Im Februar 2021, ca. eineinhalb Jahre nach der Ermordung Walter Lübckes sowie fünf Jahre nach dem Angriff auf Ahmed I., fiel das Urteil im Prozess gegen Stephan Ernst und den Mitangeklagten Markus Hartmann vor dem Frankfurter OLG.
Im Gedächtnis blieb vor allem, dass das Gericht zwar wohl die rechtsextreme Motivation des Hauptangeklagten erkannt hat, jedoch keinerlei gesteigertes Interesse besaß, die Strukturen, in denen dieser sich bewegte, aufzudecken. Auch § 129a StGB z.B. war nicht Gegenstand des Prozesses. Und das obwohl sowohl der Mitangeklagte H. als auch potentiell eine dritte Person von den Angriffsplänen gewusst haben könnten. Sodann scheint es auch nicht verwunderlich, dass die Beweislage für eine Verurteilung H‘s als Mordgehilfen nicht ausreichte. Dass ihm kein Beihilfevorsatz nachgewiesen werden konnte, ist die eine Sache. Dass sich E. durch widersprüchliche Aussagen unglaubwürdig machte, die andere. Umfangreichere Strukturermittlungen hätten womöglich jedoch eine andere rechtliche Bewertung zugelassen.
Vergleicht man dieses Vorgehen damit, wie Ermittler*innen § 129a StGB wahnhaft nutzen, um in der ganzen BRD linke Strukturen zu kriminalisieren und zu bespitzeln, macht einen das sprachlos. Dem deutschen Staat ist offensichtlich nichts daran gelegen, den seit Jahrzehnten real existierenden Rechtsterrorismus ernsthaft zu bekämpfen!
Auffällig ist außerdem, dass auch in diesem politisch brisanten Prozess die Akten gesperrt wurden. Wird hier das vermeintliche Staatswohl geschützt, oder schützt sich der Staat selbst vor unbequemen Fragen? Z.B. vor der Frage, ob die Gefährlichkeit des seit Jahren polizeibekannten E. falsch eingeschätzt wurde?
Und auch wenn E. nicht für den Angriff auf Ahmed I. verurteilt wurde, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er auch hierfür verantwortlich ist. Obwohl Ahmed I. der Polizei nach dem Angriff mitteilte, dass er von einem rassistischen Tatmotiv ausgehe, ermittelte diese nach altbekanntem Muster in seinem persönlichen Umfeld. Erst 2019 wurde im Zuge einer Hausdurchsuchung bei E., welche nur auf Drängen I.‘s durchgeführt wurde, ein Messer bei diesem gefunden. Hätte die Polizei bereits im Jahr 2016 Ahmed I. gehört und wäre seinem Verdacht auf einen rassistisch motivierten Angriff nachgegangen, wäre auch hier eine andere rechtliche Bewertung auf Grundlage der Messerspuren u.U. möglich gewesen.
Die juristische Aufarbeitung der Ermordung Walter Lübckes‘ sowie des Angriffs auf Ahmed I. zeigt damit: weder die Ermittlungsbehörden noch die Spruchkörper haben seit dem NSU etwas gelernt. Aufarbeitung bleibt Handarbeit!