Am 18.05.2020 hat das OLG Dresden beschlossen, den zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilten Neonazi Brian E. nicht aus dem juristischen Vorbereitungsdienst zu entlassen. Eine Chronologie.
Am 11.01.2016 greifen über 200 Neonazis gezielt und organisiert den Leipziger Stadtteil Connewitz an. Der planvollen Vorbereitung folgt eine geradezu wahllos anmutende Ausführung: Die Täter attackieren von einem Bücherladen über eine Dönerbude bis hin zu diversen Kneipen und Wohnhäusern alles, was auf ihrem Weg der Verwüstung liegt. Mit Stangen und Schlägern werden vor allem Scheiben eingeschlagen, Geschosse fliegen, Sprengstoff wird gezündet, insgesamt wird ein Sachschaden in Höhe von 113.000 € festgestellt. Anschließend wird die Gruppe von der Polizei eingekesselt und festgesetzt, unter ihnen Brian E.
Zweieinhalb Jahre später, am 16.08.2018, beginnen die Prozesse gegen 202 der Beteiligten. E. wird am 28.11.2018 vom AG Leipzig zu einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.[1] Im Dezember 2019 wird seine Berufung verworfen, die Entscheidung des AG bleibt rechtskräftig. Zum Zeitpunkt des Angriffs ist E. Jurastudent, verurteilt wird er als Rechtsreferendar.
Das Gericht nahm bei der Verurteilung E.s die vorsätzliche Begehung eines Landfriedensbruchs in einem besonders schwerem Fall an, §§ 125, 125a Strafgesetzbuch – einer Norm, die seit jeher von Linken für ihre Funktion als Allzweckwaffe von Staat und Polizei sowie aufgrund ihrer zu hohen Strafandrohung kritisiert wird.[2] Hier erweist sie sich nun hingegen als geeignetes Mittel zur Beschreibung sowie der juristischen Erfassung des Unrechtsgehalts der Vorkommnisse vom 11.01. Außerdem bilden die hohen Strafen erst die Grundlage für einen möglichen Ausschluss E.s aus dem Vorbereitungsdienst. In Sachsen kann ein Rechtsreferendar ab einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr Freiheitsentzug außerordentlich aus dem Vorbereitungsdienst entlassen werden, § 39 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 i.V.m. § 34 Abs. 4 Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen des Freistaates Sachsen. Es stellt sich für das OLG Dresden die Frage, ob E. seine Ausbildung zum Volljuristen abbrechen muss.
Welche Entscheidungsmöglichkeiten in einem solchen Fall bestehen, zeigt eine Entscheidung des VG Minden[3] (bestätigt durch das OVG Münster[4]), durch das ein bekannter Rechtsradikaler vom Vorbereitungsdienst ausgeschlossen wurde. Bemerkenswert ist, dass hier die Gesamtstrafe unter der auch in NRW normierten Grenze von einem Jahr Freiheitsentzug blieb. Die „Unwürdigkeit“ des Referendars für den Staatsdienst wurde dennoch aufgrund der Vielzahl und der (u.a. rassistischen) Qualität der begangenen Straftaten angenommen. Insbesondere sieht das OVG „Anlass zur Besorgnis, dass der Antragsteller der Pflicht, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln […] nicht gerecht werde.“ Das VG habe insofern eine zulässige Beschränkung der Berufsfreiheit vorgenommen.
Auch E. war zum Zeitpunkt seiner Verurteilung bereits polizeilich bekannt: So wurden etwa ein paar Monate vor der Gerichtsentscheidung die Ermittlungen gegen E. wegen eines Fotos, auf dem er bei einem Kampfsportevent seinen mit zwei Hakenkreuzen sowie einer schwarze Sonne tätowierten Oberkörper präsentiert, vom zuständigen Gericht in Österreich eingestellt.[5] Das OLG Dresden führt als wesentliches Argument für die nicht-Beendigung des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses mit Brian E. dessen Berufsfreiheit an. Ein Ausschluss aus dem Referendariat komme einem faktischen Berufsverbot gleich.[6]
Was aber bedeutet es, wenn jemand wie E. Volljurist wird? Dass er weder Staatsanwalt, noch Richter werden wird, ist aufgrund seiner Noten wie aufgrund eigener Aussage höchst unwahrscheinlich; eine Tätigkeit als Rechtsanwalt ist hingegen durchaus realistisch.
Wenngleich die Mandatsübernahme „gewöhnlicher“ Anwälte bei Nazi-Straftaten streitbar ist, so kann dies kein Argument gegen die Anwaltszulassung von Neonazis sein. Denn auch ohne Szene-Anwälte findet sich stets jemand, der rechtsradikale Straftäter verteidigt. Die Gefahr, die von E. ausgeht ist auch nicht, dass die rechte Szene möglicherweise durch einen Star-Anwalt bereichert wird. Es vielmehr ist der umfangreiche Zugang zu Informationen – insbesondere im Strafprozess – der Anlass zur Beunruhigung gibt. Es besteht Grund zur Sorge, dass ein Anwalt aus der Szene ebendiese mit persönlichen Informationen über (potentielle) Opfer versorgt, welche er aus Gerichtsakten erlangt.
In der nordrhein-westfälischen Entscheidung wird die Frage nach den Auswirkungen von Neonazis als VolljuristInnen bzw. deren (nicht-) Ausschlusses aus dem Referendariat zumindest ansatzweise thematisiert. In Dresden klammert man diese Frage hingegen aus und verweist pauschal auf Artikel 12 Grundgesetz.
Es ließe sich argumentieren, die neue Entscheidung könne zukünftig immerhin Linken in ähnlich gelagerten Fällen aufgrund der Selbstbindung der Verwaltung zugutekommen. Dem steht eine Gesetzesneuerung gegenüber, die den sächsischen ReferendarInnen als Referentenentwurf vorliegt, wonach auch BewerberInnen ausgeschlossen werden können, die „die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen.“ Eine neue Gumminorm also, die in den Händen sächsischer Gerichte wenig Grund für Optimismus bietet.
[1] https://bit.ly/2P5vXqs.
[2] Etwa Wesel in KJ 3/1983 S. 288ff.
[3] Dazu Bischoff/Noroozi in FoR 04/2015 S. 148.
[4] OVG NRW, Beschluss vom 12.08.2015 – 6 B 733/15.
[5] https://bit.ly/30TgHT9; außerdem https://www.inventati.org/leipzig/?p=4889.
[6] So das OLG gegenüber der LTO https://bit.ly/30vxw6C.