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Die Law Clinic „Post-Conviction“

als ein Beispiel praxisorientierter Jurist*innenausbildung

Von Carolin Flower, Aneta Leszczynska, Jana Lanio, Cosima Jacobi

Die universitäre Jurist*innenausbildung sei wenig praxisorientiert – so die Kritik von Kai Bammann in seinem Text aus dem Jahr 2000. Wie sieht die Situation an den juristischen Fakultäten über 20 Jahre später aus? Wir berichten von unserer Arbeit in der Law Clinic „Post-Conviction“ an der Freien Universität Berlin.

Im Vergleich zu dem Bremer „Verein für Rechtshilfe“ ist unsere nunmehr dreijährige Law Clinic „Post-Conviction“ noch recht jung. 20-30 Jurastudent*innen engagieren sich dort pro akademisches Jahr für die Rechte von Strafgefangenen. Dies geschieht unter Aufsicht von Anwält*innen, die mit unserer Law Clinic ehrenamtlich kooperieren. Hinzu kommen regelmäßige universitäre Schulungen im Strafvollzugsrecht und im Wiederaufnahmerecht. Die Law Clinic ist an die Lehrstühle von Kirstin Drenkhahn und Carsten Momsen der Freien Universität Berlin angebunden und arbeitet eng mit den Vereinen Fehlurteil und Wiederaufnahme e.V. und Tatort Zukunft e.V. zusammen. Inhaltlich behandelt sie die „Post-Conviction“-Situation, das heißt die Situation von Menschen nach der rechtskräftigen Verurteilung. Die Arbeit ist in jeweils einen theoretischen und praktischen Teil gegliedert: Den Wiederaufnahme- und Strafvollzugsteil. Der Wiederaufnahmeteil beschäftigt sich damit, die Grundlagen des Strafprozesses zu vermitteln um anschließend die bestrittenen Urteile auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls, sofern Erfolgsaussichten bestehen, eine Wiederaufnahme anzustreben. Dabei müssen Student*innen unter vorheriger Anleitung vor allem Aktenanalysen durchführen und nur in Ausnahmefällen mit den Betroffenen kommunizieren. Anders hingegen gestaltet sich der Praxisteil Strafvollzug, in dem die notwendige Kommunikation mit den Strafgefangenen im Vordergrund steht.

Die Arbeit in Law Clinics fällt in den Anwendungsbereich des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG). Heutzutage sieht das Gesetz in § 6 Absatz 2 RDG vor, dass die studentische unentgeltliche Rechtsberatung von Strafgefangenen die Anleitung, und sofern notwendig auch eine Mitarbeit, durch eine*n Volljurist*in erfordert. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, schulen wir unsere Student*innen kontinuierlich in einem Zeitraum von einem akademischen Jahr. Hierzu finden Crashkurse zu Beginn der Wintersemester statt, die eine Wissensgrundlage in dem jeweiligen Schwerpunkt verschaffen. Im Anschluss erfolgt eine Vertiefung des Wissens durch regelmäßige Veranstaltungen im Rahmen des Curriculums, die über das gesamte akademische Jahr verteilt sind. [1] Sie vermitteln nicht nur Grundwissen im jeweiligen Schwerpunkt unserer Law Clinic, sondern ermöglichen zudem bereits umfangreiche praktische Einblicke in dieses Rechtsgebiet. Zusätzlich zu der rechtlichen Wissensvermittlung werden Sozialarbeitende und (ehemalige) Gefangene als Dozierende eingeladen, um die vielfältigen Perspektiven, die im Gefängnis von Relevanz sind, abzubilden.

Herausforderungen und Hürden in der Praxis des Strafvollzuges

Die Herausforderung, als beratende Person eine angemessene Distanz zu den Rechtssuchenden zu wahren, diskutiert auch Kai Bammann in seinem Text. In Vorbereitung auf die praktische Fallarbeit findet im Rahmen des Curriculums für all jene, die sich bisher nicht mit Gesprächsführung oder dem Nähe-Distanz-Verhältnis im Beratungskontext auseinandergesetzt haben, ein entsprechendes Training statt. Die hierfür verantwortliche Psychologin steht auch während der gesamten Fallarbeit den Student*innen bei Gesprächsbedarf zur Verfügung.

Wir stimmen Bammann außerdem zu, wenn er den Bedarf von Gefangenen betont, möglichst niedrigschwelligen Zugang zu Rechtsberatung zu erhalten. Die Beratungsanfragen sind auch heute noch breit gefächert: So geht es etwa um rechtliche Einschätzungen von Bildungs- und Arbeitsangeboten, Lockerungen, Verlegungen und Therapien oder allgemeine Informationen zur Rechtslage im Vollzug. Anders als damals in Bremen ist die praktische Arbeit heute in Berlin nicht direkt in den Justizvollzugsanstalten ausführbar. Kurz nach dem Start unserer Law Clinic waren persönliche Beratungsgespräche in den Berliner Justizvollzugsanstalten aufgrund der Coronapandemie nicht durchführbar. Außerdem ist der Zugang zu den Gefängnissen nach wie vor erschwert, da uns eine ständige Rechtsberatung vor Ort sowie das Auslegen von Informationsmaterialien bedauerlicherweise noch nicht gestattet ist.[2]

In der bisherigen Praxis findet die Kontaktaufnahme daher ausschließlich via Telefon, Mail oder Brief statt. Die Anfragen, die uns so erreichen, werden in Zweierteams von den Studierenden bearbeitet und durch Fachanwält*innen supervidiert. Der persönliche Kontakt wäre aber vorzugswürdig, da die Beratung per Brief oder Mail sehr langwierig ist und schlimmstenfalls zu Frustration und verpassten Fristen führen kann. Zudem sind Missverständnisse prädestiniert, da kein direktes Nachfragen möglich ist.

Als Reaktion auf den erschwerten Zugang zum Gefängnis bietet Tatort Zukunft e.V., ähnlich den vorgeschlagenen Gesprächsgruppen von Bammann, einen Rechtshilfekurs in der Jugendstrafanstalt Berlin an. Hierbei handelt es sich um ein 12-wöchiges Kursangebot, in dem die jugendlichen Gefangenen sowohl Wissen über Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als auch die Rechte im Jugendstrafvollzug und Wege der Kommunikation und Rechtsdurchsetzung erfahren. Damit können wir ein grundlegendes Rechtsverständnis an eine besonders vulnerable Gruppe vermitteln. Perspektivisch soll das Angebot auch auf den Erwachsenenstrafvollzug übertragen werden und Jurastudent*innen der Freien Universität Berlin zugänglich gemacht werden.

Nutzen und Notwendigkeit von Law Clinics im Strafvollzug

Kai Bammann betonte den Bedarf der stetigen studentischen Rechtsberatung innerhalb der JVA. An dieser Feststellung hat sich bis heute nichts geändert. Durch sie werden nicht nur Anliegen der Gefangen gelöst, sondern auch ihr Bedürfnis gesehen und gehört zu werden, befriedigt.[3] Dies alles bezweckt somit eine positive Wirkung auf das Strafvollzugsklima.[4]

Ein weiterer zentraler Vorteil der studentischen Rechtsberatung liegt darin, dass sie weder Kosten für die Strafgefangenen noch für die JVA verursacht. Auch die mitwirkenden Student*innen profitieren davon. Die Teilnahme an der Law Clinic ermöglicht erste praktische Erfahrungen und fördert kritisches Denken sowie eine gewisse Reflexion bzgl. der Haftbedingungen. Insbesondere werden praktische Fähigkeiten[5], wie das schnelle Erfassen von Sachverhalten, Problemlösekompetenzen und eine für alle Beteiligten verständliche Kommunikation im Rahmen der Law Clinic trainiert. Außerdem erhalten die Teilnehmenden für ihre praktische Mitarbeit die für das rechtswissenschaftliche Studium erforderlichen Qualifikationsnachweise.[6]

Bammanns Hoffnung von vielerorts etablierten studentischen Rechtsberatungen ist nach über 20 Jahren noch immer keine Realität. Der Trend der wachsenden Anzahl an Law Clinics[7] lässt aber eine verhalten optimistische Einschätzung für die Zukunft zu. Es gilt also weiterhin sich für mehr Law Clinics für den Bereich des Strafvollzugsrechts einzusetzen und einen erleichterten Zugang zu Gefängnissen anzustreben.

Carolin Flower ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie von Kirstin Drenkhahn; Aneta Leszczynska ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin am Lehrstuhl für Vergleichendes Strafrecht, Strafverfahrensrecht, Wirtschafts- und Umweltstrafrecht von Carsten Momsen; Jana Sophie Lanio ist Psychologin und Geschäftsführerin von Tatort Zukunft e.V.; Cosima Jacobi ist Sozialwissenschaftlerin und Projektkoordination von „Recht verständlich“ bei Tatort Zukunft e.V.

Weiterführende Literatur:
Kirstin Drenkhahn, Anstaltsklima im Strafvollzug – Weiches Kuschelthema oder harter Erfolgsfaktor?, GreifRecht, 2011, 25-31.
Jan-Gero Alexander Hannemann / Georg Dietlein, Studentische Rechtsberatung und Clinical Legal Education in Deutschland, 2016.
Carsten Momsen / Lisa Eisenberger, Clinical Legal Education als Lehrangebot zur Vermittlung von Schlüsselqualifikationen, in: Jung/Momsen/Saliger/Schmitt-Leonardy (Hrsg.), Strafverfahren und Kommunikationskompetenz, 2018, 47-66.

[1] Ein besonderes Augenmerk muss eine Law Clinic auf den lückenlosen Nachweis der Schulungen von Student:innen zu den beratenden Themengebieten legen. Siehe hierzu OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 28.5.2015 – 6 U 51/14, BeckRS 2015, 12195.

[2] Über ähnliche Erfahrungen berichtet Johannes Feest, Definitionsmacht, Renitenz und Abolitionismus. Texte rund um das Strafvollzugsarchiv, 2020, 183.

[3] Karin A. Beijersbergen et al., Procedural justice in prison: The importance of staff characteristics, International Journal of Offender Therapy and Comparative Criminology, 2015, 337-358; Michael D. Reisig / G. Mesko, Procedural justice, legitimacy, and prisoner misconduct, Crime and Law, 2009, 41-59.

[4] Für weiterführende Informationen siehe Kirstin Drenkhahn, 2011.

[5] Siehe hierzu auch Carsten Momsen / Lisa Eisenberger, 2018, 48 f.

[6] Schlüsselqualifikationen iSv § 5 III 1 DRiG.

[7] Matthias Kilian / Lisa Wenzel, Law Clinics in Deutschland, 2022, 22 ff.; siehe auch Jan-Gero Alexander Hannemann / Georg Dietlein, 2016, 149 ff.

Kategorien: Forum

Carolin Flower ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie von Kirstin Drenkhahn; Aneta Leszczynska ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin am Lehrstuhl für Vergleichendes Strafrecht, Strafverfahrensrecht, Wirtschafts- und Umweltstrafrecht von Carsten Momsen; Jana Sophie Lanio ist Psychologin und Geschäftsführerin von Tatort Zukunft e.V.; Cosima Jacobi ist Sozialwissenschaftlerin und Projektkoordination von „Recht verständlich“ bei Tatort Zukunft e.V.

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