Die einschneidenden Justizreformen in Polen zeigen, wie es der rechtsnationalen Regierung gelungen ist, das polnische Justizsystem zu unterwandern und eine autoritäre Politik zu etablieren. Die Morbidität staatlicher Institutionen gegen die sich dort zunehmend integrierenden rechten Ideologien wird dabei nur allzu sichtbar.
Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) hat seit 2015 die absolute Mehrheit im Sejm, der ersten Kammer des polnischen Parlaments, inne. So konnte sie in den letzten Jahren ein breites Spektrum an Gesetzesänderungen verabschieden, welche die parlamentarisch-demokratischen Grundsätze missachten und auf ein autoritäres System setzen, dass laut PiS einen „guten Wandel“ (dobra zmiana) verspricht. Bereits 2015 brachte die PiS durch Gesetz die Medien unter ihre politische Kontrolle. Dieses erlaubt einem:einer Minister:in, über die Besetzung der leitenden Stellen in den öffentlich-rechtlichen Medien zu entscheiden. Infolge dessen kam es zu einer massiven Einschränkung der Pressefreiheit, die mit Entlassungen und Kündigungen zahlreicher regierungskritischer Journalist:innen einherging und eine homogene Medienlandschaft hinterließ, die den nationalen Inhalten der Partei als Sprachrohr dient.[1]
Ein „guter Wandel“ besteht für die PiS vor allem in der Erhaltung der katholisch-konservativen Werte. Diesen will sie durch eine Verschärfung des ohnehin schon sehr restriktiven Abtreibungsrechts, die Ablehnung von Gleichstellungs- und Toleranzprojekten, die Marginalisierung der LGBTQI*-Community sowie eine Kriminalisierung von Sexualunterricht an Schulen vorantreiben. Auch die vermeintlich verlorengegangene Souveränität des Nationalstaates gegen die Einmischung der EU zu verteidigen, ist ein Hauptanliegen der PiS. Zu den umstrittensten Reformen gehört die grundlegende Umstrukturierung des Justizwesens, welche mit erheblichen Einbußen für die Rechtsstaatlichkeit einhergeht. Dabei werden besonders Prinzipien wie etwa die Gewaltenteilung, die Wahrung von Menschenrechten, die Gleichheit vor dem Gesetz und die Garantie einer unabhängigen Gerichtsbarkeit verletzt.
Der Präsident Andrzej Duda ist zwar selbst nicht mehr PiS-Mitglied, wirkte aber an all diesen Neuerungen mit und zeigt sich auch weiterhin als ihr Verbündeter. Dass Duda mit 51,03 % erneut zum Präsidenten gewählt wurde,[2] stellt eine klare Niederlage für eine progressive Gesellschaft dar. Das Wahlergebnis verdeutlicht zudem die enorme Spaltung des Landes, die sich mit Blick auf die demografische Zusammensetzung der Wähler:innen vor allem zwischen Jung und Alt sowie Stadt und Land manifestiert.[3]
Systemtransformation als Ansatzpunkt für Reformen
Der Erfolg der PiS geht besonders auf die Sozialpolitik der Partei zurück. Sie setzte mit ihrem politischen Programm genau da an, wo sich nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus Defizite und Ungleichheiten auftaten, die ihren Ursprung in den nach neoliberalem Vorbild gestalteten Reformen der 1990er Jahre haben .[4] Die rasche Einführung der Marktwirtschaft ging mit weitreichenden Folgen insbesondere für Beschäftigte der staatlichen Landwirtschaftsbetriebe und Industriearbeiter:innen einher. Die staatlich finanzierten Betriebe konnten aufgrund ihrer geringen Arbeitsproduktivität den neuen Bedingungen nicht standhalten und entließen zahlreiche Beschäftigte in die Langzeitarbeitslosigkeit.[5]
Die PiS führte erstmalig in Polen ein Kindergeld ein, nahm die Rentenreform zurück, die das Rentenalter auf 67 angehoben hatte und erhöhte den Mindestlohn.[6] Dies sicherte ihr eine breite Zustimmung in der Bevölkerung und machte den Weg frei für eine Neustrukturierung des Landes auch auf anderen Ebenen. Die Reformierung der polnischen Justiz gehört dabei zu ihren Hauptanliegen, was ebenso auf die Systemtransformation von 1989 zurückgeht. Weder die Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei noch die Tätigkeit in öffentlichen Ämtern vor 1989 stand einer Karriere im politischen, juristischen, akademischen oder militärischen Bereich entgegen. Eine Tatsache, die von der damaligen Opposition stark kritisiert wurde. Das national-konservative Lager sah die Beteiligung der alten Eliten am Systemwechsel als ausschlaggebenden Punkt, die Verfassung der Republik Polen von 1997 und generell die Demokratie in Frage zu stellen. Obwohl ein postkommunistisch dominierter Einfluss nach mehr als 25 Jahren wohl kaum existiert[7], zeichnete die PiS das Bild einer delinquenten Elite in den richterlichen Ämtern.[8]
Dass eine Reformbedürftigkeit zwar durchaus besteht, diese aber vielmehr an anderen Punkten festzumachen ist, wurde bereits von zahlreichen polnischen Jurist:innen außerhalb des PiS-Lagers kundgetan. So werden beispielsweise die Langwierigkeit der Verfahren, die fehlenden psychologischen und kriminologischen Kenntnisse von Richter:innen, die fehlende Zuziehung von Spezialist:innen und die damit einhergehende hohe Anzahl an Fehlurteilen bemängelt. Diesbezügliche Reformvorschläge fanden bei der PiS nie Beachtung.[9]
Verfassungsrichter:innenwahl als Auftakt der Krise
Erste Einschnitte in die Unabhängigkeit der polnischen Justiz begannen 2015 mit einem Konflikt um die Wahl der Verfassungsrichter:innen. Das ehemalige Parlament wählte die Nachfolger:innen von fünf Amtsinhaber:innen, deren Amtszeit 2015 endete. Infolge der Parlamentswahlen im November 2015 konstituierte sich ein neuer Sejm, in dem die PiS die absolute Mehrheit besaß. Dieser erklärte die Richter:innenwahlen durch die vorherige Parlamentsmehrheit für ungültig, da dieses Vorgehen angeblich in die Kompetenzen des neuen Sejms eingreife. Es folgte eine Überprüfung durch das Verfassungsgericht (Trybunał Konstytucyjny). Noch währenddessen wählte der neue Sejm fünf andere Richter:innen, die unmittelbar danach vereidigt wurden.
Die Situation spitzte sich weiter zu, als die PiS Gesetzesnovellen einbrachte, welche die grundlegende Funktionsweise des Gerichts änderten. Diese betrafen im Wesentlichen die Erhöhung der Mindestanzahl der urteilsverkündenden Richter:innen, Entscheidungsfindung mit Zweidrittelmehrheit und die Abberufung von Richter:innen durch den Sejm. Außerdem darf der:die Justizminister:in oder der:die Staatspräsident:in seitdem Disziplinarverfahren gegen Richter:innen einleiten.[10] Das Verfassungstribunal erklärte die Änderungen für verfassungswidrig und auch verschiedene Menschenrechtsorganisationen griffen diese für die Aufhebung der Gewaltenteilung an. Die PiS weigerte sich, das Urteil zu veröffentlichen.
Weitreichende Neustrukturierung des Justizwesens
Die Verfassungskrise fand ihre Fortsetzung in umfangreichen Gesetzesänderungen, die sich auf den Landesjustizrat (Krajowa Rada Sądownictwa), die ordentlichen Gerichte und das oberste Gericht (Sąd Najwyższy) beziehen. Dabei geht es der PiS hauptsächlich um einen personellen Austausch der Amtsinhaber:innen, die durch parteinahe Personen ersetzt werden sollen. Der Landesjustizrat ist ein Verfassungsorgan, das über die Unabhängigkeit der Richter:innen und Gerichte wacht. Er hat die Kompetenz, Kandidat:innen für das Richter:innenamt zu nominieren, die anschließend durch den:die Präsidenten:Präsidentin der Republik ernannt werden. 15 der 25 Mitglieder sind Richter:innen. Mit der Gesetzesnovellierung werden diese 15 Richter:innen nun nicht mehr durch Gremien der richterlichen Selbstverwaltung, sondern durch den Sejm gewählt.
Hinsichtlich der ordentlichen Gerichte verschiebt sich die Einflussnahme vor allem zugunsten des:der Justizministers:Justizministerin. Diese:r kann Gerichtsvorsitzende an sämtlichen Gerichten und ihre Stellvertreter:innen ohne Zustimmung des Landesjustizrates berufen und abberufen. Zudem wurde das Renteneintrittsalter für Richter:innen von 67 Jahren auf 65 Jahre für Männer und 60 Jahre für Frauen herabgesetzt. Eine Verlängerung der Amtsausübung liegt im Ermessen des:der Justizminister:in.[11] Mit dieser Regelung, welche laut EuGH eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt[12], verknüpft die PiS gleich zwei ihrer Anliegen. Zum einen ermöglicht sie eine frühzeitigere Absetzung von oppositionellen Richterinnen unter dem Vorwand ihres Geschlechts. Andererseits ist sie auch Ausdruck ihrer misogynen Familienpolitik. Der Geschlechterunterschied im Renteneintrittsalter soll vor allem dazu beitragen, das traditionelle Familienmodell zu fördern, indem Frauen Care-Arbeiten innerhalb der Familie übernehmen, wo es an institutionalisierter Betreuung (wie etwa Kinderkrippenplätzen) fehlt.[13]
Die Neuregelungen über das oberste Gericht beinhalten ebenfalls eine Herabsetzung des Rentenalters, wobei eine Verlängerung der Amtsausübung im alleinigen Ermessen des:der Präsidenten:Präsidentin liegt. Dies hatte zur Folge, dass mehr als 20 Richter:innen in den Ruhestand geschickt und durch regierungstreue Richter:innen ersetzt wurden,[14] bis die PiS auf einstweilige Anordnung des EuGH[15] hin nachgab und die Regelung kippte.
Der:Die Präsident:in der Republik erhält außerdem die Kompetenz zum Erlass der Geschäftsordnung des obersten Gerichts, in der zum Beispiel die Verteilung der Fälle unter den Kammern sowie die Grundsätze des Verfahrens geregelt sind. Zudem fand eine Neustrukturierung der Kammern statt, wobei eine Disziplinarkammer und eine ausschließlich für öffentliche Sachen zuständige Kammer geschaffen wurden. Die Richter:innen dieser beiden Kammern wurden durch den neuen Landesjustizrat besetzt, was zur Folge hatte, dass sich hauptsächlich PiS-nahe Richter:innen dort wiederfanden. Hochproblematisch ist dies vor allem unter dem Aspekt, dass die Kammer der öffentlichen Sachen unter anderem etwa für Beschwerden gegen die Gültigkeit von Wahlen und Verfassungsreferenden zuständig ist.[16] Besonders einschneidend ist ferner das im Februar 2020 in Kraft getretene Gesetz zur Disziplinierung von Richter:innen. Es beinhaltet die Möglichkeit der Erteilung von Geldstrafen, Entlassung und Herabstufung von Richter:innen, welche die Entscheidung bzw. Legalität eines:einer anderen Richter:in, einer Kammer oder eines Gerichts anzweifeln. Sie dürfen sich außerdem nicht politisch betätigen.[17]
Infolge der Reformen und der Verfassungskrise regte sich in Polen eine breite Protestwelle, an der sich juristische Vereinigungen und zahlreiche Jurist:innen selbst beteiligten.[18] Außerdem gründete sich die Bürgerinitiative „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ (Komitet Obrony Demokracji – KOD), welche sich gegen die antidemokratischen Tendenzen und die Vereinnahmung staatlicher Institutionen durch die PiS einsetzt und durch Protestaktionen zur Einhaltung der Verfassung aufruft.[19]
Wie parteipolitisch sind Richter:innenwahlen?
Als Argument für die Reform der Richter:innenwahl in Polen wurde von deren Befürworter:innen vielfach auf Deutschland verwiesen. Weil Richter:innen hier von Legislative und Exekutive bestimmt würden, gäbe es eine ähnliche Politisierung. Diese Argumentation übersieht allerdings wesentliche Zusammenhänge.
In Deutschland sieht Art. 94 Grundgesetz (GG) vor, dass die Bundesverfassungsrichter:innen je zur Hälfte vom Bundestag und Bundesrat gewählt werden. Die Richter:innen der obersten Gerichtshöfe werden gemäß Art. 95 II GG von dem:der zuständigen Bundesminister:in und einem Richter:innenwahlausschuss gewählt, der je zur Hälfte aus Landesminister:innen besteht, sowie Mitgliedern, die vom Bundestag gewählt werden. Dass parteipolitische Erwägungen in Deutschland einen Einfluss auf die Besetzung der richterlichen Posten haben, trifft also durchaus zu. Dieses Vorgehen wird teilweise mit dem Verweis auf die sich daraus ergebende demokratische Legitimation befürwortet. Andererseits gibt es aber auch Stimmen, die sich für die Etablierung von Justizräten aussprechen, welche sich mehrheitlich aus Richter:innen zusammensetzen und als eigenständiges Organ von Legislative und Exekutive unabhängig sind. Entsprechende Empfehlungen verabschiedete der Europarat.[20] Dabei könnte ein Justizrat dazu beitragen, dass die parteipolitisch geprägten Wahlen durch eine pluralistischere Besetzung der Wahlinstitution unabhängiger gestaltet werden.
Sucht man im Grundgesetz nach Lücken, die es einer regierenden Partei ermöglichen würden, die Gerichte unter ihre Kontrolle zu bringen, wird man schnell fündig. So ist beispielsweise die Anzahl der Richter:innen pro Senat, die Dauer einer Amtsperiode, sowie die Wahl von Richter:innen mit Zweidrittelmehrheit, nicht in der Verfassung verankert. Diese Praktiken könnten daher ohne eine Verfassungsänderung umgestaltet werden.
Ein bloßer Vergleich der Wahlmodalitäten ist allerdings zu kurz gegriffen.[21] Im Gegensatz zu Polen ist die Gerichtsbarkeit durch den Föderalismus in Deutschland allgemein sehr dezentralisiert. Jedes Bundesland besitzt eine eigene konstitutionelle und allgemeine Gerichtsbarkeit. Die Politiker:innen, die dort an den Richter:innenwahlen beteiligt sind, gehören meist ganz anderen Koalitionen an als auf Bundesebene. Auch ist die Zusammensetzung des Bundesrates und Bundestages verschieden.[22] Ferner ist auch zu berücksichtigen, dass nicht nur die Organisationspraxis eine Ausweitung der Machtverhältnisse zu Lasten des Rechtsstaats möglich macht. Es kommt dabei auch maßgeblich auf die praktizierte Rechtskultur eines Landes in ihren sozialen und politischen Kontexten an.[23]
Die Vereinnahmung staatlicher Einrichtungen durch die PiS konnte in Polen nur umgesetzt werden, weil ohnehin bereits ein Misstrauen der Bürger:innen gegenüber der Rechtspflege bestand. Die PiS verstärkte diese Empfindungen, indem sie die Kompetenz des Verfassungsgerichts und der Justiz im Allgemeinen jahrelang abstritt. Die Kontrolle über die öffentlich-rechtlichen Medien ermöglichte es ihr zusätzlich, dieses Narrativ in der Gesellschaft zu festigen und das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Institutionen massiv zu schwächen.
Handlungsunfähigkeit trotz Handlungsbewusstseins
Das Ausmaß der Problematik ist gewaltig. Im Zuge der Auseinandersetzungen wird daher häufig nach der EU als „Protektorin der Rechtsstaatlichkeit“ verlangt. Dabei könnte ein Eingreifen der EU gerade unter dem Aspekt des Grundrechtsschutzes angebracht sein. Wenngleich eine klare Positionierung der EU-Institutionen gegen die Ereignisse in Polen stattfindet, erweisen sich ihre rechtlichen Handlungsmöglichkeiten als beschränkt. Obwohl der EuGH sowohl die Regelung über die Zwangspensionierung als auch jene über die Disziplinarkammer als rechtswidrig einstufte, zeigte sich die PiS Regierung wenig einsichtig. Zwar hob sie die das Gesetz über die Zwangspensionierung auf.[24] Die besonders umstrittene Disziplinarkammer arbeitet indes noch heute.[25]
Gegen Polen wurden bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV sowie erstmals in der Geschichte der EU auch ein Rechtsstaatsverfahren nach Art. 7 EUV eingeleitet. Im Verfahren nach Art. 7 EUV stellt der Europäische Rat einstimmig fest, dass eine schwere und andauernde Verletzung der in Art. 2 EUV genannten Werte vorliegt. Danach kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit über die Aussetzung verschiedener Rechte des Mitgliedstaates bestimmen, wie beispielsweise einen Entzug des Stimmrechts im Rat der Europäischen Union.[26] Eine Umsetzung dessen erscheint gegenwärtig undenkbar, zumal Ungarn und Polen bereits erklärt haben, sich gegenseitig zu unterstützen, und daher die erforderliche Einstimmigkeit nicht erreicht werden kann.[27] Die laufenden Verfahren zeigen, wie ohnmächtig die EU der Problematik um Rechtsstaatlichkeit gegenübersteht. Obwohl die Kopenhagener Kriterien als Bedingung für den EU-Beitritt rechtsstaatliche Standards voraussetzen, gibt es hinterher keinen effektiven Weg, Mitgliedstaaten zu maßregeln.
Insofern stellt sich die Frage, mit welchem Mittel die EU eingreifen sollte, wenn Problemlösungen durch politische Einigung nicht mehr möglich sind. Vorschläge diesbezüglich reichen von einer Ausweitung des Anwendungsbereichs der bestehenden Verfahren, über Monitoring-Institutionen bis zu finanziellen Sanktionen.[28] Die Optionen der Umsetzbarkeit sind jedoch auch hier begrenzt. Für eine Modifikation der Verfahren müssten die europäischen Verträge geändert werden, was im Anbetracht des Erfordernisses der Einstimmigkeit und der zwischenstaatlichen Dynamik wohl kaum erreichbar ist.
Monitoring-Institutionen, wie etwa die Venedig-Kommission des Europarates, haben lediglich beratende und bewertende Funktionen, und somit keine Eingriffsmöglichkeiten. Zwar könnte darüber nachgedacht werden, ein Monitoring-Instrument auf EU-Ebene zu schaffen und dieses mit weitreichenderen Kompetenzen auszustatten. Allerdings bedürfe die Etablierung eines derartigen Konzeptes auch hier einer Änderung der Unionsverträge, bzw. eines langwierigen Sekundärrechtssetzungsverfahrens.[29]
Eine Kopplung finanzieller Zuschüsse an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeitsprinzipien, wie sie zuletzt in Verbindung mit dem Corona-Hilfspaket diskutiert wurde, ist unter mehreren Gesichtspunkten problematisch. Gerade bei Ländern, die auf finanzielle Hilfen angewiesen sind, würde eine Verweigerung von Geldern in erster Linie zu Lasten der Bürger:innen gehen. Im schlimmsten Fall könnte sie sogar der autoritären Regierung zugutekommen. Diese hätte dann einen triftigen Grund, die ohnehin betriebene Missbilligung der EU weiter zu befeuern und das Misstrauen der Bevölkerung zu verstärken. Letztendlich ist ohnehin fraglich, ob durch finanzielle Kürzungen überhaupt Druck aufgebaut werden kann und ein derartiges Mittel nicht vielmehr den verzweifelten Versuch eines „harten Durchgreifens“, seitens der EU symbolisiert.
Auch generell gibt es keine Aussicht auf Besserung der Lage. Die aktuellen Massenproteste gegen die Verschärfung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch machen deutlich, wie tief die Wut auf die PiS in der Gesellschaft verankert ist. Es bleibt zumindest die Hoffnung, dass ebendiese Demonstrierenden in Zukunft einen Wandel herbeiführen werden.
Weiterführende Literatur:
Tina de Vries, Bedrohungen für die Unabhängigkeit der Justiz in Polen – Teil 1, Wirtschaft und Recht in Osteuropa, 2018, 105 und Teil 2, ebenda, 129.
Klaus Ferdinand Gärditz, „Die meisten Dinge, die in Polen und Ungarn gelaufen sind, könnten ohne weiteres auch hier passieren.“, Interview, Verfassungsblog, 22.02.2018, https://tinyurl.com/y5qu8z4l.
Christoph Möllers / Linda Schneider, Demokratisierung in der europäischen Union: Studie zu einer europäischen Aufgabe, 2018.
[1] Florian Kellermann, Das große Mediengesetz, Deutschlandfunk, 21.05.2016, https://tinyurl.com/y3at396k (Stand aller Links: 31.07.2020).
[2] Zeit.de v. 13.07.2020, https://tinyurl.com/ybkaod6s.
[3] Polen-Analysen Nr. 260 v. 01.09.2020, 9, https://tinyurl.com/yybnpyde.
[4] Dominik Owczarek, Analyse: Soziale Probleme lösen, oder Wähler gewinnen?, Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), 21.11.2019, https://tinyurl.com/yxsbvmmu.
[5] Jerzy Holzer, Polen und Europa, 2007, 100f.
[6] Ulrich Krökel, Das Geheimnis des PiS-Erfolgs, Zeit Online, 7.10.2019, https://tinyurl.com/y3dyqlar.
[7] Reinhold Vetter, Analyse: Kaczynskis und die „Dekommunisierung“, bpb, 15.07.2017, https://tinyurl.com/y457cgfd.
[8] Marta Bucholc / Maciej Komornik, Analyse: Die Lage der Rechtsstaatlichkeit und der Justiz in Polen, bpb, 19.12.2019, https://tinyurl.com/yy83k6nj.
[9] Reinhold Vetter, Die PiS und das Recht, Polen-Analysen Nr. 204, 05.09.2017, https://tinyurl.com/y69p8h4j.
[10] Hannah Machińska, Das polnische Justizwesen, (ebenda).
[11] De Vries WiRO 2018, 108.
[12] EuGH, Urt. v. 12. 9. 2013 – C-614/11.
[13] Małgorzata Druciarek, Analyse: Frauenrechte in Zeiten des Populismus, bpb, 15.02.2018, https://tinyurl.com/y6hfl6bs.
[14] Polen hebt Zwangsruhestand von Richtern auf, Zeit Online, 21.11.2018, https://tinyurl.com/ydhwcbu8.
[15] EuGH, Beschluss v. 08.04.20 – C-791/19 R.
[16] De Vries WiRO 2018, 129.
[17] Andrzej Duda unterzeichnet Gesetz zur Richterdisziplinierung, Zeit Online, 04.02.2020, https://tinyurl.com/tqo6enk.
[18] Vetter (Fn.9).
[19] Mateusz Fałkowski, Analyse: Die Antiregierungsproteste in Polen, bpb, 24.06.2016, https://tinyurl.com/y6ckdu5q.
[20] Thomas Groß, Die institutionelle Unabhängigkeit der Justiz in Deutschland – ein Defizitbefund, Verfassungsblog, 06.06.2019, https://tinyurl.com/y5csv65p.
[21] Gärditz Verfassungsblog 2018.
[22] Klaus Bachmann, Analyse: Warum höchstrichterliche Justiz und Verfassungsgerichtsbarkeit politisch sind und sein müssen., bpb, 18.03.2019, https://tinyurl.com/y4xvpet9.
[23] Gärditz (Fn. 21).
[24] Nina Wunderlich, Von der Rechtsgemeinschaft zur Verweigerungsunion?, Zeitschrift Europarecht, 2019, 574.
[25] beck-aktuell v. 09.06.2020, https://tinyurl.com/y3pv5t4f.
[26] Andreas von Bonin, Die Rechtsstaatsunion in Gefahr?, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2017, 785.
[27] Stefan Lorenzmeier / Steffen Dobbert, Ein ernstes Problem, Zeit Online, 14.09.2017, https://tinyurl.com/y249ln8d.
[28] Möllers / Schneider 2018, 74 ff.
[29] Ebenda, 82.