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"Das Internet interpretiert Zensur als Störung und umgeht sie", dies
ist ein häufig zitierter Satz des "Internet-Gurus" John Gilmore 1.
Trotzdem gibt es im Netz zahlreiche Initiativen gegen Zensurmaßnahmen.
Die Sperrung von 250 Diskussionsforen bei Compuserve als Folge eines Ermittlungsverfahrens
durch eine deutsche Staatsanwaltschaft führte gar dazu, dass in San Francisco
deutsches Bier in die Kanalisation geschüttet wurde 2.
Warum der Aufwand, warum Bier verschwenden, wenn das Internet doch jede
Zensur umgeht?
Internet unzensierbar ?
John Gilmores Satz über die Unzensierbarkeit des Internets bezog sich
auf einen Unterbereich des Internets: die Newsgroups. In diesen Foren
finden Diskussionen zu allerlei Themen, vom Computer über Sexpraktiken
und Politik bis hin zur Gourmet-Küche statt. Die Diskussion gestaltet
sich dabei so, dass jemand einen Artikel zu einem Thema schreibt und alle
anderen, die sich beteiligen wollen, können diesem Artikel ihren eigenen
hinzufügen. Weil ein einziger Rechner mit den Anfragen der BenutzerInnen
in aller Welt überfordert wäre, gibt es Tausende Server überall auf der
Welt, wo die Artikel gespeichert werden. Werden Artikel auf einem Server
gelöscht, finden sich diese noch auf Tausenden von anderen Rechnern im
Internet. Ein solches System ist in der Tat unzensierbar. Bei der Sperrung
von Diskussionsforen bei Compuserve war es auch für Compuserve-KundInnen
ein Leichtes, auf einen anderen Rechner umzusteigen. Die Anordnung der
Sperrung durch die Staatsanwaltschaft war daher ungeeignet. Das Protestmittel
des Bier-Verschüttens war dagegen sehr zweckdienlich: Die Bilder gingen
um die Welt und Deutschland stand am Pranger der Internet-Gemeinde. Newsgroups
stellen jedoch nur eine "Seitengasse" im Internet dar. Der Hauptteil der
Kommunikation führt über das World Wide Web. Hier gibt es in der Regel
nur eine einzige Kopie einer Veröffentlichung. So ist es für den Staat,
in dessen Herrschaftsbereich sich der Server, auf dem sich diese einzige
Kopie befindet, auch ein Leichtes, Einfluß auf diese Kopie auszuüben.
Er veranlaßt die BetreiberInnen solcher Server, die in der Regel nicht
identisch mit den UrheberInnen der Dokumente sind, einfach dazu, das Dokument
zu sperren. Damit die UrheberInnen nicht auf die Idee kommen, das Dokument
an einem anderen Ort zu veröffentlichen, können diese mittels eines Strafverfahrens
oder ähnlichen repressiven Maßnahmen davon abgehalten werden. So läßt
sich ein Inhalt effektiv unterdrücken. Im Gegensatz zu rechtswidrigen
Artikeln in Zeitungen ließe sich dieses Dokument auch in keinem Archiv
mehr finden. Das Dokument wäre der gesellschaftlichen Diskussion entzogen.
Ergreift der Staat die Zensurmaßnahmen schnell nach der Veröffentlichung,
haben auch nur sehr wenige Personen den entsprechenden Artikel gelesen,
unter Umständen sogar niemand. Im Gegensatz zu den Newsgroups reagiert
die "Hauptstraße" des Internets also erheblich sensibler auf Zensur, auch
sensibler als z.B. Zeitungen. Dies wäre insbesondere in einer Welt, in
der die Kommunikation hauptsächlich über das Internet geschieht, fatal.
In einer entsprechenden politischen Stimmung wäre ein Dokument wie der
Mescalero-Brief, der Nachruf eines Göttinger Studenten auf die Ermordung
des Generalbundesanwalts Buback im Jahre 1977, möglicherweise sofort unterdrückt
und niemals gesellschaftlich diskutiert worden. Gerade die neue Diskussion
um diesen Artikel, die im Frühjahr 2001 mit fast 25 Jahren Verzögerung
noch einmal für Aufregung gesorgt hat, weil Bundesumweltminister Trittin
sich zuerst nicht von diesem Dokument distanzieren wollte
3, verdeutlicht, dass das eigentliche Dokument im Original
als Diskussionsgrundlage unverzichtbar ist und eine Unterdrückung eine
solche Diskussion sinnlos macht 4.
Staat ohne Einfluss ?
Eine andere Situation ergibt sich jedoch, wenn der Server, auf dem die
Kopie eines Dokumentes gespeichert ist, nicht im Einflussbereich des Staates
liegt. Der Staat hat nun keinen Einfluß auf die Informationsquelle. Trotzdem
können sich die BürgerInnen des Staates ohne Probleme dieses Dokument
herunterladen. Ganz machtlos ist der Staat jedoch nicht. In so einem Falle
können die Daten nur dadurch unterdrückt werden, dass sie die EmpfängerInnen
(im Staat) nicht erreichen.
Dazu müssen alle Access-Provider dieses Staates, also die Dienstleistungsfirmen,
bei denen sich die SurferInnen in das Internet einwählen, angewiesen werden,
die angegebene Seite nicht mehr durch ihre Leitungen zu lassen. Dies ist
ein Verfahren, das sowohl organisatorisch als auch technisch ungleich
komplizierter ist als das Sperren von Inhalten direkt an der Quelle. Trotzdem
wird es z.B. von Saudi-Arabien angewendet 5.
Dafür werden besondere Rechner eingesetzt, die die aufgerufene Seite zuerst
zwischenspeichern und kontrollieren, ob diese unter eine Negativliste
fallen. Nur wenn das nicht der Fall ist, werden die Daten an die RezipientInnen
weitergeleitet. So sollte 1997 die Online-Ausgabe des Magazins "radikal"
von deutschen RezipientInnen ferngehalten werden 6.
Dies sorgte für weltweite Proteste und Solidarisierungsaktionen innerhalb
der Internetgemeinde und schon nach kürzester Zeit befanden sich elektronische
Kopien des Magazins auf hunderten von Rechnern weltweit, so dass eine
Filterung nicht mehr möglich war.
Obwohl die Schwächen des Systems erkennbar sind, wird der Ansatz der Filterung
per Negativlisten weiter verfolgt. So wird z.B. versucht, Negativlisten
aufzubauen, die dem Jugendschutz dienen sollen. Die deutsche Phonoindustrie
möchte ein solches System aufbauen, um Raubkopien herauszufiltern. Mit
solchen Listen können aber auch z.B. an Schulen oder öffentlichen Bibliotheken
Inhalte gefiltert werden. Diese Systeme funktionieren aber nur mangelhaft.
Sie filtern einerseits nicht alle Seiten mit den entsprechenden unerwünschten
(z.B. pornografischen) Inhalten, andererseits werden Seiten gefiltert,
ohne dass die entsprechenden Inhalte auf diesen Seiten vorhanden wären
(die Fehlerquoten bewegen sich bei den verschiedenen Systemen zwischen
20 und 80 %). 7 So filtern die Systeme
auch schon mal gerne Menschenrechtsseiten wie den Mumia-Abu-Jamal-Solidaritäts-Index
(www.mumia.de, gefiltert weil angeblich "sexually explicit") oder die
Seiten von amnesty international 8.
Neben diesen "Unfällen" stellt sich auch immer die Frage, wer bestimmt,
was gefiltert wird, wer also definiert, was pornografisch oder gewalttätig
ist. So können Beratungsseiten mit medizinischem Inhalt auf eine bestimmte
Terminologie nicht verzichten und werden prompt als "sexually explicit"
weggefiltert.
Andere Regeln im Internet ?
Als nächstes stellt sich die Frage, ob staatliche Eingriffe in Internetinhalte
anders zu bewerten sind, als Eingriffe in traditionelle Presseartikel.
Beim Thema Kinderpornografie sind sich noch alle einig. Hier darf der
Staat eingreifen und Seiten unterdrücken. Dies ist auch effektiv, da solche
Inhalte in allen Ländern strafbar sind.
Bei rechtsradikalen Hass-Seiten scheiden sich schon die Geister. In Deutschland
sind entsprechende Inhalte strafbar und strafbare rechtsradikale Inhalte
werden sich deshalb auf deutschen Servern inzwischen kaum noch finden
lassen. In den Vereinigten Staaten sind rechtsradikale Inhalte aufgrund
des ersten Verfassungszusatzes legal. Hier geht das Paradigma der unbeschränkten
Meinungsäußerungsfreiheit so weit, dass selbst liberale Universitäten
Webseiten mit rechtsextremistischen Inhalten aufnehmen. Daher werden inzwischen
viele deutschsprachige Hass-Seiten in den Staaten gehostet. Wenn sich
aus den Seiten Hinweise auf deutsche Täter ergeben, können diese bestraft
werden; ein Zugriff auf die Seiten bleibt Behörden und Justiz jedoch verwehrt.
Ein Internet frei von rechtsradikalen Hass-Seiten, ermöglicht durch staatliche,
repressive Maßnahmen, wird es also nicht geben.
Diese Hilflosigkeit führt zu fragwürdigem Aktionismus: Das Ziel, deutsche
Rechtsvorstellungen im gesamten Internet durchzusetzen, verfolgt ein Urteil
des BGH, in dem der Australier Fredrick Töben, der auf einer australischen
Seite in englischer Sprache die Auschwitzlüge verbreitete, wegen Volksverhetzung
verurteilt wurde. Damit hat der BGH das deutsche Strafrecht praktisch
auf das ganze Internet ausgedehnt. Da bisher noch kein Gericht in keinen
anderen Land die Reichweite der eigenen Landesregeln auf das weltweite
Internet übertragen hatte, führte das Urteil zu einer breiten Diskussion
innerhalb und außerhalb des Internet. Gerade aus den USA gab es herbe
Kritik. Esther Dyson, ehemalige Vorsitzende der "Internet-Regierung" ICANN
(Internet Corporation for Assigned Names and Numbers[t1]), befand es "nicht
für notwendigerweise schlecht", wenn sich im Internet regionale Inseln
und damit auch eine unterschiedliche Jurisdiktion ausbildeten, Probleme
gebe es allerdings dann, wenn ein Gericht sich plötzlich darauf versteife,
"dass meine Regeln überall gelten sollten" 9.
So wäre auch zu erwarten, dass ein Teil der deutschen Internet-Seiten
z.B. gegen chinesisches, saudi-arabisches oder afghanisches Recht verstoßen.
Würde jedes Land die Webseiten strafrechtlich verfolgen, die den nationalen
Gesetzen widersprechen, müßten alle, die Inhalte im Internet veröffentlichen,
eine nicht zu überschauende Zahl von Vorschriften beachten. Ein sinnvolleres
Ziel wäre, gemeinsame Wertmaßstäbe möglichst vieler Länder zu finden,
z.B. keine Seiten zu tolerieren, die den Holocaust leugnen. Für eine solche
Einigung ist es aber kontraproduktiv, wenn ein Land vorprescht und meint
für alle anderen Länder Regeln setzen zu können. Dies bleibt auch noch
ohne Ergebnis, denn Webseiten verschwinden nicht aus dem Netz, wenn die
UrheberInnen in Abwesenheit strafrechtlich verurteilt werden.
Daher geht Innenminister Schily noch einen Schritt weiter und schlägt
vor, gegen entsprechende amerikanische Seiten Hackerangriffe zu verüben,
quasi einen "Cyberwar" mit Amerika zu beginnen 10.
Selbst CDU-PolitikerInnen, die gerade erst aus Kampagnen gegen die doppelte
Staatsbürgerschaft oder "Kinder statt Inder" zurückgekehrt sind und damit
sicher nicht zu einem friedvollerem Miteinander beigetragen haben, entblöden
sich nicht, zu einem "Netz gegen Gewalt" aufzurufen 11.
Bei der zugehörigen Aktion Gatekeeper sollen rechts- und linksradikale
Seiten gemeldet, an den Verfassungsschutz weitergegeben und schließlich
von einem Filtersystem ausgefiltert werden. Offenbar möchte die CDU die
Früchte ihrer populistischen Aktionen in der Realwelt, im Internet nicht
sehen.
Inzwischen gibt es auch Vorschläge, sich den Gegebenheiten auf andere
Art und Weise zu stellen. So wendet sich das American Jewish Commitee
gegen eine Zensur von Hass-Seiten im Internet. Zwar könnten Rechtsradikale
über das Internet ihre Meinung überall verbreiten, aber ihre Aktivitäten
ließen sich auch besser beobachten 12.
Andy Müller-Maguhn, europäischer Vertreter bei ICANN meint, schädliche
Informationen gäbe es überhaupt nicht. Rechtsradikale Propaganda im Internet
mache transparent, dass ein Problem in der Gesellschaft existiere. Solche
Informationen herauszufiltern hieße, das Problem verleugnen.
13 Dies scheint der Prämisse "Faschismus ist keine
Meinung, sondern ein Verbrechen" und der Konsequenz, entsprechenden Äußerungen
dürfe kein Raum gegeben werden, zu widersprechen.
Einzige Möglichkeit, solche Inhalte aus dem Ausland zu unterdrücken, wäre
aber eine Filterung. Aber ist es nicht eine interessante Information,
wenn Rechtsradikale Argumentationen oder Aktionen wie z.B. die zur doppelten
Staatsbürgerschaft von bürgerlichen Parteien übernehmen? Ist es sinnvoll,
solche Informationen wegzufiltern? Welche Chance haben faschistische Äußerungen
in einem Medium, in dem die Informationen frei fließen können? Ist nicht
gerade freie Kommunikation ein Feind faschistischer Ideologien? Unter
diesen Gesichtspunkten muss die Reflexreaktion "Rechtsradikale Inhalte
- Wegfiltern" hinterfragt werden. Insbesondere sollte man sich klarmachen,
welche "Internet-Weltanschauung" hinter der Zensur und dem Filtern von
Inhalten steht.
Internet als globales Meinungsforum
"Das Internet ist ein Forum freier Kommunikation und Kreativität, in
dem jede und jeder ihre/seine Meinung kundtun kann", so ließe sich eine
Internet-Anschauung auf den Punkt bringen. Dieser Ansatz sieht das Internet
als weltweites Forum von Meinungen und Ideen mit eigenen, bisher noch
nicht dagewesenen Möglichkeiten. Das Internet soll ein Spiegel der Gesellschaft
sein und nicht nur eine hochglänzende Werbekulisse. Ebenso wie in der
wahren Welt wären brilliante Ideen genauso zu erwarten wie abstruse Weltbilder
oder widerwärtige politische Vorstellungen. Wenn sich viele Menschen an
Kommunikation beteiligen, wird neben allerlei Brauchbarem auch Unsinn,
Ärgerliches und, je nach lokaler Gesetzgebung, Verbotenes produziert.
Das birgt Gefahren, gleichzeitig jedoch bewegt man sich auch in einem
Medium, wo sich solche Überschreitungen diskutieren lassen. Sitzt jemand
mit einer rechtsradikalen Schrift im Kämmerlein, ist die Gefahr hoch,
dass die Person sich von dieser Schrift indoktrinieren läßt. Sitzt der/die
SurferIn am PC im Internet, ist die Gegenmeinung nur eine Suchmaschinenrecherche
entfernt, wenn, ja wenn, der/die InternetsurferIn medienkompetent ist.
Wenn er/sie also gelernt hat, im Internet nach verschiedenen Ansichten
zu recherchieren und diese Ansichten in einem entsprechenden ethischen
Kontext zu bewerten. Bei solchen InternetsurferInnen wird die Gefahr nicht
groß sein, dass sie sich von entsprechenden Inhalten indoktrinieren lassen.
Eher werden sie sich noch aktiver in die andere Richtung engagieren und
selber aktiv an der Kommunikation teilhaben. In der Konsequenz würde das
bedeuten, dass, bei entsprechender Vermittlung von echter Medienkompetenz
in der Bevölkerung, Internetinhalte verbotener Natur besseren Gewissen
zu dulden wären. Die RezipientInnen würden erkennen, dass es sich hier
um Schrott handelt, ohne dass der Staat ihnen dies sagen oder Inhalte
unterdrücken muss.
Internet als globaler Marktplatz
"Das Internet ist ein globaler Marktplatz, der dem Austausch von Waren
und Dienstleistungen dienen soll.", ist jedoch ein anderes Internet-Bild.
Dahinter steht der Ansatz, das Internet sei prinzipiell nichts neues,
nur die Übertragungsart eine andere. In einem solchen Internet ist der/die
ideale SurferIn keine medienkompetente Person, sondern versteht es, auf
die richtigen Knöpfchen zu klicken, um die entsprechenden Waren, Dienstleistungen
und Informationen zu bestellen. Die Kommunikationsrolle ist die gleiche
wie bei Presse und Rundfunk, als reine KonsumentIn der mundgerecht gelieferten
Inhalte. Eigene Kommunikation nach außen findet ebensowenig statt wie
selbständige Recherche. In einer solchen Internetwelt stellen radikale
Inhalte eine doppelte Gefahr dar: Erst einmal sind sie eine Bedrohung
des Markplatzes und erzeugen schlechte Presse. Waren verkaufen sich am
besten in sterilen, lauwarmen Einkaufszentren. Außerdem fällt es den SurferInnen
u.U. tatsächlich schwerer, Inhalte einzuordnen, wenn sich die "Medienkompetenz"
auf die rein technische Beherrschung beschränkt.
Es macht auch keinen Sinn, dass die SurferInnen sich am Kommunikationsprozess
beteiligen. Wozu auch? Die Inhalte werden ja von der Medienindustrie geliefert.
Am besten für das Geschäft ist es, wenn die KundInnen in ihrer passiven
Rolle verharren.
Gesetzliche Regelungen von staatlichen Eingriffen
Welcher dieser Sichtweisen hängen nun GesetzgeberInnen und Gerichte an?
Eine interessante Regelung, um sich dieser Frage zu nähern, stellt der
§ 18 Mediendienstestaatsvertrag (MDStV) dar. Er stellt die Eingriffsnorm
in Mediendienste, also z.B. auch für WWW-Seiten mit meinungsbildendem
Charakter dar.
Wie oben gesehen, kann ein Eingriff, der direkt die Verbreitung sperrt,
dafür sorgen, dass Inhalte gänzlich unterdrückt werden. Die Kompetenz,
eine solche Sperrung vorzunehmen, weist § 18 II MDStV nun nicht etwa einem
Gericht, sondern einer Verwaltungsbehörde zu. Dabei wird ein Prinzip,
das schon im 19. Jahrhundert entwickelt wurde, die Polizeifestigkeit der
Pressefreiheit, aufgegeben 14.
Zu so einem Fußtritt gegen die Meinungsäußerungsfreiheit hat sich der
Gesetzgeber offenbar unter dem Einfluss der Schlagzeilen von rechtsradikaler
Propaganda und pornografischen Inhalten im Internet hinreißen lassen
15. Entsprechende Eingriffsnormen gibt es für den privaten
Rundfunk zwar auch, hier jedoch ist der Entscheidungsträger keine Behörde,
sondern eine Landesmedienanstalt, die gerade um dem Prinzip der Polizeifestigkeit
gerecht zu werden, staatsfern organisiert ist.
Mit dieser rein repressiven Regelung zeigt der Gesetzgeber, dass er das
Internet als Kommunikationsforum nicht ernst nimmt. Internetinhalte können
unterdrückt werden wie die Presse zu Kaisers Zeiten. Die Gesetzgebung
soll einen wirtschaftsfreundlichen, relativ unreglementierten Rahmen für
die Internetindustrie schaffen, missliebiege Inhalte sollen aber gleichzeitig
schnell und effektiv unterdrückt werden können.
Die Gerichte hängen einem ähnlichen Bild nach. Kommerziellen Interessen
wird hier meist der Vorzug vor Kommunikationsinteressen gegeben. So mußte
Greenpeace, die eine kritische Seite über den Ölkonzern Elf betrieben,
diese aufgrund eines Gerichtsurteils, gestützt auf verletztes Namensrecht,
vom Netz nehmen. Greenpeace hatte unter der Adresse www.oil-for-elf.de
über die Verschmutzungen in Teilen Rußlands durch defekte Pipelines berichtet
und auch den Ölkonzern Elf dafür verantwortlich gemacht. Elf erreichte
vor dem Landgericht Berlin, dass Greenpeace den Domainnamen oil-for-elf
aufgrund ihres Namensrechts nicht mehr verwenden durfte. Die entsprechenden
Seiten sind jetzt unter anderer Adresse zu finden. Damit sind alle Links,
die bisher auf diese Seiten gesetzt wurden und alle Suchmaschineneinträge
wertlos, so dass die entsprechenden Inhalte kaum noch gefunden werden
können. Dem Gericht war der Schutz des Namens Elf jedoch wichtiger
16.
Fazit
Aufgrund der grenzüberschreitenden Wirkung des Internets wird eine länderübergreifende
Diskussion darüber stattfinden müssen, ob es sich bei der Kommunikationsfreiheit
um eine vollkommen unbeschränkte Freiheit handelt, wie dies von den USA
proklamiert wird, oder ob sie Einschränkungen durch andere Menschenrechte
unterliegt, wie dies ja z.B. von der Bundesrepublik angenommen wird. Anzustreben
wäre hier ein breiter länderübergreifender Konsens von möglichst vielen
Ländern, Hass-Seiten im Internet nicht zu tolerieren. Ein solcher Konsens
scheint jedoch weit entfernt und es ist auch nicht zu erwarten, dass insbesondere
die USA derzeit bereit sind, die Doktrin der völlig unbeschränkten Kommunikationsfreiheit
aufzugeben. Weiterhin wird es, z.B. mit den Newsgroups, immer Teile im
Internet geben, wo ein staatlicher Eingriff aufgrund der technischen Gegebenheiten
leerläuft. So wird es auch weiterhin im Internet Inhalte geben, die den
Hass zwischen den Menschen und den Völkern schüren und die z.B. in Deutschland
rechtswidrig sind.
Um diese Inhalte in Deutschland zu unterdrücken bliebe nur, das gesamte
deutsche Internet zu filtern. Entsprechende Wege gehen aber sonst nur
totalitäre Staaten wie Saudi-Arabien oder China. Alternativ könnte das
Internet an "sensiblen" Stellen wie Schulen oder an öffentlichen Internet-PCs
in Bibliotheken gefiltert werden. Neben dem Problem, dass eine solche
Filterung starke technische und organisatorische Mängel hat, stellt sich
auch die Frage, ob eine Filterung überhaupt wünschenswert ist.
Der einzige Weg, insbesondere junge Menschen vor rechtsradikalen Inhalten
im Internet zu schützen, kann nur der sein, ihnen einen kritischen Umgang
mit solchen Inhalten zu vermitteln und aufzuzeigen, wie sich die entsprechenden
Gegenmeinungen im Internet auffinden lassen. Die Ansätze gerade in der
Schule solche Inhalte auszufiltern, scheinen fatal. Wo, wenn nicht hier
sollte die Möglichkeit bestehen, über entsprechende Inhalte zu diskutieren.
Solange sich nicht auch Gespräche auf dem Schulhof filtern lassen, macht
eine Filterung des Internets für Schulen ebenfalls keinen Sinn. Jedenfalls
kann es nicht sein, dass die Ausbildung und Heranführung von jungen Menschen
an moderne Kommunikationsmittel nur in technischer Hinsicht geschieht
und dieses Defizit damit kaschiert wird, dass die Inhalte, mit denen die
jungen InternetsurferInnen nicht umgehen können, herausgefiltert werden.
Damit bleibt das Internet aber ein Platz, in dem faschistische Ideologien
auch ungehindert nach Deutschland verbreitet werden können. Dies wird
dann aber der Preis sein, den man wird zahlen müssen, wenn man das Internet
als Medium des freien Austausches von Informationen beibehalten will.
Gerade als solches Medium, wo die andere Meinung, die differenzierte Darstellung,
von der platten rechtsradikalen Hass-Seite nur einen Klick entfernt ist,
wird dem Faschismus mittelfristig auch eher nützen als Schaden.
Dazu bedarf es aber medienkompetenter RezipientInnen und einem Bild vom
Internet als Medium, das bisher weder in weiten Teilen von Staat und Politik
noch in der Wirtschaft vorherrscht.
Dabei geht es auch darum, ob die Gesellschaft, Wirtschaft, Parteien und
Politik, das fokussiert im Internet sehen wollen, was sich hier als Antwort
auf ihr tägliches Handeln, direkt und nicht über Medien gefiltert, darstellt.
Das Internet bietet auch ein neues Medium, um Fehlentwicklungen in der
Gesellschaft zu erkennen. Denjenigen, die diese Fehlentwicklungen bewirken,
können es sich natürlich leicht machen und entsprechende Inhalte verbieten
oder filtern lassen. Die einen wollen kein von Öl verdrecktes Land im
Internet sehen und klagen die Seite weg. Die anderen wollen Wählerstimmen
gewinnen, indem sie latente Ängste gegen ausländische MitbürgerInnen mißbrauchen,
möchten rechtsradikale Seiten aber wegfiltern. Würde in der Realwelt mehr
an den Ursachen gearbeitet werden, würden sich die Symptome im Internet
auch nicht mehr zeigen. Vielleicht sollten sich die Filterfreunde wieder
mehr auf die Wirklichkeit konzentrieren und nicht auf den Cyberspace.
Erik Strahl studiert Jura und lebt in Hamburg
Anmerkungen:
1 www.toad.com/gnu/.
2 www.heise.de/newsticker/data/ad-17.04.97-000/.
3 www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,113579,00.html.
4 Original z.B. unter www.uni-mainz.de/~franz/vda/proj1968/ueberreg/doku/mescale.htm.
5 "Wenn die Web-Seite dicht gemacht
wird", Süddeutsche Zeitung, 2.12.2000, S. 13.
6 www.uni-kassel.de/ssv/asta/inter/zensur.htm.
7 www.peacefire.org/error-rates/.
8 www.peacefire.org/amnesty-intercepted/.
9 www.heise.de/newsticker/data/fr-21.12.00-001/.
10 www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,128240,00.html.
11 www.netzgegengewalt.de.
12 SZ, 20.5.2000, S. 6.
13 Ct 20/2000, S. 104 ff.
14 RMD-Vesting § 18 Rn 4.
15 RMD-Vesting § 18 Rn 4.
16 www.greenpeace.de/GP_DOK_3P/BRENNPUN/F00110.HTM.
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