Die Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachthöfen waren schon vor der Corona-Pandemie prekär. Ein seit 2021 geltendes Werkvertragsverbot hat Potenzial, die Situation zu verbessern. Der Widerstand dagegen war groß, sah man doch die Grillsaison in Gefahr.[1]
Als es vor gut einem Jahr zu Masseninfektionen mit dem Sars-CoV-2-Virus in Schlachthöfen größerer Fleischunternehmen kam, machte sich auch in den Medien Empörung über die dort herrschenden Arbeitsbedingungen breit. Ursachen für die vielen Infektionen unter den Beschäftigten waren defizitäre Hygienemaßnahmen, kalte Temperaturen in den Schlachträumen und Klimaanlagen, die Frischluftzufuhr verhinderten. Wenn auch weniger medienwirksam wurde jedoch auch schon vorher berichtet von Arbeitstagen von bis zu 16 Stunden, unzureichender Schutzausrüstung, schweren Arbeitsunfällen, engen und mangelhaften Unterkünften[2] zu überhöhten Preisen, einer Umgehung des Mindestlohns, schnellen Kündigungen, einer hohen körperlichen Belastung mit negativen gesundheitlichen Folgen und sexualisierter Gewalt gegen Mitarbeiterinnen durch Vorarbeiter.[3] Unterfüttert wurde die Dimension dieses Zustands auch durch Erhebungen der Arbeitsschutzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW). Diese überprüfte 2019 in einer größeren Aktion 30 Großbetriebe aus den Bereichen der Schlachtung und Fleischverarbeitung mit insgesamt circa 17.000 Beschäftigten und stellte zahlreiche Verstöße gegen das Arbeitszeit- und Arbeitsschutzrecht fest.[4]
Die Fleischwirtschaft ist der umsatzstärkste Bereich der Nahrungs- und Genussmittelindustrie in Deutschland[5] und beschäftigt in 380 Schlachtbetrieben und circa 1000 Fleischverarbeitungsbetrieben mit mehr als 20 Mitarbeiter:innen etwa 128.000 Menschen.[6] Zwar sinkt der Fleischkonsum hierzulande langfristig, doch kaum ein anderes europäisches Land exportiert mehr Fleisch. Während deutsche Unternehmen auf dem globalen Fleischmarkt konkurrieren, ist die Fleischwirtschaft in Deutschland zum Billiglohnsektor geworden. Mittel dazu war vor allem die Praxis des Fremdpersonaleinsatzes durch Werkverträge.
Organisierte Verantwortungslosigkeit
In der deutschen Fleischindustrie arbeiten überwiegend Osteuropäer:innen. Grund dafür dürfte zum einen die Schwierigkeit sein, in osteuropäischen Ländern Arbeit zu finden und zum anderen irreführende Versprechungen und Vorstellungen über die Arbeitsbedingungen in Deutschland. Bis vor kurzem waren die Arbeiter:innen nicht direkt bei den Fleischunternehmen, sondern meist bei Subunternehmen angestellt. Anstatt selbst Arbeitnehmer:innen anzustellen, schlossen die Fleisch- mit den Subunternehmen Werkverträge, z.B. über die Schlachtung oder Zerlegung von Schweinen. Die Arbeitnehmer:innen der Subunternehmen führten dies aus – in den Betriebsstätten der Fleischunternehmen, den Schlachthöfen. Bei einem Werkvertrag wird nicht das Erbringen einer Arbeitsleistung, sondern ein bestimmtes Ergebnis geschuldet, etwa 30 geschlachtete Schweine. Dies erzeugt einen gewissen Druck, den in der Fleischindustrie die Arbeitnehmer:innen der Subunternehmen ausbaden mussten, indem sie oft viele Überstunden leisteten, damit das Subunternehmen seine Verpflichtung aus dem Werkvertrag erfüllen konnte. Das Werkvertragsmodell führt zu der Situation, dass zwar die Subunternehmen die Arbeitgeber der Arbeiter:innen sind, letztere jedoch tatsächlich in die Arbeitsorganisation des Fleischunternehmens eingegliedert sind. Deshalb wird davon gesprochen, dass die Personalverantwortung und die Betriebsführung beim Werkvertragsmodell auseinanderfallen. Mit dem Ziel Arbeitsrechte in der Fleischindustrie zu stärken, brachte Bundesarbeitsminister Heil im Juli 2020 das „Arbeitsschutzkontrollgesetz“ auf den Weg. Darin wird unter anderem der Werkvertragseinsatz in der Fleischwirtschaft verboten. Zum 1. Januar 2021 ist das Gesetz in Kraft getreten. Doch was hat die rechtliche Werkvertragskonstellation mit den tatsächlichen Arbeitsbedingungen zu tun?
Als Arbeitgeber:innen waren die Subunternehmen rechtlich verantwortlich für die Einhaltung des Arbeitsschutzes. Da die Arbeiter:innen jedoch tatsächlich in den Schlachthöfen der Fleischunternehmen eingesetzt waren, wurden ihre Arbeitsbedingungen weniger durch die Subunternehmen als durch die Fleischunternehmen determiniert. Letztere konnten sich jedoch mit dem Hinweis, dass sie nicht Arbeitgeber seien, aus der rechtlichen Verantwortung für die Arbeitsbedingungen ziehen. Ein solcher Zustand der Verantwortungslosigkeit führt strukturell zu Defiziten im Arbeitsschutz. Tatsächlich sind Werkvertragsarbeitnehmer:innen grundsätzlich von prekäreren Arbeitsbedingungen als Festangestellte betroffen.[7] Dies zeigt sich etwa an der doppelt so hohen Arbeitsunfallquote bei Arbeitnehmer:innen von Subunternehmen in der Fleischbranche im Vergleich zum Durchschnitt der in der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe versicherten Branchen.[8] Außerdem erschwert der Fremdpersonaleinsatz Kontrollen durch die Arbeitsschutzbehörden. Nicht selten wurden an einem Produktionsstandort Arbeitnehmer:innen von vielen verschiedenen Subunternehmen eingesetzt. Mithin handelte es sich um ganze Subunternehmensketten. So war es für die Behörden kaum ersichtlich, wer die:der verantwortliche Arbeitgeber:in war und wer dementsprechend für etwaige Mängel haften musste. Darüber hinaus verhindert das Werkvertragsmodell, dass Arbeitnehmer:innen eines Produktionsstandortes einen Betriebsrat gründen können, der dann in sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten bestimmte Mitbestimmungsrechte hat. Dies betrifft zum Beispiel die Lage der Arbeitszeit. Auch erschwert bzw. verhindert massiver Fremdpersonaleinsatz die kollektive Organisierung der Arbeiter:innen in einer Gewerkschaft und ihre Mitbestimmung im Aufsichtsrat.
Fremdpersonaleinsatz für falsche Flexibilität
Die Unternehmen begründeten ihr Geschäftsmodell gern mit dem Erfordernis, flexibel zu sein und Auftragsspitzen, etwa zur Grillsaison und zur Weihnachtszeit, durch temporären Fremdpersonaleinsatz abfangen zu können. Dementsprechend sahen sich Fleisch- und Subunternehmen durch das neue Gesetz in ihrer durch das Grundgesetz geschützten unternehmerischen Freiheit verletzt. Sie legten Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein, um das Inkrafttreten des Verbots noch in letzter Sekunde verhindern. Das BVerfG lehnte jedoch die Eilanträge ab und verwies insbesondere darauf, dass der Schutz der Arbeitnehmer:innen die Schwere des Eingriffs in die unternehmerische Freiheit überwiege.[9] Das Argument des Flexibilitätserfordernisses überzeugt außerdem wenig, wurde doch das Werkvertragsmodell überwiegend und dauerhaft eingesetzt und nicht etwa nur bei einem kleinen Anteil des Personals und zu bestimmten Zeiten im Jahr. In NRW bestand die Belegschaft mancher der überprüften Unternehmen zu 100% aus Werkvertragsarbeitnehmer:innen.[10] Vielmehr dürfte hinter dem Geschäftsmodell das Interesse stehen, Personalkosten gering zu halten, um weiterhin billiges Fleisch produzieren und exportieren zu können.
Neben dem Werkvertragsverbot sind mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz noch weitere Maßnahmen in Kraft getreten. Hervorgehoben sei die nun eingeführte Mindestquote für die Überwachung von Betrieben durch die Arbeitsschutzverwaltungen der Länder. Spätestens ab 2026 sollen jährlich mindestens 5% der Betriebe (branchenübergreifend) in einem Bundesland überprüft werden. Das bedeutet, dass ein Betrieb im Schnitt alle 20 Jahre einmal kontrolliert wird. Zwar müssen allein hierfür schon bundesweit 630 neue Stellen bei den Arbeitsschutzbehörden geschaffen werden.[11] Ob eine Kontrolle etwa alle 20 Jahre bei dem festgestellten Ausmaß an Rechtsverstößen in der Fleischindustrie zu einer Veränderung führen kann, ist jedoch fragwürdig. Darüber hinaus wurde die ohnehin schon existierende Pflicht zur Arbeitszeiterfassung durch Arbeitgeber:innen der Fleischbranche dahingehend intensiviert, als diese Aufzeichnung nun elektronisch erfolgen muss.
Schlupfloch Leiharbeit
Seit dem 1. April 2021 ist auch die Leiharbeit im Fleischsektor verboten. Diese spielte bisher neben den Werkverträgen nur eine marginale Rolle. Ohne das nachgeschaltete Leiharbeitsverbot wäre aber eine massive Überführung von Werkvertragskonstellationen in Leiharbeitsverhältnisse zu erwarten gewesen, da die Leiharbeit ebenfalls als Dreiecksbeziehung die Aufteilung von Verantwortung ermöglicht. Bei der Leiharbeit überlässt der:die Arbeitgeber:in (Verleiher:in) den:die Arbeitnehmer:in einer:einem Dritten (Entleiher:in) zur Arbeitsleistung (deshalb auch „Arbeitnehmerüberlassung“). Das entleihende Unternehmen hat dann das Weisungsrecht und die Schutzpflichten gegenüber dem:der Arbeitnehmer:in, die Pflicht zur Lohnzahlung bleibt aber beim verleihenden Unternehmen. Zwar ist die Leiharbeit mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) besser reguliert als der Fremdpersonaleinsatz durch Werkverträge. So sieht das AÜG etwa eine Höchstüberlassungsdauer und den Grundsatz, dass Leiharbeiter:innen nicht schlechter gestellt sein dürfen als Festngestellte, vor. Von beidem darf jedoch durch Tarifvertrag abgewichen werden. Das ist deshalb problematisch, da Leiharbeiter:innen in den Gewerkschaften selbst schlecht oder gar nicht vertreten sind, diese aber mit den Arbeitgeber:innen(-verbänden) die Tarifverhandlungen führen. Auch Leiharbeit bleibt im Grundsatz prekär, sodass das Leiharbeitsverbot in Ergänzung zum Werkvertragsverbot richtig ist. Es wurde jedoch modifiziert, nachdem die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess im Herbst kurzzeitig aufhielt, weil es „noch Gesprächsbedarf“ gab.[12] Das Ergebnis des dann erfolgten Gesprächs war, dass auch das Leiharbeitsverbot in der Fleischbranche nun tarifdispositiv ist, dass also auch hiervon durch Tarifvertrag abgewichen werden darf. Dies kann zwar als Anreiz für die Fleischunternehmen dienen, sich auf Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften einzulassen. Wegen der besagten schlechten bis nicht vorhandenen Interessenvertretung der Leiharbeiter:innen in Tarifverhandlungen, ist dies jedoch kritisch zu betrachten. Es bietet jedenfalls ein Schlupfloch, das von den Fleischunternehmen ausgenutzt werden könnte, um weiterhin prekäre Beschäftigung aufrechtzuerhalten, Personalkosten gering zu halten und sich jeglicher Verantwortung und Haftung zu entziehen. Angesichts der hohen Wahlkampfspenden, die die CDU vom Schlachtkonzern Tönnies erhalten hat,[13] überrascht dieser Vorstoß der CDU/CSU-Fraktion im Gesetzgebungsprozess nicht besonders.
Wirkt das Gesetz?
Ob das Arbeitsschutzkontrollgesetz und insbesondere das Werkvertragsverbot die gewünschte Wirkung zeigen, ist zu diesem Zeitpunkt (Stand 31.3.2021) wohl noch schwer zu beurteilen. Jedenfalls wurden bei den Marktführern Tönnies, Westfleisch und Vion mittlerweile viele Arbeiter:innen in ein Direktanstellungsverhältnis übernommen.[14] Dies dürfte zukünftig Kontrollen und Zurechenbarkeit erleichtern. Auch die Wohnsituation der Arbeiter:innen bei Tönnies habe sich verbessert.[15] Gerade die Fragen der kollektiven Organisierung aber brauchen etwas Zeit, um an Fahrt aufzunehmen. Das Beratungsnetzwerk „Faire Mobilität“ vom Deutschen Gewerkschaftsbund sieht nun zumindest die Voraussetzungen erfüllt, um Tarifverhandlungen zu führen und so ein besseres Lohnniveau zu schaffen.[16] Erste Tarifverhandlungen scheiterten jedoch und Warnstreiks wurden in Aussicht gestellt.[17] Bei Beschäftigten und Gewerkschaften besteht also etwas Hoffnung, während andere zitternd der Grillsaison entgegen bangen.
Die europäische Gewerkschaftsvereinigung für Ernährung, Landwirtschaft und Tourismus (EFFAT) fordert eine Lösung auf EU-Ebene, zumal es sich um ein Problem von europäischer Dimension handelt. Im europäischen Vergleich sind im deutschen Fleischsektor die Arbeitskosten pro Mitarbeiter:in am geringsten, die Arbeitsbedingungen am schlimmsten.[18] Indem deutsche Fleischunternehmen durch ihre Werkvertragspraxis eine massive Billiglohnkonkurrenz erzeugten, gingen in anderen europäischen Staaten Jobs in der Fleischbranche verloren und es verschlechterten sich dort die Arbeitsbedingungen.[19] EFFAT fordert eine EU-Initiative, die dem Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit europaweit begegnen soll und außerdem einheitliche Mindeststandards für die adäquate Unterbringung von Arbeitsmigrant:innen im Fleischsektor einführt.[20]
Es ist dieser Kapitalismus
Das Eintreten für Gesetze wie das Arbeitsschutzkontrollgesetz, die Arbeitnehmer:innen schützen und ihre Rechte stärken sollen, sollte nicht verschleiern, dass die Bestrebungen der Unternehmen, stets Profite auf Kosten der Arbeiter:innen zu maximieren, nur der kapitalistischen Logik entsprechen. Es ist mühsam die Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen, denn sie werden immer bestrebt sein, Lücken auszunutzen und Wege zu finden, Menschen auszubeuten. Eine umfassende Kritik der herrschenden Verhältnisse darf daher nicht aus dem Blick geraten.
Weiterführende Literatur:
- Serife Erol / Thorsten Schulten, Neuordnung der Arbeitsbeziehungen in der Fleischindustrie. Das Ende der „organisierten Verantwortungslosigkeit“?, WSI-Report Nr. 61, Oktober 2020
- Olaf Deinert, Zur Zulässigkeit eines Direktanstellungsgebots für Arbeitnehmer in der Fleischindustrie, Arbeit und Recht (AuR) 2020, S. 344-352
- Hans-Böckler-Stiftung (HBS), Branchenmonitor Schlachten und Fleischverarbeitung, Düsseldorf, Januar 2021.
[1] Frank Pergande, FAZ v. 15.11.2020, https://bit.ly/3di6FBr (alle Links Stand 30.3.2021).
[2] Siehe dazu Pascal Annerfelt, Forum Recht 2021, 5.
[3] Z.B. DGB, Zur Situation in der deutschen Fleischindustrie, 2017, 8 ff.; Alexandra Voivozeanu, Am Fliessband, Missy Magazine 04/2019, 36; HBS, Branchenmonitor Schlachten und Fleischverarbeitung, Düsseldorf 2019, 10.
[4] Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS), Überwachungsaktion „Faire Arbeit in der Fleischindustrie“, Abschlussbericht. 2019, 5.
[5] HBS (Fn. 3), 3.
[6] Statista, https://bit.ly/3fr6FSc.
[7] Tim Obermeier / Stefan Sell, Werkverträge entlang der Wertschöpfungskette, 2016, 42.
[8] BR-Drs. 426/20, 18.
[9] BVerfG, Beschluss v. 29. Dezember 2020 – 1 BvQ 152/20, 1 BvQ 157/20, 1 BvQ 156/20, 1 BvQ 155/20, 1 BvQ 154/20, 1 BvQ 153/20.
[10] BT-Drs. 19/21978, 3.
[11] BT-Drs. 19/21978, 31; 53.
[12] dpa, Schärfere Regeln für Fleischindustrie vorerst gestoppt, SZ v. 23.10.2020, https://bit.ly/31zIYyQ.
[13] Andreas Niesmann, RND v. 22.6.2020, https://bit.ly/3dk46yB.
[14] FAZ v. 6.1.2021, https://bit.ly/3frODPD.
[15] ARD Morgenmagazin v. 22.1.2021, https://bit.ly/3m5Us6F.
[16] https://twitter.com/FaireMobilitaet/status/1352878100498030592
[17] Frank-Thomas Wenzel, RND v. 27.3.2021, https://bit.ly/3wcNyRV.
[18] Erol / Schulten 2020, 8.
[19] Alois Berger, DLF v. 22.7.2020, https://bit.ly/3rxzJtG.
[20] EFFAT Report, Covid-19 outbreaks in slaughterhouses and meat processing plants, State of affairs and demands for action at EU level, 7.9.2020.