In Nordrhein-Westfalen (NRW) ist am 07.01.2022 ein neues Versammlungsgesetz (VersG) in Kraft getreten.
Schon seit der Föderalismusreform 2006 bestand für NRW die Möglichkeit, ein eigenes VersG zu erlassen. Diese Chance ergriff 2021 die Koalition aus CDU und FDP und legte einen Entwurf vor, der weitreichende Grundrechtseinschränkungen vorsah und massiven Protest hervorrief. In der Folge wurde der ursprüngliche Gesetzesentwurf in einigen Punkten an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts angepasst und schließlich am 15.12.2021 mit den Stimmen der Koalitionsparteien verabschiedet. Trotz der Änderungen schränkt das Gesetz Versammlungen massiv ein und verdeutlicht die versammlungsfeindliche Haltung seiner Verfasser*innen.
So erlaubt § 16 Abs. 2 VersG das Filmen der Versammlung für Übersichtsaufnahmen und zur Lenkung von Polizeieinsätzen, erstmalig nach Abs. 4 Satz 4 sogar per Drohne, so dass in Zukunft davon ausgegangen werden muss, dass jede größere Demonstration gefilmt wird. § 16 Abs. 3 Satz 3 VersG ermöglicht sogar ein verdecktes Filmen von Demonstrationen, etwa durch Polizist*innen in Zivil. Bisher (und auch in allen anderen Landesversammlungsgesetzen) musste bei Bild- und Tonaufnahmen erkennbar sein, dass von der Polizei gefilmt wird. Davon soll jetzt schon dann abgesehen werden, wenn sonst die körperliche Unversehrtheit der filmenden Beamt*innen gefährdet würde. Dass dies der Fall ist, kann im Demogeschehen sehr leicht behauptet werden. Eine Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Maßnahme, könnte ein Gericht treffen. Dafür müsste aber jemand klagen, was sich schwierig gestaltet, wenn man nicht weiß, dass gefilmt wird. Von der Pflicht, den Betroffenen bzw. der Versammlungsleitung mitzuteilen, dass gefilmt wird bzw. wurde, gibt es noch dazu weitreichende Ausnahmen. Letzten Endes muss man also immer damit rechnen. Durch in § 15 VersG genannte Kontrollstellen können auf Anfahrts- und Fußwegen im Vorfeld Personen und Sachen durchsucht werden.
All das kann einen enormen Einschüchterungseffekt auf Versammlungsteilnehmer*innen ausüben. Dass dies einer der Ziele des neuen Gesetzes ist, erkennt man auch auf daran, dass es sehr genau auf die Proteste der Klimaaktivist*innen von Ende Gelände usw. zugeschnitten ist. Das geht deutlich aus der Gesetzesbegründung hervor. So werden diese in einer Reihe mit SS und SA als Beispiele für „militantes Auftreten“, das unterbunden werden muss, genannt. Und zwar, weil das „in hohem Maße dem Gefahrenbild entspreche, dass der Gesetzgeber beim Erlass des Versammlungsgesetzes im Jahre 1953 vor Augen hatte.“ Der Gesetzgeber 1953 – lange vor dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, das die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit hervorhob – hatte aber ein höchst fragwürdiges Verständnis von Versammlungsfreiheit, das Versammlungen hauptsächlich als Gefahr ansah. Dass sich so selbstverständlich drauf bezogen wird, ist problematisch.
Das sogenannte Militanzverbot in § 18 VersG, das unter anderem das Tragen von Uniformen, Uniformteilen und uniformähnlichen Kleidungstücken verbietet, wurde zwar in der neueren Fassung des Gesetzesentwurfs etwas entschärft. Es ist aber nicht auszuschließen, dass auch die Maleranzüge der Klimaaktivist*innen als uniformähnlich gelten.
Druck ausgeübt wird nicht nur auf die Demonstrierenden, sondern auch auf die Veranstalter*innen. Gemäß § 3 VersG sind Kooperationsgespräche mit der zuständigen Behörde über Art, Umfang und Ablauf der Veranstaltung vorgesehen. Das ist zwar keine Verpflichtung, aber eine Obliegenheit. Kommen die Veranstalter*innen nicht, darf das gemäß § 3 Abs. 3 Satz 3 VersG negativ in den behördlichen Entscheidungen berücksichtigt werden. Begründet damit, dass Veranstalter*innen von Zeit zu Zeit das Gespräch verweigern würden, um dann gegen einen beschränkenden Bescheid klagen zu können und im Ergebnis weniger Einschränkungen hinnehmen zu müssen. Dieses Kalkül ist alles andere als missbräuchlich, was die versammlungsfreundliche Rechtsprechung vielfach zeigt.
Auch muss die Versammlungsleitung auf Verlangen der Behörde gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 VersG die Namen von Ordner*innen nunmehr schon im Vorfeld nennen. Ebenso wie für die Versammlungsleitung in § 12 Abs 1 VersG hat die Behörde auch bei den Ordner*innen ein Ablehnungsrecht, wenn sie diese für ungeeignet hält. Andersherum können unliebsame Personen von der Versammlungsleitung nur noch mit Zustimmung der Polizei (§ 6 Abs. 4 Satz 2 VersG) von der Versammlung ausgeschlossen werden.
Auch verbietet das Gesetz gänzlich die Veranstaltung bestimmter Versammlungen. So sind Autobahndemonstrationen nach § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG verboten.
Das sogenannte Störungsverbot nach § 7 VersG verbietet weitgehend Gegenproteste, es sei denn sie sind “nicht auf Behinderung zielend” und “kommunikativ”, wobei sich erst in der Praxis zeigen wird, was das bedeutet. Gegendemonstrationen und Blockaden, insbesondere bei Naziaufmärschen, müssen allerdings massive Einschränkungen befürchten.
Insgesamt ermöglicht das Gesetz der Polizei, zukünftig Versammlungen zu überwachen und zu kontrollieren. Es erschwert nicht nur die Durchführung von Versammlungen und versucht die versammlungsfreundliche Einstellung der Rechtsprechung zu unterwandern, sondern nimmt den Veranstalter*innen auch einen großen Teil ihrer Möglichkeiten. Demonstierende, insbesondere solche, die schon von Polizeigewalt und Rassismus betroffen sind, werden sich in Zukunft noch stärker eingeschüchtert fühlen. Damit haben die Koalitionsparteien ihr Ziel erreicht.