Groß war die Aufregung im September 2019, als das Landgericht Berlin seine Entscheidung zu Facebook-Kommentaren über die Grünen-Politikerin Renate Künast veröffentlichte (27 AR 17/19). Sie hatte gerichtlich durchsetzen wollen, dass Facebook die personenbezogenen Daten über mehrere Nutzer herausgab, die dort herabsetzende Äußerungen über sie getätigt hatten. Das Landgericht verweigerte jedoch jegliche Schützenhilfe, da es in keinem einzigen der Kommentare – die immerhin von „Schlampe“ über „Sondermüll“ bis „Drecks Fotze“ reichten – eine strafbare Beleidigung sah, welche einen Datenherausgabeanspruch nach § 14 Abs. 3 TMG a.F. gerechtfertigt hätte.
Das Kammergericht als Rechtsmittelinstanz war Künast dann etwas wohlgesinnter und beanstandete zumindest die schlimmsten Ausfälle (10 W 13/20). Doch auch hier winkte man etwa den Kommentar „Pädophilen-Trulla“ durch. Dieser müsse im Gesamtkontext mit dem Ausgangspost auf Facebook betrachtet werden, zu welchem er getätigt wurde. Dort war Künast der Satz „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist der Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt“ in den Mund gelegt worden. Der Ausgangspost sei in der Sache zwar falsch, die Äußerung befasse sich aber mit der darin angesprochenen Thematik, befand das Kammergericht. Künast reichte daraufhin Verfassungsbeschwerde ein, der nun stattgeben wurde (1 BvR 1073/20). Die Sache wurde an das Kammergericht zur erneuten Prüfung zurückgegeben.
Damit ist der Fall Künast zwar noch immer nicht endgültig geklärt, jedoch zeigt die Karlsruher Entscheidung einige wichtige Leitplanken zum Verständnis der Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz auf. So mahnt das Gericht an, dass es für die Fachgerichte nicht ausreiche festzustellen, dass eine Äußerung keine Schmähkritik darstelle, um diese als erlaubt einzustufen. Vielmehr habe das Fachgericht dann eine sorgsame Abwägung der betroffenen Rechtspositionen vorzunehmen. Das Kammergericht habe dies verkannt, indem es die „Beleidigung letztlich mit der Schmähkritik gleich[ge]setzt“ habe.
Noch bedeutsamer sind jedoch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Spannungsfeld zwischen Machtkritik und dem Persönlichkeitsschutz von Politiker:innen. Das BVerfG verweist zum einen darauf, dass auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Gerichte verpflichte, beim Vorliegen von Machtkritik „die Grenzen zulässiger Kritik an Politikerinnen und Politikern weiter zu ziehen“ als bei Privatpersonen. Auch dies erlaube jedoch nicht jede Beschimpfung. Denn insbesondere auf den sozialen Netzwerken sei ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträger:innen im öffentlichen Interesse: „[E]ine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist.“
Dabei sei auf die Form und die Begleitumstände einer Äußerung zu achten. So falle ins Gewicht, ob sie in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbehalt gefallen sei. Nicht jedes Wort müsse auf die Waagschale gelegt werden, da die Meinungsfreiheit auch Emotionalität und Erregbarkeit schütze. Bei schriftlichen Äußerungen – wie eben auf Facebook – hingegen könne „im Allgemeinen ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden.“ Überdies sei der Kreis der Adressat:innen sei relevant. So sei die beeinträchtigende Wirkung einer Äußerung gesteigert, wenn sie etwa besonders sichtbar in einem öffentlich zugänglichen Medium wie dem Internet getätigt wurde.
Dass es mit der vom BVerfG erwarteten und eingeforderten Zurückhaltung in den sozialen Netzwerken nicht weit her ist, liegt auf der Hand. Gerade deshalb ist es wichtig, nicht jede Äußerung pauschal durchzuwinken, sondern dem Persönlichkeitsschutz Rechnung zu tragen. Die fachgerichtliche Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz ist dabei zwar nicht leicht, nach der Karlsruher Rechtsprechung aber unumgänglich.