Die im Kapitalismus hervorgebrachten sozialen Probleme werden in autoritärer Weise bearbeitet. Dafür werden neue Instrumente wie die Waffenverbotszone im Leipziger Osten erprobt, die in demokratischer und rechtsstaatlicher Hinsicht überaus problematisch sind. Die ihr zugrunde liegende Herrschaftstechnik besteht darin, durch Exklusionsprozesse „Gefährlichkeit“ zu konstruieren und repressiv zu kontrollieren.
Im September 2020 verwirft der BGH die Revision von vier Mitgliedern der „Hells Angels“ gegen ihre Verurteilung wegen Mordes an einem Mitglied der „United Tribuns“. Auf der Leipziger Eisenbahnstraße wurden im Juni 2016 unter den Augen der hinzu gerufenen Polizei in einer eskalierten Prügelei vier Schüsse aus einer Pistole abgegeben. Diese töteten eine Person und verletzten zwei weitere schwer. Dies löste eine deutschlandweite Diskussion über Gangs, Waffen, Gewalt und organisierte Kriminalität aus. Der Ruf nach Polizei und einem harten Vorgehen übertönte jedwede tiefergehende Analyse der Ursachen dieser Phänomene. Als vermeintliche Antwort präsentierten die sächsischen Sicherheitsbehörden zwei Jahre später die Einführung einer „Waffenverbotszone“ auf der Eisenbahnstraße, wie es sie auch schon vereinzelt in anderen Bundesländern gibt.
Die Inszenierung autoritärer Sicherheitspolitik
Um das neue Instrument offiziell in den polizeilichen Werkzeugkasten aufzunehmen, treffen sich im November 2018 der sächsische Innenminister, der Leipziger Polizeipräsident und Oberbürgermeister unter großem Medienrummel zur „feierlichen Eröffnung“ der Waffenverbotszone. Dies bleibt jedoch nicht ohne Widerspruch der Anwohner*innen des Viertels. Die Hoffnung, Gewaltkriminalität durch die Sonderrechtszone zu verringern, wird nicht geteilt. Man vermutet, dass die Ereignisse vom Juni 2016 als Anlass genutzt wurden, um neue Repressionsmittel zu erproben. Mit der angeheizten Diskussion um die „Gefährlichkeit“ der Eisenbahnstraße würden diese Maßnahmen als legitim und notwendig vermittelt. Es wird erwartet, dass sich der polizeiliche Belagerungszustand durch eine Strafandrohung erhöht und dadurch diskriminierende und gewaltvolle Kontrollen sowie Verdrängungsprozesse vorangetrieben werden. Die sich daraus entwickelnde Kampagne „Waffenverbotszone abschießen – Soziale Sicherheit stärken“ engagiert sich gegen Verdrängung, Überwachung und Rassismus.[1]
Die Rechtsverordnungen des sächsischen Innenministeriums[2] geben der Polizei, zunächst entgegen ihrer eigenen Auffassung, keine neuen Eingriffsbefugnisse für Kontrollen. Sie regelt ausschließlich, dass ein Bußgeld bis zu 10.000€ verhängt werden darf, wenn man sich mit Waffen, definiert nach dem Waffengesetz, in der Zone aufhält. Für das Mitführen gefährlicher Gegenstände ordnet es 1.000€ als höchstmögliches Bußgeld an. Damit werden alle Gegenstände erfasst, welche der Polizei geeignet erscheinen, um Menschen erhebliche Verletzungen zuzufügen. Zu diesen zählen beispielsweise Baseballschläger, Pfeffer- bzw. Tierabwehrsprays, Messer, Werkzeuge und Rasierklingen. Ausnahmen gelten für Sicherheitsdienste, Handwerker*innen, Gewerbetreibende, Gastronomie und Anwohner*innen. Der Verordnung nach gilt ein Gegenstand als mitgeführt, wenn er zugriffsbereit im öffentlichen Raum getragen wird, also innerhalb von drei Handgriffen einsatzbereit ist. Die Verordnungen geben der Polizei eine enorme Definitionsmacht und Ermessensspielraum.
Gibt es überhaupt eine Rechtsgrundlage?
Seit spätestens 2015 nehmen die Polizeipräsenz und „verdachtsunabhängige“ Kontrollen auf der Leipziger Eisenbahnstraße zu. Die Rechtsgrundlage für die anlasslosen Identitätsfeststellungen findet sich speziell in § 15 Abs. 1 Nr. 7 SächsPVDG. Doch für Durchsuchungen von Personen und ihren Sachen gibt es keine eindeutigen Rechtsgrundlagen. Es käme §§ 27 Abs. 1 Nr. 2, 28 Abs. 1 Nr. 3 iVm. 31 Abs. 1 Nr. 1 SächsPVDG in Betracht, wobei die erforderliche gegenwärtige Gefahr für die Sicherstellung, der mögliche Verstoß gegen die Rechtsverordnungen zur Waffenverbotszone wäre. Allerdings werden hierfür Tatsachen verlangt, die die Annahme rechtfertigen, dass Sachen sichergestellt werden dürfen, sodass dies eine verdachtsunabhängige Kontrolle gerade ausschließt. Auch eine Durchsuchung der Person wegen einer legitimen Identitätsfeststellung gem. § 27 Abs. 2 SächsPVDG, erlaubt diese nur, „wenn dies nach den Umständen zur Sicherung eines Polizeibediensteten oder zum Schutz eines Dritten gegen eine Gefahr für Leben oder Gesundheit erforderlich erscheint.“ Daher bleibt nur der Rückgriff auf die „gefährlichen Orte“ als Eingriffsgrundlage über §§ 27 Abs. 1 Nr. 4, 28 Abs. 1 Nr. 4 iVm. 15 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG. Dazu müsste die Waffenverbotszone gleichzeitig als „gefährlicher Ort“ definiert werden, was sich jedoch nach einer systematischen Auslegung der aufgeführten Alternativen zur Identitätsfeststellungen auszuschließen scheint. Rechtsprechung zum Verhältnis dieser beiden rechtlichen Konstruktionen gibt es in Sachsen bisher nicht. Es besteht daher die Frage, ob es überhaupt eine geeignete Rechtsgrundlage für die anlasslosen Durchsuchungen gibt. Bereits hier kann in Bezug auf eine zu gewährleistende Rechtssicherheit kritisiert werden, dass es einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Gesetz und juristische Vorkenntnisse braucht, um herauszufinden, warum die Polizei überhaupt darf, was sie zu dürfen vorgibt.
Bevor das neue Polizeigesetz im Januar 2020 in Kraft trat, bestand die Rechtsgrundlage für die Durchsuchung von Personen und mitgeführten Sachen über die eben schon erwähnten „gefährlichen Orte“ gem. § 19 I 1 Nr. 2 SächsPolG. Diese Orte werden von der Polizei in einem intransparenten Verfahren entsprechend ihrer „kriminalistischen Erfahrung“ festgelegt und nicht veröffentlicht, weil ein Bekanntwerden dazu führe, dass potentielle Täter*innen ihre Vorgehensweise daran anpassen. Auf Kleine Anfragen werden sie vom Innenministerium als „Verschlusssache, nur für den Dienstgebrauch“ heraus gegeben. Diese Einschätzung werde außerdem „dynamisch in der täglichen Lagebesprechung“ vorgenommen, was bedeutet, dass sich die Orte regelmäßig verändern. Sie können nicht gerichtlich überprüft werden, da es allein in der Kompetenz und im Ermessen der Polizei liegt, die Orte festzulegen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der „gefährlichen Orte“
Dass zunächst keine Kongruenz zwischen den „gefährlichen Orten“ und der Waffenverbotszone bestand, schien die Verantwortlichen ebenso wenig zu interessieren, wie dass diese Rechtsgrundlage gar nicht ermöglichen kann, auf einer Fläche von 70 Fußballfeldern das Prinzip des liberalen Rechtsstaats ins Gegenteil zu verkehren. Dieses riesige Areal ist kein „Ort“ im Sinne der Vorschrift, die extrem eng auszulegen ist. Die Polizei muss zwar, im Gegensatz zur sonst für polizeiliche Maßnahmen notwendige Gefahr, keinen konkreten Verdacht für ein gefährliches Verhalten haben. Jedoch erfordere eine verfassungskonforme Auslegung der Befugnis zu verdachtsunabhängigen Kontrollen in einer „Gefahrenzone“ Anhaltspunkte für eine „innere Verbindung“ des Verhaltens der Person mit der spezifischen Gefährlichkeit des Ortes.[3] Allein der Aufenthalt am „gefährlichen Ort“ – hier ein Bereich der beinahe zwei Stadtteile umfasst – soll ausnahmsweise als abstrakte Gefahr ausreichen, um in die Grundrechte der Person (u.a. informationelle Selbstbestimmung, Gleichheitsrecht und allgemeine Handlungsfähigkeit) einzugreifen. Auch weil die Vorschrift als Instrument eines rassistischen Migrationsabwehr-Regimes herhält, indem Menschen ohne Aufenthaltstitel nur aufgrund ihres Aussehens aufgespürt werden sollen, wird die Rechtsgrundlage zu Recht als verfassungswidrig kritisiert.[4]
Ein Blick auf die „Erfolge“, wie sie die Polizei in ihrer Straflust gern nennt, zeigt die Ungeeignetheit der Maßnahme: ca. 95 % der dokumentierten Kontrollen verliefen ohne Auffinden von inkriminierten Gegenständen. Von den Funden ist jedoch nur ca. ein Drittel von der für die Ahndung verantwortlichen Polizeibehörde als strafwürdig befunden worden, da von der extrem weiten Definition der „gefährlichen Gegenstände“ auch Scheren, Nagelfeilen und Plastik-Einwegmesser erfasst sind. Beim Umgang mit diesen Zahlen ist zusätzlich zu beachten, dass ausschließlich Kontrollen im Rahmen von Schwerpunktmaßnahmen durch die Polizei nachvollziehbar festgehalten werden, weil die sächsische Polizei das notwendige technische Tool zur Dokumentation für ihren Streifendienst nicht besorgt hat. Hingegen werden gefundene Gegenstände in die Statistik der Verstöße eingerechnet, die bei normalen Streifenkontrollen aufgefunden werden. Dies ist ein kleiner Trick des Innenministeriums bei der Beantwortung von Kleinen Anfragen, um die Zahlen zu ihren Gunsten zu beeinflussen.[5]
Sicherheit und Kriminalität
Argumente der Sicherheitsbehörden für die Einrichtung waren, dass es auf der Eisenbahnstraße unsicher sei und es viel Gewaltkriminalität unter Einsatz von Waffen gäbe. Das Narrativ der „gefährlichsten Straße Deutschlands“, wie eine Reportage vor einigen Jahren titelte, wurde bereitwillig aufgenommen, um die Eingriffspalette der Polizei für Überwachung und Bestrafung subtil zu erweitern. Dass die beiden Viertel, über die sich die Waffenverbotszone teilweise erstreckt, nicht mal innerhalb Leipzigs die Bereiche mit der höchsten Kriminalitätsbelastung sind, relativiert den Blick auf die sogenannte objektive Sicherheit. Außerdem handelt es sich bei den Straftaten, die die Häufigkeitszahl (Verhältnis zwischen Straftatenaufkommen und Bevölkerungszahl) in die Höhe treiben, vor allem um opferlose Delikte, wie Drogenbesitz, fehlende Arbeitstitel oder Aufenthaltserlaubnisse.
Eine sozialwissenschaftliche Grundlage für die Annahme, dass die Waffenverbotszone Sicherheit und Ordnung bringe, besteht allerdings nicht. Im Gegenteil: es gibt gerade keinen statistischen Zusammenhang zwischen Kriminalitätsrate und öffentlicher Kriminalitätsbesorgnis. Hingegen werden Belege für eine starke Korrelation zwischen Law-and-Order-Maßnahmen und dem Sicherheitsbesorgnis der Bevölkerung gefunden[6], sodass eher zu erwarten ist, dass die Waffenverbotszone zu mehr Kriminalitätsfurcht führt. Dies legt auch eine Studie der Berliner Polizei nahe, die zeigt, dass mehr Polizeipräsenz und stärkere Bewaffnung das Unsicherheitsgefühl erhöht.[7] Auch sollte der zu Beginn erwähnte Mordfall hinreichend aufzeigen, dass Polizei – selbst wenn sie vor Ort ist – Kriminalität nicht immer verhindern kann, sondern sie meist eher in weniger sichtbare Bereiche verdrängt.
Diskurse von Sicherheit
Der aktuelle Sicherheitsdiskurs eröffnet die Möglichkeit entlang bestehender gesellschaftlicher Machtverhältnisse Scheinlösungen der Law-and-Order-Politik anzubieten und so Handlungsmacht der Staatsgewalt zu suggerieren. An den tatsächlich bestehenden Problemen geht dies hingegen überwiegend vorbei, wie auch qualitative Interviews mit Anwohner*innen der Eisenbahnstraße zeigen. Im Rahmen einer Masterarbeit wurde die Frage nach alltäglichen Problemen im Viertel gestellt. „Neben Drogen wurde auch organisierte Kriminalität, Spielsucht, Armut und schlechte Bildungschancen häufig genannt. Auffällig oft wurde auch schwindender bezahlbarer Wohnraum und Diskurse um öffentlichen Raum genannt, also alles, was wir in Zusammenhang mit Gentrification setzen können. Waffengewalt wurde von keiner befragten Person als Problem genannt.“[8]
Statt sich mit sozialen Lösungen für die Ursachen dieser Probleme auseinander zu setzen, wird eine autoritär-etatistische Entwicklung vorangetrieben, die Grundrechte massiv einschränkt und immer mehr Befugnisse, Geld und Ausrüstung an die Polizei gibt. Die Verantwortung für „Sicherheit“ wird ausschließlich der Polizei zugeordnet. Dies rührt von einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse innerhalb des bürgerlich-demokratischen Staates her, die gerade die exekutive, verwaltende Polizei als politische Akteurin neu definiert. Entscheidungen zur „Lösung“ von grundlegenden gesellschaftlichen Konflikten werden nicht mehr „demokratisch“ in Parlamenten oder Parteien ausgehandelt, sondern vor allem in der Verwaltung getroffen. Der schwindende Einfluss der repräsentativen Institutionen und die Aushöhlung grundlegender Bürger*innenrechte, ohne sie formal aufzulösen, wird als etatistisch bezeichnet.[9]
Dieses Verständnis von Polizei ist auch auf eine Veränderung im Umgang mit Kriminalität im neoliberalen Kapitalismus zurückzuführen: Global setzte aufgrund der Wirtschaftskrisen ab den 1970er Jahren ein Abbau sozialstaatlicher Unterstützungen ein, während eine neue neoliberale Ideologie dies dahingehend umdeutete, dass Armut und sozialer Abstieg auf individuelles Versagen und Faulheit zurückzuführen seien. Die eigentlich systemischen Gründe für materielle Ungleichheit werden so individualisiert: es sei die eigene Schuld, da es am Wille zur Arbeit und Leistung fehle. Daher würden sie eine Bedrohung für das Selbstverständnis als fleißige (deutsche) Volksgemeinschaft darstellen. Daraus wird geschlussfolgert, dass armen Menschen nicht aus der Existenzbedrohung heraus geholfen werden müsse, sondern diese Haltung zu bestrafen sei.
Dies ist der Ausgangspunkt, von dem aus betrachtet werden muss, in welcher Kontinuität die Waffenverbotszone steht und welche Techniken eingesetzt werden, um vermeintlich verloren gegangene Hegemonie durch die Polizei mit Gewalt wiederherzustellen. Dabei müssen wir die Polizei als Institution begreifen, deren Hauptaufgabe Systemerhalt des kapitalistischen Nationalstaats, durch Repression ist.
Herrschaftstechniken im Raum
Schauen wir uns den geschichtlich-sozialen Kontext an, in den die Waffenverbotszone auf der Eisenbahnstraße gesetzt wurde. Die Bevölkerung ist im ostdeutschen Vergleich überdurchschnittlich jung, arm und migrantisch. Dies hat vor allem den Grund, dass ab den 1990er Jahren die Stadt eine Containment-Strategie im Viertel verfolgte: eine bewusste räumliche Konzentration von Migrant*innen und Sozialhilfeempfänger*innen, sowie die Verdrängung der offenen Drogenszene vom Hauptbahnhof gen Osten. Es findet im Interesse, die Innenstadt zu einer Konsums- und Arbeitssphäre umzugestalten, eine innerstädtische Segregation zwischen „Erwünschten“ und „Unerwünschten“ statt: ein Exklusionsprozess, der Kriminalität personalisiert oder verräumlicht. Für die Polizei ist es so wesentlich einfacher den „Inkludierten“ zu zeigen, dass sie für Recht und Ordnung sorge, indem sie die kriminalisierten Orte und Personen durch Überwachung und Bestrafung poliziert.
Dabei ist zu betonen, dass insbesondere die Illegalisierung von Menschen durch die faktische Abschaffung des Asylrechts 1993, solch eine rassistisch-nationalistische Methode ist, um Menschen aus der Gesellschaft auszuschließen. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass im Zusammenhang mit der Waffenverbotszone und im Wahlkampf der AfD und CDU, immer wieder das rassistische „Messermänner“-Narrativ bedient und auf vermeintliche „Clankriminalität“ rekurriert wird, um eine zu bekämpfende „Gefährlichkeit“ zu konstruieren oder zu reproduzieren.
Exklusion als Methode
Eingangs wurde schon angedeutet, dass die Möglichkeit verdachtsunabhängiger Kontrollen diskriminierendes Profiling fördert. Doch möchte ich darauf zurückkommen, dass gerade jene Exklusionsprozesse Kriminalität oftmals erst hervorbringen. Wer keinen Aufenthaltstitel hat, muss sich im illegalisierten Sektor, beispielsweise durch Drogenverkauf, ihren*seinen Lebensunterhalt verdienen. Und wer arm ist, ist öfter gezwungen etwas zu stehlen, wenn sie*er nicht genug Geld hat etwas zu kaufen. Doch werden durch die Individualisierung nationalistischer und sozialer Ausgrenzung diese strukturellen Dimensionen verschleiert.
Solche Exklusionsprozesse werden durch psychologische Fehlschlüsse, die sog. Ecological Bias, noch verstärkt: aufgrund des vermeintlichen polizeilichen „Wissens“ über bestimmte Täter*innen (z.B. den „ausländischen Drogenverkäufer“) werden rassifizierte und klassifizierte Menschen wesentlich häufiger kontrolliert. Dadurch werden Gesetzesverstöße bei ihnen vergleichsweise öfter festgestellt, was wiederum dazu führt, dass sich die polizeiliche Erfahrung selbst bestätigt und sie deswegen eben jene (konstruierte) Gruppe häufiger kontrollieren. Das wurde schon vor Einrichtung der Waffenverbotszone, aber besonders auch seitdem beobachtet und dokumentiert. Racial profiling und klassistische, also armutsfeindliche Kontrollpraxis sind in der Polizei strukturell verankert, nicht zuletzt wegen ihrer Entstehung aus der Londoner City Police und den rassistischen Slave Patrols in den USA.[10] Diese werden durch solche Sonderrechtszonen institutionalisiert.
Neben Waffenverbotszonen werden andere ordnungspolitische Kontrolltechniken erprobt, um soziale Probleme autoritär zu bearbeiten. Dabei stellen sich die Maßnahmen, wie beispielsweise Privatisierung von öffentlichem Raum oder Videoüberwachung, als Symbiose etatistischer Politik und Kapitalinteressen dar. So steht auch die Gentrifizierung der Viertel um die Eisenbahnstraße nicht im Widerspruch zur Einrichtung der Waffenverbotszone, sondern ist Teil eben jenes Aufwertungsprozesses, der „Unerwünschte“ weiter an den Stadtrand verdrängen und in perfider Weise ein „saubereres“ Zentrum für Investition bereiten soll.
Soziale Sicherheit stärken
Die Waffenverbotszone kann keine Antwort auf bestehende soziale Probleme und Unsicherheitsgefühle der Bevölkerung sein. Stattdessen müssen alternative Lösungsansätze erarbeitet werden. Eine Idee könnte die Entwicklung eines Gesamtkonzeptes zur Sozialen Sicherheit sein, welches an den materiellen Ungleichheiten ansetzt und auch Mechanismen zum Umgang mit diskriminierender Gewalt beinhaltet. Ebenso muss darin eine Antwort auf die existentielle Bedrohung unserer Lebensgrundlagen durch den Klimawandel gegeben werden.
Auf makropolitischer Ebene müsste dazu beispielsweise der gescheiterte prohibitionistische Ansatzes bei Substanzabhängigkeit mit Harm-Reduction-Modellen ersetzt, ein bedingungsloses Bleiberecht eingeführt und Sozialhilfe vom „Leistungsprinzip“ entkoppelt werden.
Auch sollte die Institution Polizei verstärkt in den Blick genommen werden. Nach einer Periode der Militarisierung, dem Auffliegen rassistischer, rechtsextremer und sogar terroristischer Netzwerke, sowie aufgrund des inakzeptablen Aufkommens von Polizeigewalt, diskriminierendem Profiling und Korruption (Fahrradgate in Sachsen oder Drogenskandal in München) sollte auch im deutschen Kontext „Defund The Police“ ernsthaft diskutiert werden. Im lokalen Rahmen müssen wir unsere Nachbarschaften solidarischer gestalten. Auch hier gibt es bereits auf Mediation, Verantwortungsübernahme und Wiedergutmachung beruhende Konzepte wie Transformative Justice[11], die wir dem strafenden Staat entgegensetzen können.
Zurzeit wird eine Evaluation durch das sächsische Innenministerium durchgeführt, die eigentlich schon längst abgeschlossen sein sollte. Außerdem liegt dem OVG Bautzen eine abstrakte Normenkontrolle bezüglich der zwei Verordnungen vor. Inwiefern die Waffenverbotszone weiterbestehen wird, ist demnach noch nicht klar. Es wird jedenfalls weiter ein zivilgesellschaftliches Engagement gegen die repressive Polizeiarbeit im Viertel gebraucht, um diese Sicherheitspolitik als Inszenierung zu entlarven und der Normalisierung des Autoritären entgegenzuwirken.
Weiterführende Literatur:
Leipziger Kamera, Kontrollverlust, Intervention gegen Überwachung, 2009.
Jan Wehrheim, Die überwachte Stadt – Sicherheit, Segregation und Ausgrenzung, 2012.
Autor*innenkollektiv Gras&Beton, Gefährliche Orte – Unterwegs in Kreuzberg, 2018.
[1] https://copwatchleipzig.home.blog/einrichtung-der-waffenverbotszone/ (alle Links zuletzt aufgerufen am 13.12.2020).
[2] https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/17846.
[3] VG Hamburg, Urt. v. 10.11.2020, Az. 20 K 1515/17.
[4] Burkhardt/Barskanmaz, Rechtsgutachten 2019, aufzurufen unter https://kop-berlin.de/files/175.
[5] https://copwatchleipzig.home.blog/zwischenbilanz/.
[6] Wehrheim, Die überwachte Stadt – Sicherheit, Segregation und Ausgrenzung, 2012, 29.
[7] https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-polizei-studiert-sicherheitsempfinden-schwer-bewaffnete-polizisten-sorgen-fuer-gefuehl-der-unsicherheit/26645196.html.
[8] Hurlin, „Ein Jahr Waffenverbotszone im Leipziger Osten“ am 8.12.19; die Masterarbeit in Urbanistik trägt den Titel: „Waffenverbotszone im Leipziger Osten – Ein polizeilicher Kontrollbereich im Kontext von territorialer Stigmatisierung, Sicherheit und Gentrifizierung“.
[9] Vgl. Poulantzas, Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, Autoritärer Etatismus, 2002, 231 ff.
[10] Loick (Hrsg.), ders., Kritik der Polizei, 2018, 12 ff.
[11] https://transformharm.org/transformative-justice-a-brief-description/.