Wenige Namen erfreuen sich in der juristischen Fachwelt so großer Bekanntheit wie der „Palandt“. Als Standardkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch und Hilfsmittel in der zweiten Juristischen Staatsprüfung führt spätestens im Referendariat kein Weg mehr vorbei an dem Verkaufsschlager aus dem Verlagshaus C.H. Beck. Einen dunklen Schatten wirft indes die Historie seines Namensgebers.
Otto Palandt, Jahrgang 1877, gehörte zu den juristischen Eliten des NS-Staates. Als Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes und Leiter der Ausbildungsabteilung im Reichsjustizministerium war er maßgeblich beteiligt an der Umformung der juristischen Ausbildung nach nationalsozialistischem Ungeiste.1 Ein deutliches Bekenntnis zur nationalsozialistischen Ideologie gab Palandt nicht zuletzt im von ihm verfassten Vorwort und Einleitung zur ersten Auflage des „Palandt“ (1939 erschienen), wo es hieß: Die Darstellung finde statt „unter Berücksichtigung der nationalsozialistischen Rechts- und Lebensauffassung sowie unter Hervorhebung der rechtspolitischen Gesichtspunkte“.2 Obgleich diese Fakten zur Person Otto Palandts bereits seit Jahrzehnten bekannt sind, hält der Verlag C.H. Beck bis heute an der Benennung fest. Dieser Umstand stieß in den letzten Jahren, maßgeblich angeregt durch die Gründung der bundesweiten Initiative „Palandt umbenennen“3, zunehmend auf Kritik. Die Initiative versucht durch eine Petition sowie rege Öffentlichkeitsarbeit4 den Beck-Verlag zu einer Umbenennung zu bewegen.
Der AKJ* München wählte diese Thematik bewusst für seine erste Veranstaltung. Die juristische Fakultät der LMU München war mit der 1933 gegründeten Akademie des deutschen Rechts während des Nationalsozialismus an der Umgestaltung des Rechtsstaats der Weimarer Zeit maßgeblich beteiligt. Auch nach Kriegsende wurden die Kontinuitäten zum NS beibehalten. Bekannte Nazijuristen wie Karl Larenz und Theodor Maunz erhielten Lehrstühle an der LMU und konnten von dort aus die Rechtsentwicklung der jungen Bundesrepublik beeinflussen. Diese Kontinuität hat die Münchner Universität bis heute nicht ausreichend aufgearbeitet.
Zur Information über die Problematik und zum Austausch über mögliche Lösungsansätze lud der im Dezember 2018 neugegründete AKJ* München5 Kilian Wegner, einen der Mitinitiatoren von „Palandt umbenennen“, zu einem Vortrag mit anschließender Diskussion am 8. Juli 2019 ein. Ebenfalls anwesend bei dem Vortrag war – zunächst als Zuhörer und später als Mitdiskutant – Prof. Dr. Klaus Weber, Mitglied der Geschäftsleitung des Verlags C.H. Beck. Daraus ergaben sich die folgenden Argumentationslinien für und gegen eine Umbenennung.
Wie viel Nazi ist zu viel Nazi?
Prof. Dr. Klaus Weber hinterfragte die Sinnhaftigkeit einer Umbenennung. Er wies mehrfach darauf hin, dass sich der Verlag bei der Aufarbeitung engagiert habe und so zum aktuellen Kenntnisstand zur Person Otto Palandts beigetragen habe.6 Im Zuge der allgemeinen Forschungen7 zu Palandt sei auch deutlich geworden, dass man bei Otto Palandt nicht von einem „glühenden Nationalsozialisten“ sprechen könne. Vielmehr habe er die auf den Nürnberger Rassengesetzen beruhenden personellen Umwälzungen im Staatsapparat für seine Karriere genutzt, die zuvor mehrere Jahre stagnierte. Auch nach seiner Beförderung habe er im NS-Staat nie die höchsten Weihen erhalten, was angesichts der Personalnot in den späten Kriegsjahren sehr erstaunlich sei. Angesichts der Schwierigkeit der Grenzziehung zwischen Opportunität und ideologischer Überzeugung kommt es auf diese Einordnung jedoch nicht an.
Die Tatsache, dass Otto Palandt vermeintlich nur aus Karrieregründen Nationalsozialist war, spricht nicht gegen eine Umbenennung, ganz im Gegenteil. Sie zeigt vielmehr auf, wie national-konservative Juristen der Weimarer Zeit die neuen Machtverhältnisse für sich nutzen konnten und dadurch den NS-Staat maßgeblich stützten. Solche opportun gesinnten Eliten bilden ein bedeutendes Potential für totalitäre Systeme. Ihnen sollte jede Ehrung verwehrt bleiben. Umso erstaunlicher ist, dass mit Rückgriff auf die Differenzierung zwischen Gesinnungstäter*innen und Karrierist*innen immer wieder der Versuch unternommen wird, regimetreues Handeln Zweiterer zu relativieren. Eine fortdauernde Ehrung von Karrierist*innen wie Palandt sendet das fatale Signal aus, dass die Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien aus karrieristischen Gründen in der juristischen Welt akzeptiert ist. In Vergessenheit gerät dabei, dass der Ausbau der nationalsozialistischen Diktatur ohne die engagierte Arbeit ebensolcher Karrierist*innen niemals möglich gewesen wäre.
Palandt ist „nur“ ein Name
Eine weitere Argumentationslinie ist die Relativierung der Bedeutung, die mit der Benennung eines Werkes verbunden wird. Gerade bei Kommentaren stehe mehr der jeweilige Autor im Fokus, so Prof. Dr. Weber. Dem steht jedoch gegenüber, dass im Sprachgebrauch bei Zitaten oder Verweisen eher auf die Bezeichnung des Kommentars als die jeweilige Autorin oder der jeweilige Autor Bezug genommen wird. Zudem widersprechen dem eigene Ausführungen Prof. Dr. Webers, der auf die Schutzwürdigkeit der Autor*innen des „Palandts“ hinwies, die nach einer Umbenennung nicht mehr im prestigeträchtigen „Palandt“ veröffentlicht würden. Damit wird ein altes Argument des Beck-Verlags aufgegriffen, wonach der „Palandt“ mehr Marke als historische Person sei. Dieser Gedanke liegt angesichts der weit verbreiteten Unkenntnis über das historische Wirken Otto Palandts nahe, kommt aber einer Geschichtsvergessenheit gleich. Deshalb hat der Verlag dieses unsinnige Argument bereits fallengelassen.
Hinsichtlich einer Umbenennung wurde problematisiert, dass eine neue Namensgebung beispielsweise nach Otto Liebmann, dem Erfinder, nicht aber Autor der Kurzkommentare, eine Benennung ehrenhalber wäre und solche im Beck-Verlag grundsätzlich nicht vorgenommen würden.8 Vielmehr stehe jede Namensgebung in enger Verbindung mit der Autorschaft. Dass Otto Palandt jedoch selbst nur Vorwort und Einleitung zum Kommentar beigetragen hat und keine weitere redaktionelle Tätigkeit nachweisbar ist, zeigt, dass die bestehende Benennung eine solche ehrenhalber ist, oder jedenfalls nichts mit der Autorschaft zu tun hat.9
Palandt als Teil aktiven Erinnerns
Auf die von der Initiative erhobenen Einwände hat der Verlag C.H. Beck mittlerweile reagiert. Mit der 77. Auflage des Kurzkommentars zum BGB wurde in den vorderen Seiten eine Anmerkung zur Bedenklichkeit der Namensgebung des Kommentars eingefügt.10 Der Verlag verfolgt damit das Ziel einer Erinnerungspolitik durch aktives Erinnern. Der Name Otto Palandts solle nicht getilgt werden, da dies einer „Geschichtsklitterung“ gleichkäme. Durch das Festhalten am Titel bliebe die problematische Geschichte des Werkes im Kollektivgedächtnis und böte Anlass zur Reflexion.11 Dabei erfolgte sowohl durch Kilian Wegner als auch durch Prof. Dr. Weber die ausdrückliche Zurückweisung eines Beitrags des Journalisten Martin Rath, der in einem Artikel vorschlug, die Beibehaltung des Namens „Palandt“ könne als „rechtshistorischer Stolperstein“ fungieren.12
Der Beck-Verlag möchte – nach eigenen Aussagen – eindeutig kein Tätergedenken provozieren. Jedoch geht die Beibehaltung der Namensgebung in eine ähnliche Richtung. Zum einen ist der Hinweis zum Namensgeber schnell überblättert, zum anderen bleibt schlicht weiterhin der Name des Täters Otto Palandt im kollektiven Gedächtnis – auch aufgrund der schlichten Unkenntnis der Nutzer*innen hinsichtlich der Rolle Otto Palandts im Nationalsozialismus. Und wenn der Beck-Verlag einen Hinweis im jeweiligen Werk als geeignetes Mittel der Aufarbeitung betrachtet, dann fragt sich erstens, wieso solche Hinweise in Werken mit ähnlich problematischen Namensgebern wie beispielsweise dem „Schönfelder“ fehlen,13 und zweitens, warum nicht nach einer Umbenennung ein solcher Hinweis ähnliche Wirkung brächte. Aufgrund der letzten Überlegung ist klar: Für den Beck-Verlag ist Tradition gleich Legitimation.
Tradition vor Reflexion
Dies zeigt sich besonders deutlich an einem weiteren, von Prof. Weber vorgebrachten Argument: Das seit 1763 bestehende Verlagshaus C.H. Beck könne nicht nach jedem Systembruch – ohne die einzigartige Menschenverachtung des Nationalsozialismus relativieren zu wollen – alle Kontinuitäten abbrechen. Schuldig blieb Prof. Weber eine Antwort auf die Frage, wo der Verlag seine Grenze zieht hinsichtlich der Beibehaltung dieser Kontinuitäten. Kurzum: Was muss geschehen, damit der Beck-Verlag einen Anlass sieht mit Traditionen zu brechen? Es folgte lediglich ein Verweis darauf, dass auch der Verlag nur ein Kind seiner Zeit sei. Als Editoren von Rechtstexten seien die Protagonisten des Beck-Verlags immer bestimmt durch die bestehenden Machtverhältnisse. Die Tatsache, dass das deutschlandweit führende Verlagshaus für rechtswissenschaftliche Literatur sich damit gleichgültig gegenüber Inhalt und faktischer Wirkung der zu verlegenden Rechtstexte zeigt, ist so offensichtlich problematisch, dass es keiner weitergehenden Kritik bedarf.
Fast 80 Jahre nach Kriegsende und vor dem Hintergrund des erinnerungspolitischen Diskurses der letzten Jahrzehnte sieht der Verlag weiterhin keinen Grund, mit den erkannten Kontinuitäten zu brechen. Folgt man der Argumentation Prof. Webers, ist dies auf den mangelnden Wandlungsdruck von außen zurückzuführen, der Verlag wird demnach nicht den ersten Schritt machen. Dies ist besonders bedenklich, nachdem anders als bei anderen erinnerungspolitischen Diskussionen bezüglich der Umbenennung von Schulen und Straßen Jurist*innen hinsichtlich der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Herrschaft eine besondere Verantwortung tragen: Das Recht war zentrales Machtinstrument des Nationalsozialismus. Es drängt sich daher die Frage auf, warum sich die Rechtswissenschaft mitsamt ihrem Verlagswesen so sehr einer grundlegenden Aufarbeitung verweigert. Eine Umbenennung des bedeutendsten Kommentars in der Bundesrepublik hätte Symbolwirkung. Diese Symbolwirkung ist sowohl bezüglich anderer problematischer Benennungen erforderlich als auch in Hinsicht darauf, dass mit den belasteten Werken größtenteils in Ausbildung befindliche Jurist*innen konfrontiert werden, die später potenziell Schlüsselpositionen in der Gesellschaft einnehmen. Die Eröffnung eines kritischen Reflexionsraums für das Recht im Sinne eines „Nie wieder“ ist daher unverzichtbar.
Palandt ist Business
Nach Betrachtung der Argumente kann an der bisherigen Namensgebung unmöglich festgehalten werden. Alles andere wäre Aufarbeitung auf halber Strecke. Dies wird auch der an der aktuellen Diskussion partizipierende Beck-Verlag erkannt haben. Warum eine Umbenennung dennoch nicht erfolgt, beruht, so unser Eindruck, auf ökonomischen Erwägungen. Trotz zurückgehender Umsätze sei der „Palandt“ immer noch eines der Schlachtschiffe des Beck-Verlags. Aus den Äußerungen Prof. Webers geht weiter hervor, dass der Verlag diese Marke nicht einfach den „ersten Widerständen“ aufgeben könne.
Kollektivität statt Kontinuität
Diese Feststellung mag ernüchternd sein, gleichzeitig zeigt sie deutlich, in welche Richtung das weitere Vorgehen in der Frage Palandt gehen sollte. Ein Einlenken des Verlages dürfte nur durch kollektiven Einsatz zu erreichen sein. Denn folgt man den aus der beschriebenen Debatte gezogenen Schlüssen, so ist das Mittel zur Veränderung die Ausübung erhöhten Drucks auf den Verlag. Dies brächte erstens einen Imageverlust mit sich, würde weiter an Kontinuitäten mit dem Nationalsozialismus festgehalten. Zweitens bewirkte eine größere öffentliche Aufmerksamkeit hinsichtlich der Neubenennung, dass C.H. Beck einen bereits bekannten Namen als neue Marke etablieren könnte. Der Aufruf, Druck von außen auszuüben, soll selbstverständlich nicht über die Verpflichtungen des Beck Verlags hinwegtäuschen. Eine Umbenennung ist dabei als Mindestmaß anzusehen. Darüber hinaus ist vom führenden Verleger juristischer Literatur in Deutschland eine aktive Rolle einzufordern, wenn es um die Frage geht, wie ein verantwortungsbewusster Umgang mit „furchtbaren Juristen“ gestaltet werden kann.
Die Initiative „Palandt umbenennen“ zeigte in den letzten zwei Jahren, dass es möglich ist, einen Diskurs zur Rolle der Rechtswissenschaft im NS-Staat anzuregen, der über die Fachkreise hinausgeht. Eine reflektierte, geschichtsbewusste und kritische Rechtswissenschaft erfordert jedoch den Einsatz aller am Recht arbeitenden Person – Praktiker*innen, Lehrenden wie auch Studierenden. Eine Aufarbeitung allein „von oben“ verfehlt das Ziel, weil sie das Individuum nicht zur Auseinandersetzung zwingt. Übertragen auf die Rolle der Studierendenschaft und aller sich in der Ausbildung Befindenden bedeutet dies: Die Verantwortung liegt nicht allein bei den Universitäten, Ausbildenden oder Rechtssetzenden, sie liegt ebenso bei uns. Geeignete Partizipationsmöglichkeiten sowie Foren für Austausch und Zusammenarbeit finden sich beispielsweise in den Arbeitskreisen Kritischer Jurist*innen. Der Umgang mit dem Unrecht im Recht und der Rechtsform kennt keinen Endpunkt, er ist vielmehr als ein fortlaufender Prozess zu begreifen, der gemeinschaftlich durchlaufen werden muss.
6 Eine Auflistung der zum Thema Palandt im Beck Verlag sowie anderen Verlagen erschienen Literatur führt der Beck Verlag auf seiner Homepage an: https://rsw.beck.de/buecher/palandt/otto-palandt (zuletzt aufgerufen am 25.9.2019).
8 Jonas Höltig, Wer war eigentlich Otto Liebmann?, in: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/palandt-bleibt-palandt-namensgeber-otto-liebmann-umbenennung/2/ (zuletzt aufgerufen am 12.9.2019).
11 Vgl. Statement des Verlags auf der Homepage, https://rsw.beck.de/buecher/palandt/otto-palandt (zuletzt aufgerufen am 26.9.2019).