Auch nach 16 Jahren Angela Merkel kennt unser Grundgesetz nur den männlichen Bundeskanzler. Natürlich: Frauen und nicht-binäre Personen sind in generisch maskulin formulierten Gesetzestexten mitgemeint. Doch eine explizite Benennung käme nicht nur den von struktureller Diskriminierung betroffenen Personengruppen, sondern auch der Demokratie selbst zugute.
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Es ist ein kurzer und vermeintlich einfacher Satz, und doch könnte er nicht bedeutungsvoller sein. Denn der Gleichheitsgedanke ist Grundlage jeder demokratischen Ordnung, er ist die unverzichtbare Voraussetzung demokratischer Freiheit. Wenn man im Grundgesetz noch etwas mehr liest als den soeben zitierten Art. 3 Abs. 1, fällt jedoch etwas negativ auf: Die Gleichheit scheint sich tatsächlich auf den Bereich „vor“ dem Gesetz zu beschränken – denn im Gesetzestext begegnen einem nur Männer.
Auch wenn die maskulinen Formulierungen im Grundgesetz und in anderen deutschen Gesetzen weitestgehend generisch zu verstehen sind, also inhaltlich auch alle nicht männlichen Personen meinen, drängt sich somit die Frage auf: Wenn eine Rechtsordnung, die einen institutionellen Rahmen für die Gleichheit und Freiheit aller zu etablieren sucht, nicht auch tatsächlich explizit alle unter ihr lebenden Menschen benennt – widerspricht dann nicht ihre sprachliche Form ihrem Inhalt?
Sprache ist nie neutral
Wie wir die Welt sehen und wie wir sie verstehen ist untrennbar mit Gewohnheit verbunden: Alles, was wir tun und sagen, wird beeinflusst von den gesellschaftlichen und historischen Strukturen, in die wir eingebettet sind. Ein Satz vermittelt nicht nur Inhalt, sondern auch Konventionen, gesellschaftlich autorisiertes Wissen und Annahmen (zur eigenen Position, der des Gegenübers oder gesellschaftlichen Gruppen usw.).[1] Sprache funktioniert also wie ein Filter, durch den wir die Realität so wahrnehmen, wie sie von den anderen Menschen in unserer Sprachgemeinschaft wahrgenommen wird.
Wie sehr Sprache die Wahrnehmung von Menschen beeinflusst, zeigen etwa die Werke des altgriechischen Dichters Homer: Dieser beschrieb das für uns so selbstverständlich blaue Meer noch als „weindunkel“. Dass er das Meer eher als weinrot wahrnahm, lag schlicht daran, dass die Farbe „Blau“ in seinem Denken nicht existierte – denn ein Wort dafür entstand wohl erst mit der vermehrten Herstellung bläulicher Farbstoffe ab dem 11. Jahrhundert.[2]
Dass diese Macht der Sprache, die menschliche Sicht auf die Welt zu verändern, nicht nur positive Folgen haben kann, zeigt ein Blick auf die Entwicklung des Nationalismus: Durch Sprache konnte das Konzept der Nation nicht nur bezeichnet und in der Bevölkerung verbreitet werden,[3] die Entstehung einheitlicher Landessprachen ließ das auf einer vorgestellten Grundlage beruhende Zusammengehörigkeitsgefühl auch erstmals real erfahrbar werden.[4] Gleichzeitig wurde Sprache zum Abgrenzungskriterium – Anderssprachige konnten der Nation und mithin der staatlichen Gemeinschaft nicht angehören. Diese Exklusivität der Sprache macht sie einerseits zum Schlüssel der Integration, geht aber andererseits immer auch mit Exklusion einher.
Sprache ist demnach nie ein neutrales Transportmittel von Informationen, sie ist selbst Information. Das Weltbild einer Gesellschaft und somit auch diskriminierende Strukturen, die in diesem verankert sind, ist in ihrer Sprache abgespeichert. Im Sprachgebrauch reisen die diskriminierenden Vorstellungen mit wie blinde Passagiere und bekommen die Möglichkeit, sich in den Köpfen der Sprechenden festzusetzen, ohne dass es überhaupt bemerkt wird.
Ist Gendern wichtig für die Demokratie?
Ausgangspunkt des demokratischen Versprechens und somit gemeinsames Ziel sämtlicher demokratischer Verfassungsstaaten ist es, die gleiche Freiheit aller zu gewährleisten. Dieses Ziel verleiht modernen Demokratien erst die nötige Legitimität, die die Bürger:innen dazu bewegt, sich der Verfassungsordnung freiwillig zu unterwerfen.[5] Um es zu erreichen, muss verhindert werden, dass bestimmte Personengruppen innerhalb der Gesellschaft schlechter gestellt sind als andere – denn die theoretisch allen gewährte Freiheit ist letztlich nichts wert, wenn sie aufgrund von struktureller Benachteiligung faktisch nicht ausgelebt werden kann. Der Abbau von Diskriminierungsstrukturen ist mithin eine zentrale Voraussetzung dafür, dass Demokratien überhaupt dauerhaft von der Gesellschaft getragen werden. Wie soeben gezeigt, kann Sprache einen großen Beitrag dazu leisten, Vorstellungen real werden zu lassen. Sie kann Personen oder ganze Gruppen sichtbar oder unsichtbar machen und sie kann Machtverhältnisse manifestieren. Daher kann diskriminierenden Gesellschaftsstrukturen nur effektiv entgegengewirkt werden, wenn man ihnen auch in der Sprache entgegenwirkt.
Der Abbau von (sprachlichen) Diskriminierungsstrukturen ist demnach für den demokratischen Rechtsstaat von zentraler Bedeutung. Es wäre also nur konsequent, in der staatlichen Sprache selbst damit zu beginnen. Denn wie ernsthaft stellt sich ein Staat wirklich gegen Geschlechterdiskriminierung, wenn er selbst Sprache verwendet, die nicht-männliche Personen unsichtbar macht? Die Frage nach geschlechtergerechter Rechtssprache wird insoweit zur Legitimitätsfrage.
Rechtssprache als Mittel gegen Diskriminierung
Gleichzeitig wäre eine geschlechtergerechte Rechtssprache durchaus geeignet den allgemeinen Sprachgebrauch zu beeinflussen: Denn dem Staat und auch der von ihm verwendeten Sprache kommt eine besondere Autorität zu, die der Gesellschaft als Orientierung und Maßstab für eigene Sprachhandlungen dient. In der Sprachwissenschaft wird dieses Sprechen mit offiziellem Charakter als „deklarativer Sprechakt“[6] bezeichnet. Deklarative Sprechakte etablieren institutionelle Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich strukturelle soziale Diskriminierungen verbreiten und reproduzieren können. Der Staat setzt mithin nicht nur rechtliche, sondern indirekt auch sprachliche Normen.
Die Erkenntnis, dass den Aussagen des Staats oder staatlicher Amtsträger:innen ein solcher deklarativer Charakter zukommt, findet sich – in einem anderen Zusammenhang, nämlich bezogen auf den Inhalt von Aussagen – seit langem auch in der Rechtswissenschaft: So dürfen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa Mitglieder der Bundesregierung in ihrer Funktion als Amtsträger:innen im politischen Wettbewerb nicht für oder gegen eine Partei Stellung beziehen, da ihre „Äußerung mit einer aus der Autorität des Amtes fließenden besonderen Gewichtung versehen“[7] sei und so die Wähler:innenmeinungen beeinflussen und die Freiheit der Wahl beeinträchtigen könne.[8]
Eine solche besondere Gewichtung kommt der Sprache des Staats jedoch gerade nicht nur in ihren Inhalten, sondern auch in ihrer Form zu: Die Begriffe und Formulierungen, die der Staat verwendet, werden intuitiv als korrekt wahrgenommen und beeinflussen so auch die Sprachanwendung der Gesellschaft. Insbesondere Gesetzen als Verschriftlichung staatlicher Entscheidungen zwischen Recht und Unrecht kommt eine solche sprachliche Autorität zu.[9] Um Gleichberechtigung umfänglich zu verwirklichen, muss der Gesetzgeber sich dieser Bedeutung seiner Sprache endlich bewusst werden und eine geschlechtergerechte Rechtssprache als wirksames Werkzeug zum Abbau von Diskriminierungsstrukturen erkennen.
Diskriminierende Sprache, diskriminierender Staat?
Sprache ist die Grundlage unserer Gedanken und hat dementsprechend einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf diese. Geschlechterdiskriminierung, die sich in Form des generischen Maskulinums in unserer Sprache widerspiegelt, wird nicht aus unseren Köpfen und somit auch nicht aus unseren Leben verschwinden, solange sie in der Sprache aufrechterhalten wird. Sprache ist nicht „nur“ ein Kommunikationsmittel zwischen einzelnen Menschen, sondern auch Grundlage der Rechtsordnung, die unser gesellschaftliches Zusammenleben regelt. Die Sprache darf dabei keinesfalls als neutraler Boden verkannt werden, sondern muss regelmäßig auf die Vereinbarkeit mit den Werten und Zielen, die die demokratische Rechtsordnung zu etablieren sucht, überprüft werden. Indem der Staat die im generischen Maskulinum enthaltene Diskriminierung durch seine Rechtssprache selbst praktiziert, widerspricht er seinen selbstgesetzten demokratischen Zielen. Um diesen Zielen in Zukunft gerecht zu werden und einen Legitimitätsverlust zu vermeiden, muss dieser Missstand schnellstmöglich korrigiert werden.
Weiterführende Literatur:
Marianne Grabrucker, Vater Staat hat keine Muttersprache, Frankfurt a.M. 1993.
Kübra Gümüşay, Sprache und Sein, München 2020.
Anna Katharina Mangold, Geschlechtergerechte Sprache in der Verfassung des Landes Brandenburg. Rechtswissenschaftliches Gutachten für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Brandenburger Landtag, Potsdam 2021
[1] Vgl. Lann Hornscheidt/Adibeli Nduka-Agwu, Der Zusammenhang zwischen Rassismus und Sprache, in: Lann Hornscheidt/Adibeli Nduka-Agwu (Hrsg.), Rassismus auf gut Deutsch, Frankfurt a.M. 2013, 11-50 (30); vgl. auch Anja Lobenstein-Reichmann, Sprachliche Ausgrenzung im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Berlin/Boston 2013, 25.
[2] Vgl. Philipp Nagels, Evolution. Darum war für uns Menschen Blau früher eigentlich grün, Welt, 10.04.2018, https://www.welt.de/kmpkt/article175287291 (Stand: 26.12.2021).
[3] Vgl. Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation, Frankfurt a.M. 1988, 154; Liah Greenfeld, Nationalism, Cambridge [u.a.] 1993, 6 ff.
[4] Vgl. Anderson (Fn. 3), 48 ff. und 82 ff.
[5] Hierzu Thomas Würtenberger, Die Legitimität staatlicher Herrschaft, Berlin 1973, 17; Alexander Thiele, Allgemeine Staatslehre, Tübingen 2020, 85 ff.
[6] Hierzu Martin Reisigl, Sprachwissenschaftliche Diskriminierungsforschung, in: Scherr, Albert/El-Mafaalani, Aldin/Yüksel, Gökcen (Hrsg.), Handbuch Diskriminierung, Wiesbaden 2017, 81-100 (88 f.).
[7] BVerfGE 138, 102 (118).
[8] Vgl. BVerfGE 138, 102 (113 ff.).
[9] Siehe auch Anna Katharina Mangold 2021, 9.