Der Tatbestand der Volksverhetzung ist eine zentrale Strafvorschrift, die das öffentliche Klima schützen soll und damit im Kernbereich politischer Konflikte steht. Aber erst seit kurzem, im Kontext von digitaler Hassrede, ist sie auch auf Frauen anwendbar.[1]
Hass im Internet…
Die Rolle der sozialen Medien innerhalb politischer Diskurse ist ambivalent. Zunächst wurden diese als demokratisierend und fortschrittlich empfunden, da sie traditionelle Hürden, an politischen Diskursen teilzuhaben, abzubauen schienen. Zusehends treten jedoch auch die Schattenseiten dieses teilweise unregulierten Raumes, in dem sich in Echokammern insbesondere rechtspopulistische Inhalte um ein Vielfaches verbreiten, zu Tage.[2] Die Verletzungen, die durch Hass und Hetze im Netz erzeugt werden, reichen von individuellen Persönlichkeitsverletzungen in Form von Beleidigungen, die sich hauptsächlich gegen gesellschaftlich diskriminierte Gruppen oder bekannte Persönlichkeiten richten, bis hin zu Gewalt, die sich im nicht-digitalen Raum materialisiert. So bringen auch die Bundestagsfraktionen in der Begründung zu einem neuerlichen Gesetzesentwurf im Kontext von Hassrede beispielsweise den Mord an Walter Lübcke mit dem vorherigen Hass im Netz in Verbindung. Wie eine Studie zeigt, sind Frauen überproportional von Hassrede betroffen.[3] Der Hass gegen Frauen drückt sich dabei inzwischen in verschiedenen Online-Subkulturen aus. So sind beispielsweise die sog. Incels (involuntary celibates), als eine von diversen teilweise auch unsystematisierbaren Erscheinungsformen zu nennen. Dieser Online-Kult ist zwar hierzulande bisher wenig thematisiert,[4] hat aber durch verschiedenste Foren im Internet eine enorme Anhängerzahl. Ihre Anschauungen sind Ausdruck eines politischen Vernichtungswillens gegenüber Frauen, der sogar in Terroranschlägen seinen Ausdruck gefunden hat.[5] Neben Amokläufen, die sich explizit nur gegen Frauen richteten, war das Motiv des Frauenhasses beispielsweise auch bei Anders Breivik oder den Attentätern von Hanau und Halle neben Fremdenhass ein nicht zu unterschätzendes Motiv. Bisher fehlt jedoch eine systematische Auseinandersetzung oder Problematisierung der Incels auf behördlicher und politischer Ebene.[6]
Grundsätzlich bietet das Recht verschiedene Reaktionsweisen auf Hass und Hetze im Netz. Diese reichen vom 2017 neu entstandenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das die privaten Plattformbetreibenden in die Pflicht nimmt, über einfache zivilrechtliche Unterlassungsansprüche, bis hin zu verschiedenen Straftatbeständen. Gerade die strafrechtliche Ahndung trägt dabei erst sukzessive den Besonderheiten des digitalen Raumes Rechnung.
… als Volksverhetzung
Auch der Tatbestand der Volksverhetzung, geregelt in § 130 StGB, findet im Kontext der Ahndung von Hassrede im Internet oftmals Anwendung. Entgegen individueller Verletzungen, die beispielsweise bei der Beleidigung verlangt werden, ist dessen Schutzgut am Allgemeininteresse orientiert und durch den Begriff des öffentlichen Friedens bestimmt. Für die Rechtsdurchsetzung zu Gunsten von Hassrede betroffener Gruppen bedeutet dieses kollektive Rechtsgut einen enormen Vorteil, da schmerzhafte Individualisierungen des Hasses, wie sie etwa bei Beleidigungen üblich sind, nicht vorliegen müssen. Zudem schwingt im Kontext der Volksverhetzung eine höhere Relevanz und Anerkennung der Gefährlichkeit, der in den Hassreden oftmals präsenten Drohungen und Aufforderungen mit.
Das Delikt der Volksverhetzung, dessen Entwicklungsgeschichte bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, ist im Kontext des öffentlichen Meinungskampfes zu verstehen. Historisch war dabei zunächst die Hetze gegen religiöse Gruppen und später gegen bestimmte politische Klassen Anknüpfungspunkt.[7] Ziel des Gesetzes war es, ein politisches Klima herzustellen, in dem nicht der gewalttätige Exzess an sich, sondern bereits die aufrührerische Rede verboten ist.[8] Historische Meilensteine in der neueren Weiterentwicklung des Anwendungsbereichs des Tatbestands waren dabei beispielsweise die rechtsradikalen Gewaltexzesse Anfang der 1990er Jahre. Bis in die Gegenwart ist der Hauptanwendungsbereich des Delikts gegen Äußerungen gerichtet, die dem rechtsradikalen Kontext zuzuordnen sind.[9] Das wohl am häufigsten mit dem Tatbestand in Verbindung gebrachte Delikt ist die Leugnung des Holocausts. Absatz 3 und 4 stellen dabei die Verharmlosung des Nationalsozialismus ins Zentrum, was aus verfassungsrechtlicher Perspektive als konfligierend mit der Meinungsfreiheit vielfach diskutiert wurde, da hier die Grenze zum allgemeinen Gesetz überschritten ist.[10] Systematischen Frauenhass als ebenso gefährlich zu verorten wurde jedoch bisher verneint.
Volksverhetzung gegen Frauen?
Seit dem Urteil im Juni 2020 des Oberlandesgericht (OLG) Köln ist dies jedoch möglich. Zentrale Fragestellung des Urteils des OLG Köln[11] war, ob Frauen als betroffene Gruppe unter das Tatbestandsmerkmal „Teile der Bevölkerung“ des § 130 StGB subsumiert werden können. Im zugrunde liegenden Fall war die vom Angeklagten betriebene Internetplattform in Form eines Forums Stein des Anstoßes. In dem Forum veröffentlichte der Angeklagte Beiträge, die Frauen in besonderem Maße herabwürdigten. Er stellte sie als minderwertige Persönlichkeiten dar, die rein der Reproduktion dienen sollten und sprach ihnen die Rechte als Teil einer staatlichen Gemeinschaft ab. Kernargument war dabei immer wieder, dass Frauen Männern nicht gleichzustellen seien. Diese Rhetorik wiederholte sich in einer Vielzahl von Beiträgen. Der darin liegende Angriff gegen die Menschenwürde der Gruppe Frauen wurde dabei von allen Instanzen grundsätzlich anerkannt. In der Ausgangsinstanz hatte das Amtgericht Bonn den Angeklagten deshalb im Mai 2019 wegen Volksverhetzung in sechs Fällen verurteilt. Das Landgericht (LG) Bonn hatte die Entscheidung in der Berufung aufgehoben und aus Rechtsgründen freigesprochen. Nach Auffassung des LG Bonn fände der Tatbestand mangels der Zugehörigkeit von Frauen zu einer der im Gesetz benannten Gruppen keine Anwendung.
Frauen als Teile der Bevölkerung
Grundsätzlich sind in § 130 I und II als Schutzobjekt „nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppen“ oder als Auffangtatbestand „Teile der Bevölkerung“ benannt. Die Argumentation, Frauen nicht als „Teile der Bevölkerung“ zu bestimmen, stützt sich seitens des LG einerseits auf eine semantische Offenheit, die aufgrund der „Schwammigkeit“ eine Subsumtion der Gruppe Frauen unmöglich mache, sowie der Mangel eines gesetzgeberischen Willens, Frauen als Gruppe oder Geschlecht als Kategorie zu ergänzen. Der Gesetzgeber, so das LG, habe die Chance Geschlechterschutz zu implementieren bewusst verstreichen lassen. Zudem fehle im Falle der Gruppe der Frauen ein zentrales verbindendes Moment. Danach müsste eine Gruppe um als „Teil der Bevölkerung“ zu gelten „durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung oder durch ihre sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse, ihren Beruf oder ihre soziale Funktion als besondere Gruppe erkennbar“ sei. Gerade an der Anführung dieser Bestimmung wird jedoch deutlich, dass die Bestimmung einer Gruppe als „Teil der Bevölkerung“ eine Frage des Maßstabs ist, der in vielerlei Hinsicht willkürlich gesetzt wird oder politisch umkämpft ist. Denn einerseits sind Überzeugungen, als subjektives Element der Bezugspunkt, soziale oder wirtschaftliche Verhältnisse bestimmen jedoch einen äußeren mitunter fremdbestimmten Rahmen. Dass gerade die Offenheit der Formulierung ‚Teile der Bevölkerung‘, die Subsumtion von Frauen nahelegt ist also, wie es auch die Revisionsinstanz richtigstellt, anzunehmen.[12] Auch zeigt die Rekonstruktion der historischen Entwicklung des Gesetzes durch das OLG Köln auf, wie die Anpassung des Tatbestandes innerhalb der Weiterentwicklung über verschiedene Reformen des Paragraphen diesen zunehmend zu einem „umfassenden „Anti-Diskriminierungstatbestand“[13] werden ließ. Dass dabei der allgemeine Geschlechterschutz nicht einbezogen wurde, liege an den konkreten Gegenständen der politischen Auseinandersetzung und zentralen EU-Vorgaben, die im Zuge der Transformation umgesetzt wurden, so dass der Schwerpunkt der Neufassung eher auf Fragen der antisemitischen und rassistischen Gewalt reagierte. Nimmt man das Phänomen der Incels als Spitze des Eisberges patriarchaler und frauenverachtender Formierungen im Netz ernst und liest es als Teil einer sich verstetigenden Bedrohung für Frauen, so ist der Einbezug von Frauen als „Teile der Bevölkerung“ geboten. Hass gegen Frauen im Internet stellt eine Bedrohung dar, die in ihrer Systematik bis heute nicht analysiert und anerkannt ist. Auch wenn das Strafrecht als Reaktionsweise auf Unrecht aus vielen Gründen zu kritisieren ist, so stellt es gerade im Hinblick auf vulnerable Personen manchmal die einzige und effizienteste Weise dar, deren Sicherheitsinteressen[14] zu schützen.
Weiterführende Literatur:
Leonie Steinl: Volksverhetzung gegen Frauen: Zur geschlechtsbezogenen Dimension von Hate Speech, VerfBlog, 2020/6/30, https://verfassungsblog.de/volksverhetzung-gegen-frauen/
Veronika Kracher: Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults, Ventil Verlag, 2020.
[1] Steinl, Leonie: Volksverhetzung gegen Frauen: Zur geschlechtsbezogenen Dimension von Hate Speech, VerfBlog, 2020/6/30, https://verfassungsblog.de/volksverhetzung-gegen-frauen (Stand aller Links: 19.11.2020).
[2] Angela Nagel, Die führerlose digitale Gegenrevolution, In: Markus Miessen & Zoë Ritts (Hg.), Para-Plattformen, 2020 Merve Verlag, S. 30ff.
[3] https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2018/604979/IPOL_STU(2018)604979_EN.pdf.
[4] Veronika Kracher: Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults, Ventil Verlag, 2020.
[5] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137024.incel-terrorismus-gegen-frauen.html.
[6] https://www.zeit.de/2020/32/incel-frauenfeindlichkeit-amoklauf-suizid-hass/komplettansicht.
[7] Benedikt Rohrßen, Von der »Anreizung zum Klassenkampf« zur »Volksverhetzung« (§130 STGB), De Gruyter, 2009, S. 77.
[8] Vgl. Müko-StGB/Schäfer, § 130, Rn. 14.
[9] Thomas Fischer, Strafgesetzbuch, § 130, Rn. 3.
[10] Siehe Wunsiedelbeschluss, BVerfGE 124, 330ff, exemplarisch zusammengefasst in Marie Diekmann/Lea Welsch, Die neuen Rechten und der Streit um Meinungsfreiheit, KJ 3/2020, S. 286-298.
[11] OLG Köln vom 09.06.2020 (III-1 RVs 77/20).
[12] Steinl (Fn. 1).
[13] Siehe Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 130 Rn.1.
[14] Siehe Daniel Loick, Sicherheit: https://www.youtube.com/watch?v=gRvGvJLtoM8.