Als am 25. 10. 2018 im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern über einen Antrag der AfD mit dem Titel „Leistungsmissbrauch verhindern: Sachleistungen für Asylbewerber und Ausreisepflichtige“ verhandelt wurde hielt Nikolaus Kramer, Abgeordneter der AfD, es für angemessen, schwarze Menschen in Zwischenrufen als „Neger“ zu bezeichnen. Anschließend merkte er in einem Redebeitrag an, dass er sich „nicht vorschreiben lasse, was hier Schimpfwort sei oder was nicht“. Kaum überraschend nahm das Präsidium des Landtags das zum Anlass, ihm einen Ordnungsruf zu erteilen. Wenn Menschengruppen in solcher Art beleidigt werden, verletze das nicht nur deren Würde, sondern auch die des Parlaments, in dessen Debatten derartige Herabwürdigungen und Schimpfwörter zu unterlassen seien.
Hiergegen wendete Kramer sich im Wege eines Organstreitverfahrens an das Landesverfassungsgericht von Mecklenburg-Vorpommern. Besagter Begriff „sei historisch die übliche und unumstrittene Bezeichnung für Menschen mit schwarzer Hautfarbe gewesen. Heute werde das Wort von einigen für unangebracht und despektierlich gehalten, von anderen jedoch nicht.“ (LVerfG MV, Urt. v. 19.12.2019, Az. 1/19, Rn. 12) Durch den Ordnungsruf wegen der Benutzung dieses Begriffs, werde er in seinem Rederecht als Abgeordneter aus Art. 22 Abs. 2 S. 1 der Landesverfassung verletzt.
Man könnte berechtigterweise denken, dass eine solche Argumentation von einem AfD-Abgeordneten nur wenig überraschend ist und es dabei bewenden lassen. Doch tatsächlich schließt sich das Landesverfassungsgericht seiner Rechtsauffassung an. Bemerkenswert ist die Argumentation des Landesverfassungsgerichts: Bei der Verwendung des oben genannten Begriffs sei der Kontext zu beachten, in dem er verwendet wird. Soweit so richtig, möchte man denken, wird doch auch in diesem Beitrag der Begriff zitierend verwendet. Eher abenteuerlich gestaltet sich jedoch die weitere Argumentation des Gerichts: Der Abgeordnete habe die rassistische Bezeichnung auch (!) verwendet, um deutlich zu machen, dass er ihn überhaupt verwenden dürfe. Also sei es ihm um eine Debatte über die Grenzen der Redefreiheit gegangen. Der Ordnungsruf habe sich mit diesem Kontext nicht ausreichend beschäftigt.
Man kontextualisiert also so, wie man es für das gewünschte Ergebnis gerade braucht. Denn schließlich kam Kramer überhaupt erst auf die Grenzen der Redefreiheit zu sprechen, weil er zuerst eine rassistische Äußerung getätigt hatte und dafür kritisiert wurde. Nur im Kontext seiner vorangegangenen rassistischen Entgleisung ergeben seine Auslassungen Sinn. Dieser Kontext ist so offenkundig, dass ihn das Präsidium des Landtags wohl nicht für erörterungsbedürftig hielt.
Man darf also mit dem Verfassungsgericht schlussfolgern: Wer nach seinen rassistischen Ausfällen nur laut genug jammert, er werde in seiner Meinungsfreiheit verletzt, macht dadurch auch seine vorherigen rassistischen Ausfälle legitim. „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ wird so zum Blankoscheck für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.