Man hatte schon gedacht, man sei ihn los, vor einem Jahr, im Herbst 2018. Doch Hans-Georg Maaßen ist präsenter denn je. Skizze über einen deutschen Juristen, der nun anscheinend beschlossen hat, Politiker zu werden.
Hans-Georg Maaßen wurde 24.11.1962 in Mönchengladbach geboren. Seine Biografie prädestinierte ihn für ein hohes Amt: Als Jugendlicher stellvertretender Obermessdiener, mit 16 Eintritt in die CDU, nach dem Abitur Jurastudium mit Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes, danach Anwalt in einer wirtschaftsrechtlichen Kanzlei an der Düsseldorfer Luxusstraße Kö, ab 1991 Referent im Bundesinnenministerium. Zuvor schrieb er noch seine Doktorarbeit mit dem Titel „Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht – Überlegungen zu den völkerrechtlichen Rahmenbedingungen einer europäischen Asylrechtsharmonisierung“, die 1997 erschien und mit summa cum laude bewertet wurde.
Eine Doktorarbeit im Sound der AfD
Diese weise, so die spätere Richterin am Bundesverfassungsgericht Gertrude Lübbe-Wolff, eine „recht selektive argumentative Gründlichkeit und Sorgfalt“ auf.1 Maaßen verfolgt mit ihr eine klare rechtspolitische Agenda, und er legt sie offen dar: Er macht eine „Krise des Asylrechts“ aus, die er in erster Linie in der „attraktiven Rechtsstellung des Asylbewerbers“ verursacht sieht. Was das Asylrecht in Europa heute kennzeichne, sei sein Missbrauch, ein Begriff, der sich durch die Einleitung wie ein roter Faden zieht. Es sei zum Instrument einer „unkontrollierten Masseneinwanderung“ geworden. Auch wird der sog. „Asyltourismus“ problematisiert, womit Maaßen einen Großteil der Schlagworte der AfD schon 15 Jahre zuvor genannt haben dürfte. Das Ziel seiner Arbeit ist deshalb folgerichtig: Er untersuche, inwieweit das Völkerrecht eine deutlich restriktivere Handhabung des Asyl- und Flüchtlingsrechts ermögliche.2 Wenig überraschend entscheidet er sich dann bei allen Punkten, in denen mehrere Auslegungsalternativen von völkerrechtlichen Normen bestehen, für die jeweils restriktivste.3
Zum Schluss erfolgt dann eine politische Gestaltungsforderung, die aufhorchen lässt: Asylgewährung sollte ausschließlich eine ultima ratio sein, vielmehr müsste die internationale Staatengemeinschaft dafür sorgen, dass die politische Verfolgung, die Leute zur Flucht treibt, unterbleibt. Eine Ausweitung des Asylrechts liefe hingegen den Interessen der Verfolgten „zutiefst zuwider“, da hierdurch die Verfolgerstaaten nur ermutigt und Hemmschwellen z.B. für ethnische Säuberungen herabgesetzt würden. Diese Staaten müssten aber lernen, „ihre Auseinandersetzungen nicht auf Kosten anderer Völker“ zu führen, womit die Aufnahmestaaten gemeint sind: Maaßen befürchtet, dass diese durch gezielte Verfolgung in den Herkunftsstaaten und somit Erzeugung von „Flüchtlingsströmen“ destabilisiert werden könnten.
Vordenker der seehoferschen Asylpolitik
Das Ziel, einer maximal restriktiven Anwendung des Asylrechts juristische Schützenhilfe zu geben, verfolgte Maaßen noch weiter und war hierbei erneut eine Art Pionier: 2011 bemängelte er die Schwierigkeiten, terrorismusverdächtigen Muslim/innen mit deutschem Pass eben diese Staatsangehörigkeit wieder zu entziehen.4 Maaßen nennt sie „nominell deutsche Staatsangehörige“, was wohl eine bürokratische Alternative zu „Passdeutsche“ ist. Dieses Problem hat der ehemalige Chef Maaßens vor kurzem behoben, als er ein Gesetz entwarf, nach dem Menschen, die in einer „Terrormiliz“ im Ausland gekämpft haben, zukünftig die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden kann.5 1998 bezeichnete er die Praxis, Kirchenasyl zu gewähren, als „Selbstjustiz“ und meinte, dass die Verantwortlichen als Mitglieder einer kriminellen Vereinigungen gem. § 129 Strafgesetzbuch zu verfolgen seien.6 Deutschland nähert sich an: 2018 und 2019 wurden mehrere Strafbefehle und Anklagen wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt an Pfarrer geschickt, die Kirchenasyl gewährt hatten.7 Wer sich so gut im Asylrecht auskennt, darf natürlich bis heute im Grundgesetz-Kommentar „Epping/Hillgruber“, der auch als Beck’scher Online-Kommentar fungiert, die Art. 16 (Verbot von Ausbürgerung und Auslieferung) und 16a (Asylrecht) des Grundgesetzes kommentieren.
Ein Beamter, der die „notwendige Härte“ mitbringt
Ab 2001 leitete Maaßen im Innenministerium die Projektgruppe Zuwanderung, ab 2002 außerdem das Referat Ausländerrecht. Er verfasste ein Dossier im Falle des in Guantanamo einsitzenden Bremers Murat Kurnaz, welches eine entscheidende Rolle dabei spielte, dass dieser nicht wieder nach Deutschland zurückkehren konnte, obwohl die CIA von seiner Ungefährlichkeit ausging: Kurnaz Aufenthaltsgenehmigung sei erloschen, da er sich länger als sechs Monate im Ausland aufgehalten und keine Verlängerung beantragt habe.8 An dieser Auffassung hielt er auch bei seiner Befragung vor dem BND-Untersuchungsausschuss 2007 und auch noch später fest („Pech gehabt!“)9, obwohl zuvor schon im November 2005 das Verwaltungsgericht Bremen in dieser Sache zu der wohl nur für Maaßen überraschenden Erkenntnis gekommen war, dass das Erfordernis der Antragstellung nur gilt, wenn dazu die objektive Möglichkeit besteht.10
Unter anderem diese Episode trug ihm den Spitznamen „Referatsleiter Gnadenlos“11 ein und kostete ihn den fast schon sicheren Professorentitel an der FU Berlin. Er gab dort als Lehrbeauftragter Seminare zum Verfassungsrecht, die aber mangels interessierter Teilnehmer seit 2016 nicht mehr stattfanden.12 Otto Schily hingegen hatte als ehemaliger Innenminister für seinen Beamten nur lobende Worte übrig, als Maaßen trotz massiver öffentlicher Kritik neuer Verfassungsschutzpräsident wurde: „Das ist einer der besten Beamten, den ich je kennengelernt habe. Er steht fest auf dem Fundament des Rechtsstaats, bringt aber auch die notwendige Härte mit, die man in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung braucht.“13
Ein „Verfassungsschützer“ mit Grundrechtsschwäche
Als Präsident des Verfassungsschutzes folgten dann viele kleine und größere Aufreger, die zu zahlreichen Rücktrittsforderungen führten: Maaßen stellte 2015 Strafanzeigen, die dazu führten, dass gegen zwei Journalisten von netzpolitik.org Strafverfahren wegen Landesverrat eingeleitet wurden, weil diese Teile eines vertraulichen Berichts des Verfassungsschutzes veröffentlicht hatten. Dies führte zu breiter Kritik, er würde die Pressefreiheit missachten. 2016 bezeichnete er Edward Snowden wegen der Veröffentlichung von Dokumenten der NSA als Verräter und spekulierte, dieser könne ein russischer Spion sein.14
Viel Verständnis hatte er hingegen offenbar für die rechtsextremistische Identitäre Bewegung (IB): Der Leiter eines Landesamtes für Verfassungsschutz urteilte, man habe Maaßens Behörde zum Jagen tragen müssen diesbezüglich. Erst ein gutes halbes Jahr nach Maaßens Abgang stufte der Verfassungsschutz die IB als rechtsextremistisch ein. Apropos Nazis und Verfassungsschutz: Dass seine Behörde wegen der NSU-Morde am medialen Pranger stehe, sei ungerecht, denn es liege nur ein Polizeiversagen vor, jedoch keines des Verfassungsschutzes.15 Das zeugt durchaus von Humor, da Maaßen nur deshalb Präsident dieser Behörde wurde, weil sein Vorgänger aufgrund multipler Skandale rund um das Thema NSU/Verfassungsschutz, insbesondere wegen der sogenannten Schredder-Affäre, von diesem Posten zurücktreten musste.
Das Ende – der Anfang?
Am 8. November 2018 war es dann endlich soweit: Hans-Georg Maaßen wurde auf Bitten von Horst Seehofer durch Bundespräsident Steinmeier in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Dem ging eine kleine Staatsaffäre voraus, die Teile der SPD fassungslos zurückließ, aber für Zyniker/innen auch einiges an unfreiwilliger Komik bereithielt: Nach den Hetzjagden auf Geflüchtete in Chemnitz erklärte Maaßen im Fachblatt „BILD-Zeitung“, dass es ebensolche nicht gegeben habe und bezeichnete ein Video, das diese zeigte, als „gezielte Falschinformation“16 und gab so den Verschwörungstheorien im Umfeld von PEGIDA und Co. jede Menge Futter. Daraufhin drängte die SPD auf die Entlassung Maaßens und am 18. September präsentierte eine stolze GroKo den Kompromiss: Maaßen sollte befördert werden zum Staatssekretär, von der Besoldungsstufe B9 (11.577,13 Euro) auf B11 (14.157,33 Euro), und damit den SPD-Staatssekretär im Innenministerium Gunther Adler ersetzen, der zwangsweise in den einstweiligen Ruhestand geschickt werden sollte.
Im zweiten Akt des Trauerspiels zeigte sich die SPD nun zutiefst überrascht, dass insbesondere ihre wenigen verbliebenen Wähler/innen diese Belohnung von Fehlverhalten (zudem auf Kosten eines SPD-Mannes, der parteiübergreifend als Fachmann für die Themen Bauen und Wohnen anerkannt war) mit blankem Entsetzen reagierten. Nach weiteren Verhandlungen sollte Maaßen bei gleichbleibender Besoldung Abteilungsleiters im Bundesinnenministerium werden, um dort unter anderem Abkommen für Rückführungen von Asylbewerber/innen auszuhandeln.
Doch es kam anders, denn es folgte Akt Nummer 3: Maaßen gerierte sich im Anschluss als verfolgte Unschuld. In seiner Abschiedsrede vor anderen europäischen Geheimdienstchefs erklärte er, dass Politiker/innen und Medien Hetzjagden frei erfunden hätten, es eine Manipulation gebe, die gravierender als russische Desinformationskampagnen sei und gab „linksradikalen Kräften“ (!) in der SPD (!!) die Schuld an seiner Ablösung. Diese erfolge, weil er als Kritiker einer „idealistischen, naiven und linken Ausländer- und Sicherheitspolitik“ bekannt sei und Teile von Politik und Medien Angst vor der „Wahrheit“ hätten. Das war dann auch Horst Seehofer zu viel und es erfolgte der von vielen lange ersehnte Ruhestand.
Ein Ende nach viel Schrecken, aber ein Ende?
Leider legt sich Maaßen, der einfach seinen Ruhestand mit üppiger Pension genießen könnte, nicht auf die faule Haut. Er hat zwei neue Beschäftigungen gefunden: Als rechter Twitter-Troll und als CDU/AfD-Brückenbauer. In erster Funktion schöpft er aus seiner schon in der Doktorarbeit unter Beweis gestellten Fähigkeit, rechtspopulistische Begriffe und Verschwörungstheorien zu verbreiten: So bezeichnete er die Neue Zürcher Zeitung als „Westfernsehen“ und unterstellte allen anderen Medien in der Bundesrepublik somit, eine Funktion ähnlich der DDR-Staatsmedien zu haben. Nach Kritik an dieser Bezeichnung versuchte er sie zu belegen, indem er einen Beitrag der extrem rechten Seite JournalistenWatch, die sich passenderweise auch mit Werbung für die IB finanziert, zustimmend teilte. Im Beitrag wurde eine Verschwörungstheorie konstruiert, nachdem die Fahrt der „Sea Watch 3“ im Mittelmeer eine Inszenierung sei. Der Text zog dabei Vergleiche zur NS-Propaganda.17
Noch aktiver ist Maaßen an der CDU-Basis. Er ist der WerteUnion beigetreten, die als Verein von konservativen Unionspartei-Mitgliedern sich für eine CDU irgendwo zwischen Gauland und Kohl einsetzen will und dabei natürlich auch eine Flüchtlingspolitik im Maaßenschen Sinn anstrebt.18 Für diese tritt er regelmäßig auf Parteiveranstaltungen auf mit dem erklärten Ziel einer „Politikwende für Deutschland“. Apropos: Koalitionen mit der AfD kann er sich „in der jetzigen Situation“ nicht vorstellen, aber „man weiß ja nie“. Populismus wie die AfD kann er schon mal: „Ich bin vor dreißig Jahren nicht der CDU beigetreten, damit heute 1,8 Millionen Araber nach Deutschland kommen“, erklärte er in einem Auftritt bei der WerteUnion.19
Läuft sich hier jemand warm für einen politischen Posten? Maaßen hält sich das zumindest offen: Im Juni 2019 erklärte er: „Zurzeit bin ich nicht auf dem Spielfeld, sondern kommentiere nur von der Seitenlinie“, aber: „Mit der aktuellen Aufstellung können wir keinen Erfolg haben.“ Wohin auch immer es ihn verschlägt: Wir werden vom ehemaligen Referatsleiter Gnadenlos wohl noch einiges hören. Bis dahin sollte uns aber sein Lebenslauf einerseits als Illustration dafür dienen, wie rechtswissenschaftliche Meinungen entstehen und welchen Einfluss sie haben können und andererseits dafür, über welche „Qualifikationen“ das rechtspolitische Spitzenpersonal dieses Landes teilweise verfügt.
Weiterführende Literatur
Gertrude Lübbe-Wolff, Besprechung: Maaßen, Hans-Georg: Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, Archiv des öffentlichen Rechts (AöR) 2000, 154
Gregor Noll, Book Review: Hans-Georg Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, Nordic Journal of International Law 1998, 371
2 Hans-Georg Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, 1997, S. 1 ff., insb. S. 5-8.
5 Astrid Wallrabenstein, Die Egalisierungsfunktion der Staatsangehörigkeit, 22.06.2019, https://verfassungsblog.de/die-egalisierungsfunktion-der-staatsangehoerigkeit/ (Stand: 18.09.2019).
6 Hans-Georg Maaßen, in: Asylpraxis Bd. 3, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, 1998, S. 13 (42 u. 53).
7 Sebastian Kempkens/Wolfgang Thielmann, Das Kirchenasyl gerät unter Druck, DIE ZEIT 32/2019, S. 44.
8 Veit Medick, „Der Professorentitel ist mir schnurz“, 19.07.2012, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/kuenftiger-verfassungsschutzchef-maassen-wehrt-sich-gegen-vorwuerfe-a-845408.html (Stand: 18.09.2019).
12 Anja Kühne/Amory Burchard, Nicht mehr Lehrbeauftragter an der FU, 19.09.2018, https://www.tagesspiegel.de/wissen/hans-georg-maassen-nicht-mehr-lehrbeauftragter-an-der-fu/23085670.html (Stand: 18.09.2019).
14 Kai Biermann, Ist Maaßen ein russischer Agent?, 10.06.2016, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-06/edward-snowden-maassen-verfassungsschutz-nsaua/komplettansicht; o.V., Verfassungsschutz-Chef hält Snowden für „Verräter“, 29.04.2014, https://www.welt.de/politik/deutschland/article127424097/Verfassungsschutz-Chef-haelt-Snowden-fuer-Verraeter.html (Stand: 18.09.2019).
16 O.V., Verfassungsschutzpräsident äußert Zweifel an Hetzjagdvorwurf, 07.09.2018, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-09/verfassungsschutz-hans-georg-maassen-chemnitz-hetzjagd (Stand: 18.09.2019).
17 Alexander Fröhlich, Provokation mit neuem Westfernsehen-Tweet, 14.07.2019, https://www.tagesspiegel.de/berlin/provokation-mit-neuem-westfernsehen-tweet-maassen-postet-hetz-bericht-von-rechtsradikalem-medium/24592608.html (Stand: 06.10.2019).