Am 22. Dezember 2020 hat der Turiner Appellationsgerichtshof die Anordnung einer weitgehenden polizeilichen Aufsicht gegen Maria Edgarda (“Eddi”) Marcucci bestätigt. Sie hatte 2017 bei den kurdischen Frauenverteidigungseinheiten YPJ (Yekîneyên Parastina Jin) gegen den Islamischen Staat gekämpft und ist mittlerweile in der Protestbewegung gegen die Schnellzugverbindung TAV (“treno ad alta velocitá”) zwischen Turin und Lyon aktiv. Das präventiv angewendete Mittel der “sorveglianza speciale” ermöglicht weitgehende Eingriffe in das Privatleben der betroffenen Personen und ist verfassungsrechtlich umstritten.
Konkret bedeutet die Maßnahme für Eddi Marcucci, wie sich einem Artikel aus der Zeitschrift Il Manifesto vom 24. Dezember entnehmen lässt, dass sie seit dem 17. März zwischen 21 und 7 Uhr das Haus nicht mehr verlassen darf, keine Treffen mit mehr als drei Personen haben darf, nicht an Versammlungen teilnehmen darf, ihren Wohnsitz in Turin haben muss, ihr der Führerschein und Pass entzogen wurden und dass sie jederzeit ein rotes Büchlein, die “carta precettiva” mit sich führen muss, in welches die Polizei bei Kontrollen ihre Bewegungen einträgt.
Begründet wird die Maßnahme damit, dass Eddi Marcucci in Syrien den Umgang mit Waffen gelernt habe und deshalb auch in Italien als gefährliche Person anzusehen sei, weil zu befürchten sei, dass sie auch in Italien bei ihren politischen Aktivitäten Gewalt einsetzen könnte. Um das zu unterstreichen, wird auch Eddi Marcuccis politisches Engagement in Italien, etwa bei Demonstrationen gegen faschistische Aufmärsche an der Universität oder gegen Waffenverkäufe an die Türkei herangezogen. Die Prognose ihrer zukünftigen Gefährlichkeit stützt sich mithin keineswegs auf konkrete Anhaltspunkte für geplante Straftaten, sondern bloße Indizien und die Bewertung ihres angeblich gefährlichen Charakters durch die Gerichte und die “Divisione Investigazioni Generali e Operazioni Speciali” (DIGOS), eine italienische Polizeieinheit zur Terrorismusbekämpfung.
Die sorveglianza speciale, die häufig als Antimafia-Maßnahme Anwendung findet, ist vor allem umstritten, weil sie weitreichende Freiheitsbeschränkungen auf der Grundlage bloßer Indizien zur präventiven Gefahrenabwehr ermöglicht und so breite Spielräumer eröffnet, unliebsame Personen zu kriminalisieren, ohne dass diese gegen Gesetze verstoßen hätten.
Erst 2017 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem Fall der Anordnung einer sorveglianza speciale moniert, dass sie auf unzureichenden rechtlichen Grundlagen beruht habe, weil weitgehend unklar sei, welche Tatsachen bei der Bewertung der Gefährlichkeit einer Person herangezogen werden dürfen und die Anordnung im konkreten Fall auch auf entsprechend vagen Erwägungen beruht habe. Für die Betroffenen sei somit nicht vorhersehbar, wann die sorveglianza speciale Anwendung findet.[1]
Unabhängig von den allgemeinen Problemen, die das Mittel der sorveglianza speciale aufwirft, ist es im Falle Eddi Marcuccis besonders bedenklich, dass es legale politische Teilhabe ist, die zur Grundlage weitgehender Freiheitsbeschränkungen wird. Das erweckt den Anschein, dass nicht die behauptete Gefährlichkeit, sondern Eddi Marcuccis politische Einstellung Grund der getroffenen Maßnahmen ist.
[1] De Tommaso v. Italy [GC], No. 43395/09, § 110-125, 23 February 2017.