Gleich in zwei Urteilen äußerte sich der Bundesgerichtshof (BGH) in diesem Jahr als erstes oberstes Gericht in Deutschland zu der Frage, ob soziale Netzwerke Inhalte unterhalb der Schwelle gesetzlicher Verbote sperren dürfen (Az. III ZR 179/20 & III ZR 192/20). Gegenstand der Verfahren waren jeweils Beiträge, die Facebook als Hate Speech im Sinne seiner Community Standards qualifizierte und daher löschte.
Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass die Plattform grundsätzlich dazu berechtigt sei, in ihren Nutzungsbedingungen auch gesetzeskonforme Äußerungen zu verbieten. Bei Zuwiderhandlung dürfe das Netzwerk den betreffenden Beitrag und ggf. sogar das Nutzerkonto sperren. Zur Begründung führt der Senat an, dass nur auf diese Weise ein angemessener Ausgleich zwischen den Grundrechten aller Beteiligten hergestellt werde. Andernfalls könne das Unternehmen seine Berufsfreiheit nicht wirksam entfalten. Auf diese könne es sich berufen, weil es über die Kommunikationsregeln einem verrohten Umgangston vorbeuge, welcher die Attraktivität des Webdienstes und damit dessen geschäftliche Interessen beeinträchtigen könne. Gleichermaßen werde nur so das Persönlichkeitsrecht und das Interesse anderer Nutzer:innen an einer respektvollen Diskussionskultur angemessen geschützt. Wäre das Netzwerk dagegen auf die Löschung rechtswidriger Beiträge beschränkt, liefe das auf eine staatsgleiche Bindung der Plattform an die Meinungsfreiheit der Nutzer:innen hinaus, obwohl diese selbst Trägerin von Grundrechten sei.
Gleichwohl stellt der BGH klar, dass die Berechtigung, Kommunikationsregeln festzulegen und durchzusetzen, nicht unbeschränkt, sondern nur unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit und des Gleichbehandlungsgebots gelte. Zunächst dürfe die Sperrung von Beiträgen oder Nutzerkonten nicht willkürlich erfolgen, sondern müsse auf einem sachlichen Grund beruhen. Darüber hinaus legt der BGH verfahrensrechtliche Mindestanforderungen fest, die sich auch in den Geschäftsbedingungen widerspiegeln müssen. So hat das Netzwerk die Nutzer:in umgehend über die Maßnahme zu informieren, eine Begründung anzugeben und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung zu gewähren.
Mag das Urteil wegen der virulenten Verbreitung von Hate Speech in sozialen Medien auf den ersten Blick sympathisch erscheinen, zementiert es doch auch die ohnehin bedenkliche Meinungsmacht der Plattformen. Trotz der verfahrensrechtlichen Absicherung wird den Privatunternehmen das Recht eingeräumt, die Grenzen des Sagbaren eigenmächtig entlang ihrer wirtschaftlichen Interessen zu bestimmen, und das, obwohl soziale Netzwerke längst zu zentralen Orten gesellschaftlicher Auseinandersetzung geworden sind.
Johannes Weil, Berlin