In 45 Beiträgen berichtet der Report „Recht gegen Rechts“ davon, wie die „Justiz ihre Instrumente zur Verteidigung der Demokratie derzeit verstauben und verrosten lässt“ (15), die Rechte von Marginalisierten nicht ausreichend schützt, aber auch von (rechtlichen) Strategien gegen rechte Tendenzen.
Wenn sich das Who’s who der kritischen Rechtswissenschaft und des antifaschistischen Journalismus zusammentun, um gemeinsam einen Report über rechte Umtriebe vor und in deutschen Gerichten zu schreiben, sind die Erwartungen an den Sammelband hoch. Trotzdem schaffen es die Herausgeber*innen gleich zu Beginn, mit Erwartungen zu brechen. Denn nach ihrem Vorwort folgt eine Art Geleitwort von Gerhard Baum (17-22), der – seinerzeit FDP-Politiker, Innenminister unter Helmut Schmidt und parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium – nicht gerade des linksradikalen Antifaschismus verdächtig sein dürfte. Diese Autorenschaft dürfte dazu führen, dass sich der potenzielle Adressat*innenkreis über die „üblichen Verdächtigen“ hinaus erweitert. Der Stil sämtlicher Beiträge ist zudem journalistisch gehalten, weshalb sie auch ohne umfangreiches Vorwissen zugänglich und nachvollziehbar sind.
Das erste Kapitel widmet sich dem Thema Demokratiefeindlichkeit. Dazu zählen insbesondere die Versuche sowohl von staatlicher Seite als auch von rechten Gruppierungen, linksliberale, linke und antirassistische Bewegungen zu kriminalisieren oder ihre Arbeit mindestens zu erschweren. Dazu gehören die Ermittlungen gegen das „Zentrum für politische Schönheit“ (Pietrzyk, 25-32) und gegen Politiker*innen der Grünen in Frankfurt an der Oder (Herrlich, 33-40), aber auch die Kriminalisierung von Flüchtlingshilfe (Pichl, 41-46). Das Kapitel zu Rassismus beschäftigt sich mit rassistischen Praktiken in Behörden und Gerichten, zum Beispiel mit Racial Profiling (Wihl, 125-132) und den rechtlichen Möglichkeiten, rassistische Beamt*innen aus dem Dienst zu entfernen (Kohlmeier/Vetter, 181-187). Ein Schwerpunkt des Kapitels liegt zudem bei rassistischen Äußerungsdelikten (Lang, 133-139, Schmalz, 149-155, Vetter, 165-171) und dem Unvermögen vieler Gerichte, rassistische Motive zu benennen und entsprechend zu ahnden (z.B. Cobbinah, 141-149). Im darauffolgenden Kapitel zu Neonazis fallen vor allem Berichte über zivilrechtliche Auseinandersetzungen ins Auge, etwa die erfolglose Klage des ehemaligen NPD-Parteivorsitzenden Udo Voigt vor dem BGH gegen ein Hausverbot, das ein Hotelier gegen ihn ausgesprochen hatte (Gutmann, 231-238). Auch das Arbeitsrecht wird sowohl gegen Neonazis als auch von ihnen mobilisiert. Davon zeugen die Beiträge von Paul Kolfhaus (207-213) und Isabell Hensel (223-230), die über die Kündigungsschutzklagen zweier rechtsradikaler Mitarbeiter in der Automobilindustrie berichten. Dabei geht Hensel auch auf die Umtriebe des „Zentrum Automobil“ ein, das seine verfassungsfeindlichen Ziele unter dem Deckmantel einer Arbeitnehmer*innenvertretung verfolgt. Das Kapitel zu Rechtsterrorismus hingegen ist geprägt von Berichten über staatliches Versagen. Egal ob es um den Umgang mit einer rechtsterroristischen Anschlagsserie in Neukölln geht (Gürgen, 255-262) oder um das lange Zögern, den Terroranschlag im Olympia-Einkaufszentrum in München als politisch motiviert einzuordnen (Quent, 287-294): beim Umgang mit rechtem Terror glänzt der Staat vor allem mit Untätigkeit, Inkonsequenz und Ignoranz. Die folgenden beiden Kapitel beschäftigen sich mit weiteren Klassikern rechter Politik: Antisemitismus und Hass auf Frauen* und LGBTQI*. So berichtet Maria Wersig von rechter Familienideologie, die das Familienrecht teilweise immer noch durchzieht (307-313). Ronen Steinke schreibt über den Rechtsstreit um ein antisemitisches Relief an der Stadtkirche Wittenberg, dessen verächtlichmachende und hasserfüllte Bildsprache an eine jahrhundertelange Tradition des Antisemitismus anknüpft (333-337). In den letzten Kapiteln wird sich den Themen Geschichtsrevisionismus und Hate-Speech gewidmet. Mohamad El-Ghazi nimmt die Einstellung des Volksverhetzungs-Verfahrens gegen Alexander Gauland zum Anlass, um generell über Volksverhetzung und mögliche Antworten darauf nachzudenken (347-354). Im Kapitel zu Hate-Speech berichtet Andreas Fischer-Lescano über eine Klage von Renate Künast gegen sexistische Beleidigungen (357-364).[1] Elena Sofia Ewering und Hanna Haerkötter zeigen zudem auf, welche Möglichkeiten bestehen, gegen rechten Hass im Internet vorzugehen (365-371).
Die Breite der behandelten Themen, wie auch der einigermaßen unbestimmte Begriff der „Rechten“ bergen die Gefahr, dass die Auswahl der Fälle ins Wahllose abrutscht. Doch auch wenn man sich bei manchen Artikel fragen mag, wie stark die Verbindung zum Oberthema des Reports wirklich ist, liegt in eben dieser thematischen Spannweite die Stärke des Reports: Er zeichnet ein umfassendes Bild davon, wie divers die Aktionsfelder rechter und rechtsradikaler Bewegungen und die davon ausgehenden Gefahren sind. Dabei wird nicht der Fehler gemacht sich in einem pathetischen Abgesang von Demokratie und Freiheit zu ergehen oder konsterniert deren Niedergang festzustellen, sondern es werden Alternativen entwickelt und Beispiele für erfolgreiche Arbeit mit dem Recht aufgezeigt, ohne dabei blauäugig zu werden oder in naiven Aktivismus zu verfallen. Der Report soll von nun an jährlich erscheinen. Hoffen wir, dass er nicht allzu lange so dringend notwendig sein wird wie jetzt.
Recht gegen rechts – Report 2020
Herausgegeben von: Nele Austermann, Andreas Fischer-Lescano, Wolfgang Kaleck, Heike Kleffner, Kati Lang, Maximilian Pichl, Ronen Steinke, Tore Vetter
Verlag: FISCHER Taschenbuch
400 Seiten. 14 Euro
ISBN: 978-3-596-00250-4
[1] Vgl. zu diesem Fall auch den Beitrag von Malte Stednitz, Forum Recht 2020, 14-18.