|
Den Kriegsdienst total zu verweigern bedeutet, weder zur Bundeswehr zu
gehen noch Zivildienst zu leisten. Die Gründe dafür sind zahlreich: militärische
Einplanung des Zivildienstes, Zivildienst als Zwangsdienst, Zivildienst
als unsozialer Dienst, Zivildienst als notwendige Stütze der Wehrpflicht
etc., um nur einige zu nennen.
Alles begann bei mir, wie bei fast allen wehrpflichtigen Männern in Deutschland,
mit der Musterung. Am 9. November ´94 wurde ich im Kreiswehrersatzamt
Bad Oldesloe gemustert und für tauglich befunden, wenn mir auch aufgrund
einer leichten Wirbelsäulenkrümmung der Einsatz als Feldjäger oder bei
der Gebirgstruppe verwehrt bleiben würde.
Sofort kündigte ich meine Verweigerung an, schickte die schriftliche Begründung
an das Bundesamt für den Zivildienst (BAZ) und erhielt zwei Monate später
folgenden Bescheid: "Sie sind berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe
zu verweigern". Da ich noch bis Juni ´95 zur Schule gehen würde und im
Herbst nach Greifswald ziehen wollte, ließ ich mich zurückstellen und
suchte mir eine Zivildienststelle in der Kindertagesstätte "Dino" in Greifswald,
wo ich im Oktober auch tatsächlich hinzog. Kurz vor meinem Umzug erhielt
ich den Einberufungsbescheid zum 1. Februar 96, angekündigtes Dienstende:
28. Februar ´97.
In Greifswald begann ich, mir verstärkt Gedanken über den Zivildienst
zu machen. Hatte ich ihn zuvor noch als pragmatische Lösung akzeptiert,
stiegen jetzt die politischen Bedenken. Gemeinsam mit einem Freund, der
seinen Zivildienst gerade angetreten hatte, beschloß ich, "total" zu verweigern.
Mein Freund brach daraufhin seinen Zivildienst ab, ich ging zu meiner
zukünftigen Dienststelle und unterrichtete den Leiter von meiner Entscheidung.
Er hatte erstaunlicherweise Verständnis für meine politischen Ansichten,
außerdem mußte der Kindergarten eh demnächst wegen gekürzten Geldern schließen.
Deshalb zog das BAZ im November ´95 dann auch den Einberufungsbescheid
zurück und schlug mir vor, doch in der Uni-Klinik Greifswald anzufangen.
Am 23. Januar ´96 kam ein erneutes Schreiben des BAZ: Ich hätte nun doch
am 1. Februar in der Kindertagesstätte anzufangen. Laut meinem Kalender
vom Jahr 1996 besuchte ich am 1. Februar Freunde in Hamburg - am 29. Februar
jedenfalls kam eine "Aufforderung zum Dienstantritt", ein Disziplinarverfahren
wegen "eigenmächtigem Fernbleiben vom Dienst" wurde eingeleitet. Es tat
mir unglaublich gut, ein solches Schreiben einfach zu ignorieren und mit
dem fortzufahren, was ich gerade machen wollte: politische Arbeit, Volxküche,
Fahrradselbsthilfewerkstatt und Reisen.
Nach einem weiteren Monat Fernbleibens vom Dienst dann eine erneute "Aufforderung
zum Dienstantritt", jetzt für die "Züssower Heime", da die Kindertagesstätte
"Dino" inzwischen dichtgemacht hatte. Ein Jahr lang hörte ich nun nichts
mehr. Inzwischen war ich in den Landkreis Lüchow-Dannenberg, östlich von
Lüneburg, gezogen und hatte eine Ausbildung zum Zimmerer angefangen.
Das Verfahren nimmt seinen Lauf
Im März ´97 bekam ich eine Vorladung zur Polizei am Wohnort meiner Eltern
- gegen mich würde ein Ermittlungsverfahren wegen "eigenmächtiger Abwesenheit
vom Zivildienst" laufen und ich hätte nun die Möglichkeit, Beweiserhebungen
zu meiner Entlastung zu beantragen. Ich rief an und sagte Bescheid, daß
ich nicht kommen werde.
Im Mai beantragten zwei Freunde von mir, beides selber Totalverweigerer,
die Zulassung als Wahlverteidiger. Obwohl über ihren Antrag noch nicht
entschieden war, keine Akteneinsicht gewährt wurde und ich noch nicht
einmal eine Anklageschrift bekommen hatte, erhielt ich am 3. Juli ´97
eine Vorladung zur Gerichtsverhandlung am 17. Juli Ich rief den Richter
an und erhielt eine Woche später die Rücknahme der Vorladung. Zwei Monate
später erhielt ich dann die Anklageschrift, am 7. Januar ´98 wurden meine
Wahlverteidiger endgültig abgelehnt, da das Landgericht Lüneburg vermutete,
daß es ihnen "in erster Linie um die Durchsetzung politischer Ziele und
erst in zweiter Linie um die Verteidigung des Angeklagten geht".
1
Daraufhin übernahm die Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke die
Verteidigung. Am 18 März ´98 kam dann die Ladung zum Prozeß, der am 16.
April vor dem Amtsgericht Dannenberg stattfand. Der viel zu kleine Verhandlungsraum
war voller Freunde und UnterstützerInnen, einige mussten leider draußen
bleiben. Der Staatsanwalt verlas die Anklage. Ich verlas erst sehr angespannt,
später etwas lockerer meine 11-seitige, hochpolitische Prozeßerklärung.
Rechtsanwältin Heinecke hielt ein erstklassiges Plädoyer. Der Staatsanwalt
erinnerte, daß Totalverweigerung trotz der gewissenhaften Gründe eine
Straftat bleibt und schließlich verurteilte mich Jugendrichter Stärk zu
60 Tagessätzen á 40 DM.
Vier Monate nach dem Prozeß bekam ich dann wieder Post vom BAZ: die Heranziehung
zum Zivildienst am 4. Januar ´99 wurde mir angekündigt. Da mir jedoch
bis zum Januar ´99 keine Zivildienststelle zugewiesen wurde und ich keine
weitere Einberufung erhielt, blieb diese Ankündigung folgenlos. Die Geldstrafe
konnte ich nach langem Ringen mit der Staatsanwaltschaft bis auf bereits
bezahlte 500 DM bei der "Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg" für einen
umgerechneten Stundenlohn von ca. 6,60 DM abarbeiten. Damit scheint meine
Totalverweigerung endgültig abgeschlossen zu sein.
Persönliche und politische Einschätzung der TKDV
Oft habe ich mich gefragt, ob es sinnvoll war, das alles zu tun. Die
ganze Geschichte hatte auch zahlreiche unangenehme Aspekte für mich:
Als ich mich zu dem Schritt, den Zivildienst nicht anzutreten, entschloss,
war die Sache für mich klar: Ich würde keinen Zwangsdienst leisten, schon
gar nicht einen, der zur Legitimation und Aufrechterhaltung der Wehrpflicht
und damit der Bundeswehr dient und darüber hinaus im Rahmen der "zivil-militärischen-Zusammenarbeit"
direkt in Verteidigungsstrategien eingeplant ist. Zivildienstleistende
werden in manchem militärstrategischem Papier als problemlos einsetzbar
fürs Minenräumen, Blindgängerentschärfen und vor allem zur Aufrechterhaltung
der Ordnung im Hinterland und zur Versorgung der Streitkräfte gehandelt
- halt alles, was nicht unter "Kriegsdienst mit der Waffe" fällt. Also
meine klare Entscheidung: da mache ich nicht mit.
Dazu kam ein gewisser Anreiz der Anerkennung, die so eine Totalverweigerung
mit sich brachte und mit sich bringt: TKDV ist in der linksradikalen Szene
hoch angesehen, alle finden es toll, und viele geben zu, daß sie sich
das nicht getraut hätten. Ich will nicht sagen, daß das ausschlaggebend
war, aber es wäre falsch zu leugnen, daß auch solche Aspekte oft in linker
politischer Arbeit eine gewisse Bedeutung haben.
Zwischen Angst und Anerkennung
Von dem Moment meiner Entscheidung bis zu meinem Prozeß vergingen jedoch
gut 2,5 Jahre - eine lange Zeit, wenn man Anfang 20 ist und in der linken
Szene herumspringt. Ich lebte mittlererweile ganz woanders, hatte jetzt
zwar ein recht geregeltes Arbeitsleben aber dafür keine feste politische
Einbindung mehr, und als mir der Prozeßtermin zugestellt wurde, hatte
ich gerade Streit mit meinem Mitbewohner und Streß in meiner Beziehung.
Ich hatte unglaubliche Angst, in den Knast zu gehen (auch wenn die Wahrscheinlichkeit
recht gering ist, werden doch immer wieder Leute zu Haftstrafen ohne Bewährung
verurteilt) und außerdem Angst vor der Gerichtsverhandlung an sich. Bin
ich sonst eigentlich ein recht selbstsicher auftretender Typ, fühlte ich
mich doch gerade in jener Zeit recht unsicher und mir war doch klar, daß
eine Gerichtsverhandlung nicht der Ort für Unsicherheiten und menschliche
Regungen ist.
Auch waren mir während der letzten Zeit zunehmen Zweifel am Sinn der TKDV
gekommen. Zwar hielt ich es immer noch für eine grundsätzlich richtige
Sache, fragte mich aber zunehmend nach der politischen Wirkung und ob
es demnach sinnvoll sei, solch Risiken wie Knast oder hohe Geldstrafen
einzugehen. Denn wenn auch jeder TKDVer in "seinem" Prozeß versucht, Gewissensgründe
geltend zu machen, die ihn nur so und nicht anders hätten handeln lassen,
so war doch mir zumindest klar, daß ich auch hätte Zivildienst leisten
können (das muß allerdings nicht für alle Totalverweigerer gelten). Sicher
wäre es mir schwer gefallen, aber eingegangen wäre ich an meiner Gewissensnot
nicht.
Letztendlich gibt es ziemlich viele Dinge in dieser Gesellschaft, die
ich kaum mehr mit meinem Gewissen verbinden kann. Ich halt das Schul-
und Unisystem für mehr als problematisch und doch sind viele von uns froh,
Abi gemacht zu haben und studieren zu können. In Jobs lassen wir uns auf
z.T. unglaubliche Ausbeutungsverhältnisse ein, von anderen Unterdrückungsverhältnissen
wie dem Patriarchat oder Rassismus profitiere ich selber alltäglich.
Mindestens ebenso große Gewissenskonflikte wie mit der Wehrpflicht habe
ich z.B. mit der deutschen Asyl- und Ausländergesetzgebung und dennoch
üben nur wenige Menschen praktische Solidarität mit Flüchtlingen. Wenn
wir als TKDVer Haft- und Geldstrafen riskieren, warum dann nicht, indem
wir illegalisierte MigrantInnen verstecken oder über die Grenze schmuggeln
?
Ich glaube, daß die Totalverweigerung ihre politische Hochachtung durch
das direkte Verhältnis zum Staat bekommt. TKDV ist einer der wenigen politischen
Bereiche, in denen die Grenze zwischen "uns" und "dem Staat" so klar ist.
Selten kann Mann sich so direkt dem System verweigern und den Anspruch
des Staates auf Kooperation zurückweisen.
Für mich stellt die TKDV eine Möglichkeit politischen Handelns unter vielen
dar, und zwar eine, deren politische Effektivität ich manchmal als eher
zweifelhaft empfinde. Wer nimmt sie überhaupt noch wahr in dieser Gesellschaft
? Ich habe mich oftmals gefragt, für wen ich das überhaupt mache - um
mir selber gegenüber konsequent zu erscheinen ? Wenn ich in den Knast
gemußt hätte, wäre ich dann immer noch davon überzeugt gewesen, etwas
politisch sinnvolles gemacht zu haben ? Seine politische Zuspitzung und
Öffentlichkeitswirkung erfährt die Totalverweigerung (abgesehen von den
Gesprächen und Auseinandersetzungen mit Freunden und Familie) in aller
Regel erst durch den Prozeß, bei dem dann meist 30-50 UnterstützerInnen
und ein Reporter des Lokalblattes zuhören. Die Einbettung in eine darüberhinausgehende
politische Bewegung, wie dies z.B. in Spanien durchaus der Fall ist, fehlt
in Deutschland leider fast vollständig.
Ich will damit gar nicht gegen die Totalverweigerung reden. Ich halte
es aber für wichtig, daß jeder TKDVer für sich überlegt: Kann ich mit
dem Prozeß, dem vorausgehenden Hin und Her und vor allem mit den möglichen
Folgen umgehen ? Was bewegt mich dazu, an dieser Stelle ein solches Risiko
einzugehen ? Eine Totalverweigerung ist aufreibend, kostet Kraft und Nerven
und kann schwere Folgen haben. Es kann sowohl politisch wie auch persönlich
oftmals sinnvoll sein, diese Kraft für andere Bereiche zu haben.
Jan Bieback lebt Hamburg und studiert Pädagogik.
Anmerkungen:
1 Vgl. Oehrlich, FoR 2000, S. 123.
|
|