Der Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen (BAKJ), positioniert sich gegen den Beschluss der Justizminister*innenkonferenz vom 7. November 2019, der vorsieht, künftig auf die Bildung einer Gesamtnote zu verzichten (“Heidelberger Modell”).
Der Beschluss der Justizminister*innenkonferenz sieht vor, den universitären Teil bei der Endnote in der ersten juristischen Prüfung nicht mehr zu berücksichtigen. Derzeit setzt sich die Note im „ersten Staatsexamen“ zu 70 % aus der Note der staatlichen Pflichtfachprüfung und zu 30 % aus der Note der universitären Schwerpunktbereichsprüfung zusammen.
Wir, der BAKJ, lehnen dieses sogenannte „Heidelberger Modell“ ab und plädieren im Gegenteil für eine Stärkung des Schwerpunkbereichs unter Beibehaltung der universitären Autonomie.
Dem Beschluss der Justizminister*innenkonferenz liegt die Auffassung zugrunde, dass ohne das Einbeziehen der Noten aus dem Schwerpunktbereich eine bessere Vergleichbarkeit zwischen Staatsexamensnoten herzustellen sei (a). Zudem wird argumentiert, dass mit dem Heidelberger Modell der psychische Druck im Jurastudium verringert werden könne (b). Ferner scheint der Beschluss vorauszusetzen, dass der universitäre Schwerpunktbereich keinen wesentlichen Teil der juristischen Ausbildung darstelle (c).
(a) Unterschiedliches ist unterschiedlich. Die inhaltlichen Verschiedenheiten in der Lehre, je nach Professor*in, Universität oder Schwerpunktbereich lassen sich nicht auf formeller Ebene aufheben. Formelle Vereinheitlichung kann keine Eindeutigkeit oder „Objektivität“ der Bewertung herstellen. Die Beurteilung individueller Fähigkeiten auf einer Notenskala bleibt stets subjektiv und somit uneindeutig. Bei subjektiven Beurteilungen fließen immer auch gesellschaftliche Diskriminierungsstrukturen in die Notengebungen mit ein. Dies zeigt unter anderem die Studie „Geschlechts- und Herkunftseffekte bei der Benotung juristischer Staatsprüfungen“ (Towfigh, et al., ZDRW 2018, S. 115 (139)). Abgesehen davon wird durch Noten unsichtbar, dass Bildungsungerechtigkeit und Chancenungleichheit maßgeblich bestimmen, wer überhaupt und wer „erfolgreich“ Jura studiert. Außerdem wäre mit einer formellen Vereinheitlichung über Qualität noch nichts gesagt. Anzuzweifeln ist viel mehr der fast schon religiöse Glaube der Jurist*innen an ihr Notensystem und dessen Aussagekraft. Wir plädieren gegen scheinbare Vergleichbarkeit durch Vereinheitlichung und für Differenziertheit – wie sie bei allen wissenschaftlichen Studiengängen üblich ist.
(b) Im Jurastudium ist der psychische Druck durchgehend sehr hoch. Das fadenscheinige Argument, das Heidelberger Modell verringere den Druck im Jurastudium, verdreht die Tatsache, dass der Schwerpunktbereich eigentlich zu einer Entlastung der staatlichen Pflichtfachprüfung führt. Ohne Bildung einer Gesamtnote würde der psychische Druck insgesamt erhöht, da die Endnote nur noch aus der staatlichen Pflichtfachprüfung bestehen würde.
(c) Verschiedene Prüfungsformen gewähren ein unterschiedliches Maß an wissenschaftlicher Freiheit. Während in den staatlichen Pflichtfachklausuren insbesondere auswendig gelerntes Wissen reproduziert werden muss, ermöglicht der Schwerpunktbereich eine tiefgreifende Reflexion inhaltlicher Fragen. Schwerpunktprüfungen liegen daher eine andere Art und Idee von Wissenserwerb und -transfer zugrunde. Es wird – im Gegensatz zu den Pflichtfachklausuren – Raum und Zeit für Wissenschaftlichkeit gegeben.
Durch den Verzicht des Einflusses der Schwerpunktprüfungen auf die Gesamtnote werden kritischer Reflexion und der Fähigkeit zu wissenschaftlicher Recherche die Wertigkeit abgesprochen, sich auch in der Abschlussnote widerzuspiegeln. Der Schwerpunkt ist die einzige Möglichkeit, sich im Studium entsprechend eigener Interessen zu spezialisieren und Wissen zu vertiefen. Juristische Fragestellungen können zudem in den Kontext interdisziplinärer Perspektiven gestellt werden. Mit der Verbannung der Schwerpunktprüfungen aus der Endnote wird dieser Teil des Studiums massiv an Bedeutung verlieren.
Wir fordern daher, dass die bisherige Regelung zur Bildung einer Gesamtnote beibehalten wird. Der Fiktion von Einheitsjurist*innen mit objektiv vergleichbaren Abschlüssen, die vermitteltes Wissen nur reproduzieren, halten wir die Autonomie und die Wissenschaftlichkeit des universitären Schwerpunktes entgegen.
Zur Stärkung der Autonomie plädieren wir für den Ausbau des Anteils der Schwerpunktbereichsnote auf 50 %.
Mitunterzeichner*innen:
- Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e. V.
- Deutscher Juristinnenbund e.V.
- Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
- Frankfurter AnwaltsVerein e.V.
- Kanzlei geRechtsanwältinnen – Boll & Kolovos
- AStA der Goethe-Universität Frankfurt
- AStA der Georg-August-Universität Göttingen
- Prof. Dr. Andreas Fisahn
- Prof. Dr. David von Mayenburg
- Til Martin Bußmann-Welsch, Wissenschaftlicher Mitarbeiter
- Janwillem van de Loo, Wissenschaftlicher Mitarbeiter
- Joachim Schaller, Rechtsanwalt