchte ich kurz darstellen, wie diesen begegnet werden könnte und welchen rechtspolitischen Handlungsbedarf ich sehe.
Gesellschaftlicher Aufbruch und wirtschaftliche Krise nach 1968
In vielen Arbeitsverhältnissen ist seit mehreren Jahrzehnten eine örtliche und zeitliche Entgrenzung der Arbeitsleistung zu beobachten.[1] Vormals rigide betriebliche Organisationsstrukturen werden teilweise aufgelöst. Manche Arbeitnehmer*innen können die geschuldete Tätigkeit erbringen, wann es ihnen passt (Vertrauensarbeitszeit) und den Ort selbst bestimmen, an dem sie arbeiten (Home- oder Mobile-Office). Statt kleinteiliger Arbeitsanweisungen machen viele Arbeitgeber*innen zunehmend Zielvorgaben und überlassen es ihren Arbeitnehmer*innen, auf welchem Weg sie diese erreichen.
Ihren Ausgangspunkt hat diese Entwicklung in den westlichen Staaten in den 1970er Jahren.[2] Politikwissenschaftlich ist umstritten, ob die damalige Krise des fordistischen Gesellschaftsmodells aus ökonomischen Grenzen resultierte oder durch Kämpfe der Arbeitnehmer*innen ausgelöst wurde.[3] Vermutlich treffen beide Sichtweisen einen Teil des Problems: Einerseits basierte der Fordismus auf starken Produktivitätssteigerungen, die durch die Zerlegung von Arbeitsschritten und Rationalisierung ermöglicht wurden. An den erzielten Gewinnen wurden die Arbeitnehmer*innen durch rapide Lohnzuwächse und Massenkonsum beteiligt. Ende der 1960er Jahren waren aber weitere Steigerungen der Produktivität so nicht mehr zu erreichen. Gleichzeitig artikulierten die allgemein als 68er bezeichneten Bewegungen eine große Unzufriedenheit mit dem formierten Lebensstil des Fordismus, an Monotonie, Intensivierung und Entfremdung in der Arbeit. Auch stellte die zweite Frauenbewegung das bis dahin dominierende Familienmodell der Ernährer- und Hausfrauenehe in Frage, in welcher der Mann durch Lohnarbeit die Familie finanzierte, während die Frau neben Haus- und Sorgearbeit höchstens einer geringfügig bezahlten Beschäftigung nachging.[4] Außerdem wurden nach dem weltweit beachteten Bericht des Club of Rome erstmals die ökologischen Grenzen dieser Wirtschaftsweise diskutiert und die Umweltbewegung entstand.[5]
Übergang zum Neoliberalismus und seine ambivalenten Auswirkungen
In Reaktion auf diese Krise nutzen Unternehmen seit den 1970er Jahren zunehmend neue Technologien, deren Entwicklung sich wiederum durch verstärkte Investitionen und Forschungstätigkeiten beschleunigte. Computer und Telekommunikation ermöglichten eine veränderte Arbeitsorganisation. Die Zergliederung großer Betriebe und die Möglichkeit der weltweiten Verlagerung führten einerseits zu einer Schwächung der traditionellen Gewerkschaftsbewegung. Andererseits mussten auch Zugeständnisse an die Arbeitnehmer*innen gemacht werden. Deren Streben nach erfüllenden Arbeitsinhalten sowie Arbeitsbedingungen, die zum eigenen Lebensstil passen, hatte teilweise Erfolg. Diese Forderungen wurden aufgegriffen und in modernisierte Managementkonzepte eingepasst, die mit flachen Hierarchien und der Übertragung von Verantwortung arbeiten.[6] Einher gingen damit auch Versprechen nach größerer Familienfreundlichkeit und Nachhaltigkeit. Daraus folgt aus Arbeitnehmer*innensicht eine Ambivalenz, die bspw. zu einer besseren Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf, aber ebenso zu Entgrenzung und Selbstausbeutung führen kann.
Genau diese Ambivalenz kommt in der Arbeit im Home-Office zum Ausdruck. Interessanterweise lässt sich die Idee auch exakt in diese Zeit zurückverfolgen. International wurde sie erstmals im Jahr 1976 mit dem Begriff „Telecommuting“ (Telependeln) beschrieben.[7] Dahinter stand die Idee, dass nicht die Arbeitskräfte zwischen Wohn- und Arbeitsort pendeln. Sie sollten vielmehr zu Hause arbeiten und an ihrer Stelle die Aufgaben und Ergebnisse „pendeln“. Es handelt sich also um die Gestaltung, die wir heute als Home-Office bezeichnen. Gemacht wurde dieser Vorschlag mit Blick darauf, dass die meisten Arbeitnehmer*innen mit dem eigenen Auto zur Arbeit fahren. Das Telependeln sollte dem begegnen, zum einen wegen der ökologischen Folgen, aber auch wegen der Abhängigkeit des Westens von den ölexportierenden Ländern, die durch die Ölkrise 1973 schlagartig ins Bewusstsein gerückt war. Genau diese Zäsur markiert in Darstellungen üblicherweise den Übergang vom Fordismus zum Neoliberalismus.
Die Entwicklung während und nach der Pandemie
Voraussetzung war, dass bereits zu jener Zeit Arbeitsleistungen durch Computer- und Telekommunikationstechnologien ortsunabhängig erbracht werden konnten.[8] Durch die stetige Verbesserung der genannten Technologien, die heute bspw. fast überall Videokonferenzen ermöglichen, ist diese Entwicklung in den letzten Jahren weiter fortgeschritten. Aber erst die Corona-Pandemie hat zu einem sprunghaften Anstieg der Zahl der Arbeitnehmer*innen, die im Home-Office arbeiten, geführt. So arbeiteten vor der Krise 4 % der Beschäftigten überwiegend oder ausschließlich von zu Hause, im April 2020 wurde mit 27 % der bisherige Höchststand erreicht und nach einem zwischenzeitlichen Rückgang stieg deren Anteil im Januar 2021 wieder auf 24 %.[9] Wie in den 1970er Jahren ist somit heute wieder eine Krise die Treiberin bei der Durchsetzung neuer Technologien.
Ein Gesetzesvorhaben der SPD, das unabhängig von Corona einen Anspruch auf 24 Tage Home-Office im Jahr vorsah, ist Ende des Jahres 2020 am Widerstand der Koalitionspartnerin CDU/CSU gescheitert.[10] Im Januar 2021 forderte auch der DGB einen Rechtsanspruch auf Home-Office für Arbeitnehmer*innen, zumindest während der Pandemie, während die Arbeitgeber*innenverbände BDI und BDA dagegen opponierten.[11] Ende Januar trat dann die derzeit bis zum 30. April befristete SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung in Kraft. Gem. § 2 Abs. 4 hat der oder die Arbeitgeber*in im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten Home-Office anzubieten, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Arbeitgeber*innen, deren Erfüllung die Aufsichtsbehörden kontrollieren und per Anordnung durchsetzen können.[12] Problematisch ist aber, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der zwingenden betriebsbedingten Gründe ein gewisses Ermessen eröffnet und von den ohnehin überlasteten Arbeitsschutzbehörden eine komplizierte Prüfung für jede*n einzelne*n Arbeitnehmer*in erfordern kann. Ein subjektives Klagerecht soll nach verbreiteter Auffassung nicht bestehen.[13] Dabei wäre jedenfalls ein Individualanspruch darauf, dass der oder die Arbeitgeber*in prüft, ob Home-Office in Betracht kommt, über § 618 Abs. 1 BGB konstruierbar, weil eine entsprechende Vereinbarung Inhalt einer arbeitsvertraglichen Regelung sein könnte bzw. die Norm auf den Schutz des oder der einzelnen Beschäftigten zielt.[14]
Während der Pandemie ist es zu begrüßen, wenn Arbeitnehmer*innen von zu Hause arbeiten und so Ansteckungsrisiken vermeiden. Es wäre allerdings naiv, zu glauben, dass dies keine Auswirkungen auf die Zeit danach hätte. Angesichts der oben skizzierten „Frontstellung“ könnte man davon ausgehen, dass aus Beschäftigtensicht die Vorteile überwiegen. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass diese Betrachtung unter dem Eindruck der Gefahr für Leib und Leben durch die Pandemie steht. Unabhängig von dieser sind mit dem Home-Office auch zahlreiche Probleme verbunden.
Gefahren für die Gesundheit
Das Arbeiten im Home-Office betrifft die physische Gesundheit, weil in der Wohnung oft keine ausreichenden Arbeitsmittel wie ergonomische Büromöbel oder ein externer Bildschirm zur Verfügung stehen. Wer schon einmal über längere Zeit mit dem Laptop am Küchentisch gearbeitet hat, kennt die Folgen wie Schulter-, Nacken-, Rücken- und Kopfschmerzen.
Der oder die Arbeitgeber*in ist gem. § 3 Abs. 1 S. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen. Dies umfasst u.a. die Bereitstellung der erforderlichen Mittel auf Kosten des oder der Arbeitgeber*in (§ 3 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 ArbSchG). Diese Pflichten bestehen unabhängig vom Arbeitsort, also auch im Home-Office.[15] In der Praxis aber stellen sich Probleme. Insbesondere, wenn der oder die Arbeitgeber*in auch noch einen Arbeitsplatz im Betrieb vorhält, wird er oder sie häufig nicht gewillt sein, weiteres Mobiliar anzuschaffen. So erhält nur jede*r Zehnte im Home-Office Schreibtisch oder Bürostuhl gestellt.[16]
Zur Konkretisierung der relativ unbestimmten Vorgaben des ArbSchG wurde u.a. die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättVO) erlassen. Diese ist aber im Bereich des Home-Office nur anwendbar, sofern gem. § 2 Abs. 7 ArbStättVO ein sog. Telearbeitsplatz besteht. Das ist ein fester Bildschirmarbeitsplatz, der von dem oder der Arbeitgeber*in eingerichtet wurde und über den eine Vereinbarung getroffen wurde. Die Arbeit zu Hause ohne eingerichteten Bildschirmarbeitsplatz soll nach dem Willen des Verordnungsgebers nicht erfasst werden.[17] Es bleibt damit bei den allgemeinen Vorschriften des ArbSchG. Fraglich ist, ob dies mit der europäischen Bildschirmarbeits-VO in Einklang steht.[18]
Die Arbeit im Home-Office kann auch zu psychischen Belastungen führen. Zeitliche und räumliche Entgrenzung der Arbeit, mangelnder Austausch mit Kolleg*innen und das Gefühl, mit der zu erbringenden Arbeit allein zu sein, können Stress verursachen. So gaben 60 % der im Home-Office-Arbeitenden an, dass die Grenze zwischen Freizeit und Arbeitszeit verschwimme, 45 % antworteten, dass sie abends oft nicht abschalten könnten.[19]
Hinsichtlich der zeitlichen Entgrenzung ist darauf hinzuweisen, dass das Recht aller Arbeitnehmer*innen auf Begrenzung der Arbeitszeit und Ruhezeiten in Art. 31 Abs. 2 Grundrechte-Charta (GRCh) verbürgt ist. Dies dient dem Gesundheits- und Freizeitschutz der Arbeitnehmer*innen.[20] Nach einem viel diskutierten Urteil des EuGH müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber*innen verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System der Arbeitszeitmessung einzuführen, weil die Begrenzung anders nicht zu erreichen sei.[21] Diese Pflicht besteht gerade dort, wo eine Erfassung schwierig ist, etwa bei der im Home-Office häufigen Vertrauensarbeitszeit.[22]
Den vom EuGH aufgestellten Anforderungen entspricht das deutsche Recht nicht, weil gem. § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) nur Überstunden erfasst werden müssen.[23] Deutschland ist seiner Verpflichtung, die nationale Rechtslage an das Unionsrecht anzupassen, aber auch fast zwei Jahren nach dem Urteil des EuGH nicht nachgekommen. Ob bereits jetzt eine entsprechende Pflicht der Arbeitgeber*innen durch unionsrechtskonforme Auslegung oder Ergänzung des § 16 Abs. 2 ArbZG oder eine unmittelbare Anwendung von Art. 31 Abs. 2 GRCh statuiert werden kann, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und stark umstritten.[24]
Individualisierung der Arbeitnehmer*innen
All diese Rechte sind individuell schwierig durchsetzbar. Zudem sind die gesetzlichen Regelungen typischerweise Rahmenregelungen und bedürfen der betrieblichen Konkretisierung.[25] Aus diesen Gründen kommt dem Betriebsrat große Bedeutung für den Gesundheitsschutz zu. Dies gilt selbstverständlich nur dort, wo ein solcher besteht, denn die Mehrheit der Arbeitnehmer*innen wird nicht von einem Betriebsrat repräsentiert.[26] Besteht er, so hat er gem. § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG über die Einhaltung der bestehenden Vorschriften zu wachen und gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein echtes Mitbestimmungsrecht bei der Ausfüllung gesundheitsschützender Vorschriften. Zu solchen zählt bei Vorliegen einer konkreten Gefährdung § 3 ArbSchG.[27] Zur Feststellung ist eine Gefährdungsbeurteilung gem. § 5 ArbSchG durchzuführen, die ebenfalls der Mitbestimmung unterfällt.[28] In der Praxis stellt sich aber das Problem, dass der Heimarbeitsplatz für den Betriebsrat schwer zugänglich ist. Auch seinen Überwachungsaufgaben kann der Betriebsrat de facto kaum nachkommen.
Die negativen Folgen der Individualisierung gehen aber weiter. Der Betriebsrat ist auch unabhängig von seinen konkreten Aufgaben darauf angewiesen, die Stimmung unter den Kolleg*innen wahrzunehmen und von auftretenden Problemen unmittelbar zu erfahren. Dies wird durch das Home-Office extrem erschwert. Zudem werden kollektive Interessenlösungen in vielen Fällen nicht möglich sein.
Noch gravierender sind die Folgen für gewerkschaftliche Aktivitäten. Der gewerkschaftliche Solidargedanke basiert grundsätzlich auf einer gemeinsamen Erfahrung und gemeinsamen Zielen als Lohnabhängige. Zudem braucht gewerkschaftliches Engagement am Arbeitsplatz gegenseitiges Vertrauen. All dies geht durch die Arbeit im Home-Office verloren. Auch sind die Arbeitnehmer*innen für die Hauptamtlichen der Gewerkschaft kaum noch erreichbar. Denn ein*e Gewerkschaftssekretär*in kann morgens vor einem Betrieb Arbeitnehmer*innen ansprechen. Mittlerweile erkennt das BAG auch ein – allerdings begrenztes – Recht Gewerkschaftsbeauftragter an, zur Information und Mitgliederwerbung den Betrieb zu betreten.[29] Der oder die Sekretär*in hat aber weder die Zeit noch die erforderlichen Adressen, um Arbeitnehmer*innen zu Hause aufsuchen. Zudem scheitert ein Zutrittsrecht hier an Art. 13 GG, weil die Wohnung strenger geschützt ist als Betriebs- und Geschäftsräume. Zumindest müsste den Gewerkschaften daher ermöglicht werden, die Arbeitnehmer*innen über die betrieblichen Kanäle wie Email oder Intranet zu kontaktieren. Informationen ohne Einwilligung des oder der Arbeitgeber*in an betriebliche E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer*innen zu senden, kann zwar nach der Rechtsprechung zulässig sein.[30] Die Adressen müssen der Gewerkschaft aber bereits bekannt sein. Es ist außerdem fraglich, ob diese Möglichkeit auch für einen Streikaufruf gilt.[31]
Care-Arbeit und Home-Office
Viele Arbeitnehmer*innen erhoffen sich durch die Arbeit von zu Hause eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, vor allem durch größere Flexibilität. Insbesondere für Frauen stellt die Arbeit im Home-Office aber oft eine doppelte Belastung dar. Insgesamt führt sie zu einer Retraditionalisierung, was die Verteilung der häuslichen und Sorgearbeit betrifft – Frauen nehmen sie häufiger in Anspruch, um Familie und Beruf vereinbaren zu können und steigern stärker die für Care-Arbeit aufgewendete Zeit, was ihren Anteil an der gesamten Haus- und Sorgearbeit wachsen lässt.[32]
Daneben sind auch Auswirkungen des Home-Office auf Ansprüche von Arbeitnehmer*innen denkbar. Es ist anerkannt, dass der Lohnanspruch für einige Tage gem. § 616 S. 1 BGB aufrechterhalten wird, wenn ein Elternteil sich um ein krankes oder kurzfristig nicht betreutes Kind kümmern muss und deshalb nicht zur Arbeit gehen kann.[33] Ist dieser Anspruch vertraglich ausgeschlossen, so besteht jedenfalls ein Anspruch auf Kinderkrankengeld.[34] Ein Anspruch auf letzteres besteht derzeit auch bei behördlich angeordneten Kita-Schließungen (§ 45 Abs. 2a SGB V). Bisher war klar, dass der oder die Arbeitnehmer*in in dieser Zeit keine Arbeitsleistung erbringen muss. Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass viele Arbeitgeber*innen offenbar davon ausgehen, dass sich Arbeit im Home-Office und die Betreuung von Kindern vereinbaren ließen. Dies verkennt, dass Kinder Aufmerksamkeit und Zuwendung brauchen, was die gleichzeitige Erbringung der Arbeitsleistung verhindert.
Abwälzung der Kosten
Bereits erwähnt wurden notwendige Arbeitsgeräte. Daneben entstehen dem oder der Arbeitnehmer*in im Home-Office weitere Kosten, etwa für Strom oder Heizung. Auch diese Kosten hat grundsätzlich der oder die Arbeitgeber*in zu tragen, als Anspruchsgrundlage kommt § 670 BGB analog in Betracht. Eine tatsächliche Geltendmachung kommt aber wohl schon wegen Schwierigkeiten der Bezifferung kaum in Frage.
Da bei den meisten Arbeitnehmer*innen, die wegen der Pandemie im Home-Office arbeiten, keine individual- oder kollektivvertraglichen Regelungen bestehen, tragen sie diese Kosten derzeit vermutlich selbst. Deshalb war es richtig, dass die Bundesregierung kurzfristig und befristet eine Home-Office-Pauschale eingeführt hat, die von der Steuer abgesetzt werden kann.[35] Sollte diese über die Pandemie hinaus bestehen bleiben, wäre das allerdings kritisch zu betrachten. Eine Steuerbefreiung entspricht sachlich einer Subvention.[36] Es ist aber nicht einzusehen, weshalb die Allgemeinheit das Arbeiten im Home-Office subventionieren sollte. Wie dargelegt, sind die entsprechenden Kosten nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln durch den oder die Arbeitgeber*in zu tragen. Dazu kommt, dass eine Steuerbefreiung stets Gutverdiener*innen mit einem hohen Steuersatz stärker entlastet.[37] Wer hingegen ohnehin wenig oder keine Steuern zahlt, profitiert entsprechend weniger. Verschärft wird dies bei der derzeitigen Regelung noch dadurch, dass sie nur denen zugutekommt, die mehr als die ohnehin als Pauschale anrechenbaren 1.000 Euro jährlich für ihre Arbeit aufwenden.
Anforderungen an die Gestaltung von Home-Office
Welche Anforderungen ergeben sich nun aus den beschriebenen Gefahren? Zunächst einmal ist es wichtig, an der Freiwilligkeit des Home-Office festzuhalten. Insofern ist es erfreulich, dass die Rechtsprechung eine entsprechende einseitige Anordnung für unwirksam hält.[38] Sollten Arbeitgeber*innen verstärkt die Möglichkeit, Home-Office anzuweisen, in Arbeitsverträge aufnehmen, kann daraus nicht generell auf eine Freiwilligkeit geschlossen werden. Vielmehr ist der oder die Arbeitnehmer*in typisiert betrachtet die schwächere Vertragspartei und somit schutzbedürftig.[39] Es müssen daher rechtliche Kontrollmaßstäbe für derartige Vertragsgestaltungen entwickelt werden. Die eigene Wohnung ist der Raum des Rückzugs und der Erholung. Arbeitnehmer*innen müssen daher ein „Rückkehrrecht“ in den Betrieb haben.
Werden Regelungen zum Home-Office getroffen, sollte darin der pauschale Ersatz von Aufwendungen durch den oder die Arbeitgeber*in festgelegt werden. Auch sind Regelungen über Arbeitsmittel und deren sachgemäße Einrichtung zu treffen. § 2 Abs. 7 ArbStättVO weist insofern in die richtige Richtung, sollte aber nicht ins Belieben der Parteien gestellt werden.
Die lückenhafte Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Regelung des Home-Office sollte gesetzlich gestärkt werden. Denkbar wären ein Mitbestimmungsrecht bei der Arbeitsorganisation oder dem Arbeitsort.[40] In diese Richtung geht der Referentenentwurf für das sog. Betriebsrätestärkungsgesetz, der ein Mitbestimmungsrecht bei mobiler Arbeit vorsieht (§ 87 Abs. 1 Nr. 14 Ref-E), dessen Umsetzung jedoch fraglich ist.[41]
Es braucht schließlich verstärkte Möglichkeiten für Gewerkschaften, Arbeitnehmer*innen über die digitalen Kanäle des Betriebs zu erreichen. Das würde zumindest ermöglichen, sie zu informieren. Wünschenswert wäre eine gesetzliche Regelung. Angesichts der skizzierten Probleme für Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit braucht es darüber hinaus eine Debatte, wie demokratische Mitbestimmung in der Wirtschaft unter den Bedingungen der Digitalisierung gelingen kann.
Zum Weiterhören/-lesen:
Homeoffice – Durchbruch für Vereinbarkeit von Sorgearbeit und Beruf?, Interview mit Johanna Wenckebach, # 6 des feministischen Podcasts „Justitias Töchter“.
Zum Problem des Versicherungsschutzes bei Unfällen im Home-Office: Tanja Sautter, Stehen Telearbeit und mobile Arbeit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung?, Arbeitsschutz in Recht und Praxis 2020, 46.
[1] Ulrich Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 611a BGB, Rn. 13.
[2] Die DDR blieb hingegen bis zu ihrem Ende eine stark normierte Industriegesellschaft, anschließend wurde die Entwicklung in wenigen Jahren nachvollzogen, was zu bis heute wirksamen gesellschaftlichen Frakturen geführt hat, vgl. Steffen Mau, Lütten Klein, 2020.
[3] Vgl. Joachim Hirsch / Roland Roth, Das neue Gesicht des Kapitalismus, 1986, 79 ff. m.w.N.
[4] Bis zur Reform des Eherechts im Jahr 1977 entsprach diese Aufgabenteilung in Westdeutschland dem gesetzlichen Ideal.
[5] Club of Rome, Die Grenzen des Wachstums, 1972.
[6] Luc Boltanski / Ève Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, 1999.
[7] Jack Nilles u.a., The Telecommunications-Transportation Tradeoff, 1976.
[8] Dies soll nicht außer Acht lassen, dass diese Möglichkeit etwa in sozialen Berufen oder in der Produktion nicht besteht.
[9] Hans-Böckler-Stiftung, Studien zu Homeoffice und mobiler Arbeit, 2021, https://www.boeckler.de/de/auf-einen-blick-17945-Auf-einen-Blick-Studien-zu-Homeoffice-und-mobiler-Arbeit-28040.htm (Stand aller Links: 15.3.2021)
[10] ZDF v. 14.11.2020, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/homeoffice-heil-union-100.html.
[11] ZEIT ONLINE v. 12.01.2021, https://www.zeit.de/wirtschaft/2021-01/corona-krise-homeoffice-wirtschaft-hubertus-heil-peter-altmaier.
[12] Franz Josef Düwell, jurisPR-ArbR 4/2021 Anm. 1, F.
[13] Düwell (Fn. 12), F; Ralf Jahn, DB 2021, 290 (291).
[14] Allgemein zur Transformation des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzrechts ins Privatrecht: Katja Nebe, in: Wolfhard Kothe / Ulrich Faber / Kerstin Feldhoff (Hrsg.), Gesamtes Arbeitsschutzrecht, § 618 BGB, Rn. 18 f.
[15] Nathalie Oberthür, NZA 2013, 246 (247).
[16] IZA Newsroom v. 02.03.2021, https://newsroom.iza.org/de/archive/news/anteil-der-beschaeftigten-im-homeoffice-nimmt-weiter-zu.
[17] BR-Drs. 506/16, 36.
[18] Bernd Wiebauer, NZA 2017, 220 (222).
[19] Hans-Böckler-Stiftung (Fn. 9).
[20] Zu letzterem Aspekt Ewald Bartl / Aidan Harker, NZA 2020, 1669.
[21] EuGH 14.5.2019 – C-55/18 (CCOO), NZA 2019, 683 Rn. 60.
[22] Daniel Ulber, NZA 2019, 677 (679 f.).
[23] Frank Bayreuther, NZA 2020, 1 (9, Fn. 75) m.w.N.; Christiane Brors, NZA 2020, 1685 (1685).
[24] Für eine unmittelbare Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ArbG Emden 20.2.2020 – 2 Ca 94/19, AuR 2020, 335 (Ls.); Johannes Heuschmid, NJW 2019, 1853 (1854); Ulber (Fn. 22), 680 f.; dagegen Bayreuther (Fn. 23), 2; Martin Kock, in: Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht, § 16 ArbZG, Rn. 4 f. m.w.N.
[25] Otfried Wlotzke, Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz und das erneuerte Arbeitsschutzrecht, in: Wolfhard Kohte u.a., Arbeitsrecht im sozialen Dialog: Festschrift für Hellmut Wissmann zum 65. Geburtstag, 2005, 426 (428).
[26] 2018 wurden in Westdeutschland 42 % und in Ostdeutschland 35 % der Beschäftigten von einem Betriebsrat vertreten, vgl. Peter Ellguth, IAB-Forum v. 22.05.2019, https://www.iab-forum.de/ist-die-erosion-der-betrieblichen-mitbestimmung-gestoppt.
[27] BAG 28.3.2017 – 1 ABR 25/15, NZA 2017, 1132 Rn. 22.
[28] Thomas Kania, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 87 BetrVG, Rn. 64 ff.
[29] Peter Berg, in: Wolfgang Däubler / Thomas Klebe / Peter Wedde, Betriebsverfassungsgesetz, § 2 Rn. 108 ff.
[30] BAG 20.1.2009 – 1 AZR 515/08, NJW 2009, 1990 Rn. 34.
[31] Ablehnend Roland Schwarze, RdA 2010, 115 (119).
[32] Claire Samtleben / Yvonne Lott / Kai-Uwe Müller, Auswirkungen der Ort-Zeit-Flexibilisierung von Erwerbsarbeit auf informelle Sorgearbeit im Zuge der Digitalisierung, 2020, 42 ff.
[33] Ulrich Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 616 BGB, Rn. 8 f.; Martin Henssler, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 616, Rn. 35 ff, 42.
[34] Vertiefend zum Verhältnis der beiden Institute: Wiebke Brose, NZA 2011, 719 (722).
[35] Vgl. dazu RBB v. 18.12.2020, https://www.rbb24.de/politik/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/12/berlin-homeoffice-steuerpauschale-bundestag-entlastung.html.
[36] Ute Sacksofsky, NJW 2000, 2619 (2626).
[37] Michael Wissels, NStZ 2000, 822 (826).
[38] LAG Berlin-Brandenburg 14.11.2018 – 17 Sa 562/18, AuR 2020, 484 (Ls.).
[39] EuGH 14.5.2019 – C-55/18 (CCOO), NZA 2019, 683 Rn. 44; BVerfG 23.11.2006 – 1 BvR 1909/06, NJW 2007, 286 (287) m.w.N.
[40] Thomas Klebe, NZA -Beilage 2017, 77 (81 f.).
[41] Hasso Suliak, LTO v. 07.01.2021, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/betriebsrat-mitbestimmung-homeoffice-mobile-arbeit-bmas-kanzleramt-corona-arbeitsrecht.