Die Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) ist deutschlandweit die einzige Gewerkschaft von und für Gefangene. Gegründet wurde sie im Mai 2014 von mehreren Inhaftierten der JVA Tegel in Berlin. Inhaltlich tritt die GG/BO mit drei Kernforderungen auf: Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern, gesetzlicher Mindestlohn und volle Sozialversicherung.
Der Aufbau orientiert sich an einem anarcho-syndikalistischen Modell. Inhaftierte können in ihrem Gefängnis eine eigene Gewerkschaft gründen. Dabei werden sie durch Soligruppen in Berlin, Jena, Köln, Leipzig und Nürnberg unterstützt. Diese schaffen eine Schnittstelle zur Öffentlichkeit, da Gefangene in ihren Kontaktrechten eingeschränkt sind und ein Austausch meist lediglich über Briefe möglich ist. Die GG/BO sieht sich als Organisation, welche im Widerspruch zu jeglichen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit steht: „Wir lassen uns nicht als Frauen, Männer, LGBTIQ* oder als Deutsche und Migrant*innen spalten und gegeneinander ausspielen. Alle, die das vorhaben – sei es als Neonazis, Staatsbeamte oder Frauen-, LGBTIQ* Feind*innen –, haben in der GG/BO keinen Platz.“.[1]
Soziale Frage hinter Gittern
Für Gefangene sind Justizvollzugsanstalten gewerkschaftsfreie Räume. Dabei gilt auch im Gefängnis Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes, der das Recht beinhaltet, „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden“. Auf justiziellem Weg erkämpfte die GG/BO dieses Recht für einen Strafgefangenen, dem die Aushändigung zugeschickter Anträge für die Mitgliedschaft in der GG/BO verwehrt wurde.[2] Durch Repressionen insbesondere Union Busting, also dem Bekämpfen von Gewerkschaften,[3] wird diesem Recht jedoch weiterhin entgegengearbeitet und sich dabei immer auf Sicherheit und Ordnung berufen. Beispiele dafür sind das Verlegen von gewerkschaftlich organisierten Gefangenen in andere Anstalten, das Unterbinden von Brief- und Telefonkontakt zur GG/BO, Zellenrazien bis zu Isolationshaft.[4] Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn gilt nicht für Gefangene. Aktuell liegt der Stundenlohn im Gefängnis zwischen 1 und 3 €.[5] Die Justiz begründet dies damit, dass es sich bei der Gefangenenarbeit um eine Resozialisierungsmaßnahme handele und daher die Arbeitnehmer*innenrechte eines privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses nicht gelten würden.[6] Das nutzen Betriebe, darunter auch Großkonzerne wie BMW, Daimler, VW, Miele, Ikea und Rossmann aus und lassen mit großen Gewinnen in Gefängnissen für sich produzieren. Außerdem herrscht in zwölf Bundesländern Arbeitspflicht.[7] Über ihr Einkommen dürfen die Gefangenen zudem nicht gänzlich frei verfügen; circa 60 % des Lohns werden für den Tag der Entlassung „zwangsangespart“. Die Krankenversicherung entfällt im Strafvollzug, da die Gesundheitsversorgung während der Haftzeit durch die JVA übernommen wird. Da das Justizministerium dabei einen harten Sparkurs durchsetzt, ist die Versorgung in den Gefängnissen sehr schlecht. Hinzu kommt, dass häufig auch die Angehörigen mit dem Entzug des Krankenversicherungsschutzes bestraft werden, sofern sie über die Gefangenen mitversichert waren. Und für die während der Inhaftierung geleistete Arbeit werden keine Beiträge in die Rentenkasse gezahlt, womit ein Rentenanspruch für diese Zeit wegfällt. Gerade für Häftlinge mit langen Strafen ist die Altersarmut damit vorgezeichnet
Vor Gericht konnten schon einige Rechte von Gefangenen durchgesetzt werden, wie im Fall der Rechtswidrigkeit der Vorenthaltung von Zeitschriften,[8] der Überwachung von Telefongesprächen,[9] oder der Verweigerung von Ausgang zur Mutter.[10] Da dies jedoch nur im Einzelfall hilft, bleibt es weiterhin an der GG/BO und den Unterstützer*innen hängen, die Anstaltsbedingungen anzuklagen und für umfassende Rechte für Gefangene zu kämpfen – ob als Mitglied einer Gewerkschaft, vor Gericht, im Wege von Petitionen und parlamentarischen Anfragen oder über Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit.
Weiterführende Literatur:
Simon Duncker, Interview mit Marco Bras Dos Santos, „Die Antiknastbewegung ist nicht tot“, Jungle.World 2018/09.
Redaktionskollektiv (Hg.), Wege durch den Knast, 3. Auflage, Juli 2019.
AG interdisziplinäre Gefängniskritik, Universität Leipzig, „Hinter den Mauern lauert das Böse?“ https://sites.google.com/view/hinterdenmauern/veranstaltungsmitschnitte (Stand: 21.03.2020).
[1] https://ggbo.de/wir-ueber-uns/ (Stand aller Links: 21.03.2020).
[2] OLG Hamm, Beschl. v. 02.6.2015 – III-1 Vollz (Ws) 180/15.
[3] https://aktion.arbeitsunrecht.de/de/aktiv-gegen-union-busting.
[4] https://ggbo.de/bundesweiter-angriff-auf-die-gefangenen-gewerkschaft-solidaritaet-jetzt/.
[5] https://www.sueddeutsche.de/panorama/gefaengnis-haft-arbeit-bezahlung-mindestlohn-1.4412010.
[6] OLG Hamburg, Beschl. v. 15.07.2015 – 3 Ws 59/15 Vollz; KG Berlin, Beschl v. 29.06.2015 – 2 Ws 132/15 Vollz.
[7] https://ggbo.de/70-jahre-grundgesetz-70-jahre-zwangsarbeit-fuer-gefangene/.
[8] OLG Dresden, Beschl. v. 15.03.2013 – 2 Ws 330/12.
[9] LG Leipzig, Beschl. v. 26.11.2013 – TG llb StVK 28/12.
[10] LG Dresden, Beschl. v. 08.03.2016 – 6 ll StVK 1134/15.