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Als Horst Herold, Polizeipräsident von Nürnberg, 1967 die ersten Kameras
der Bundesrepublik zur Überwachung öffentlicher Plätze installieren ließ,
waren die technischen Möglichkeiten noch unausgereift. Die Erhebung und
Auswertung der Bilder war aufwendig und störungsanfällig. Trotzdem sank
die Kriminalitätsrate in den folgenden zwei Jahren auf den Plätzen, die
im Blickfeld des "Bildfunks" lagen, um 26 Prozent. Die kriminalistische
Fachwelt war begeistert und strömte nach Nürnberg. Wenige Jahre später
wurde Horst Herold Präsident des Bundeskriminalamtes und die elektronische
Überwachung zur Kriminalitätsprävention begann ihren "Siegeszug".
1
Schätzungen sprechen heute von 100.000 Kameras, die von privater, kommunaler
oder polizeilicher Seite in Deutschland ihren Dienst tun.
2 Die Kameras in Kaufhäusern, Banken, Bahnhöfen und
zuweilen Arbeitsplätzen ergeben ein für die Bürgerinnen und Bürger nicht
durchschaubares engmaschiges Überwachungsnetz. 3
In manchen städtischen Zentren kann man daher durchaus von einer flächendeckenden
Überwachung sprechen. Durch die Vielzahl unterschiedlicher - privater
und öffentlicher - BetreiberInnen ist der Kameraeinsatz insgesamt nicht
systematischer Natur, sondern verfolgt eher jeweils bestimmte strategische
Ziele der BesitzerInnen. Diese Ziele haben entweder öffentlichen Charakter
- z.B. die Beobachtung sogenannter Kriminalitätsschwerpunkte zur Gefahrenabwehr,
oder privaten - z.B. den Schutz eines Gebäudes. Ein Austausch findet dabei
nicht statt. Erst dort, wo private Sicherheitsunternehmen Videoüberwachung
betreiben, kommt es zu einer Schnittstelle zwischen privater und öffentlicher
Videoüberwachung, da diese Unternehmen Ihr Material oft - und gerne -
an Sicherheitsbehörden weiterreichen. 4
Kein Recht auf informationelle Selbstbestimmung?
Seit Horst Herolds Videoinitiative 1967 kam es immer wieder zum Einsatz
von Kameras im Rahmen polizeilicher Fahndung - weitestgehend unbemerkt
von der Öffentlichkeit (und oft ohne Erfolg). Erst als 1996 die Leipziger
Stadtverwaltung die Überwachung von Kriminalitätsschwerpunkten medienwirksam
ankündigte, kam eine öffentliche Diskussion um das Für und Wider der Videoüberwachung
zustande. Eine inzwischen entstandene Datenschutz-Lobby war sensibilisiert
durch staatliche Volkszählungsversuche und hatte durch die gleichnamige
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den Rücken gestärkt bekommen.
Zahlreiche bürgerrechtliche Bedenken wie auch kriminalpolitische Zweifel
konnten so artikuliert werden. In dem sogenannten Volkszählungsurteil
5 entwickelte das Bundesverfassungsgericht erstmals
das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Im Hinblick auf "künftige
Bedingungen der modernen Datenverarbeitung" stellte es fest, dass eine
Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung, in der
Bürgerinnen und Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei
welcher Gelegenheit über sie weiß, nicht mit diesem Recht auf informationelle
Selbstbestimmung zu vereinbaren ist. "Wer unsicher ist, ob abweichende
Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert,
verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche
Verhaltensweisen aufzufallen" 6 .
Genau diese Unsicherheit besteht aber bei der Videoüberwachung von öffentlichen
oder privaten Plätzen und Gebäuden. Denn die wenigsten wissen, was hinter
den anonymen Kameras passiert. Ob die Daten an Monitore übertragen werden,
hinter denen Menschen sitzen, die die Aufnahmen in Echtzeit mitverfolgen,
ob sie zusätzlich oder "nur" gespeichert werden - wenn ja wie lange -
oder ob die Daten sogar digitalisiert und weiterverarbeitet werden, bleibt
für PassantInnen im Dunkeln. Zwar könnte durch Hinweistafeln über die
Verwendung des Videomaterials, also z.B. eine eventuelle Speicherung,
informiert werden. Das ändert aber nichts daran, dass die Daten zunächst
einmal erhoben worden sind. Der/die BürgerIn müsste sich dann selbst um
eine Löschung bemühen. Das Beispiel Telefonüberwachung in der Bundesrepublik
zeigt jedoch, dass Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden trotz klarer
gesetzlicher Regelung einmal erhaltenes Material nur äußerst ungern wieder
abgeben. 7
Der kriminalpolitische Nutzen ist zweifelhaft
"Videoüberwachung kann Kriminalität verhindern", sagen ihre BefürworterInnen.
Doch gerade der europäische Schrittmacher in Sachen Videoüberwachung,
London, aber auch deutsche Städte, in denen Videoüberwachung bereits praktiziert
wird - wie Frankfurt oder Leipzig -, zeigen, dass der präventive Nutzen
der Überwachungstechnik äußerst gering und äußerst einseitig ist. Denn
die sichtbare Überwachung von sogenannten Kriminalitätsschwerpunkten führt
lediglich zu einer Verdrängung potentieller NormbrecherInnen in benachbarte,
nicht überwachte Gebiete oder in die sowieso schon "unsichere" urbane
Peripherie - und damit zu einer Kriminalitätsverlagerung. Dies ist empirisch
überprüfbar, 8 erschließt sich aber
auch schon aus theoretischen Überlegungen: Wenn die Taschendiebin oder
der Haschischverkäufer sich mit Videokameras konfrontiert sehen und nicht
mehr genau wissen, ob sie/er beobachtet werden, so werden beide nicht
nach Hause und einer geregelten Arbeit (nach-)gehen (denn hätten sie eine,
würden sie dies vermutlich sowieso tun), sondern eine Straße weiter, wo
nicht überwacht wird.
Leider ist dieser Verdrängungs-Effekt der Kameraüberwachung für Geschäftsleute
und StadtpolitikerInnen schon ausreichend, um an dem Projekt festzuhalten.
Der Soziologe Baldo Blinkert 9 sieht
das Hauptziel dieser Versuche darin, die Innenstadtbereiche auf technisch
effiziente Weise "clean" zu machen und störende Elemente auszusortieren,
wie etwa DrogendealerInnen und -konsumentInnen, BettlerInnen, Punks und
'NonkonformistInnen'. Sichergestellt werden solle das reibungslose Konsumieren
einer kaufkräftigen Mittelschicht. Damit diese dabei den Spaß nicht verliere,
müsse ihr eine saubere Stadt geboten werden.
Dass dies nicht immer so funktioniert, wie gewünscht, zeigt das Beispiel
der "Konstabler Wache" in Frankfurt, die lange Zeit als Umschlagsplatz
für kleine Mengen von Heroin und Cannabis diente und damit für Frankfurter
SicherheitspolitikerInnen einen Kriminalitätsschwerpunkt darstellte, der
den dort angesiedelten Einzelhandel schwer beeinträchtigte. Nach der Installation
der Kameras wichen die DealerInnen einfach in eine direkt unter der "Konstabler
Wache" liegende Ladenpassage aus. Die dort angesiedelten LadenbesitzerInnen
beklagen nun den Verdrängungseffekt. 10
Einseitige Sicht von Kriminalität und rassistische Kontrollraster
Videoüberwachung ist nach anderen Instrumenten der Kriminalpolitik (wie
z.B. der Schleierfahndung) ein weiteres Anzeichen für die Konzentration
auf bestimmte Formen von Kriminalität und ihre einseitige Wahrnehmung.
Videoüberwachung richtet sich nicht gegen strategisch handelnde (Wirtschafts-)
Kriminelle und GeldwäscherInnen sondern gegen TaschendiebInnen, kriminalisierte
DrogenkonsumentInnen und KleindealerInnen. Vor allem in privatisierten
Räumen wie Einkaufszentren und Bahnhöfen dient sie auch der Aussortierung
von Obdachlosen und sozial Schwachen. Alle vier Gruppen gehören aber gar
nicht oder nicht primär in den Zuständigkeitsbereich der Kriminalpolitik,
sondern müssen vielmehr einer vernünftigen Gesellschaftspolitik anvertraut
werden.
Doch anstatt tatsächliche Ursachen von Kriminalität wahrzunehmen und anzugehen,
benutzt die Politik Videoüberwachung auch dazu, die an den Grenzen per
Schleierfahndung betriebene Abschottungspolitik in die Innenstädte hineinzutragen:
Eine Studie der Universität Hull (Großbritannien) kam zu dem Ergebnis,
dass 40 % der (durch Kamera-Zoom) gezielt Beobachteten nicht wegen eines
konkreten Anlasses observiert wurden, sondern allein wegen ihrer Zugehörigkeit
zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe. Außerdem dauerten 30% der gezielten
Beobachtungen bei Farbigen länger als neun Minuten, während diese Länge
der Überwachungen bei Weißen nur 10% ausmachte.
Momentan werden die meisten Überwachungssysteme noch von Menschen "visuell
begleitet" und ausgewertet. Eine Aufzeichnung erfolgt in der Regel nur
dann, wenn hierfür ein konkreter Anlass besteht. Möglich ist aber auch
eine Kurzzeitspeicherung, die nach einer festgelegten Zeit wieder überspielt
wird, womit die Entscheidung über eine längerfristige Speicherung herausgezögert
wird. 11 Solange aber keine elektronisch-automatisierte
Selektion von relevanten Aufnahmen erfolgt, kann man nicht von "Totalkontrolle"
sprechen. Denn die Überwachung der Monitore bzw. die Auswertungen der
Speicherungen müssen durch Menschen vorgenommen werden, und die Kosten
vor allem viel Geld. Äußerst problematisch wird es indes, wenn dieser
Arbeitsschritt entfallen und die Überwachung durch kostengünstige Elektronik
automatisiert werden kann. Das in der Videoüberwachung liegende totalitäre
Potential muss somit nur noch durch die Technik geweckt werden.
Nur ein kleiner Schritt zur Totalkontrolle
Vorgemacht hat dies im Februar diesen Jahres die us-amerikanische Polizei:
Bei einem Football-Spiel in Tampa wurden die Gesichter aller 75.000 ZuschauerInnen,
die sich in dem Stadion befanden, von 20 Kameras der Firma Grapho Technologies
gescannt, von den angeschlossenen Computern digitalisiert und mit einer
Datenbank abgeglichen, in der mehrere Tausend digitale Fotos aus Polizei-
und Gerichtsakten abgespeichert worden waren - von TaschendiebInnen bis
zu TerroristInnen. Der Erfolg: Die Polizei wurde von den Computern auf
19 Personen aufmerksam gemacht, die per Haftbefehl gesucht worden waren.
12 Die Herstellerfirma betonte zwar, dass lediglich
ein Abgleich der digitalisierten Daten mit der Verbrecherkartei vorgenommen
wurde. ExpertInnen haben jedoch in diesem Zusammenhang erklärt, es wäre
problemlos möglich gewesen, die erhobenen Daten aller BesucherInnen des
Football-Spieles zu speichern, um sie bei anderen Gelegenheiten für weitere
Abgleichungen zu nutzen. 13 Ebenso
wie die Gesichtserkennung ist auch die automatisierte Erkennung von Autokennzeichen
möglich - und wird bereits im Londoner Bankenviertel praktiziert.
14 Bewegungsbilder einzelner Personen oder automatisch
erstellte Verzeichnisse der Personen, die einen bestimmten Ort besucht
haben, sind somit technisch problemlos realisierbar, wenn sie mit entsprechenden
Datenbanken abgeglichen werden können - im worst case mit der Personalausweisdatei.
Die jetzt in Deutschland geforderte Videoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten
ist im Vergleich zu dieser Art der Strafverfolgung und "Gewaltprävention"
noch relativ harmlos. Doch selbst wenn Videoüberwachung in klare gesetzliche
Regelungen gegossen werden würde, so bestünde in Verbindung mit den Möglichkeiten
der Digitalisierung eine enorm hohe Missbrauchsgefahr.
Die CDU bestreitet momentan noch, sie wolle eine flächendeckende Überwachung.
Doch ob diese Haltung beibehalten wird, wenn Kameras einmal installiert
sind, ist fraglich. Denn wenn Kriminalität aus den Innenstadtbereichen
in Randgebiete verdrängt wird, so stehen die dortigen SicherheitspolitikerInnen
unverzüglich vor der Frage, ob sie sich nicht auch mit Kameras helfen.
Wo das hinführt, wird schnell klar: So wie die Telefonüberwachung seit
der Schaffung ihrer gesetzlichen Grundlage 1968 inzwischen eine Standardmaßnahme
geworden ist, könnte auch die Videoüberwachung auf der Dorfstraße und
dem städtischen Marktplatz bald ein gewohntes Bild sein.
Sebastian Schiek studiert Politikwissenschaft in Berlin.
Anmerkungen:
1 Dietl 2000, 89 ff.
2 Frankfurter Rundschau (FR) v. 23.02.2001,
5.
3 BDSB-Tätigkeitsbericht, BT-Drs. 14/5555,
21 f.
4 Weichert, CILIP 60, 14.
5 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE) Bd. 65, 1.
6 BVerfGE 65, 43 f.
7 Wirth, CILIP 56, 26 ff.
8 Weichert, CILIP 60, 17.
9 FR v. 01.08.2000, 5.
10 FR v. 12.02.2001, 13.
11 Weichert, CILIP 60, 16 f.
12 Heise online v. 01.02.2001, http://www.heise.de/newsticker/data/klp-01.02.01-001/.
13 Heise online v. 12.03.2001, http://www.heise.de/newsticker/data/klp-12.03.01-000/.
14 BDSB-Tätigkeitsbericht, BT-Drs.
14/5555, 189 f.
Literatur:
Bundesbeauftragter für den Datenschutz, Tätigkeitsbericht 1999-2000,
in: Bundestagsdrucksache 14/5555, 21 ff. (BDSB-Tätigkeitsbericht)
Dietl, Wilhelm, Die BKA-Story, 2000.
Weichert, Thilo, Audio und Videoüberwachung, in: CILIP 60, 12 ff.
Wirth, Antonia, Telefonüberwachung in der Bundesrepublik Deutschland,
in: CILIP 56, 26 ff.
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