Das internationale Rechtsregime für Pflanzensorten basiert auf einer Verbindung aus neoliberaler Theorie und wirtschaftspolitischen Interessen. Mit Mitteln des Rechts werden Pflanzensorten privatisiert, Märkte globalisiert und Rechte verteilt – zugunsten der ohnehin Starken. Verantwortlich ist nicht etwa ein entfesselter Markt, sondern die neoliberale Ordnungspolitik der Staaten des Globalen Nordens.
Der Sortenschutz ist ein Außenseiter unter den Immaterialgüterrechten. Von den beiden geläufigsten Formen, Urheberrechten und gewerblichen Schutzrechten, fällt das Sortenschutzrecht in die zweite Kategorie. Das Sortenschutzrecht ist deutlich jünger als das Patentrecht, erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts meldeten Pflanzenzüchter*innen Interesse daran an, pflanzengenetisches Material auf ähnliche Art schützen zu lassen wie konventionelle Erfindungen.[1]
Das Sortenschutzrecht räumt Züchter*innen bestimmte Rechte an einer Pflanzensorte ein, wenn sie nachweisen, dass sie diese entwickelt haben. Die Sorte muss außerdem die Kriterien der Neuheit, Unterscheidbarkeit, Homogenität und Beständigkeit erfüllen. Sind diese Eigenschaften belegt, erwirbt ein*e Züchter*in das alleinige Recht, die Sorte zu vermehren, zu vertreiben, aufzubewahren und dies Dritten zu untersagen. In Deutschland wurde 1953 ein eigenes Gesetz eingeführt, das Gesetz über Sortenschutz und Saatgut von Kulturpflanzen, heute gelten das Sortenschutzgesetz sowie die EU-Verordnung Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz.
Immaterialgüterrechte im Neoliberalismus
Immaterialgüterrechte sind im Neoliberalismus ein wichtiger Teil staatlicher Ordnungspolitik. Der Markt soll dabei keinesfalls vom Staat „befreit“ werden. Der Staat dient im Neoliberalismus vielmehr als „Ummantelung“ des Marktes und gibt der Wirtschaft einen Ordnungsrahmen vor, in dem sie operiert.[2] Neoliberalismus ist daher nicht mit Kapitalismus zu verwechseln, er ist vielmehr eine normative Theorie mit dem Ziel der Aufrechterhaltung des Kapitalismus.[3] Die kapitalistische Wirtschaftsweise soll mithilfe des Staates von demokratischen Einflüssen abgeschirmt werden.
Neoliberale Theorie ist also nicht grundsätzlich staatsfern. Sie ist vor allem skeptisch gegenüber einem Staat, der von kollektivistischen Kräften genutzt werden könnte, um in die kapitalistische Wirtschaft einzugreifen. Der Staat soll daher geeignete Institutionen einsetzen, um den Kapitalismus gegen Forderungen wie soziale Gerechtigkeit und Umverteilung zu schützen.[4] Abseits davon kommen dem Staat nur sehr grundlegende Funktionen zu: die Sicherung von Rechten, die Gewährleistung allgemeiner Sicherheit sowie die Verteidigung.[5]
Schutzrechte an pflanzengenetischem Material – meist Sortenschutzrechte, zum Teil auch Patente – werden heute von den meisten Staaten der Welt anerkannt. Sie fußen auf einem utilitaristischen Argument: der Nutzen für alle wird vergrößert, indem dem Individuum monetäre Anreize für Innovationen gesetzt werden. So werde wissenschaftlich-technischer Fortschritt überhaupt ermöglicht.
Bei der Stärkung und globalen Durchsetzung von Sortenschutzrechten wurden neoliberale Theoriebausteine zum Vehikel der Wirtschaftsinteressen des Globalen Nordens. Drei Dynamiken werden hier genauer betrachtet: Die Privatisierung eines Gemeinschaftsguts, die Globalisierung von Märkten und die Umverteilung von Rechten.
Privatisierung: das Individuum im Mittelpunkt
Der Neoliberalismus verlagert den Fokus vom Staat auf das Individuum. Der Nationalstaat, ein zentraler Akteur im Keynesianismus, zeigte sich angesichts der Wirtschaftskrise der 70er Jahre und des ersten Ölpreisschocks 1973/74 überfordert.[6] Die keynesianische Empfehlung, dass der Staat durch aktive Konjunkturpolitik die gesamtwirtschaftliche Nachfrage lenken solle, schien gescheitert. Zugleich bestand im Kalten Krieg der Vergleich zu sozialistischen Regimen, die durch einen besseren Staat auch bessere Menschen schaffen wollten.
Neoliberale Theoretiker*innen erteilte beidem eine Absage.[7] Sie konzentrierten sich auf das Individuum – nicht mit dem Ziel, dieses zu erziehen, sondern als Hauptakteur der Wirtschaftstätigkeit, welcher im staatlichen Rahmen seinen Eigeninteressen nachgeht. Staatliche Eingriffe in Form der Sicherung von Rechten und Marktbedingungen dienen als Impulskontrolle, während die treibende Kraft vom Individuum ausgeht. Die Gesellschaft kommt als Akteurin nicht vor.
Auch im Immaterialgüterrecht steht traditionell das schöpferische Individuum im Mittelpunkt. Dies ist im Urheberrecht und im Patentrecht besonders deutlich.[8] Dem klassischen Patentrecht liegt die Vorstellung einer erfinderischen Einzelperson zugrunde, vom Tüftler in der dunklen Kammer, der einer Eingebung folgend etwa die Glühlampe erfindet. Diese Vorstellung entspricht selten der Realität. Schutzrechte individualisieren Prozesse und Arbeitsprodukte, die eine Person nicht allein hervorbringen kann. Sie sind Teil eines größeren Kontexts von Bildung, Zeit, Kapital und anderen Faktoren. Dies wird mit Blick auf Sortenschutzrechte besonders deutlich.
Züchtung als kollektive Innovation
Die Züchtung von Pflanzensorten ist ein kollektiver, intergenerationeller Prozess. Das pflanzengenetische Ausgangsmaterial, das in der modernen Züchtung genutzt wird, ist bereits das Produkt jahrzehnte- und jahrhundertelanger Züchtungsarbeit. Pflanzensorten sind also ein gemeinsames Erbe der Menschheit. Das Sortenschutzrecht behandelt Pflanzensorten trotzdem wie eine konventionelle Erfindung. Als solche können sie auch einzelnen Erfinder*innen zugeschrieben werden. Mitte des 20. Jahrhunderts vorgebrachte „Common Heritage“-Ansätze für Pflanzensorten, wie sie heute etwa für den Meeresboden und das Weltall gelten, wurden in internationalen Foren verworfen.[9]
Nach der utilitaristischen Logik wird das erfinderische Individuum durch Schutzrechte dazu angeregt, nützliche, also ertragreiche neue Pflanzensorten zu züchten. In der Praxis sieht das anders aus. Die Hauptprofiteure des Sortenschutzrechts sind nicht Individuen, sondern Konzerne. Pflanzensorten sind heute nur eine von vielen Waren einer transnationalen, hoch konzentrierten landwirtschaftlichen Erzeugerindustrie. Die zunehmende Konzentration dieser Industrie gipfelte 2018 vorläufig in der Übernahme Monsantos durch BAYER. Mittlerweile beherrschen vier große Unternehmen den globalen Saatgutmarkt.[10]
Schwierige Rekommunisierung
Die Anbindung von Immaterialgüterrechten an das Individuum hat sich daher vor allem als Hebel zur Privatisierung von pflanzengenetischem Material erwiesen. Das auf den Einzelnen fokussierte Recht verschleiert, dass es vor allem um die wirtschaftlichen Interessen des Globalen Nordens geht, der den Saatgutmarkt in ein Oligopol, also einen Markt mit wenigen großen Anbieter*innen, verwandelt hat. Das ist besonders tragisch bei einem immateriellen Gut, das unendlich teilbar wäre.
Versuche zur Rekommunisierung scheitern daran, dass diese Akteur*innen kein eigenes Interesse an Sharing-Instrumenten haben. Großkonzerne verfügen bereits über ausreichend große Datenbanken mit pflanzengenetischem Material. Die übrigen Akteur*innen wiederum können zwar ihre pflanzengenetischen Ressourcen miteinander teilen, haben aber weder für die Forschung noch für den Vertrieb von Saatgut ähnliche Ressourcen. Der 2001 verabschiedete International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture (ITPGRFA) war ein solcher Versuch zur Rekommunisierung. Er wird heute aber lediglich von ein paar staatlichen Forschungszentren genutzt, statt als globaler Saatgut-Pool zu fungieren.[11]
Die Globalisierung des Marktes durch den Staat
Die zweite neoliberale Dynamik ist die Globalisierung des Marktes durch den Nationalstaat. Der globale Markt für Pflanzensorten wurde erst durch staatliche Intervention geschaffen. Eine erstarkende Agrarindustrie in den USA und Europa forderte Mitte des 20. Jahrhunderts die internationale Durchsetzung dieser Schutzrechte. Mit Ausnahme der USA waren Pflanzensorten in kaum einem Land patentierbar, wodurch sie nicht von bestehenden internationalen Abkommen erfasst wurden.[12] 1961 wurde daher die Union International pour la Protection des Obtentions Végétales (UPOV) gegründet und die erste UPOV-Konvention verabschiedet. Der UPOV gehörten lange nur Staaten an, deren heimische Industrien ein Interesse an einem hohen, international angeglichenen Schutzniveau für Pflanzensorten hatten.
Dies änderte sich mit der Neoliberalisierung des internationalen Handelssystems mit dem Ziel eines weltweit durchregulierten Freihandels. Mit dem 1994 abgeschlossenen TRIPS-Abkommen über „Handelsbezogene Aspekte Geistiger Eigentumsrechte“ fanden nun auch Immaterialgüterrechte in Form verbindlicher Mindeststandards Eingang in die Weltwirtschaftsordnung. Die unterzeichnenden Staaten verpflichten sich, Pflanzensorten durch Patente oder ein „effektives sui generis System“ zu schützen (Art. 27 III b). Viele Länder, die sich gegen Patente entschieden, aber keine Kapazitäten zur Entwicklung eines eigenen Sortenschutzrechts hatten, traten nun der UPOV-Konvention bei.
Sogenannte Entwicklungsländer mussten die im TRIPS-Abkommen geforderten Schutzrechte bis 2000 einführen. Danach hatte sich das multilaterale Forum der WTO zunächst erschöpft, es schien unwahrscheinlich, dass es in einer Verhandlungsrunde zu einer weiteren Stärkung von Immaterialgüterrechten kommen würde. Die Staaten des Globalen Nordens setzen seitdem vermehrt auf bilaterale Verträge: in bilateralen Handels- und Investitionsschutzabkommen wird etwa festgehalten, dass der Staat mit dem niedrigeren Schutzniveau einen neueren UPOV-Akt ratifizieren oder das Patentrecht auf biotechnologische Neuerungen erweitern muss.[13]
Industrielles Saatgut verdrängt traditionelle Sorten
Natürlich gab es auch zuvor weltweit Märkte für Pflanzensorten, mit Saatgut wurde wie mit jedem anderen Gut gehandelt. Doch insbesondere in den Ländern des globalen Südens waren – und sind dies teilweise bis heute – kleine, lokale Märkte, auf denen traditionelles Saatgut gehandelt wird. Diese sogenannten Landrassen entsprechen meist nicht den im Sortenschutzrecht verlangten Kriterien, sind aber eine wichtige Grundlage für Kleinbäuer*innen und ihr Anbau ist nachhaltiger.
Die Ankunft industriellen Saatguts auf diesen Märkten ist aus mehrfacher Hinsicht problematisch. Kleinbäuer*innen, die diese oft sehr ertragreichen Pflanzensorten kaufen, haben nun kein Recht mehr, Teile ihrer Ernte wieder auszusäen. Um die versprochenen hohe Erträge zu erzielen, müssen sie außerdem Dünger, Herbizide und Pestizide erstehen, die von denselben Unternehmen angeboten werden. Diese müssen ebenso wie das Saatgut in jedem Jahr neu gekauft werden, sodass eine schlechte Ernte eine*n Bäuer*in dazu zwingt, Schulden aufzunehmen.[14] Mit der Übernahme industriellen Saatguts durch Kleinbäuer*innen gehen die Landrassen zunehmend verloren. Schon jetzt machen nur neun Pflanzensorten 66% des globalen Pflanzenanbaus aus.[15]
Die Rolle des Staates hier hervorzuheben, bedeutet nicht, Verflechtungen von Staat und Wirtschaft zu negieren. Es zeigt vielmehr, dass der Staat im Neoliberalismus nicht etwa keine Agenda hat, sondern die Agenda der stärksten Marktakteure übernimmt und mit eigenen Mitteln umsetzt. Dazu gehört innerstaatlich wie international das Recht.
Umverteilung im Neoliberalismus
Verteilungspolitik ist im Neoliberalismus nicht Aufgabe des Staates. Die Umverteilung von Einkommen oder Vermögen ist aus neoliberaler Sicht ein unzulässiger Eingriff in das Wirtschaftsgeschehen. Zum einen, weil dem Staat nicht zugetraut wird, mit politischen Mitteln eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen. Zum anderen, weil die Verteilung bereits effizient über den Markt erfolgt.
Allerdings ist das neoliberale Projekt auch extrem voraussetzungsreich: es braucht gleichberechtigte Individuen, freie Märkte, Rechtssicherheit, Schutz vor monopolistischer Konkurrenz. Bei der Schaffung dieser Voraussetzungen operiert neoliberale Wirtschaftspolitik nicht im luftleeren Raum. Sie verändert bestehende, oft ungeschriebene Rechtsverhältnisse. So findet eine andere Form von Umverteilung statt, die Umverteilung von Rechten. Mit Rechten ist hier die Möglichkeit gemeint, die eigenen (wirtschaftlichen) Interessen mithilfe des Staates durchzusetzen. Von deren Umverteilung profitieren meist die ohnehin stärksten Akteur*innen.
Rechte an Pflanzensorten wurden also nicht geschaffen – sie wurden umverteilt. Das Sortenschutzrecht bietet formal allen die Möglichkeit, Saatgut zu schützen. Die oben beschriebenen Bedingungen zum Schutz einer Sorte erfüllt aber nur industrielles Saatgut, dessen Herstellung ausschließlich große Unternehmen bewältigen können. Diese dürfen Abnehmer*innen den Verkauf sowie die Wiederaussaat untersagen. Das entspricht einer utilitaristisch-neoliberalen Logik: Anreize zur Entwicklung von besserem Saatgut entstehen erst dadurch, dass die Konsument*innen dieses nicht nach Wunsch vervielfältigen können. Züchter*innen traditionellen Saatguts, meist Kleinbäuer*innen in den Ländern des Globalen Südens, erhalten keinen ähnlichen Schutz. Ihr Saatgut kann auch von den Entwickler*innen industriellen Saatguts vervielfältigt und zur Forschung genutzt werden.
Dagegen verlieren Kleinbäuer*innen, die industrielles Saatgut nutzen, unter Umständen ein Recht, das sie zuvor als selbstverständlich angesehen haben: das Recht, ihre Ernte wieder auszusäen. Bei Wiederaussaat geschützter Sorten können nämlich erneut Lizenzgebühren anfallen. Außerdem darf geschütztes Saatgut zwar zu privaten Zwecken genutzt werden, jedoch nicht in Verkehr gebracht und verkauft werden. Der Verkauf und Tausch von Saatgut sind aber eine wichtige Grundlage heutiger Subsistenzwirtschaft. So verlieren Kleinbäuer*innen durch das Sortenschutzrecht und die Nutzung geschützter Sorten zugleich die Grundlage ihrer Wirtschaftsweise. Die Adressat*innen dieser Umverteilung von Rechten – Unternehmen einerseits, Kleinbäuer*innen andererseits – sind meist räumlich getrennt, da nur in wenigen Länder wie China, Indien und Brasilien eine Saatgutindustrie parallel zu Subsistenzwirtschaft besteht.
Mobilisierung der Menschenrechte
Auf die Entrechtung von Kleinbäuer*innen durch das Sortenschutzrecht wurde mit einer weiteren Verrechtlichung des Diskurses reagiert. Das Recht auf Wiederaussaat wurde im Folgenden als „farmers‘ privilege“ oder „farmers‘ rights“ formuliert und auf die Agenda der FAO und anderer Organisationen gebracht.[16] Ebenso wurde das Menschenrecht auf Nahrung ins Spiel gebracht. Es lässt sich aus verschiedenen internationalen Menschenrechtsinstrumenten ableiten, insbesondere aber aus Art. 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Menschenrechtliche Forderungen werden oft als zu schwammig und schwer anwendbar abgetan. Das größere Framing der Wiederaussaat als Teil eines Rechts auf Nahrung hat jedoch den Vorteil, dass Saatgut anhand dieser Schablone von anderen Produkten abgegrenzt werden kann. Das Signal ist: bei Saatgut geht es um eines der wichtigsten menschlichen Bedürfnisse.
Ein weiterer Versuch zur Neuverteilung pflanzengenetischer Ressourcen war die Convention on Biological Diversity (CBD) von 1992. Die CBD stärkt die souveränen Rechte jedes Staats über die eigenen biologischen Ressourcen – nicht nur in Bezug auf Saatgut, sondern darüber hinaus. Hintergrund war, dass Länder des Globalen Südens mit der Verabschiedung des TRIPS-Abkommens eine zunehmende Aneignung ihrer biologischen Ressourcen durch Unternehmen aus Industrieländern fürchteten.[17] Die CBD stellte zwar einen Versuch dar, eine Umverteilung zwischen Nord und Süd einzuhegen, operiert jedoch mit denselben Eigentumsbegriffen wie das Sortenschutzrecht.
Schließlich werden auch Forderungen an das Sortenschutzrecht selbst laut, um Verteilungseffekte zu mindern. Dazu gehört das Verbot von „virtuellem“ Schutz geistigen Eigentums an Saatgut.[18] Der Begriff bezieht sich etwa auf hybrides Saatgut, das nur in der ersten Generation eine ertragreiche Ernte garantiert, welche nach einer Wiederaussaat jedoch erheblich zurückgeht. Diese Form der Züchtung ist jedoch nur bei bestimmten Pflanzensorten möglich. Um den gleichen Schutz auch auf andere Sorten auszudehnen, wurde durch genetische Modifizierung das sogenannte Terminator-Saatgut entwickelt. Auch hier ist das Nachbausaatgut nicht zur Wiederaussaat zu gebrauchen. Ein Verbot dieser Terminator-Technologien wäre ein erster Schritt, aber noch lange kein Recht auf Wiederaussaat.
Sortenschutzrecht setzt keine Anreize für Nachhaltigkeit
Im Ringen um die Verteilung von Rechten an Pflanzensorten dominiert also weiter die Vorstellung von Effizienzsteigerung durch Verknappung. Die verqueren Anreize, die das neoliberale Sortenschutzrecht setzt, offenbaren sich am deutlichsten an Fragen der Nachhaltigkeit. In Kombination mit anderen gewerblichen Schutzrechten begünstigt das Sortenschutzrecht die Züchtung immer neuer, ertragreicherer Pflanzensorten. Es begünstigt aber auch die Züchtung von Sorten, die nicht ohne einen bestimmten Dünger auskommen oder nach der ersten Generation unbrauchbar werden, sowie Monokulturen, da sich die Forschung an mehr als einer Handvoll weithin angebauter „cash crops“ wie Mais, Weizen oder Soja nicht lohnt. Forschung für nachhaltige Landwirtschaft findet nur im öffentlichen Sektor statt. So trägt das Sortenschutzrecht auch zur Erosion der Biodiversität bei.
Weiterführende Literatur:
Thore Prien, Saatgut-Rechtsregime – Farmers‘ Rights, Kriminalisierung und Kämpfe um ein anderes Recht, Kritische Justiz 2019, 27-41.
United Nations Assembly, The right to food: Seed policies and the right to food: enhancing agrobiodiversity and encouraging innovation: Note by the Secretary General, 64th Session, UN Doc A/64/170.
Böll Stiftung u.a. (Hrsg.), Konzernatlas. Daten und Fakten über die Agrar- und Lebensmittelindustrie 2017, https://tinyurl.com/ycuh5wfh.
[1] Vgl. Graham Dutfield, Turning Plant Varieties into Intellectual Property: The UPOV Convention, in: Geoff Tansey u.a. (Hrsg.), The Future Control of Food, 2008, 27 (27 ff.).
[2] Quinn Slobodian, Globalisten: Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus, 2019, 13 ff.
[3] Ebenda, 8.
[4] Ebenda, 29.
[5] Vgl. Wendy Brown, How Neoliberalism Threatens Democracy, Interview mit New Economic Thinking, https://tinyurl.com/y2lo85e7, Min. 1 ff. (Stand aller Links: 29. Juni 2020).
[6] Gerhard Willke, Neoliberalismus, 2003, 31.
[7] Ebenda, 30 ff.
[9] Kal Raustiala / David G. Victor, The Regime Complex for Plant Genetic Resources, International Organization 2004, 277-309 (281 ff.).
[10] Vgl. Böll Stiftung u.a. (Hrsg.), Konzernatlas. Daten und Fakten über die Agrar- und Lebensmittelindustrie 2017, 20 f., https://tinyurl.com/ycuh5wfh.
[11] Vgl. Christine Frison / Brendan Coolsaet, Genetic resources for food and agriculture as commons, in: Jose Luis Vivero-Pol u.a. (Hrsg.), Routledge Handbook of Food as a Commons, 2019, 218-230; Michael Halewood u.a. (Hrsg.), Crop genetic resources as a global commons: challenges in international law and governance, 2013.
[12] Michael Blakeney, Agricultural Innovation: Patenting and Plant Variety Rights Protection, in Gabriela Steier u.a. (Hrsg.), International Food Law and Policy, 2016, 147.
[13] Vgl. Jean-Frédéric Morin, Multilateralizing TRIPs-Plus Agreements: Is the US Strategy a Failure?, The Journal of World Intellectual Property 2009, 175-197.
[14] Vgl. Kaitlin Y. Cordes, The Impact of Agribusiness Transnational Corporations on the Right to Food, in: Olivier De Schutter u.a. (Hrsg.), Accounting for Hunger: The Right to Food in the Era of Globalization, 2011, 27-63.
[15] Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), The State of the World’s Biodiversity for Food and Agriculture, 2019, 114, https://tinyurl.com/ychckdtp.
[16] FAO, Farmers’ Rights, Resolution 5/89, https://tinyurl.com/yaeoav34.
[17] Olivier de Schutter, The Right of Everyone to Enjoy the Benefits of Scientific Progress and the Right to Food: From Conflict to Complementary, Human Rights Quarterly 2011, 321-323.
[18] Dutfield (Fn. 1), 30.