Die Stromgewinnung aus Braunkohle erfreut sich nicht gerade hoher Popularität. Trotzdem soll der Braunkohletagebau Garzweiler in Nordrhein-Westfalen erweitert werden. Dazu muss jedoch erst ein nahegelegenes Waldstück gerodet werden. Das war Anlass genug für einige Aktivist*innen, am 1. Oktober einen Braunkohlebagger zu blockieren. Wie netzpolitik.org berichtet, wurden dabei zunächst 22 Protestierende in Gewahrsam genommen. Die letzten kamen erst am 6. Oktober (!) frei, wie aus dem Twitter-Account der Initiative „Gegenangriff – für das gute Leben“ hervorgeht, von der die Aktion ausgegangen sein soll.
Möglicherweise wird es in Nordrhein-Westfalen künftig häufiger im Rahmen von Klima- und Umweltprotesten zu besonders langen Ingewahrsamnahmen kommen. Dafür verantwortlich ist eine Änderung des dortigen Polizeigesetzes, welche die mögliche Höchstdauer einer Ingewahrsamnahme zur Identitätsfeststellung von maximal zwölf Stunden auf bis zu sieben Tage ausgedehnt hat, wenn diese vorsätzlich verhindert wurde. Als Begründung verweist der ursprüngliche Gesetzentwurf explizit darauf, dass die zuvor geltende Zwölfstundenfrist in der Vergangenheit gezielt ausgenutzt worden sei, um die Identitätsfeststellung zu verhindern. Als Beispiel wird das Verkleben von Fingerkuppen durch Demonstrant*innen genannt, was vor allem bei den Umweltprotesten der letzten Jahre vorkam (etwa gegen die Rodung des Hambacher Forsts).
Der Rechtswissenschaftler Clemens Arzt hat die Ausweitung der Gewahrsamsdauer, die auch weitere Fälle als die Verhinderung der Identitätsfeststellung betrifft, als „verfassungsrechtlich nicht akzeptabel“ und „ohne Übertreibung als eine[n] der dramatischsten Eingriffe in den Grundrechtsschutz seit 1949“ bezeichnet (Stellungnahme für den Innenausschuss des Landes NRW, Az. 17/652). Die Freiheitsentziehung ist einer der schwersten Eingriffe, die im Rechtsstaat vorstellbar sind. Es ist deshalb nicht verhältnismäßig, eine siebentägige Freiheitsentziehung anzuordnen, um eine Identitätsfeststellung zu Zwecken der Gefahrenabwehr vorzunehmen. Auch wenn ein Richter die Ingewahrsamnahme spätestens bis zum Ende des auf sie folgenden Tages bestätigen muss, kommt es hier zu einer erheblichen Erweiterung der Machtbefugnisse der Polizei, der ein sanktionsähnliches Instrument gegen unkooperative Personen an die Seite gestellt wird.
Leider ist nicht zu hoffen, dass Nordrhein-Westfalen mit der Einführung immer weiterreichender Kompetenzen für die Polizei alleine bleibt. In Bayern, wo Personen nach richterlicher Anordnung bis zu zwei Monate (!) in Gewahrsam genommen werden können, sind ohnehin bereits alle rechtsstaatlichen Dämme gebrochen. Aber auch die allgemeine Entwicklung weist seit langem in die Richtung, alle Wünsche der Polizei nach mehr Kompetenzen – nicht nur in Bezug auf die Gewahrsamsdauer – zu erfüllen, statt staatlichem Zwangshandeln mit angebrachter Skepsis gegenüberzutreten. Zwar bleibt abzuwarten, wie das geplante bundesweite Musterpolizeigesetz ausgestaltet sein wird, das laut Beschlusslage der Innenministerkonferenz als „Baukasten an Regelungsmöglichkeiten“ für die Polizeigesetze der Länder dienen soll. Allerdings hat es in den letzten Jahren umfangreiche Reformen der Polizeigesetze aller Länder gegeben, die jedenfalls nicht zu einer nennenswerten Beschränkung polizeilicher Kompetenzen geführt haben.