Heft 3 / 2001:
Datenspuren
Überwachung in der digitalen Welt
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Erik Strahl Zum ersten Artikel des Schwerpunkts Zum ersten Artikel des Forums Zur Rubrik Recht kurz Zum Sammelsurium Zur Rubrik Politische Justiz Zur BAKJ-Seite
"Ohne Filter"
Staatliche Eingriffe in Internetinhalte
 

"Das Internet interpretiert Zensur als Störung und umgeht sie", dies ist ein häufig zitierter Satz des "Internet-Gurus" John Gilmore 1. Trotzdem gibt es im Netz zahlreiche Initiativen gegen Zensurmaßnahmen. Die Sperrung von 250 Diskussionsforen bei Compuserve als Folge eines Ermittlungsverfahrens durch eine deutsche Staatsanwaltschaft führte gar dazu, dass in San Francisco deutsches Bier in die Kanalisation geschüttet wurde 2. Warum der Aufwand, warum Bier verschwenden, wenn das Internet doch jede Zensur umgeht?

Internet unzensierbar ?

John Gilmores Satz über die Unzensierbarkeit des Internets bezog sich auf einen Unterbereich des Internets: die Newsgroups. In diesen Foren finden Diskussionen zu allerlei Themen, vom Computer über Sexpraktiken und Politik bis hin zur Gourmet-Küche statt. Die Diskussion gestaltet sich dabei so, dass jemand einen Artikel zu einem Thema schreibt und alle anderen, die sich beteiligen wollen, können diesem Artikel ihren eigenen hinzufügen. Weil ein einziger Rechner mit den Anfragen der BenutzerInnen in aller Welt überfordert wäre, gibt es Tausende Server überall auf der Welt, wo die Artikel gespeichert werden. Werden Artikel auf einem Server gelöscht, finden sich diese noch auf Tausenden von anderen Rechnern im Internet. Ein solches System ist in der Tat unzensierbar. Bei der Sperrung von Diskussionsforen bei Compuserve war es auch für Compuserve-KundInnen ein Leichtes, auf einen anderen Rechner umzusteigen. Die Anordnung der Sperrung durch die Staatsanwaltschaft war daher ungeeignet. Das Protestmittel des Bier-Verschüttens war dagegen sehr zweckdienlich: Die Bilder gingen um die Welt und Deutschland stand am Pranger der Internet-Gemeinde. Newsgroups stellen jedoch nur eine "Seitengasse" im Internet dar. Der Hauptteil der Kommunikation führt über das World Wide Web. Hier gibt es in der Regel nur eine einzige Kopie einer Veröffentlichung. So ist es für den Staat, in dessen Herrschaftsbereich sich der Server, auf dem sich diese einzige Kopie befindet, auch ein Leichtes, Einfluß auf diese Kopie auszuüben. Er veranlaßt die BetreiberInnen solcher Server, die in der Regel nicht identisch mit den UrheberInnen der Dokumente sind, einfach dazu, das Dokument zu sperren. Damit die UrheberInnen nicht auf die Idee kommen, das Dokument an einem anderen Ort zu veröffentlichen, können diese mittels eines Strafverfahrens oder ähnlichen repressiven Maßnahmen davon abgehalten werden. So läßt sich ein Inhalt effektiv unterdrücken. Im Gegensatz zu rechtswidrigen Artikeln in Zeitungen ließe sich dieses Dokument auch in keinem Archiv mehr finden. Das Dokument wäre der gesellschaftlichen Diskussion entzogen. Ergreift der Staat die Zensurmaßnahmen schnell nach der Veröffentlichung, haben auch nur sehr wenige Personen den entsprechenden Artikel gelesen, unter Umständen sogar niemand. Im Gegensatz zu den Newsgroups reagiert die "Hauptstraße" des Internets also erheblich sensibler auf Zensur, auch sensibler als z.B. Zeitungen. Dies wäre insbesondere in einer Welt, in der die Kommunikation hauptsächlich über das Internet geschieht, fatal. In einer entsprechenden politischen Stimmung wäre ein Dokument wie der Mescalero-Brief, der Nachruf eines Göttinger Studenten auf die Ermordung des Generalbundesanwalts Buback im Jahre 1977, möglicherweise sofort unterdrückt und niemals gesellschaftlich diskutiert worden. Gerade die neue Diskussion um diesen Artikel, die im Frühjahr 2001 mit fast 25 Jahren Verzögerung noch einmal für Aufregung gesorgt hat, weil Bundesumweltminister Trittin sich zuerst nicht von diesem Dokument distanzieren wollte 3, verdeutlicht, dass das eigentliche Dokument im Original als Diskussionsgrundlage unverzichtbar ist und eine Unterdrückung eine solche Diskussion sinnlos macht 4.

Staat ohne Einfluss ?

Eine andere Situation ergibt sich jedoch, wenn der Server, auf dem die Kopie eines Dokumentes gespeichert ist, nicht im Einflussbereich des Staates liegt. Der Staat hat nun keinen Einfluß auf die Informationsquelle. Trotzdem können sich die BürgerInnen des Staates ohne Probleme dieses Dokument herunterladen. Ganz machtlos ist der Staat jedoch nicht. In so einem Falle können die Daten nur dadurch unterdrückt werden, dass sie die EmpfängerInnen (im Staat) nicht erreichen.
Dazu müssen alle Access-Provider dieses Staates, also die Dienstleistungsfirmen, bei denen sich die SurferInnen in das Internet einwählen, angewiesen werden, die angegebene Seite nicht mehr durch ihre Leitungen zu lassen. Dies ist ein Verfahren, das sowohl organisatorisch als auch technisch ungleich komplizierter ist als das Sperren von Inhalten direkt an der Quelle. Trotzdem wird es z.B. von Saudi-Arabien angewendet 5. Dafür werden besondere Rechner eingesetzt, die die aufgerufene Seite zuerst zwischenspeichern und kontrollieren, ob diese unter eine Negativliste fallen. Nur wenn das nicht der Fall ist, werden die Daten an die RezipientInnen weitergeleitet. So sollte 1997 die Online-Ausgabe des Magazins "radikal" von deutschen RezipientInnen ferngehalten werden 6. Dies sorgte für weltweite Proteste und Solidarisierungsaktionen innerhalb der Internetgemeinde und schon nach kürzester Zeit befanden sich elektronische Kopien des Magazins auf hunderten von Rechnern weltweit, so dass eine Filterung nicht mehr möglich war.
Obwohl die Schwächen des Systems erkennbar sind, wird der Ansatz der Filterung per Negativlisten weiter verfolgt. So wird z.B. versucht, Negativlisten aufzubauen, die dem Jugendschutz dienen sollen. Die deutsche Phonoindustrie möchte ein solches System aufbauen, um Raubkopien herauszufiltern. Mit solchen Listen können aber auch z.B. an Schulen oder öffentlichen Bibliotheken Inhalte gefiltert werden. Diese Systeme funktionieren aber nur mangelhaft. Sie filtern einerseits nicht alle Seiten mit den entsprechenden unerwünschten (z.B. pornografischen) Inhalten, andererseits werden Seiten gefiltert, ohne dass die entsprechenden Inhalte auf diesen Seiten vorhanden wären (die Fehlerquoten bewegen sich bei den verschiedenen Systemen zwischen 20 und 80 %). 7 So filtern die Systeme auch schon mal gerne Menschenrechtsseiten wie den Mumia-Abu-Jamal-Solidaritäts-Index (www.mumia.de, gefiltert weil angeblich "sexually explicit") oder die Seiten von amnesty international 8. Neben diesen "Unfällen" stellt sich auch immer die Frage, wer bestimmt, was gefiltert wird, wer also definiert, was pornografisch oder gewalttätig ist. So können Beratungsseiten mit medizinischem Inhalt auf eine bestimmte Terminologie nicht verzichten und werden prompt als "sexually explicit" weggefiltert.

Andere Regeln im Internet ?

Als nächstes stellt sich die Frage, ob staatliche Eingriffe in Internetinhalte anders zu bewerten sind, als Eingriffe in traditionelle Presseartikel. Beim Thema Kinderpornografie sind sich noch alle einig. Hier darf der Staat eingreifen und Seiten unterdrücken. Dies ist auch effektiv, da solche Inhalte in allen Ländern strafbar sind.
Bei rechtsradikalen Hass-Seiten scheiden sich schon die Geister. In Deutschland sind entsprechende Inhalte strafbar und strafbare rechtsradikale Inhalte werden sich deshalb auf deutschen Servern inzwischen kaum noch finden lassen. In den Vereinigten Staaten sind rechtsradikale Inhalte aufgrund des ersten Verfassungszusatzes legal. Hier geht das Paradigma der unbeschränkten Meinungsäußerungsfreiheit so weit, dass selbst liberale Universitäten Webseiten mit rechtsextremistischen Inhalten aufnehmen. Daher werden inzwischen viele deutschsprachige Hass-Seiten in den Staaten gehostet. Wenn sich aus den Seiten Hinweise auf deutsche Täter ergeben, können diese bestraft werden; ein Zugriff auf die Seiten bleibt Behörden und Justiz jedoch verwehrt. Ein Internet frei von rechtsradikalen Hass-Seiten, ermöglicht durch staatliche, repressive Maßnahmen, wird es also nicht geben.
Diese Hilflosigkeit führt zu fragwürdigem Aktionismus: Das Ziel, deutsche Rechtsvorstellungen im gesamten Internet durchzusetzen, verfolgt ein Urteil des BGH, in dem der Australier Fredrick Töben, der auf einer australischen Seite in englischer Sprache die Auschwitzlüge verbreitete, wegen Volksverhetzung verurteilt wurde. Damit hat der BGH das deutsche Strafrecht praktisch auf das ganze Internet ausgedehnt. Da bisher noch kein Gericht in keinen anderen Land die Reichweite der eigenen Landesregeln auf das weltweite Internet übertragen hatte, führte das Urteil zu einer breiten Diskussion innerhalb und außerhalb des Internet. Gerade aus den USA gab es herbe Kritik. Esther Dyson, ehemalige Vorsitzende der "Internet-Regierung" ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers[t1]), befand es "nicht für notwendigerweise schlecht", wenn sich im Internet regionale Inseln und damit auch eine unterschiedliche Jurisdiktion ausbildeten, Probleme gebe es allerdings dann, wenn ein Gericht sich plötzlich darauf versteife, "dass meine Regeln überall gelten sollten" 9. So wäre auch zu erwarten, dass ein Teil der deutschen Internet-Seiten z.B. gegen chinesisches, saudi-arabisches oder afghanisches Recht verstoßen. Würde jedes Land die Webseiten strafrechtlich verfolgen, die den nationalen Gesetzen widersprechen, müßten alle, die Inhalte im Internet veröffentlichen, eine nicht zu überschauende Zahl von Vorschriften beachten. Ein sinnvolleres Ziel wäre, gemeinsame Wertmaßstäbe möglichst vieler Länder zu finden, z.B. keine Seiten zu tolerieren, die den Holocaust leugnen. Für eine solche Einigung ist es aber kontraproduktiv, wenn ein Land vorprescht und meint für alle anderen Länder Regeln setzen zu können. Dies bleibt auch noch ohne Ergebnis, denn Webseiten verschwinden nicht aus dem Netz, wenn die UrheberInnen in Abwesenheit strafrechtlich verurteilt werden.
Daher geht Innenminister Schily noch einen Schritt weiter und schlägt vor, gegen entsprechende amerikanische Seiten Hackerangriffe zu verüben, quasi einen "Cyberwar" mit Amerika zu beginnen 10.
Selbst CDU-PolitikerInnen, die gerade erst aus Kampagnen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oder "Kinder statt Inder" zurückgekehrt sind und damit sicher nicht zu einem friedvollerem Miteinander beigetragen haben, entblöden sich nicht, zu einem "Netz gegen Gewalt" aufzurufen 11. Bei der zugehörigen Aktion Gatekeeper sollen rechts- und linksradikale Seiten gemeldet, an den Verfassungsschutz weitergegeben und schließlich von einem Filtersystem ausgefiltert werden. Offenbar möchte die CDU die Früchte ihrer populistischen Aktionen in der Realwelt, im Internet nicht sehen.
Inzwischen gibt es auch Vorschläge, sich den Gegebenheiten auf andere Art und Weise zu stellen. So wendet sich das American Jewish Commitee gegen eine Zensur von Hass-Seiten im Internet. Zwar könnten Rechtsradikale über das Internet ihre Meinung überall verbreiten, aber ihre Aktivitäten ließen sich auch besser beobachten 12. Andy Müller-Maguhn, europäischer Vertreter bei ICANN meint, schädliche Informationen gäbe es überhaupt nicht. Rechtsradikale Propaganda im Internet mache transparent, dass ein Problem in der Gesellschaft existiere. Solche Informationen herauszufiltern hieße, das Problem verleugnen. 13 Dies scheint der Prämisse "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" und der Konsequenz, entsprechenden Äußerungen dürfe kein Raum gegeben werden, zu widersprechen.
Einzige Möglichkeit, solche Inhalte aus dem Ausland zu unterdrücken, wäre aber eine Filterung. Aber ist es nicht eine interessante Information, wenn Rechtsradikale Argumentationen oder Aktionen wie z.B. die zur doppelten Staatsbürgerschaft von bürgerlichen Parteien übernehmen? Ist es sinnvoll, solche Informationen wegzufiltern? Welche Chance haben faschistische Äußerungen in einem Medium, in dem die Informationen frei fließen können? Ist nicht gerade freie Kommunikation ein Feind faschistischer Ideologien? Unter diesen Gesichtspunkten muss die Reflexreaktion "Rechtsradikale Inhalte - Wegfiltern" hinterfragt werden. Insbesondere sollte man sich klarmachen, welche "Internet-Weltanschauung" hinter der Zensur und dem Filtern von Inhalten steht.

Internet als globales Meinungsforum

"Das Internet ist ein Forum freier Kommunikation und Kreativität, in dem jede und jeder ihre/seine Meinung kundtun kann", so ließe sich eine Internet-Anschauung auf den Punkt bringen. Dieser Ansatz sieht das Internet als weltweites Forum von Meinungen und Ideen mit eigenen, bisher noch nicht dagewesenen Möglichkeiten. Das Internet soll ein Spiegel der Gesellschaft sein und nicht nur eine hochglänzende Werbekulisse. Ebenso wie in der wahren Welt wären brilliante Ideen genauso zu erwarten wie abstruse Weltbilder oder widerwärtige politische Vorstellungen. Wenn sich viele Menschen an Kommunikation beteiligen, wird neben allerlei Brauchbarem auch Unsinn, Ärgerliches und, je nach lokaler Gesetzgebung, Verbotenes produziert. Das birgt Gefahren, gleichzeitig jedoch bewegt man sich auch in einem Medium, wo sich solche Überschreitungen diskutieren lassen. Sitzt jemand mit einer rechtsradikalen Schrift im Kämmerlein, ist die Gefahr hoch, dass die Person sich von dieser Schrift indoktrinieren läßt. Sitzt der/die SurferIn am PC im Internet, ist die Gegenmeinung nur eine Suchmaschinenrecherche entfernt, wenn, ja wenn, der/die InternetsurferIn medienkompetent ist. Wenn er/sie also gelernt hat, im Internet nach verschiedenen Ansichten zu recherchieren und diese Ansichten in einem entsprechenden ethischen Kontext zu bewerten. Bei solchen InternetsurferInnen wird die Gefahr nicht groß sein, dass sie sich von entsprechenden Inhalten indoktrinieren lassen. Eher werden sie sich noch aktiver in die andere Richtung engagieren und selber aktiv an der Kommunikation teilhaben. In der Konsequenz würde das bedeuten, dass, bei entsprechender Vermittlung von echter Medienkompetenz in der Bevölkerung, Internetinhalte verbotener Natur besseren Gewissen zu dulden wären. Die RezipientInnen würden erkennen, dass es sich hier um Schrott handelt, ohne dass der Staat ihnen dies sagen oder Inhalte unterdrücken muss.

Internet als globaler Marktplatz

"Das Internet ist ein globaler Marktplatz, der dem Austausch von Waren und Dienstleistungen dienen soll.", ist jedoch ein anderes Internet-Bild. Dahinter steht der Ansatz, das Internet sei prinzipiell nichts neues, nur die Übertragungsart eine andere. In einem solchen Internet ist der/die ideale SurferIn keine medienkompetente Person, sondern versteht es, auf die richtigen Knöpfchen zu klicken, um die entsprechenden Waren, Dienstleistungen und Informationen zu bestellen. Die Kommunikationsrolle ist die gleiche wie bei Presse und Rundfunk, als reine KonsumentIn der mundgerecht gelieferten Inhalte. Eigene Kommunikation nach außen findet ebensowenig statt wie selbständige Recherche. In einer solchen Internetwelt stellen radikale Inhalte eine doppelte Gefahr dar: Erst einmal sind sie eine Bedrohung des Markplatzes und erzeugen schlechte Presse. Waren verkaufen sich am besten in sterilen, lauwarmen Einkaufszentren. Außerdem fällt es den SurferInnen u.U. tatsächlich schwerer, Inhalte einzuordnen, wenn sich die "Medienkompetenz" auf die rein technische Beherrschung beschränkt.
Es macht auch keinen Sinn, dass die SurferInnen sich am Kommunikationsprozess beteiligen. Wozu auch? Die Inhalte werden ja von der Medienindustrie geliefert. Am besten für das Geschäft ist es, wenn die KundInnen in ihrer passiven Rolle verharren.

Gesetzliche Regelungen von staatlichen Eingriffen

Welcher dieser Sichtweisen hängen nun GesetzgeberInnen und Gerichte an? Eine interessante Regelung, um sich dieser Frage zu nähern, stellt der § 18 Mediendienstestaatsvertrag (MDStV) dar. Er stellt die Eingriffsnorm in Mediendienste, also z.B. auch für WWW-Seiten mit meinungsbildendem Charakter dar.
Wie oben gesehen, kann ein Eingriff, der direkt die Verbreitung sperrt, dafür sorgen, dass Inhalte gänzlich unterdrückt werden. Die Kompetenz, eine solche Sperrung vorzunehmen, weist § 18 II MDStV nun nicht etwa einem Gericht, sondern einer Verwaltungsbehörde zu. Dabei wird ein Prinzip, das schon im 19. Jahrhundert entwickelt wurde, die Polizeifestigkeit der Pressefreiheit, aufgegeben 14.
Zu so einem Fußtritt gegen die Meinungsäußerungsfreiheit hat sich der Gesetzgeber offenbar unter dem Einfluss der Schlagzeilen von rechtsradikaler Propaganda und pornografischen Inhalten im Internet hinreißen lassen 15. Entsprechende Eingriffsnormen gibt es für den privaten Rundfunk zwar auch, hier jedoch ist der Entscheidungsträger keine Behörde, sondern eine Landesmedienanstalt, die gerade um dem Prinzip der Polizeifestigkeit gerecht zu werden, staatsfern organisiert ist.
Mit dieser rein repressiven Regelung zeigt der Gesetzgeber, dass er das Internet als Kommunikationsforum nicht ernst nimmt. Internetinhalte können unterdrückt werden wie die Presse zu Kaisers Zeiten. Die Gesetzgebung soll einen wirtschaftsfreundlichen, relativ unreglementierten Rahmen für die Internetindustrie schaffen, missliebiege Inhalte sollen aber gleichzeitig schnell und effektiv unterdrückt werden können.
Die Gerichte hängen einem ähnlichen Bild nach. Kommerziellen Interessen wird hier meist der Vorzug vor Kommunikationsinteressen gegeben. So mußte Greenpeace, die eine kritische Seite über den Ölkonzern Elf betrieben, diese aufgrund eines Gerichtsurteils, gestützt auf verletztes Namensrecht, vom Netz nehmen. Greenpeace hatte unter der Adresse www.oil-for-elf.de über die Verschmutzungen in Teilen Rußlands durch defekte Pipelines berichtet und auch den Ölkonzern Elf dafür verantwortlich gemacht. Elf erreichte vor dem Landgericht Berlin, dass Greenpeace den Domainnamen oil-for-elf aufgrund ihres Namensrechts nicht mehr verwenden durfte. Die entsprechenden Seiten sind jetzt unter anderer Adresse zu finden. Damit sind alle Links, die bisher auf diese Seiten gesetzt wurden und alle Suchmaschineneinträge wertlos, so dass die entsprechenden Inhalte kaum noch gefunden werden können. Dem Gericht war der Schutz des Namens Elf jedoch wichtiger 16.

Fazit

Aufgrund der grenzüberschreitenden Wirkung des Internets wird eine länderübergreifende Diskussion darüber stattfinden müssen, ob es sich bei der Kommunikationsfreiheit um eine vollkommen unbeschränkte Freiheit handelt, wie dies von den USA proklamiert wird, oder ob sie Einschränkungen durch andere Menschenrechte unterliegt, wie dies ja z.B. von der Bundesrepublik angenommen wird. Anzustreben wäre hier ein breiter länderübergreifender Konsens von möglichst vielen Ländern, Hass-Seiten im Internet nicht zu tolerieren. Ein solcher Konsens scheint jedoch weit entfernt und es ist auch nicht zu erwarten, dass insbesondere die USA derzeit bereit sind, die Doktrin der völlig unbeschränkten Kommunikationsfreiheit aufzugeben. Weiterhin wird es, z.B. mit den Newsgroups, immer Teile im Internet geben, wo ein staatlicher Eingriff aufgrund der technischen Gegebenheiten leerläuft. So wird es auch weiterhin im Internet Inhalte geben, die den Hass zwischen den Menschen und den Völkern schüren und die z.B. in Deutschland rechtswidrig sind.
Um diese Inhalte in Deutschland zu unterdrücken bliebe nur, das gesamte deutsche Internet zu filtern. Entsprechende Wege gehen aber sonst nur totalitäre Staaten wie Saudi-Arabien oder China. Alternativ könnte das Internet an "sensiblen" Stellen wie Schulen oder an öffentlichen Internet-PCs in Bibliotheken gefiltert werden. Neben dem Problem, dass eine solche Filterung starke technische und organisatorische Mängel hat, stellt sich auch die Frage, ob eine Filterung überhaupt wünschenswert ist.
Der einzige Weg, insbesondere junge Menschen vor rechtsradikalen Inhalten im Internet zu schützen, kann nur der sein, ihnen einen kritischen Umgang mit solchen Inhalten zu vermitteln und aufzuzeigen, wie sich die entsprechenden Gegenmeinungen im Internet auffinden lassen. Die Ansätze gerade in der Schule solche Inhalte auszufiltern, scheinen fatal. Wo, wenn nicht hier sollte die Möglichkeit bestehen, über entsprechende Inhalte zu diskutieren. Solange sich nicht auch Gespräche auf dem Schulhof filtern lassen, macht eine Filterung des Internets für Schulen ebenfalls keinen Sinn. Jedenfalls kann es nicht sein, dass die Ausbildung und Heranführung von jungen Menschen an moderne Kommunikationsmittel nur in technischer Hinsicht geschieht und dieses Defizit damit kaschiert wird, dass die Inhalte, mit denen die jungen InternetsurferInnen nicht umgehen können, herausgefiltert werden.
Damit bleibt das Internet aber ein Platz, in dem faschistische Ideologien auch ungehindert nach Deutschland verbreitet werden können. Dies wird dann aber der Preis sein, den man wird zahlen müssen, wenn man das Internet als Medium des freien Austausches von Informationen beibehalten will. Gerade als solches Medium, wo die andere Meinung, die differenzierte Darstellung, von der platten rechtsradikalen Hass-Seite nur einen Klick entfernt ist, wird dem Faschismus mittelfristig auch eher nützen als Schaden.
Dazu bedarf es aber medienkompetenter RezipientInnen und einem Bild vom Internet als Medium, das bisher weder in weiten Teilen von Staat und Politik noch in der Wirtschaft vorherrscht.
Dabei geht es auch darum, ob die Gesellschaft, Wirtschaft, Parteien und Politik, das fokussiert im Internet sehen wollen, was sich hier als Antwort auf ihr tägliches Handeln, direkt und nicht über Medien gefiltert, darstellt. Das Internet bietet auch ein neues Medium, um Fehlentwicklungen in der Gesellschaft zu erkennen. Denjenigen, die diese Fehlentwicklungen bewirken, können es sich natürlich leicht machen und entsprechende Inhalte verbieten oder filtern lassen. Die einen wollen kein von Öl verdrecktes Land im Internet sehen und klagen die Seite weg. Die anderen wollen Wählerstimmen gewinnen, indem sie latente Ängste gegen ausländische MitbürgerInnen mißbrauchen, möchten rechtsradikale Seiten aber wegfiltern. Würde in der Realwelt mehr an den Ursachen gearbeitet werden, würden sich die Symptome im Internet auch nicht mehr zeigen. Vielleicht sollten sich die Filterfreunde wieder mehr auf die Wirklichkeit konzentrieren und nicht auf den Cyberspace.

Erik Strahl studiert Jura und lebt in Hamburg

Anmerkungen:

1 www.toad.com/gnu/.
2 www.heise.de/newsticker/data/ad-17.04.97-000/.
3 www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,113579,00.html.
4 Original z.B. unter www.uni-mainz.de/~franz/vda/proj1968/ueberreg/doku/mescale.htm.
5 "Wenn die Web-Seite dicht gemacht wird", Süddeutsche Zeitung, 2.12.2000, S. 13.
6 www.uni-kassel.de/ssv/asta/inter/zensur.htm.
7 www.peacefire.org/error-rates/.
8 www.peacefire.org/amnesty-intercepted/.
9 www.heise.de/newsticker/data/fr-21.12.00-001/.
10 www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,128240,00.html.
11 www.netzgegengewalt.de.
12 SZ, 20.5.2000, S. 6.
13 Ct 20/2000, S. 104 ff.
14 RMD-Vesting § 18 Rn 4.
15 RMD-Vesting § 18 Rn 4.
16 www.greenpeace.de/GP_DOK_3P/BRENNPUN/F00110.HTM.