Heft 3 / 2002: Auf eigenes Risiko Folgen der Privatisierung |
Carsten Gericke | |
"Territorien des Wohlfühlens" durch sozialen Ausschluss | |
Die Deutsche Bahn AG als Sicherheitsakteurin und Motor der Umstrukturierung des öffentlichen Raums |
Bereits seit etlichen Jahren ist eine Umstrukturierung öffentlicher Räume zu verzeichnen. Sie unterliegen zunehmend rein privaten Verfügungsrechten und müssen private Renditeerwartungen erfüllen. Vor dem Hintergrund wachsender innerstädtischer Konkurrenz und mit dem Topos der "Stärkung des subjektiven Sicherheitsgefühls" im Gepäck werden territoriale Ausschlüsse bestimmter Bevölkerungsgruppen legitimiert und deren soziale Randposition verfestigt. Damit einher geht die Etablierung bestimmter Normalitäts- und Kontrollstandards. Der Privatisierung der Deutschen Bahn AG (DB) kommt bei der Umstrukturierung des öffentlichen Raumes auf zweierlei Weise eine besondere Bedeutung zu. Zum Einen bedienen sich die Kommunen und Länder der Bahnhöfe verstärkt
als Instrument der Aufwertung und Umgestaltung der zumeist innenstadtnahen
Quartiere, um diese der Öffentlichkeit als Visitenkarte präsentieren zu
können. Im Rahmen enger Kooperationen werden dabei vormals hoheitliche
Aufgaben aus Gründen der Praktikabilität und Effektivität an die DB abgegeben.
Zum anderen fungiert die DB, nunmehr geleitet von Profitinteressen, selbst
als Motor bei der Umgestaltung ehemals öffentlicher Räume. Lange Zeit orientierte sich die Politik der Bundesbahn vorrangig an dem Ziel, im Rahmen der allgemeinen Daseinsvorsorge für ein flächendeckendes Streckennetz zu sorgen. Dies änderte sich rapide Mitte der 90iger Jahre durch die organisatorische Umwandlung des ehemaligen Staatsunternehmens. Die Deutsche Bundesbahn samt der dazugehörigen umfangreichen Liegenschaften wurde privatisiert und wird seitdem durch die DB AG geführt. Nicht mehr die Sicherung der Verkehrsdienstleistungen, sondern die Gewinnmaximierung stehen seitdem im Vordergrund. Die Kapitalanteile befinden sich allerdings bislang ausschließlich in der Hand des Bundes. Unter dem Dach der als Holding fungierenden Aktiengesellschaft existieren mittlerweile fünf selbständige Unternehmen mit spezialisierten Aufgabenbereichen. Mit der Privatisierung ist die DB zu einem der größten deutschen Immobilientycoons aufgestiegen - nennt sie doch ca.250.000 innenstadtnahe Grundstücke ihr Eigen. 1 Wesentlich ist dabei die Modernisierung bestehender Großbahnhöfe zu "Malls und Urban Entertainment Centern mit Gleisanschluss" in Konkurrenz zu den bestehenden Einkaufszentren und Fußgängerzonen. Als bedeutsam gilt hierbei, in den entstehenden Shopping-Malls die Grenzen zwischen Einkaufen und Freizeit zu verwischen. Anstrebt werden "Archipele eines kontrollierten Erlebens, in denen die Atmosphäre eines traditionellen Stadtplatzes erzeugt wird, der gleichsam mit Kommunikation, Öffentlichkeit und Spektakel gleichgesetzt wird". 2 Hier knüpft die DB bewusst an das Flair und das Bild des Bahnhofs als historisch gewachsenem weltoffenen Treffpunktes an und präsentiert diese als "urbane Marktplätze und Kommunikationsorte". Zugleich ist das Ziel jedoch, einen Raum der sicheren Distanz zu unerwarteten Ereignissen und Situationen zu generieren, in dem Unordnung oder eine Beeinträchtigung des "subjektiven Sicherheitsempfindens" potentieller KundInnen möglichst ausgeschlossen ist. Erst der Ausschluss potentieller AbweichlerInnen oder StörerInnen der Inszenierung garantiert den gesicherten und unbeeinträchtigten Konsum. Der scheindemokratische "urbane Marktplatz" gerät zur Farce, beruht seine Existenz doch fortwährend auf diversen Ausgrenzungen und Diskriminierungen insbesondere derjenigen, die sich nicht im erwünschten Maße konform verhalten oder konsumieren wollen. Das Beispiel Hamburger Hauptbahnhof Ähnlich wie in anderen Großstädten ist auch die Auseinandersetzung um den Hamburger Hauptbahnhof maßgeblich von der offiziellen Zielsetzung geprägt, die ortsansässigen Drogenszenen zu zerschlagen und das Bahnhofsviertel wieder attraktiver für die Anwohner und sehenswerter für die BesucherInnen zu machen. 3 Platzverweisungen und Aufenthaltsverbote bei vermuteter Szenezugehörigkeit bilden seit Mitte der 90iger Jahre die zentralen polizeilichen Maßnahmen. Hier wird ein neuer Topos der Raumpolitik sichtbar, zielen die Interventionen zur Stärkung des "subjektiven Sicherheitsgefühls" der "Wohlanständigen" und der Aufwertung innenstadtnaher Quartiere Willens, ohne soziale Probleme zu lösen, lediglich abstrakt auf die Verteilung von Menschen im Raum. 4 Maßgebend ist nicht mehr das Individuum, sondern die anhand bestimmter äußerlicher Merkmale oder Handlungsweisen markierte Gruppe, die "des Feldes verwiesen", günstigstenfalls aufgelöst, jedenfalls aber auf randständige Territorien vertrieben wird. Diese Praxis, in der Folgezeit mehrfach ausgebaut und ergänzt, verdeutlicht das Ineinandergreifen der Interessen von Bahn AG und staatlicher Politik bei der Aufwertung des Bahnhofes und seines Umfeldes. Ein massiver Metallzaun umgibt seit Ende der 90iger Jahre an der Südseite des Hauptbahnhofes belegene Mauern, die als Sitzgelegenheit genutzt wurden. In einem Fußgängertunnel läuft fortwährend klassische Musik, um Drogenabhängige davon abzuhalten, sich dort niederzulassen. Zuletzt erfolgte die faktische Privatisierung des Bahnhofsvorplatz; Der DB wurde im Wege eines dauerhaften Sondernutzungsrechts das Hausrecht übertragen, um auf diesem Wege gegen unerwünschten Aufenthalt vorgehen können. Unterstützt wird die DB dabei weiterhin von Polizei und BGS. Eine gemeinsame "Sicherheitswache" von Polizei, BGS, DB und sozialen Diensten soll die Zusammenarbeit effektivieren. 5 Das "3 S-Wohlfühlprogramm" der Deutschen Bahn: Service, Sicherheit, Sauberkeit Zentrales Instrument der Deutschen Bahn AG zur Aufwertung und Absicherung des ordentlichen Konsumraums Hauptbahnhof stellt das sog. "3 S-Programm" dar, dass Mitte der 90iger Jahre bundesweit etabliert wurde. 6 Das Steuerungszentrum des "3 S-Programms" bildet ein videogestütztes Kontrollsystem, von dem aus 59 ferngesteuerte, um 360 ° schwenkbare und im gesamten Bahnhofsbereich installierte Kameras kontrolliert werden. Ein Blick auf die Selbstdarstellung der Bahn AG verdeutlicht Funktionsweise und die Zielsetzung der grenzenlosen Überwachung: "(...) Über bahneigene Telefone sowie über Funksprechanlagen gibt es direkte Verbindungen zum Bahnschutz, zur Polizei, zum Bundesgrenzschutz, zu den Reinigungskräften (...) Bei jeder Art von Notsituation kann sofort reagiert werden, (...). So ist es möglich, (...), den Drogensüchtigen oder Obdachlosen anzusprechen, bevor er sich im Bahnhof niederlassen kann." 7 Die Wirkungsmächtigkeit der Kameras beschränkt sich jedoch nicht allein auf die Möglichkeit, potentielle UnruhestifterInnen auszumachen oder Beweise für ein Strafverfahren zu sichern. Vielmehr noch wirkt sie präventiv und dient als abschreckende Botschaft an nicht erwünschte oder sich nonkonform verhaltende BesucherInnen. Als weiterer Bestandteil des 3 S-Konzeptes dient die Hausordnung "So ist's in Ordnung" dazu, unerwünschte Gruppen aus dem Hauptbahnhof fernzuhalten. Sie differenziert zwischen generell verbotenen Verhaltensweisen wie "Sitzen und Liegen auf dem Boden" oder "Betteln, Herumlungern und Belästigen von Personen" sowie Handlungen unter Erlaubnisvorbehalt, wie etwa dem Verteilen von Flugblättern und dem Durchführen von Veranstaltungen oder Versammlungen. Zur Raumkontrolle und Gewährleistung der Hausordnung sind im Bereich des Hauptbahnhofes neben dem Bundesgrenzschutz diverse private Sicherheitsdienste tätig. Existierende Schranken Zwei neuere gerichtlicher Entscheidungen verdeutlichen, dass den Interessen des Bahnmanagements, die oben genannten Zielvorgaben kompromisslos durchzusetzen, bislang noch Grenzen gesetzt sind. 8 Die DB bzw. deren Tochterunternehmen scheiterten jeweils vor Gericht mit dem Ansinnen, kritische Meinungsäußerungen, welche die Ausgrenzungspraktiken im Bereich der Bahnhöfe ins Visier nehmen, nach Gutdünken zu untersagen. Der privatrechtlicher Charakter der DB vermag nichts daran zu ändern,
dass diese bei Ausübung der ihr zustehenden Befugnisse etwa im Rahmen
des Hausrechts nach wie vor unmittelbar grundrechtlichen Bindungen unterliegt,
solange sich das Unternehmen ganz oder teilweise in öffentlicher Hand
befindet. 9 Durch eine Flucht in privatrechtliche
Organisationsformen kann sich der Staat nicht zwingenden rechtlichen Bindungen
entziehen. 10 Hieraus folgt im Ergebnis, dass Beschränkungen des Zugangs- und Aufenthaltsrechts
nur in engem Rahmen und diskriminierungsfrei erfolgen dürfen. Zudem sind
die auf Grund der Hausordnung getroffenen Maßnahmen stets an den betroffenen
Grundrechten zu messen. Carsten Gericke. Anmerkungen: 1 Ronneberger, Klaus/Lanz, Stephan/Jahn,
Walther, Die Stadt als Beute, Bonn 1999 S. 95f.
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