Zunächst einmal und vor allem: Wie schön, dass ForumRecht die Jahrtausendwende überlebt hat – daran war im Jahre 1988 nicht zu denken. Wir haben damals in Bielefeld und anderswo emsig daran gearbeitet, die Basis von Forum Recht – auch mithilfe des neu gegründeten BAKJ – zu festigen: Dass uns das offenbar gelungen ist, mag man/frau nach 40 Jahren im Rückblick mit ein wenig Stolz verbuchen.
Nun aber zu den „unablässigen Versuchen, Frauen die Abtreibung auszutreiben“1: Diese Versuche und die damit verbundenen (rechts)politischen Auseinandersetzungen haben die Jahrtausendwende – leider unbeschadet – überstanden. Vielerorts ist ein massiver Backlash zu verzeichnen, und das nicht nur in den USA.2
Kurz zur weiteren realpolitischen und justiziellen Entwicklung: Nachdem der § 218 StGB-West (StGB: Strafgesetzbuch) im Einigungsvertrag 1990 zunächst einmal für die sogenannten neuen Bundesländer ausgeschlossen blieb, gab es 1992 eine bundesweite Neuregelung, bearbeitet von einem Bundestags-Sonderausschuss „Schutz des ungeborenen Lebens“. Dieses Gesetz wurde allerdings – einmal mehr – vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auf Betreiben der Bayrischen Staatsregierung und der Bundestags-Minderheit gestoppt: Mit Urteil v. 28. Mai 19933 wurde § 218a Abs. 1 StGB für nichtig erklärt.4 Zwei Jahre später die Neuregelungen von 1995 inklusive Schwangerschaftskonfliktgesetz, die – jedenfalls was die §§ 218, 218c, 219 StGB betrifft – bis heute Bestand haben.5
Die vorerst letzten Auseinandersetzungen wurden um § 219a StGB geführt, das sogenannte Werbungsverbot: Nach den skandalösen Urteilen des Landgericht Gießen (vom Oberlandesgericht Frankfurt letztlich gehalten) von 2018/19 und kontroversen Debatten6 wurde die Vorschrift 2022 ersatzlos gestrichen. Ein Lichtblick in der Schattenwelt des Abtreibungsrechts!
Das BVerfG hat sich übrigens seit seinen Kampfansagen von 1976 und 1993 nicht mehr damit befasst (die Herren aus Karlsruhe hatten sich ja auch weitgehend durchgesetzt), mit einer – löblichen – Ausnahme: Ein zivilrechtliches Unterlassungsurteil gegen Aktivitäten von Abtreibungsgegner*innen vor einer Klinik wurde gehalten und nicht als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit gewertet.7
Zurück in das Jahr 1988: Seinerzeit standen die Auseinandersetzungen um den Entwurf der ersten „Frauenministerin“ Rita Süßmuth (die darüber später mit der CDU in Konflikte geriet) für die Zwangsberatung im Mittelpunkt: Was damals bereits zu beobachten und zu befürchten war, hat sich seitdem eher noch zugespitzt, dass nämlich in immer weiteren Landstrichen die Möglichkeit zur Abtreibung ausgetrieben wurde.8 Erinnert sei auch an den skandalösen Prozess von Memmingen gegen den Frauenarzt Horst Teissen (1988/89):9 Schwangere in Bayern – aber nicht nur dort – sind in puncto Schwangerschaftsabbruch nach wie vor und wieder vermehrt auf Tourismus angewiesen. Von daher ist das Projekt des Familienplanungszentrums Balance (Berlin) zu begrüßen, das seit 2021 (als sich im Rahmen der Corona-Pandemie die Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch noch weiter verschlechterten) einen telemedizinisch begleiteten medikamentösen Abbruch anbietet;10 bleibt zu hoffen, dass es von Repression unbehelligt bleibt.
Es bedarf weiterhin unablässiger Versuche, das Menschenrecht der Schwangeren auf Abtreibung11 auch in Deutschland uneingeschränkt durchzusetzen.
[autho_bio]1 S. auch die Abschlusserklärung der Fachkonferenz „150 Jahre § 218 StGB“ v. 28. August 2021, Streit 2022, 15 www.streit-fem.de/ausgaben/ausgaben,id-2022,ausgabe-1-485.html (Stand aller Links: 23.07.2023).
2 Dazu Ute Sacksofsky, Verfassungsgerichtlicher Backlash: die Dobbs-Entscheidung des U.S. Supreme Court, Kritische Justiz (KJ) 2023, 80, sowie bereits Annika Meixner/Jannik Rienhoff, Dein Bauch gehört Gott.
Evangelikale und ihr Kampf gegen Selbstbestimmungsrechte, FoR 2013, 9; s. auch Anja Titze, Recht und Rechtswirklichkeit – der Schwangerschaftsabbruch in Polen, Streit 2021, 99.
3 BVerfG, Urt. v. 28.05.1993 – 2 BvF 2/90, BGBl. 1993, 820.
4 Dazu u.a. Monika Frommel, § 218: Straflos, aber rechtswidrig; zielorientiert, aber ergebnisoffen – Paradoxien der Übergangsregelungen des Bundesverfassungsgerichts, KJ 1993, 324.
5 Zur aktuellen Debatte Monika Frommel, „Weg mit §§ 218, 219a StGB“? Thesen gegen Scheinradikalismus und erste Versuche einer konstruktiven Lösung, Neue Kriminalpolitik 2021, 474.
6 Vgl. auch Nora Pohlmann, Der Fundamentalismus der Mitte. § 219a und der organisierte „Lebensschutz“ in der CDU, FoR 2022, 10.
7 BVerfG, Beschluss v. 24. Mai 2006 – 1 BvR 1060/02; ähnlich Verwaltungsgericht Karlsruhe v. 27. März 2019 – 2 K 1979/19 und Landgericht Hamburg v. 15. Januar 2021 – 324 O 290/19; vgl. auch den Beitrag von Eva Maria Bredler, Schwangerschaftsabbruch und öffentlicher Raum, KJ 2023, 34.
8 S. auch Doctors For Choice Germany, Unsere Forderungen, https://doctorsforchoice.de/ueber/forderungen/.
9 Dazu u.a. Heide Gall-Alberth und Brigitte Hörster, Memmingen – ein Erfahrungsbericht, Streit 3/1989.
10 Familienplanungszentrum Balance, https://www.fpz-berlin.de/Schwangerschaftsabbruch-884834.html.
11 S. auch Carolin Funcke, Ein Menschenrecht auf Abtreibung? Konfliktstoff für die Vereinten Nationen, Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. v. 19.11.2020, menschenrechte-durchsetzen.dgvn.de/meldung/ein-menschenrecht-auf-abtreibung-konfliktstoff-fuer-die-vereinten-nationen/.