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Istanbul-Konvention in Deutschland

Von Michele Garitz

Am 01. Februar 2018 trat in Deutschland das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Kraft. Der völkerrechtliche Vertrag wurde 2011 in Istanbul unterzeichnet und trägt den Beinamen Istanbul-Konvention. Das Übereinkommen verpflichtet alle staatlichen Stellen dazu, die aufgestellten Anforderungen zur Prävention und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt umzusetzen.

Die Konvention galt jedoch vorerst nur eingeschränkt im Bundesgebiet. Grund waren Vorbehalte der Bundesregierung (BR) gegen einzelne Artikel des Übereinkommens, wodurch diese fünf Jahre keine Rechtskraft entfalteten. Unter anderem ging es der BR um einen weitreichenden Schutz von Migrant*innen, den die deutsche Regierung nicht umsetzen wollte.

So müssen die Vertragsstaaten nach Art. 59 Absatz 2 der Konvention sicherstellen, dass gewaltbetroffene Personen, die aufgrund eines Ausweisungs- oder Abschiebeverfahrens gegen ihre*n Ehepartner*in ihr Aufenthaltsrecht verlieren könnten, eine Aussetzung der Abschiebung erwirken und einen eigenständigen Aufenthaltstitel erlangen können. Dadurch soll eine gemeinsame Abschiebung mit gewalttätigen Partner*innen verhindert werden. Die BR lehnte die Umsetzung mit Verweis auf die mögliche Beantragung eines familiären Aufenthaltstitels nach § 31 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ab. Dieser erfordert jedoch umfassende Nachweise zur erlebten Gewalt und berücksichtigte kaum die individuellen Lebens- und Abhängigkeitsverhältnisse der Betroffenen. Vor allem Personen, die nach Gewalterfahrungen keine sofortige oder dauerhafte räumliche Trennung und Scheidung in Betracht zogen, konnten häufig nicht auf die Regelung zurückgreifen. Hinzu kamen unterschiedliche Auffassungen der Gerichte zum Gewaltbegriff.

Gemäß Art. 59 Abs. 3 der Konvention sollen Gewaltbetroffene außerdem einen verlängerten Aufenthaltstitel erhalten, sofern dies aufgrund ihrer persönlichen Situation erforderlich ist oder ihre Mitwirkung in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren benötigt wird. Die BR verwies neben der offenen Formulierung der persönlichen Situation auf die Möglichkeit, nach dem AufenthG in Fällen laufender Verfahren eine Duldung zu erhalten. Der deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) wandte sich bereits in seinem Themenpapier vom 13.02.2020 gegen diese Position. Betroffene geschlechtsspezifischer Gewalt würden zu Objekten staatlicher Strafverfolgung herabgesetzt, rechtlich schlechter gestellt und hätten nur eingeschränkte Möglichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben. Hinzu komme, dass Freizügigkeit notwendig sein könne, um den Gewaltstrukturen zu entkommen.

Da die BR ihre Vorbehalte nicht verlängerte, gilt die Istanbul-Konvention seit Februar 2023 uneingeschränkt auch in Deutschland. Aber vor allem Familiengerichte wenden die Konvention nur bedingt an. Auf der 53. Sitzung des UN- Menschenrechtsrats im Juni 2023 bezeichnete die UN- Sonderberichterstatterin Reem Alsalem die institutionelle Gewalt durch Familiengerichte als anerkanntes Menschenrechtsproblem. Problematisch sei, dass Kinder auch bei nachgewiesener Gewalt gerichtlich zum Kontakt mit Täter*innen verpflichtet würden. Laut Art. 31 der Istanbul-Konvention müssen gewalttätige Vorfälle auch Eingang in Verfahren zu Sorge- und Besuchsrecht finden. Bereits 2022 kritisierte ein Bericht der unabhängigen Expert*innengruppe des Europarats zur Überwachung des Übereinkommens, genannt GREVIO, eine mangelhafte Umsetzung in Deutschland.

Hintergrund ist, dass in Deutschland Partner*innenschaftsgewalt bei Sorge- und Umgangsentscheidungen kaum berücksichtigt wird. So kritisierte Alsalem, dass Kontakt- und Erziehungsansprüche der Eltern regelmäßig höher bewertet würden als die Sicherheit der von Gewalt betroffenen Partner*innen und Kinder. Durch erzwungenen Umgang und Beibehaltung des Sorgerechts könnten sich Gewalt und Kontrolle der Täter*innen weiter ungehindert fortsetzen und die Situation eskalieren. Kinder, die keinen Kontakt zum gewalttätigen Elternteil wünschen, würden kaum Gehör finden. Hinzu komme, dass in deutschen Familienprozessen häufig misogyne Mythen zum Nachteil des gewaltbetroffenen Elternteils eingesetzt würden. So drohe besonders Frauen, die den Umgang ihrer Kinder mit gewalttätigen Partner*innen einzuschränken oder zu verhindern suchen, eine Entziehung des Sorgerechts.

In dem GREVIO Bericht von 2022 heißt es außerdem, dass Fachdienste und NGOS unterfinanziert seien. Dadurch fehle es nicht nur an wichtigen Plätzen in Frauenhäusern, sondern auch an systematischen Weiterbildungen, die ein umfassenderes Verständnis über die unterschiedlichen Formen und Dynamiken der Gewalt ermöglichen würden. Insbesondere Frauen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, würden zu wenig berücksichtigt.[1]

Statt sich des Problems anzunehmen und z. B. einen rechtlichen Rahmen zur dauerhaften Finanzierung von Frauenhäusern zu schaffen, wie von der Ampelkoalition im Koalitionspapier angekündigt, wurden die finanziellen Mittel für Frauenhäuser im Jahr 2023 allerdings von 30 Millionen auf 20 Millionen Euro gekürzt.

Michele Garitz

[1] Mit Blick darauf sollte auch das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass auch nichtbinäre und transmaskuline Personen von misogyner Gewalt betroffen sind.

Kategorien: PolJus

Michele Garitz

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