René_ Rain Hornstein forscht und lehrt in den Bereichen Trans* Studies und Psychologie, promoviert gerade und engagiert sich auf unterschiedliche Weise für die Rechte von trans*, inter* und nicht-binären (abgekürzt: TIN) Personen. René_ Rain Hornstein verwendet das Neopronomen „em“. Wir haben em in ems Funktion als Gründungsmitglied der TIN-Rechtshilfe interviewt.
Hallo René_ Rain Hornstein, danke, dass Sie uns ein paar Fragen beantworten. Können Sie uns die TIN-Rechtshilfe kurz vorstellen?
Sehr gerne. Wir sind eine kleine Berliner Gruppe von weißen, überwiegend nicht-binären Menschen und einer cis Person, die sich dafür einsetzen, dass gegen die Rechtsbrüche von trans*, inter* und nicht-binären Menschen vorgegangen wird. Kurzfristig konzentrieren wir uns auf die Begleitung einiger Gerichtsprozesse, in denen nicht-binäre Menschen ihre Rechte einklagen, z.B. das Recht auf eine Anrede, die der eigenen Geschlechtsidentität entspricht. Mittelfristig wollen wir weitere Prozesse unterstützen, die wir als strategisch relevant für die Ausweitung der Rechte von TIN Menschen einstufen. Langfristig wollen wir alle TIN Menschen unterstützen, juristisch gegen alle möglichen Rechtsbrüche vorzugehen. Das heißt auch solche Rechtsbrüche, wo die Rechtslage eindeutig ist und keine Impulse von den Gerichtsurteilen für die Gesetzgebung zu erwarten sind. Wir befinden uns derzeit noch in Gründung und haben uns zum Beispiel noch nicht für eine Rechtsform entschieden.
Wie ist die Idee dafür entstanden?
Wir haben uns im Rahmen der Aktion Standesamt 2018[1] kennen gelernt. Das war eine Kampagne in Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannte Dritten Option, die nicht nur viele strategische Prozesse starten, sondern gleichzeitig Öffentlichkeitsarbeit in die Gesellschaft hinein zu den Anliegen von TIN Menschen machen wollte. Dort wurden ganz viele Anträge von TIN Menschen an ihre jeweiligen Standesämter gerichtet, um Namen und Geschlechtseinträge im Personenstandsregister der eigenen Identität anzupassen. Es ging darum, den gesellschaftlichen und gesetzgeberischen Diskurs über die Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus TIN Perspektive zu gestalten, weil befürchtet wurde, dass sie sehr restriktiv und hürdenreich umgesetzt werden würde. Einige Berliner Aktivist*innen, die an der Aktion Standesamt 2018 beteiligt waren, haben dann Fundraising Veranstaltungen gemacht, um Geld für die Durchführung unserer Klagen zu sammeln, die sogenannten TIN-Solifeste 2019 und 2020.[2] Das wollten wir dann gerne breiter aufstellen und nicht nur unsere eigenen Prozesse finanzieren, sondern die Lücke füllen, die in der juristischen Interessensvertretung und Rechtsdurchsetzung von TIN Menschen liegt.
Warum braucht es Rechtshilfe speziell (von und) für TIN Personen?
Wir TIN Menschen haben Rechte, aber die werden viel zu oft verletzt. Auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, in Schule, Ausbildung und Hochschule, in der Wirtschaft, im Kontakt mit staatlichen Behörden und insbesondere im Gesundheitssystem finden alltäglich Rechtsbrüche statt. Gleichzeitig sind TIN Menschen überproportional armutsgefährdet und verfügen kaum über die materiellen oder emotionalen Ressourcen, um sich gegen diese Rechtsbrüche zu wehren. Darüber hinaus gibt es wenige Anwält*innen und generell Jurist*innen, die über TIN Belange informiert sind und wissen, wie sie sich respektvoll verhalten können (z.B. bei der Berücksichtigung der Pronomenwünsche ihrer potentiellen Mandant*innen). Wir als TIN- Rechtshilfe wollen diesem Missstand etwas entgegensetzen und streben an, genug Geld sowie beraterische Ressourcen zu mobilisieren, um TIN Menschen bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu unterstützen.
Welche Bedeutung haben Community-Netzwerke allgemeiner für TIN Personen?
Durch das Outing als trans*, inter* und/oder nicht-binär verlieren TIN Menschen oft die Unterstützung durch ihre Herkunftsfamilie oder ihr erweitertes soziales Umfeld. Dies kann mit materiellen und emotionalen Verlusten einhergehen. Die Communities können hier emotionale und finanzielle Unterstützung leisten. Zum Beispiel kann hier bei Fundraisingaktionen für die Finanzierung von Transitionsmaßnahmen oder dem Umzug in eine sichere Wohnung geholfen werden. Es wird über Rechte und Möglichkeiten der Transition aufgeklärt und hier entstehen Freund*innenschaften und Liebesbeziehungen. Die Community ist oft ein Ort von Zugehörigkeit und kann eine Quelle von Stolz sein. Hier werden Vorbilder gefunden und es wird gemeinsam gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit vorgegangen, was ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Hoffnung vermitteln kann.
Wie ist denn gerade die rechtliche Lage für TIN Personen?
Es gibt verschiedene Gesetze, die regeln, wie das eingetragene Geschlecht und der Name geändert werden können, hinsichtlich des Geschlechts sind das das Personenstandsgesetz (PStG) und das Transsexuellengesetz (TSG). Bei der Änderung des Namens gibt es außerdem das Namensänderungsgesetz. Aktuell werden verschiedene geschlechtliche Gruppen definiert, deren Namens- und Personenstandsänderungen nach verschiedenen Gesetzen vorgenommen werden können. Endogeschlechtliche (also nicht-intergeschlechtliche) Personen, die nicht-binär und/oder trans* sind, müssen ihre Namens- und Personenstandsänderung über das amtsgerichtliche Verfahren nach dem TSG durchführen, das zwei Begutachtungsprozesse und ein richterliches Gespräch beinhaltet und recht teuer ist (drei bis vierstellige Beträge, je nach den Vergütungen, die Gutachter*innen verlangen). Intergeschlechtliche Personen können nach den Vorgaben des PStG über ein standesamtliches Verfahren mit vergleichsweise geringeren Verwaltungsgebühren transitionieren (also ihre Namens- oder Personenstandsänderung durchführen), müssen hierfür aber medizinische Nachweise über ihre Intergeschlechtlichkeit erbringen. Das heißt, der Zugang zu Namens- und Personenstandsänderungen wird über externe Autoritäten reguliert, im Fall des TSG durch Gutachter*innen, die meist Psychiater*innen sind, im Fall des PStG durch Mediziner*innen, die Atteste schreiben oder Kliniken, die Akten produzieren. Es wird also sogenanntes Gatekeeping betrieben. Diese Voraussetzungen sind entwürdigend, teuer und pathologisieren TIN Menschen. Außerdem halte ich es für verfassungswidrig, dass je nach geschlechtlicher Position unterschiedliche Verfahren genutzt werden müssen, die unterschiedlich tief in die Grundrechte eingreifen. Bezüglich des Operationsverbots an intergeschlechtlichen Kindern, des Offenbarungsverbots der Transitionsgeschichte und des Diskriminierungsschutzes von TIN Menschen gibt es rechtliche Lücken bzw. schwache Regelungen (es werden z.B. Ausnahmen festgelegt, die missbraucht werden können[3]). Zwar regelt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), dass Menschen nicht in Bezug auf ihr Geschlecht nachteilig behandelt werden dürfen, aber dies wird vielfach ignoriert. Auch gibt es Regelungsbedarfe im Bereich der Gleichstellungsarbeit, Bildungssysteme, des Sports und des Strafvollzugs, sowie im Familien-, Abstammungs- und Eherecht.
Was erhoffen Sie sich von der Ampel-Koalition? Wo sind Sie nicht so optimistisch?
Auf rechtlicher Ebene erhoffe ich mir eine zügige Abschaffung des TSGs und stattdessen die Einführung einer standesamtliche Selbstauskunft ohne teure Gutachten – mir ist unklar, ob das angekündigte „Selbstbestimmungsgesetz“ dies umsetzen wird. Ich erhoffe mir des Weiteren eine Reform des PStGs (keine medizinischen Atteste), stärkere Regelungen beim Operationsverbot an intergeschlechtlichen Kindern und einen stärkeren Antidiskriminierungsschutz. Von der Bundesregierung erwarte ich aber auch eine verstärkte TIN-affirmative Kommunikation. Es muss ein Diskurs darüber geführt werden, dass wir TIN Menschen (wie das BVerfG es in seinem Dritte-Options-Beschluss 2017 festgestellt hat) besonders diskriminierungsgefährdet sind und dass wir zur Gesellschaft dazu gehören. Es braucht TIN Menschen in Führungspositionen, auch in staatlichen Ämtern, und ein deutliches Bekenntnis zu uns. Ich befürchte gleichzeitig, dass Reformvorhaben verschleppt werden könnten und dass von Seiten der Regierung nicht genug widersprochen wird, wenn es einen Backlash aus TIN-feindlichen Teilen der Gesellschaft geben wird. Die Kampagnen gegen das Gendersternchen, sowie gegen die trans* Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer und aktuelle Umfragen zur Akzeptanz von TIN Menschen in Deutschland stimmen mich da besorgt. Ich befürchte insbesondere eine Instrumentalisierung der Debatte über die Rechte von TIN Kindern (was das Alter für Geschlechtsmündigkeit, also die Entscheidung der Kinder über Transitionsmaßnahmen angeht) – sowohl von rechts als auch von Teilen der Regierungskoalition. Hier braucht es ein energisch-solidarisches Agieren von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, z.B. queer-feministischen Jurist*innen.
Was ist die Bedeutung strategischer Prozessführung für politische Kämpfe von TIN Personen?
Strategische Prozesse sind überragend wichtig für unsere politischen Kämpfe. Jahrzehntelang war das Bundesverfassungsgericht die einzige Bundesinstitution, die unsere Rechte verteidigt und Impulse an die Gesetzgebung zur Erleichterung unserer rechtlichen Situation gegeben hat. 2008 und 2011 wurden der Scheidungszwang und der Sterilisationszwang für verfassungswidrig erklärt. Relevante Anpassungen des TSG hat der Bundestag dennoch nie vorgenommen, die entsprechenden Paragrafen werden nur nicht angewandt. Wenn es keine TIN Personen gegeben hätte, die hier den Klageweg beschritten hätten, dann hätten wir vielleicht heute noch nur zwei Personenstandseinträge (weiblich und männlich), den Scheidungs- und den Sterilisationszwang. Es war hier auch sehr wichtig, dass es juristische Unterstützung gab, denn BGH-Prozesse können z. B. nur von speziell zugelassenen Anwält*innen geführt werden und auch für den Erfolg einer Verfassungsbeschwerde ist anwaltliche Unterstützung zentral. Die Entscheidung von 2017 zur Dritten Option halte ich für bahnbrechend und für den zentralen Motor gesetzlicher Reformen. Dies wäre ohne die Klage von Vanja und die Unterstützung der Kampagne für eine Dritte Option nicht möglich gewesen.[4] Aktuelle Felder für strategische Prozesse sind die Anerkennung nicht-binärer Anreden, auch ohne dass ein nicht-binärer Personenstandseintrag vorliegt, die Kritiken am TSG von geschlechtslosen Personen, die Klagen von trans* Vätern, deren alte weibliche Vornamen unter „Mutter“ in den Geburtsurkunden ihrer Kinder stehen, und die Anerkennung von nicht-binären Ehen und Elternschaften.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, Gerichtsverfahren für aktivistische Arbeit und Betroffene zugänglicher zu machen? Wäre ein Verbandsklagerecht hilfreich?
Ich war jetzt in einigen Gerichten, um TIN-bezogene Prozesse selbst zu führen oder zu begleiten und sehe da noch Veränderungsbedarf bei der Durchführung der Prozesse selbst: Ich habe einerseits ein großes Bemühen von Richter*innen erlebt, die richtigen Pronomen von TIN Personen zu benutzen, andererseits aber auch misgendernde Richter*innen, Staatsanwält*innen sowie Anwält*innen erlebt, ohne dass dies problematisiert oder gar gestoppt worden wäre. Ich habe in keinem Gericht Toiletten vorgefunden, die für nicht-binäre Personen zugänglich gewesen wären. Auch das Personal, dass den Einlass regelt oder Sicherheitsüberprüfungen durchführt habe ich nicht als TIN-informiert oder TIN-respektvoll erlebt. Es gibt also handfeste Hürden beim Zugang zu Gerichtsverfahren. Darüber hinaus ist das Wissen wenig verbreitet, dass wir TIN Menschen uns erfolgreich gerichtlich wehren können und es gibt wenig Zugang zu TIN-affirmierenden Anwält*innen. Das versuchen wir als TIN-Rechtshilfe ja zu ändern. Ein Verbandsklagerecht für TIN-Organisationen fände ich einen großen Schritt. Es ist für klagende Einzelpersonen eine große psychische Belastung, Klagen durchzuführen und auch mit finanziellen Hürden und Belastungen verbunden.
Viele Leser*innen der Forum Recht studieren oder arbeiten an der Uni. Wie sind Ihre Erfahrungen an Hochschulen, wenn es um die Rechte von TIN-Personen geht?
Ich habe noch keine Rechtsabteilung einer Hochschule getroffen, die über die aktuelle Rechtslage von TIN Menschen informiert ist. Mir scheint oft, dass an Rechtsabteilungen von Hochschulen eine Grundüberzeugung herrscht, dass wir keine Rechte hätten und unsere Deadnames und falschen Pronomen verwendet werden müssten, wenn keine PStG- oder TSG-Änderungsverfahren stattfänden oder abgeschlossen seien. Ich und andere Aktivist*innen der AG trans*emanzipatorische Hochschulpolitik habe einiges an Expertisen und Best-Practice-Vorschlägen gesammelt, die andere Rechtsauffassungen vertreten.[5] Es gibt auch Aufzeichnungen von Vorträgen von mir dazu.[6] Viele Hochschulleitungen haben Angst, TIN-unterstützende Maßnahmen zu erlassen und gegen den Rat ihrer risiko-aversen und aus meiner Sicht uninformierten Rechtsabteilungen zu handeln. Die TH Köln ist hier eine vorbildliche und rühmliche Ausnahme.[7] Meine Erfahrung ist oft, dass Gleichstellungsbeauftragte an Hochschulen ängstliche bis ambivalente Verbündete für uns TIN Menschen sind und uns sogar eher als Gefahr wahrnehmen, denn als geschlechtlich marginalisierte Gruppe, die durch die Gleichstellungsarbeit zu schützen wäre. Auch hier gibt es tolle individuelle Ausnahmen. Das System der Hochschulgleichstellung muss aber TIN-klusiv umgestaltet werden, hier braucht es einen Diskurs und schließlich entsprechende Vorgaben dazu. Meistens werden wir TIN Menschen von Teilen der Student*innenschaft unterstützt, aber es braucht auch engagierte Mitglieder in Lehre und Verwaltung und natürlich in der Hochschulleitung, die für unsere Interessen lautstark eintreten und auf die Änderung diskriminierender Regelungen an Hochschulen hinwirken.
Was können Jura-Student*innen für TIN-Belange tun?
Sie könnten überlegen, inwiefern ihre Studiengänge und Institute TIN-klusiv gestaltet sind und wo Hürden für das Jura-Studium von TIN Menschen abgebaut werden können. Ich fände es sehr schön, wenn es eigene Hochschulgruppen für TIN Jura-Student*innen gäbe, die sich gegenseitig beim Studium unterstützen und fände es sinnvoll, wenn es eine Interessensvertretung von TIN Jura-Student*innen und TIN Jura-Absolvent*innen auf Bundesebene gäbe. Außerdem fände ich es hilfreich, wenn bestehende Verbände und Organisationen sich für TIN-affirmative Maßnahmen in ihren Organisationen und an den Hochschulen einsetzen würden.
Wollen Sie abschließend noch etwas sagen?
Ich freue mich über jede Person, die sich im Sinne von TIN-Verbündetenschaft, zu der ich viel geschrieben habe, mit den Lebensrealitäten und Unterstützungswünschen von TIN Menschen beschäftigt und den Mund aufmacht, wenn unsere Rechte verletzt werden. Auch im Alltag. Auch wenn scheinbar keine TIN Person anwesend ist. Wir brauchen diese Unterstützung.
Weiterführende Literatur:
Publikationsliste von René_Rain Hornstein
[1] S. https://aktionstandesamt2018.de (Abrufdatum aller Links: 8.12.21).
[2] S. https://tinsolifest.de.
[3] S. https://oiigermany.org/ein-steiniger-weg-fuer-menschenrechte/
[4] S. http://dritte-option.de.
[5] http://ag-trans-hopo.org/Materialsammlung/index.html.
[6] http://rhornstein.de/vortraege.
[7] S. https://www.th-koeln.de/hochschule/aenderung-des-personenstands_68874.php.