Die polizeiliche Präsenz auf Social-Media-Plattformen wird immer bemerkbarer. Fast jede Struktur der Polizei lässt sich inzwischen auf Twitter, Facebook oder Instagram finden. Es werden dort Warnungen, kuriose Einsätze und sonstige Meldungen verbreitet. Auf der Jagd nach Reichweite zeigt die Polizei teilweise problematisches Verhalten.
Liken, Teilen und Retweeten ist nicht nur für Private Alltag, sondern auch für staatliche Stellen und insbesondere für die Polizei. Wer auf Twitter nach polizeilichen Accounts sucht, findet alleine zehn verschiedene verifizierte Accounts der Bundespolizei. Die Berliner Polizei ist nur mit drei Twitteraccounts vertreten, während die Polizei NRW mit 27 verschiedenen Accounts dort auftritt. Auf Youtube werden Imagefilme der Bundespolizei geteilt, die teilweise ziemlich militaristisch daher kommen,1 und auf Snapchat und bei Instagram gibt es in regelmäßigen Abständen Bilder der Berliner Polizei zu sehen. Selbstverständlich findet sich jede Struktur der Polizei auch auf Facebook.2
Was macht sie dort? Neben der repressiven Strafverfolgung gehört auch die präventive Gefahrenabwehr zum Aufgabenbereich der Polizei. Maßnahmen der Gefahrenabwehr sind nicht unbedingt mit Eingriffen in Grundrechten von Dritter verbunden, sondern können auch Maßnahmen der Gefahrenvorsorge sein. So verbreiten Accounts der Polizei beispielsweise Tipps gegen Einbrüche, Verkehrswarnungen und Verhaltenshinweise bei Großveranstaltungen. Einige Accounts fahren nicht nur ihr „klassisches“ Repertoire auf, sondern werden vielmehr zu Unterhaltungsorganen. Es werden Bilder von süßen Tieren gezeigt, die heldenhaft von Polizist*innen aus Gleisen oder ähnlichen misslichen Lagen gerettet werden3, andere Accounts teilen kuriose Bilder von Einsätzen4 oder posten lehrreiche Rätsel.5
Außerdem macht die Polizei ihre „klassische“ Öffentlichkeitsarbeit auf den einschlägigen Plattformen und teilt Pressemitteilungen und andere Verlautbarungen. Der Inhalt mancher Polizeiaccounts unterscheidet sich kaum von den erfolgreichen unternehmerischen Vorbildern, aber es handelt sich weiterhin um staatliches Informationshandeln. Die Accounts erfreuen sich großer Beliebtheit bei Nutzer*innen und es fällt ein sogenanntes „Community-Management“ an. Es werden Fragen beantwortet, es wird auf falsche Nachrichten hingewiesen, beleidigende Kommentare werden gelöscht und ihre Urheber*innen geblockt.
Auf der anderen Seite arbeitet die Polizei dort repressiv strafverfolgend. Es werden von Großlagen gepostete Bilder und Videos systematisch ausgewertet, um Straftaten zu verfolgen, es wird gegen Hasskommentator*innen in geschlossenen Gruppen ermittelt und es werden andere relevante Informationen gesammelt und ausgewertet.
Die Grenzen staatlichen Informationshandelns
Nachrichten der Gefahrenvorsorge, die in der Regel nicht in Grundrechte eingreifen, können auf die Generalklausel jedes Landes- oder Bundespolizeigesetzes gestützt werden. Einer gesonderten Befugnisnorm, um solche Nachrichten zu verschicken, bedarf es nicht.6 Beispiele für solche Nachrichten sind die bereits genannten Verkehrswarnungen oder Tipps gegen Einbrüche. Weiter unstreitig ist, dass alle Meldungen der Polizei dem Gebot der Neutralität, der Sachlichkeit und der Richtigkeit genügen müssen.7 Außerdem muss die Behörde mit ihrer Nachricht ihre staatliche Aufgabe wahrnehmen und die Kompetenzordnung im Bund-Länder-Verhältnis dabei wahren.8
Teilweise greifen Nachrichten der Polizei aber in die Grundrechte Dritter ein. Beispielsweise könnte das oben genannte Bild eines kuriosen Einsatzes, welches einen nackten Mann auf dem Motorrad zeigt, das Recht am eigenen Bild beeinträchtigen. Wann darf die Polizei mit Meldungen in Grundrechte eingreifen? Grundsätzlich gilt auch hier der Vorbehalt des Gesetzes: belastende Hoheitsakte, in diesem Fall der Tweet, müssen auf eine gesetzliche Grundlage gestützt werden. Die Generalklausel stützt diese Maßnahme nicht, da keine Gefahr für die öffentliche Ordnung durch den Tweet abgewendet wird. Die Ermächtigungsgrundlage fehlt hier. Die Polizei verweist übrigens arg konstruiert darauf, dass keine Rückschlüsse auf die Person durch das Bild möglich seien und mithin kein Eingriff in Grundrechte vorliege.9
In einem ähnlichen Fall stellte das OVG Münster fest, dass die Verbreitung solcher Bilder auch weder auf das Versammlungs- noch auf das Kunsturhebergesetz gestützt werden kann. Die Polizei hatte Bilder einer Versammlung geteilt und damit in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit eingegriffen. Weil keine Gefahr von der Versammlung ausging und das Bild nicht unverzüglich nach Beendigung der Versammlung gelöscht wurde, war § 12 Abs. 1 S. 1 Versammlungsgesetz nicht einschlägig. § 23 Abs. 1 Nr. 3 Kunsturhebergesetz ermächtigt nicht zu hoheitlichen Maßnahmen.10
Über staatliche Mitteilungen, die nur faktisch und unmittelbar wirken, wurde bereits zentral entschieden. Nach den Entscheidungen über „Glykol-Wein“ und über die „Osho-Bewegung“ des Bundesverfassungsgerichts soll für Grundrechtsbeeinträchtigungen mit mittelbar-faktischer Wirkung der Vorbehalt des Gesetzes nicht gelten.11 Beispiel für eine solche mittelbare Grundrechtbeeinträchtigung wäre ein Tweet, der vor einer bestimmten kommerziellen Veranstaltung warnt und Personen davon abhält, daran teilzunehmen. Hier soll bereits die Zuweisung der Aufgabe als Eingriffsbefugnis reichen.12 Kritisiert wird an den Beschlüssen, dass der Gesetzesvorbehalt für Informationshandeln in Gefahr wäre,13 solche Eingriffe unter Vorbehalt des Gesetzes stehen müssten14 und, dass aus einer Aufgabe nicht unmittelbar auf eine Ermächtigung geschlossen werden dürfe15.
Pressemitteilungen, Nachrichten und ihre Folgen
Ganz gewöhnliche Pressemitteilungen können inzwischen durch soziale Medien eine andere Wirkung als früher entfalten. Früher fand die Verbreitung von Pressemitteilungen fast ausschließlich über Journalist*innen statt. Diesen kam eine Filterfunktion zu: Sie konnten die Pressemitteilungen auf Richtigkeit prüfen, entscheiden ob sie relevant sind und sie dann verbreiten. Der Prüfauftrag ist von grundsätzlicher Bedeutung, da die Polizei, wenn sie über sich selbst berichtet, eine Akteurin mit Interessen wie jede andere ist.16 Die Journalist*innen bilden eine wichtige Instanz dafür, dass falsche Narrative der Polizei nicht übernommen werden.
Die Polizei verbreitet Nachrichten aber nicht mehr nur über Pressemitteilungen an Journalist*innen, sondern auch direkt per Tweet oder Facebookpost an ihre Follower*innen. Mit einem Klick können Pressemitteilungen oder Nachrichten über 450.00017 andere Accounts erreichen und von diesen ohne journalistische Standards weiter verbreitet werden. Dabei bestimmt die Polizei selbst, welche Informationen mit der Öffentlichkeit geteilt werden. Welcher der täglichen Einsätze für die Öffentlichkeit eine Bedeutung hat, muss sie selbst auswählen. Dadurch kann es zu einer unausgewogenen Sicht auf bestimmte Phänomene und Deliktsbereiche kommen. Beispielsweise könnten viel mehr Berichte über schlagende Jugendliche ausgewählt werden als Berichte über Feminizide.
Hier hat die Polizei gegebenenfalls ein eigenes Interesse. Das erste Geschehen kann polarisierender wirken und dadurch viel mehr Aufmerksamkeit und Reichweite bringen, was schließlich grundsätzliches Ziel von Social Media ist. Es unterstreicht außerdem eigene Forderungen der Polizeigewerkschaften und Polizeipräsident*innen. Diese hatten etwa im Dezember 2018 gefordert, dass die Polizist*innen besser vor kriminellen Clans geschützt werden müssen. Anhand der Öffentlichkeitsarbeit der Polizei mit einschlägigen Vorfällen ließ sich die Forderung untermauern.18 Die beste Öffentlichkeitsarbeit bringt nichts, wenn sie niemand wahrnimmt. Die von der Polizei vermittelten Bilder, insbesondere bei Instagram, zeigen dennoch etwas anderes: einen Traumjob mit süßen Tieren und aufregenden Einsätzen, der für eine moderne Polizei mit Nachwuchssorgen nicht besser aussehen könnte.
Für öffentliche Diskussionen werden Mitteilungen aber erst relevant, wenn sie viral gehen. Im besten Fall ist die Meldung faktisch richtig, sie erfüllt das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und verhindert die Verbreitung von falschen Tatsachen über bedeutsame Ereignisse. Im schlimmsten Fall beeinflusst die Polizei mit einer Falschmeldung den demokratischen Diskurs.
Reaktionen in den Kommentarspalten
Aber selbst eine faktisch richtige Meldung kann problematische Folgen haben. Die Polizei Hamburg verbreitete während des G20-Gipfels 2017 eine Pressemitteilung, in der Zahlen, unter anderem von über 186 Fest- und 225 Ingewahrsamnahmen und die Anzahl verletzter Polizist*innen, geteilt werden.19 Man erkennt recht schnell, dass die Polizei stark unter dem Tweet moderieren musste. Eine große Anzahl der Antworten auf den Tweet sind nicht mehr lesbar. Der Grund hierfür können private Accounts sein, aber bei der Vielzahl an nicht lesbaren Antworten muss man davon ausgehen, dass die Polizei diese gelöscht und Accounts geblockt hat. Dadurch können die geblockten Accounts Nachrichten des Polizeiaccounts nicht mehr sehen und kommentieren. Im Juli 2017, dem Monat des G20-Gipfels, hat die Polizei Hamburg 352 Accounts blockiert. Im November 2017, dem Monat mit den zweitmeisten blockierten Accounts, waren es gerade einmal 43.20
Selbst nach der Moderation stehen dort heute noch Kommentare, die der Presse und „Gaffer*innen“ eine Mitschuld an der Zahl der wenigen Verhaftungen und den verletzten Polizist*innen geben. Des Weiteren finden sich Kommentare, die eine harte Strafe für „das elendige Mistpack“ oder Schluss mit der „Kuscheljustiz“ fordern. Zusätzlich gibt es unzählige Kommentare, die sich bei den Polizist*innen für ihren Einsatz bedanken und den 476 verletzten Polizist*innen eine gute Genesung wünschen. Dass die Zahl aus der Pressemitteilung zum Zeitpunkt der Meldung richtig ist, aber im Kontext auf den erweiterten Einsatzzeitraum gesehen werden muss, und dass auch Verletzungen ohne Fremdeinwirkungen in die vorläufige Zahl der Verletzten einflossen, hat die Polizei in ihrer Pressemitteilung nicht erwähnt.21 Erst eine Woche nach dem Gipfel – und nach dem Empörungssturm – setzt die Polizei diese Zahl in den richtigen Kontext.22
Gesteuerte Wahrnehmung
Das Beispiel zeigt, dass die Deutungshoheit bei der Polizei liegt. Sie kann die öffentliche Stimmung in den sozialen Medien über ihre Nachrichten gewollt oder ungewollt beeinflussen. Die Veröffentlichungen in den sozialen Medien werden von Polizeibehörden mit zeitgemäßer Öffentlichkeitsarbeit und der Informationspflicht gegenüber der Presse begründet.23 Auf Nachfrage von Vertreter*innen der Presse ist die Polizei nach Art. 5 Abs. 2 Grundgesetz (GG) und den einschlägigen Normen der Landespressegesetze dazu verpflichtet, Vertreter*innen der Presse zur Erfüllung ihrer Aufgabe Auskünfte zu erteilen, solange keine Ausschlussgründe vorliegen. Hätten Pressevertreter*innen gefragt, hätte die Polizei also diese Zahl herausgeben müssen, weil dafür keine Ausschlussgründe vorlägen. Dennoch wird man bei einer Pressemitteilung davon ausgehen können, dass nicht auf Nachfrage der Presse gewartet wird, sondern regelmäßig während des Gipfelverlaufs über solche Zahlen informiert wird. Während des Gipfels war die Frage der verletzten Polizist*innen und der Fahndungserfolge für die öffentliche Meinung und die Einschätzung über den Erfolg des Gipfels extrem relevant.
Die Neutralität solcher Zahlen kann kritisch gesehen werden, wenn nur verletzte Polizist*innen und verhaftete und in Gewahrsam genommene Demonstrant*innen genannt werden. Es zeigt ein Bild, dass ausschließlich Polizist*innen von gefährlichen Demonstrant*innen verletzt wurden. Allerdings können nur die Zahlen der verletzten Polizist*innen und der Ingewahrsamnahmen und Verhaftungen von der Polizei statistisch erfasst werden. Im Gegensatz dazu kann die Polizei die Zahl der verletzten Demonstrant*innen nicht nennen, weil aus guten Gründen meist keine Anzeigen gegen Polizist*innen erstattet werden.
Außerdem enthält die Zahl alle verletzten Polizist*innen, also nicht nur die ohne Fremdeinwirkung, sondern auch die von Kolleg*innen Verletzten. Dass die Zahl der verletzten Polizist*innen ohne genannte Einschränkungen immer über den gesamten Einsatzraum gesehen werden muss, sollte bekannt sein und zeigt hier einen falschen Umgang der verbreitenden Medien mit der Zahl. Dennoch hätte die Polizei die Zahlen in der Pressemitteilung gleich einordnen können, sie muss es aber nicht, weil die Verbreitung der Zahlen den oben genannten Geboten schon genügt. Mit dem geschickten und wohl zulässigen Umgang mit dieser Zahl veränderte die Polizei die Wahrnehmung des Gipfels. Es liegt nicht direkt in ihrem Einflussbereich, inwiefern die Pressemitteilungen und Nachrichten von Nutzer*innen gelesen werden und viral gehen, aber den Ursprung für die Viralität legt sie mit der Brisanz selbst.
Blocken und das „virtuelle“ Hausrecht
Zurück zu den unlesbaren Antworten des Tweets: Was moderiert die Polizei und was nicht? Darf die Polizei wie private Nutzer*innen Antworten löschen und Accounts blockieren? Kommentare auf einschlägigen Plattformen sind grundsätzlich von der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt. Die Social-Media-Accounts der Polizei dürfen als „quasi-öffentliche Einrichtungen“ und durch ihre Grundrechtsbindung nicht willkürlich blocken oder missfallende Kommentare löschen, weil sie dadurch rechtswidrig in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit eingreifen würden.24 Das heißt nicht, dass die Polizei alle Kommentare unter ihren Posts zu dulden hat.
Vielmehr darf die Polizei löschen und blocken, wenn es sachlich gerechtfertigt ist und nicht gegen höherrangiges Recht verstößt.25 Eine Netiquette, also eine „Quasi-Nutzungsordnung“, die die Accounts meist aufstellen, kann nur Anhaltspunkte dafür geben, ob Kommentare gelöscht oder Nutzer*innen geblockt werden dürfen, aber sie kann das Löschen oder Blockieren nicht begründen. Rechtsgrundlage hierfür wäre vielmehr das „virtuelle Hausrecht“, welches ein öffentliches Hausrecht nur für den virtuellen Raum wäre.26 Dessen Voraussetzungen sind nicht niedrig, weil durch das Löschen von Kommentaren in die Meinungsfreiheit eingegriffen wird. Dies ist der Polizei nicht immer bewusst.
Dennoch stehen unter dem Tweet der Hamburger Polizei noch Kommentare, die sie moderieren müsste, weil sie strafbar sein könnten. Andere Kommentare unter dem Twitterpost der Polizei, die das Verhalten der Hamburger Polizei mit dem Verhalten eines Polizeistaats verglichen hatten, sind inzwischen gelöscht.27 Die Polizei verwies hier allein darauf, dass der Kommentar gegen die Netiquette verstieße und sie deswegen den Kommentar löschen und den User blockieren könne. Dass die Netiquette allein für diese Maßnahmen nicht reicht, war dem Social-Media-Team der Polizei nicht bewusst. In einer Antwort des Senates auf eine kleine Anfrage wird immer noch die Netiquette als Grundlage für das Blockieren und Löschen von Kommentaren genannt.28
Problematisch in diesem Zusammenhang ist auch, dass die Polizei mit der Moderation ihrer Accounts dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot und der Selbstbindung der Verwaltung unterworfen ist. Diesen Anforderungen an die Moderation kann die Polizei kaum gerecht werden. Teilweise sind hunderte Kommentare unter ihren Posts, in denen überspitzt, energisch oder strafbar diskutiert wird, wobei es enorm schwierig ist, immer die gleichen Maßstäbe für Löschen und Blockieren heranzuziehen. Dennoch müsste sie den Anforderungen gerecht werden. Die Lösung könnte der Rückzug aus den sozialen Medien oder die Abschaltung der Kommentarfunktion sein.
Eine Vorliebe für Molotowcocktails
Was passiert, wenn die Polizei falsche Nachrichten verbreitet? Anfang des Jahres berichtete die sächsische Polizei, dass nach Auseinandersetzungen in Leipzig einer ihrer Beamten notoperiert werden musste. Die Meldung wurde schnell von größeren Medien verbreitet. Als das behandelnde Krankenhaus sich über die Darstellung öffentlich wundert, fragen Journalist*innen nach und die Polizei rudert zurück. Der Polizist war nicht so stark verletzt, wie zuerst vermeldet.29Jeweils über den G7-Gipfel in Elmau30 und über den G20-Gipfel in Hamburg31 behauptete die Polizei, dass Molotowcocktails auf sie geflogen wären. Beide Meldungen stellten sich im Nachhinein als falsch heraus.32
Dennoch sind beide Tweets bis heute abrufbar. Die Medien griffen sie während der Gipfel gerne auf und berichteten über die Militanz der Demonstrant*innen. Für die Tage des Gipfels überschatten solche Meldungen alle anderen Aktivitäten der Demonstrant*innen. Meist sind nach angeblichen Molotowcocktails riesige Demonstrationen nur noch Meldungen am Rande. Diese Meldungen beeinflussten den demokratischen Diskurs über die Gipfel. Auch das Beispiel vom Anfang des Jahres zeigt, dass keine öffentliche Aufarbeitung der Geschehnisse möglich war. Jegliche Kritik an der Einsatzweise der Polizei wird in solchen Fällen mit Verweis auf verletzte Polizist*innen und Täter-Opfer Umkehr beendet.
Ein weiteres krasses Beispiel für Falschnachrichten beschäftigt inzwischen die Berliner Justiz. Der Laden Friedel 54 sollte am 29. Juni 2017 geräumt werden. Am Tag der Räumung kam es zu Sitzblockaden und zur Verbarrikadierung der Räume. Während des Einsatzes behauptete die Polizei auf Twitter, dass der Türknauf des Ladens unter Strom gesetzt worden sei. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass dieser Tweet falsch war.33 Immerhin ist dieser Tweet gelöscht. Mit dem Löschen des Tweets ist es aber noch nicht getan. Retweets, also Tweets die sich auf den Ursprungstweet beziehen, sind noch immer sichtbar. Im Grunde ist der Schaden auch schon angerichtet. Der Ursprungstweet hatte eine enorme Reichweite erzielt und die Retweets ebenso. Die Richtigstellung, die nur wohlwollend als eine solche eingeordnet werden kann, kam einen Tag später und erreichte nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit.34 Noch heute wirkt die Meldung und wird bei Diskussionen über Fehlverhalten der Polizei oder, wenn die Richtigstellung nicht bekannt ist, als Begründung für Überschreitungen seitens der Polizei angeführt.
Die gerichtliche Überprüfung solcher Falschmeldungen ist meist schwer, da die Tweets nie gegen konkrete Personen gerichtet sind, die anschließend gegen die Meldung klagen könnten. Gerichtliches Vorgehen gegen Meldungen der Polizei ist in Deutschland auch deswegen eine Seltenheit. Inzwischen klagen zwei Personen aus dem Trägerverein der Friedel 54, eine aus dem Vorstand und eine aus dem Presseteam, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Tweets. Sie sehen sich durch den Tweet in Versammlungs- und Meinungsfreiheit verletzt. Da die damalige Sitzblockade teilweise dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG unterfalle, sei die Meldung über den „Türknauf des Todes“ ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Durch den Tweet sollten andere Demonstrant*innen von der Militanz der Besetzer*innen vom Demonstrieren ferngehalten werden. Damit sei dieser Eingriff auch rechtswidrig gewesen.
Die gerichtliche Feststellung bleibt dennoch ein Einzelfall. Wenn solche Meldungen nicht im direkten Zusammenhang mit Versammlungen gepostet werden, wie bei in den nächtlichen Fällen von Connewitz und Hamburg, ist die Begründung der Klagebefugnis schwer. Ein Mittel gegen falsche Meldungen der Polizei, die nicht direkt Personen treffen, fehlt noch.
Die Auswertung von Social-Media-Profilen
Die Polizei geht nicht nur mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit in den sozialen Medien neue Wege, sondern auch mit der Vorbereitung auf Einsätze und ihrer Ermittlungsarbeit. So testete die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) mit der Polizeidirektion Münster und den Polizeipräsidien Dortmund und München ein Pilotprojekt, um Daten auszuwerten, die bereits öffentlich zugänglich sind. Die Software soll Polizist*innen in Einsatzlagen ermöglichen, sich besser darauf einzustellen, was sie am Einsatzort erwartet. So soll das Programm den Beamt*innen aktuelle Bilder, Hobbys und vorhandene Haustiere von Personen am Einsatzort melden. Hierfür werden die Social-Media-Profile der am Einsatzort erwarteten Personen von besonders geschulten Beamt*innen in einer Echtzeitrecherche überprüft und ausgewertet, soweit die Profile bekannt und öffentlich einsehbar sind. Die Hoffnung ist, dass durch die Recherche Boxer*innen, Kampfhundehalter*innen und Mitglieder von Schützenvereinen identifiziert werden können.35
Die niedersächsische Polizei ist von den bisherigen Ergebnissen so begeistert, dass sie bereits 13 Stellen für diese besonders geschulten Polizist*innen geschaffen hat.36 Die Verlautbarungen der Forscher*innen der DHPol stellen das Projekt als ein mögliches Zukunftsszenario für Leit- und Einsatzzentralen dar.37 Die Gefahren einer solchen Technologie werden nicht weiter beleuchtet. Die Meldung, dass bestimmte Personen einem Hobby nachgehen oder ein besonderes Haustier halten, könnte zu einer Vorverurteilung und Fehleinschätzung seitens der Polizist*innen führen. Ob solche Vorkommnisse in dem Pilot-Projekt auftraten, ist nicht bekannt.
Die Tätigkeit, die die Software übernimmt, wäre teilweise vergleichbar mit der einer Online-Streife. In allgemein zugänglichen Bereichen auf einschlägigen Plattformen stöbern die Polizist*innen nach relevanten Sachverhalten. In öffentlichen Bereichen und ohne Datenerhebung wäre ein solches Verhalten zulässig. Für die gezielte Suche nach Personen bedarf es aber einer Rechtsgrundlage, die es für die Strafverfolgung bereits in §§ 161 Abs. 1, 163 Abs. 1 Strafprozessordnung gibt. 38 Für den präventiven Einsatz einer solchen Software zur Gefahrenabwehr gibt es in den meisten Bundesländern noch keine Rechtsgrundlage. Die Generalklausel zur Datenerhebung in den Polizeigesetzen wird aufgrund der Eingriffstiefe den Einsatz einer automatisch analysierenden Software nicht decken, da die Recherche automatisiert erfolgt, der Eingriff heimlich geschieht und je nach den Ergebnissen eine stigmatisierende Wirkung auf Betroffene haben kann. Hessen und Hamburg haben in ihren Polizeigesetzen zwar eine Rechtsgrundlage für die automatisierte Datenanalyse geschaffen. In beiden Bundesländern darf eine automatisierte Datenanalyse aber nur unter bestimmten Voraussetzungen stattfinden, die regelmäßig bei alltäglichen Einsätzen der Polizei nicht gegeben sind. Weiter sollen die Rechtsgrundlagen dem Zusammenführen und der Analyse von vorhandenen Daten dienen und nicht der Erhebung von neuen Daten und deren Auswertung.
Die Art und Weise, wie die Polizei arbeitet, verändert sich durch den technischen Fortschritt. Sie nutzt die technischen Möglichkeiten die ihr mit Social Media gegeben werden. Insbesondere ändert sich dadurch ihre Kommunikation. Durch die Nutzung von sozialen Medien wird die Polizei immer mehr zu einer sichtbaren Akteurin mit eigenen Interessen. Es fehlt an Regelungen für polizeiliches Verhalten in den sozialen Medien und teilweise kann bestehendes Recht nicht durchgesetzt werden. .
Weiterführende Literatur:
Textsammlung auf netzpolitik.org/tag/polizeitwitter, insbesondere
Marcus Reuter u.a.: Influencer in Uniform: Wenn die Exekutive viral geht, netzpolitik.org v. 05.03.2018.
1Imagefilm der Bundesbereitschaftspolizei, https://www.youtube.com/watch?v=9_O_Jacy3PI (Stand 08.12.2019).
8Sophie Victoria Knebel/ Robin Christopher Schloss: Umfang und Legitimationsprobleme staatlichen Informationshandelns im Internet, Die öffentliche Verwaltung 2016, 105 (106).
11Dietrich Murswiek, Das Bundesverfassungsgericht und die Dogmatik mittelbarer Grundrechtseingriffe – Zu der Glykol- und der Osho- Entscheidung vom 26. 6. 2002, NVwZ 2003, 6.
13Friedrich Schoch, Asymmetrischer Grundrechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht
im Informationsrecht, in: Claudio Franzius (Hrsg.), Beharren, Bewegen, 2013, 211.
14René Laier/Helmut Goerlich, „Parlamentsfernsehen“ und Öffentlichkeitsarbeit des
Deutschen Bundestages, Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht 2008, 478.
16Deutscher Journalistenverband, Polizeiberichte kritisch hinterfragen, Pressemitteilung vom 01.07.2019.
21Polizei Hamburg, Pressemitteilung v. 10.07.2017, POL-HH: 170710-1. G20-Gipfel in Hamburg, Fortschreibung des Einsatzgeschehens.
27Markus Reuter, Wen die Polizei Hamburg auf Twitter blockiert, entscheidet das Social Media Team, netzpolitik.org v. 11.01.2018.
32Für Elmau zumindest korrigiert auf Twitter: https://twitter.com/polizeiOBS/status/607221284410388480 (Stand: 03.12.2019); für Hamburg: Ansgar Siemens, Polizei hat keine Beweise für Hinterhalt im Schanzeviertel, spiegel.de v. 6.10.2017.
35Deusche Hochschule der Polizei SENTINEL, Sicherheit im Einsatz durch Open-Source-Intelligence (OSINT) in Einsatzleitstellen,https://www.dhpol.de/departements/departement_II/FG_II.1/projekt-sentinel.php (Stand:03.12.2019).